Bundessozialgericht, Urteil vom 12.10.2016, Az. B 4 AS 37/15 R

4. Senat | REWIS RS 2016, 4140

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

(Grundsicherung für Arbeitsuchende - Anforderungen an einen Überprüfungsantrag - Begrenzung der rückwirkenden Leistungserbringung in Überprüfungsverfahren auf ein Jahr auch bei wiederholtem Überprüfungsantrag - Verfassungsmäßigkeit des § 40 Abs 1 S 2 SGB 2 - sozialgerichtliches Verfahren - Unzulässigkeit der Nichtigkeitsfeststellungsklage - Nichtvorliegen von Nichtigkeitsgründen)


Leitsatz

Die Regelung zur rückwirkenden Erbringung von Leistungen nach dem SGB II in Überprüfungsverfahren längstens für einen Zeitraum bis zu einem Jahr findet auch Anwendung, wenn die bindende Ablehnung einer Überprüfungsentscheidung betroffen ist.

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 23. Juli 2015 - L 7 AS 546/14 - wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig sind höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] in der [X.] vom 1.1.2006 bis [X.]

2

Der Beklagte bewilligte dem 1959 geborenen Kläger, der seit 1.10.2005 durchgehend ein Gewerbe mit An- und Verkauf von [X.], Computern sowie einen Ebay-Handel betreibt, vom 1.10.2005 bis 1.2.2011 [X.]-Leistungen, zuletzt ab 1.12.2010 (Bescheid vom [X.]; Widerspruchsbescheid vom 8.3.2011). Der Kläger ist geschieden und Vater eines Kindes, das bei der Mutter lebt. Seit Mai 2008 tilgt er Rückstände wegen Zahlungen von Unterhaltsvorschussleistungen, in der [X.] vom 1.1.2006 bis 30.9.2008 mit einer Rate in Höhe von monatlich 100,00 Euro. Seit Juni 2009 erbringt er zusätzlich wegen aufgelaufener Schulden aus Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seiner ehemaligen Frau Raten zu 50,00 Euro monatlich. [X.]weise erfolgten Zahlungen auf den laufenden, titulierten Kindesunterhalt.

3

Mit den beiden Überprüfungsanträgen vom [X.] und 15.3.2011, jeweils "für die [X.] ab 01.01.2006", führte der Kläger aus, seine Unterhaltsverpflichtungen bzw Unterhaltszahlungen an die minderjährige Tochter und die ehemalige Ehefrau seien nicht ausreichend berücksichtigt worden. Diese Anträge lehnte der Beklagte ab. Zahlungen auf laufenden Kindesunterhalt seien zugrunde gelegt worden; solche auf Unterhaltsrückstände seien nicht vom Einkommen abzusetzen (Bescheid vom [X.]; Widerspruchsbescheid vom [X.]).

4

Bezugnehmend auf ein Urteil des [X.] vom 13.3.2012, nach dessen Inhalt für den [X.]raum vom 1.5.2008 bis 30.11.2009 wegen Tilgung von [X.] höhere [X.]-Leistungen erbracht werden sollten, beantragte der Kläger am 8.5.2012 erneut die Überprüfung "betreffend sämtlicher Bewilligungsbescheide ab 2006 bis einschließlich Ende 2010." Dies lehnte der Beklagte mit dem Hinweis ab, dass eine Überprüfung nur für maximal ein Jahr zurückliegende Bescheide möglich sei. Frühere Bewilligungszeiträume könnten nicht über den Umweg des Überprüfungsbescheids Gegenstand eines erneuten Verfahrens werden (Bescheid vom [X.]; Widerspruchsbescheid vom 6.6.2012).

5

Das [X.] hat den Bescheid des Beklagten vom [X.] in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012 teilweise aufgehoben und ihn verpflichtet, den (letzten) Bewilligungsbescheid vom [X.] in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.3.2011 abzuändern und dem Kläger für Januar 2011 höhere Leistungen zu bewilligen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 16.6.2014). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, in den rückwirkenden [X.]raum der Überprüfung von einem Jahr falle auch der Überprüfungsbescheid vom [X.] in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.], weshalb alle [X.]räume, die im Rahmen dieses Bescheids zu überprüfen gewesen seien, nochmals zu prüfen seien, also alle Bewilligungsbescheide, die nach dem 1.1.2007 ergangen seien. Bis auf die Bewilligung von [X.]-Leistungen für Januar 2011 seien diese Bescheide rechtmäßig gewesen. Im Januar 2011 sei aber eine Zahlung auf laufenden, titulierten Kindesunterhalt nicht einkommensmindernd berücksichtigt worden. Auch wegen eines höheren Regelbedarfs hätten dem Kläger im Januar 2011 höhere Leistungen von insgesamt 841,76 Euro zugestanden.

6

Das L[X.] hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 23.7.2015). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, nach dem Berufungsantrag sei Streitgegenstand ein Anspruch auf höhere [X.]-Leistungen für den [X.]raum vom 1.1.2006 bis [X.] Diesen Anspruch verfolge der Kläger prozessual zum einen dadurch, dass er [X.] bezüglich des Überprüfungsbescheids vom [X.] in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] (basierend auf den Anträgen vom [X.] und 15.3.2011) und des Bescheids vom [X.] in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012 (Antrag vom 8.5.2012) sowie sämtlicher im Bewilligungszeitraum vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 ergangenen Bescheide erhebe. Zum anderen begehre der Kläger im Wege der Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage höhere Leistungen nach dem [X.]. Streitgegenstand sei hier allein der Überprüfungsbescheid vom [X.] in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012. Zwar sei die Klage trotz fehlenden vorherigen Antrags auf Feststellung der Nichtigkeit des Bescheids vom [X.] in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] bei dem Beklagten zulässig; auch ein Feststellungsinteresse könne bejaht werden. Die [X.] gegen diesen Bescheid sei jedoch unbegründet, weil [X.] nicht ersichtlich seien. Die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Überprüfungsbescheids vom [X.] in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012 sei unzulässig, weil der Kläger insoweit innerhalb der Rechtsmittelfrist eine Klage erhoben habe. Die [X.] bezogen auf sämtliche Bewilligungsbescheide des [X.]raums vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 sei ebenfalls unzulässig, weil ein Begünstigter kein Interesse an einer Beseitigung der Rechtsgrundlage für die erhaltenen Leistungen mit einer möglichen Erstattungsforderung des Leistungsträgers haben könne. Soweit der Kläger mit seiner Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage eine Überprüfung der in der [X.] vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 bewilligten Leistungen begehre, sei dies unbegründet. Der Antrag vom 8.5.2012 wirke nur ein Jahr, also auf den 1.1.2011, zurück. Es bedürfe keiner Entscheidung des Beklagten darüber, ob dem Kläger bis Dezember 2010 Leistungen vorenthalten worden seien.

7

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 40 [X.] X. Der Sachbearbeiter des Beklagten habe durch die unzutreffende Bewilligung von [X.]-Leistungen bewusst in Kauf genommen, dass er - der Kläger - sich einer Unterhaltspflichtverletzung strafbar mache. Die Regelung des § 40 Abs 2 Nr 4 [X.] X sei so zu verstehen, dass die Begehung einer rechtswidrigen Tat durch die Behörde auch dann verlangt werde, wenn durch Nichtanrechnung von Unterhaltsleistungen auf das erzielte Einkommen billigend in Kauf genommen werde, dass der [X.] seinen Unterhaltsverpflichtungen nicht nachkommen könne. Werde die Nichtigkeit der Bescheide festgestellt, die den Bewilligungszeitraum vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 regelten, müsse jeweils erneut über die [X.] entschieden werden. Der Überprüfungsbescheid vom [X.] in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom [X.] sei auch bezogen auf den [X.]raum vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 erneut zu überprüfen, weil er diesen Bescheid innerhalb der Frist des § 40 Abs 1 S 2 [X.] zur Überprüfung gestellt habe. Hierbei müsse das Gericht zu dem Ergebnis gelangen, dass die von ihm nachgewiesenen Zahlungen auf Unterhaltsrückstände, die nach dem [X.] bestünden, einkommensmindernd zu berücksichtigen seien. Diese seien nur deshalb entstanden, weil seine Unterhaltszahlungen nicht einkommensmindernd berücksichtigt worden seien, sodass diese letztlich durch den Beklagten verursacht seien.

8

Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des [X.] vom 23.7.2015 und das Urteil des [X.] vom 16.6.214 werden aufgehoben und die Nichtigkeit des Überprüfungsbescheids vom [X.] in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] und des Überprüfungsbescheids vom [X.] in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012 sowie aller im Bewilligungszeitraum vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 ergangenen Verwaltungsakte festgestellt,
2. der Beklagte wird unter Aufhebung des Urteils des [X.] vom 23.7.2015 und Abänderung des Urteils des [X.] vom 16.6.2014 verurteilt, die Bewilligungsbescheide für die [X.] ab 1.1.2006 bis einschließlich 31.12.2010 aufzuheben, neu zu entscheiden und dem Kläger Leistungen für diesen gesamten [X.]raum unter Anrechnung seiner Unterhaltszahlungen, auch soweit es sich um die Tilgung titulierter Unterhaltsrückstände handelt, zu bewilligen.

9

Der Beklagte beantragt,
die Revision des [X.] zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Die Revision des [X.] ist zulässig.

2. a) Sein Begehren ist zunächst darauf gerichtet, durch die Aufhebung des ablehnenden [X.] vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] eine Überprüfung sämtlicher Bewilligungsbescheide für den Zeitraum ab 1.1.2006 bis 31.12.2010 zu erreichen. Richtige Klageart ist insoweit eine kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (zuletzt [X.] vom 13.2.2014 - [X.] AS 22/13 R - [X.], 126 = [X.]-1300 § 44 [X.], Rd[X.] 11 mwN). Mit der Anfechtungsklage begehrt der Kläger die Aufhebung des - die Überprüfung ablehnenden - Verwaltungsakts vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.]. Die Verpflichtungsklage ist auf die Erteilung eines Bescheids durch den Beklagen gerichtet, mit dem dieser die begehrte Änderung der Bewilligungsbescheide für die Jahre 2006 bis 2010 bewirken soll. Mit der Leistungsklage beantragt er höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im streitigen Zeitraum.

b) Die Revision ist jedoch insoweit unbegründet, weil das [X.] die Berufung des [X.] im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen hat (§ 170 Abs 1 S 2 [X.]G). Dies folgt allerdings nicht bereits daraus, dass es schon an einem hinreichend konkretisierten Antrag iS des § 44 [X.] mangelte.

Nach § 40 Abs 1 S 1 [X.]B II iVm § 44 Abs 1 S 1 [X.] ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Erfolgt die Überprüfung aufgrund eines Antrags des Leistungsberechtigten, löst dieser Antrag grundsätzlich eine Prüfpflicht des Leistungsträgers aus, bestimmt jedoch zugleich auch den Umfang des [X.] im Hinblick darauf, ob bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist. Insofern hat der [X.] bereits entschieden, dass sich der Verwaltung aufgrund oder aus Anlass des Antrags im Einzelfall objektiv erschließen muss, aus welchem Grund - Rechtsfehler und/oder falsche Sachverhaltsgrundlage - nach Auffassung des Leistungsberechtigten eine Überprüfung erfolgen soll. Dazu muss der Antrag konkretisierbar sein. Entweder aus dem Antrag selbst (ggf nach Auslegung) oder aus einer Antwort des Leistungsberechtigten aufgrund konkreter Nachfrage des [X.] muss der Umfang des [X.] für die Verwaltung bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens erkennbar werden. Ist dies nicht der Fall, ist der Sozialleistungsträger berechtigt, von einer inhaltlichen Prüfung dieses Antrags abzusehen (vgl hierzu näher zuletzt [X.] vom 13.2.2014 - [X.] AS 22/13 R - [X.], 126 = [X.]-1300 § 44 [X.], Rd[X.] 13 ff mwN).

Trotz fehlender Bezeichnung der im Einzelnen aus Sicht des [X.] im Wege des § 44 [X.] zu korrigierenden Bewilligungsbescheide im Sinne seines Antrags auf Überprüfung vom [X.] mangelt es nicht schon an einem hinreichend objektiv konkretisierbaren Antrag iS des § 44 [X.], der eine inhaltliche Prüfverpflichtung des [X.] von vornherein entfallen ließe. Der Umfang des [X.] war für den Beklagten erkennbar, weil der Kläger konkret vorgetragen hat, für welchen Zeitraum er die Berücksichtigung seiner rückständigen Unterhaltsverpflichtungen als Absetzbetrag vom Einkommen bzw als "besonderen Bedarf" begehrt. Da er ausgeführt hat, dass er in einem bezeichneten Zeitraum der durchgehenden Leistungsbewilligung die Berücksichtigung seiner rückständigen Unterhaltsverpflichtungen als Absetzbetrag von seinem Einkommen verfolgt, waren für den Beklagten trotz fehlender Bezeichnung der aus Sicht des [X.] zu ändernden Bewilligungsbescheide diese ohne Weiteres ermittelbar und der Umfang des [X.] erkennbar.

c) Der Bescheid vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] ist jedoch rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine (weitergehende) teilweise Rücknahme der in dem Zeitraum vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 erlassenen Bewilligungsbescheide und rückwirkende Zahlung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] Für den nicht mehr streitgegenständlichen Monat Januar 2011 hat das [X.] eine teilweise Abänderung des [X.] vom [X.] und rückwirkende Leistungserbringung ausgesprochen. Bezogen auf den streitigen Zeitraum ist - anders als von den Vorinstanzen angenommen - schon eine Rücknahmeentscheidung nicht mehr zu treffen.

Nach § 40 Abs 1 S 2 [X.]B II idF des Gesetzes zur Ermittlung von [X.] und zur Änderung des [X.] und [X.] ([X.]) gilt abweichend von § 40 Abs 1 S 1 [X.]B II die Vorschrift des § 44 Abs 4 S 1 [X.] zur rückwirkenden Erbringung von Sozialleistungen mit der Maßgabe, dass anstelle des Zeitraums von vier Jahren ein solcher von einem Jahr gilt. Nach gefestigter Rechtsprechung des B[X.] hat die Verwaltung schon eine Rücknahmeentscheidung nach § 44 Abs 1 [X.] nicht mehr zu treffen, wenn die rechtsverbindliche, grundsätzlich zurückzunehmende Entscheidung ausschließlich Leistungen für Zeiten betrifft, die außerhalb der durch den Rücknahmeantrag bestimmten Verfallsfrist liegen. Die Unanwendbarkeit der "Vollzugsregelung des § 44 Abs 4 [X.]" steht dann einer isolierten Rücknahme entgegen ([X.] vom 13.2.2014 - [X.] AS 19/13 R - [X.], 121 = [X.]-1300 § 44 [X.], Rd[X.] 16; [X.] vom 6.3.1991 - 9b [X.] - B[X.]E 68, 180, 181 = [X.] 3-1300 § 44 [X.]). Die Rücknahme steht unter dem Vorbehalt, dass Sozialleistungen nach § 44 Abs 4 [X.] noch zu erbringen sind ([X.] vom [X.] - [X.] [X.] 4/12 R - juris Rd[X.] 10). Dies gilt in gleicher Weise bei der Verkürzung der rückwirkenden Leistungserbringung auf einen Zeitraum bis zu einem Jahr nach § 40 Abs 1 S 2 [X.]B II, wenn der Antrag auf Rücknahme - wie vorliegend der Überprüfungsantrag vom [X.] - nach dem [X.] gestellt worden ist (vgl zum Asylbewerberleistungsrecht bereits [X.] vom [X.] [X.] R - B[X.]E 114, 20 = [X.]-3520 § 9 [X.], Rd[X.] 10 ff). Die Übergangsregelung des § 77 Abs 13 [X.]B II, nach der § 40 Abs 1 S 2 [X.]B II nicht anwendbar ist auf Anträge nach § 44 [X.], die vor dem 1.4.2011 gestellt worden sind, findet keine Anwendung.

Gegen die durch § 40 Abs 1 S 2 [X.]B II bewirkte Beschränkung rückwirkender Leistungserbringung im Falle der Aufhebung eines rechtswidrigen, nicht begünstigenden Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit nach § 44 Abs 1 oder Abs 2 [X.] bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken (zur Verfassungsmäßigkeit der Vierjahresfrist des § 44 Abs 4 S 1 [X.]: [X.] vom [X.] - 1 RA 31/85 - B[X.]E 60, 158, 161 = [X.] 1300 § 44 [X.]). Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG verlangt nur die Erbringung von Leistungen, die zur gegenwärtigen Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind ([X.] Urteil vom [X.] - 1 BvL 1/09 ua - [X.]E 125, 175, 223, 226 ff). Die rückwirkende Gewährung (höherer) existenzsichernder Leistungen ist verfassungsrechtlich nicht zwingend geboten. Es lässt sich dem Grundgesetz keine allgemeine Verpflichtung der vollziehenden Gewalt entnehmen, rechtswidrig belastende und rechtswidrig begünstigende Verwaltungsakte unbeschadet des Eintritts ihrer formellen Bestandskraft von Amts wegen oder auf Antrag des Adressaten aufzuheben oder abzuändern (vgl hierzu auch [X.] in [X.]/Voelzke, jurisPK-[X.]B II, 4. Aufl 2015, § 40 Rd[X.] 33). Im Ergebnis können daher Sozialleistungen rückwirkend über den 1.1.2011 hinausgehend nicht mehr erbracht werden.

d) Entgegen der Ansicht des [X.] und der Vorinstanzen kann mit dem Überprüfungsantrag vom [X.] keine erneute Eröffnung des bereits durch den Bescheid vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] abgeschlossenen Überprüfungsverfahrens eingeleitet werden. Auch hier steht die verkürzte Verfallsfrist des § 40 Abs 1 S 2 [X.]B II iVm § 44 Abs 4 [X.] entgegen.

Zwar fällt der Überprüfungsbescheid vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] in den Einjahreszeitraum des § 40 Abs 1 S 2 [X.]B II iVm § 44 Abs 4 [X.]. Durch eine Rücknahme der rechtsverbindlichen Ablehnung einer Überprüfung lebt der darauf ursprünglich gerichtet gewesene Antrag jedoch nicht in der Weise auf, dass er für die Fristberechnung der Verfallsfrist maßgebend ist (vgl zum Wiederaufleben eines entsprechenden Antrags [X.] vom [X.] - [X.] 1200 § 44 [X.]). Die rückwirkende Leistungserbringung ist vielmehr ausgehend von dem Antrag vom [X.] zu beurteilen, über den in diesem Verfahren allein zu entscheiden ist, nicht jedoch ausgehend von früheren, rechtsverbindlich abgelehnten Überprüfungsanträgen (so auch [X.] vom 6.3.1991 - 9b [X.] - B[X.]E 68, 180 = [X.] 3-1300 § 44 [X.] 1). Dies ist der Antrag iS des § 44 Abs 4 [X.] [X.], der für eine rückwirkende Leistungserbringung und deren Umfang sowie eine Rücknahme (teilweise) rechtswidriger Bewilligungsbescheide kausal ist. Entsprechend hat der 13. [X.] des B[X.] bereits entschieden, dass es in Fallgestaltungen einer wiederholten Überprüfung eines Sozialleistungen bewilligenden Bescheids regelmäßig keiner gesonderten Würdigung auch eines bereits zuvor von dem Sozialleistungsträger erlassenen, eine Überprüfung gleichfalls ablehnenden Bescheids bedarf. Der 13. [X.] des B[X.] hat ausgeführt, dass mit einer Verpflichtung zur Änderung des Bewilligungszeitraums für einen vergangenen Zeitraum aufgrund der Anwendung des § 44 [X.] notwendigerweise zugleich auch die Ablehnung seiner Aufhebung in dem früheren negativen Überprüfungsbescheid gegenstandlos wird ([X.] vom 24.10.2013 - [X.] R 83/11 R - [X.]-2600 § 43 [X.] 20 Rd[X.] 15), weil dieser sich auf andere Weise erledigt hat (§ 39 Abs 2 [X.]).

3. Die Revision ist auch unbegründet, soweit der Kläger sein Begehren mit der [X.] verfolgt.

a) Die von dem Kläger erhobene [X.] ist schon unzulässig, soweit sich diese gegen den Bescheid vom [X.] richtet.

Zwar ist das [X.] zu Recht davon ausgegangen, dass die [X.] nach § 55 Abs 1 [X.] [X.]G, wonach die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes mit der Klage ua begehrt werden kann, wenn ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung besteht, nicht fristgebunden ist (vgl dazu [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 11. Aufl 2014, § 55 Rd[X.] 14a). Auch ein vorheriger Antrag an die Behörde auf Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts nach § 40 Abs 5 [X.] wird nicht vorausgesetzt ([X.] vom 23.2.1989 - 11/7 [X.] - [X.] 1500 § 55 [X.] 35; [X.] vom 7.9.2006 - [X.] RA 43/05 R - B[X.]E 97, 94 = [X.]-2600 § 118 [X.], Rd[X.] 15; [X.] in [X.], [X.]G, § 55 Rd[X.] 71, Stand September 2016).

Bezogen auf die Feststellung der Nichtigkeit des Bescheids vom [X.] idF des Widerspruchsbescheids vom [X.] ist das [X.] aber zu Recht davon ausgegangen, dass es schon an einer Zulässigkeit der [X.] fehlt, weil der Kläger diese Bescheide im Wege einer Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage überprüfen kann. Von dieser Überprüfungsmöglichkeit hat der Kläger auch Gebrauch gemacht. Ein berechtigtes Interesse an einer parallelen Rechtsverfolgung ist nicht vorgetragen.

Insofern ist die grundsätzliche Subsidiarität der Feststellungsklage zu Gestaltungsklagen zu berücksichtigen. Auch hat das Erfordernis eines Rechtsschutzinteresses in § 55 Abs 1 [X.] [X.]G für die Feststellungsklage in Gestalt des "berechtigten Interesses an der baldigen Feststellung" seinen Niederschlag und eine Konkretisierung erfahren ([X.] vom 22.5.1985 - 12 RK 30/84 - B[X.]E 58, 150, 151 = [X.] 1500 § 55 [X.] 27 S 22). Ist eine solche Gestaltungsklage zulässig, kann regelmäßig nicht stattdessen eine Feststellungsklage erhoben werden ([X.] vom 9.10.1984 - 12 RK 18/83 - B[X.]E 57, 184, 186 = [X.] 2200 § 385 [X.] 10 S 40; [X.] vom 16.3.1978 - 11 RK 9/77 - B[X.]E 46, 81, 84 = [X.] 5420 § 3 [X.] 7 S 10 f; [X.] vom [X.] - B[X.]E 56, 255 = [X.] 1500 § 55 [X.] 23; [X.] vom [X.] - B 3 KR 3/04 R - [X.]-2500 § 40 [X.] 2). Zwar gelten diese Grundsätze nicht uneingeschränkt; die hier vorliegende [X.] nach § 55 Abs 1 [X.] [X.]G kann neben einer Anfechtungsklage erhoben werden. Dies soll Schwierigkeiten Rechnung tragen, die sich daraus ergeben, dass die Frage, ob ein Verwaltungsakt nur anfechtbar oder sogar nichtig ist, im Einzelfall nur schwer zu beantworten ist und möglicherweise in den Instanzen unterschiedlich beurteilt wird ([X.] vom 23.2.1989 - 11/7 [X.] - [X.] 1500 § 55 [X.] 35 [X.]6). Es muss dann aber - über ein normales Rechtsschutzinteresse hinaus - noch ein zusätzliches berechtigtes Interesse des [X.] gerade an der baldigen Feststellung der Nichtigkeit des Verwaltungsaktes iS des § 55 Abs 1 [X.] [X.]G bestehen (vgl [X.] in [X.], [X.]G, § 55 Rd[X.] 70, Stand September 2016 mwN).

Ein solches zusätzliches berechtigtes Interesse, etwa wegen möglicher Vollstreckungsmaßnahmen (vgl [X.] vom 7.9.2006 - [X.] RA 43/05 - B[X.]E 97, 94 = [X.]-2600 § 118 [X.], Rd[X.] 15) oder des Rechtsscheins eines unwirksamen Verwaltungsaktes (vgl zB [X.] vom 23.2.1989 - 11/7 [X.] - [X.] 1500 § 55 [X.] 35 [X.]6 zur Untersagung der Arbeitsvermittlung), ist hier jedoch weder vorgetragen noch ersichtlich. Soweit der Kläger mit seiner Revision geltend macht, dass bezogen auf den Bescheid vom [X.] idF des Widerspruchsbescheids vom [X.] ein Feststellungsinteresse schon deshalb bestehe, weil "die Behörde bei Feststellung der Nichtigkeit uneingeschränkt über den damit offenen Antrag auf [X.]B II-Leistungen entscheiden müsse", kann dies kein als rechtlich schutzwürdig anzuerkennendes Interesse begründen. Es ist schon nicht erkennbar, weshalb eine erneute Entscheidung über den Überprüfungsantrag vom [X.] zu einem anderen Ergebnis als die gerichtliche Prüfung des angefochtenen Bescheids vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] im Wege der Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage führen könnte (s oben).

b) Soweit sich die [X.] gegen den Bescheid vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] richtet, ist diese jedenfalls unbegründet, weil keine Nichtigkeitsgründe vorliegen.

Nach § 40 Abs 1 [X.] ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Ohne Rücksicht auf diese Voraussetzungen ist ein Verwaltungsakt nichtig (§ 40 Abs 2 [X.]), (1.) der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Behörde aber nicht erkennen lässt, (2.) der nach einer Rechtsvorschrift nur durch die Aushändigung einer Urkunde erlassen werden kann, aber dieser Form nicht genügt, (3.) den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann, (4.) der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht oder (5.) der gegen die guten Sitten verstößt.

Insofern hat das [X.] - zu dem [X.] des § 40 Abs 2 [X.] [X.] - zutreffend ausgeführt, dass ein rechtswidriges Handeln der Behörde nur vorliegt, wenn im Verwaltungsakt eine mit Strafe oder Bußgeld bedrohte Handlung verlangt wird ([X.] in von [X.]/Schütze, [X.], 8. Aufl 2014, § 40 Rd[X.] 15). Eine Strafbarkeit gemäß § 170 StGB (Verletzung der Unterhaltspflicht) kann nicht bereits durch einen Leistungs- oder Ablehnungsbescheid erfüllt werden ([X.] vom [X.] - B 10 EG 7/12 R - B[X.]E 114, 180 = [X.]-1300 § 31 [X.] 8, Rd[X.] 30). Für die mit der Revision des [X.] vorgetragene Ansicht, dass die Begehung einer rechtswidrigen Tat auch dann verlangt werde, wenn die Behörde durch die Nichtanrechnung von Unterhaltsleistungen auf das erzielte Einkommen billigend in Kauf nehme, dass der [X.] dadurch seinen Unterhaltsverpflichtungen nicht nachkomme, findet sich kein Anhalt im Gesetz.

Weiter ist das [X.] zutreffend davon ausgegangen, dass die vom Kläger geltend gemachten Nichtigkeitsgründe, ua die Befangenheit des Sachbearbeiters und die fehlerhafte Annahme der Behörde, dass es sich bei Zahlungen auf [X.] um keine Unterhaltszahlungen handele, allenfalls nach der Generalklausel des § 40 Abs 1 [X.] zur Nichtigkeit führen können. Die bloße Befangenheit eines Sachbearbeiters - ihr Vorliegen unterstellt - ist für sich genommen kein schwerwiegender Fehler, der den Verwaltungsakt nichtig macht. Ob eine Behörde vollständig und richtig ermittelt und den Sachverhalt richtig gewürdigt und rechtlich zutreffend entschieden hat, ist allein eine Frage der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts, bedingt aber keine Nichtigkeit.

c) Bezogen auf die [X.] hinsichtlich sämtlicher Bewilligungsbescheide in dem Zeitraum vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 fehlt es an einem berechtigten Interesse des [X.], weil er - wie dargelegt - Nichtigkeitsgründe nicht schlüssig dargetan hat. Zwar macht er als berechtigtes Interesse geltend, dass die Nichtigkeitsfeststellung eines Bescheids wegen dessen dann festgestellter Unwirksamkeit zur Folge habe, dass erneut über die den Zeitraum vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 betreffenden [X.]B II-Anträge entschieden werden müsse, dann aber ohne Anwendbarkeit der eingeschränkten rückwirkenden Überprüfungs- und Leistungserbringung nach § 40 Abs 1 S 2 [X.]B II iVm § 44 Abs 4 [X.]. In diesem Vorbringen, das auf die Möglichkeit einer Nichtanwendung der mit Wirkung zum 1.4.2011 eingeführten Einschränkungen bei der rückwirkenden Überprüfung und Erbringung von Sozialleistungen zielt, kann jedoch kein berechtigtes Interesse an einer [X.] gesehen werden. Bei der Prüfung des berechtigten Interesses ist nicht auf die rein subjektive Ansicht des [X.] abzustellen; vielmehr ist zu prüfen, ob die Rechtsordnung das Interesse objektiv zumindest indirekt als individuelles Interesse selbst anerkennt ([X.] in [X.], [X.]G, § 55 Rd[X.] 20, Stand September 2016). Die letztlich angestrebte Umgehung der gesetzlichen Vorgaben zum zeitlichen Umfang einer Überprüfung bestandskräftiger Bescheide ist aber - unbesehen des fehlenden Vortrags ausreichender Nichtigkeitsgründe - kein von der Rechtsordnung anerkanntes berechtigtes Interesse.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 [X.]G.

Meta

B 4 AS 37/15 R

12.10.2016

Bundessozialgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Augsburg, 16. Juni 2014, Az: S 11 AS 543/12, Urteil

§ 40 Abs 1 S 1 SGB 2, § 40 Abs 1 S 2 SGB 2 vom 24.03.2011, § 44 Abs 1 S 1 SGB 10, § 44 Abs 4 S 1 SGB 10, § 44 Abs 4 S 2 SGB 10, § 44 Abs 4 S 3 SGB 10, § 40 Abs 2 Nr 4 SGB 10, § 170 StGB, § 54 Abs 4 SGG, § 55 Abs 1 Nr 4 SGG, Art 1 Abs 1 GG, Art 20 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 12.10.2016, Az. B 4 AS 37/15 R (REWIS RS 2016, 4140)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 4140

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