Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.07.2004, Az. IXa ZB 46/04

IXa- Zivilsenat | REWIS RS 2004, 2268

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.]BESCHLUSS [X.]
vom 16. Juli 2004 in dem Zwangsvollstreckungsverfahren

Nachschlagewerk: ja [X.]: nein [X.]R: ja __________________

ZPO § 758a Abs. 4 Satz 1

Für die Vollstreckung eines Haftbefehls (§ 901 ZPO) in der Wohnung des Schuldners zur Nachtzeit und an Sonn- und Feiertagen ist eine besondere An-ordnung des [X.] erforderlich.

[X.], Beschluß vom 16. Juli 2004 - [X.] - LG [X.]

AG [X.] - 2 - [X.] des [X.] hat durch den Vorsitzenden [X.] [X.], die [X.] [X.], von [X.] und die [X.]innen Dr. [X.] und [X.]

am 16. Juli 2004 beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß der 4. Zivilkammer des [X.]s [X.] vom 17. Februar 2004 wird auf Kosten der Gläubigerin zurückgewiesen.

Wert: bis zu 500 •.

Gründe:
[X.]
Die Gläubigerin betreibt gegen die Schuldnerin aus mehreren Titeln die Zwangsvollstreckung. Am 8. Mai 2003 erließ das Vollstreckungsgericht gegen die Schuldnerin Haftbefehl zur Erzwingung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung (§ 901 ZPO). Nachdem Versuche, den Haftbefehl an verschiede-nen Wochentagen und zu unterschiedlichen Tageszeiten zu vollziehen, erfolg-los geblieben waren, empfahl der Gerichtsvollzieher der Gläubigerin, eine be-sondere Anordnung des [X.] nach § 758a Abs. 4 ZPO zu erwirken, um - 3 - den Haftbefehl zur Nachtzeit und an Sonn- und Feiertagen vollstrecken zu kön-nen.

Die Gläubigerin hat gegen die Weigerung des Gerichtsvollziehers, die Schuldnerin zu diesen [X.]en ohne eine besondere richterliche Anordnung zu verhaften, Erinnerung eingelegt. Das Amtsgericht hat die Erinnerung [X.]. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin hatte keinen Erfolg. [X.] wendete sie sich mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.

I[X.]

Die gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im übrigen zulässige Beschwerde ist unbegründet.

1. Nach Meinung des [X.], dessen Auffassung in [X.] mit der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur steht (vgl. [X.] [X.] 2000, 170; [X.] [X.] 1999, 173; [X.], ZPO 22. Aufl. § 758a Rn. 35; [X.]/Walker, Voll-streckung und Vorläufiger Rechtsschutz 3. Aufl. § 909 Rn. 3; [X.]/[X.], ZPO 3. Aufl. § 909 Rn. 7; [X.]/[X.], ZPO 25. Aufl. § 758a Rn. 31), ist für die Vollstreckung eines Haftbefehls in der Wohnung des Schuldners zur [X.] und an Sonn- und Feiertagen eine besondere Anordnung des [X.]s erforderlich. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut des § 758a Abs. 4 Satz 1 ZPO, dessen Sinn und Zweck sowie dem systematischen Zusammenhang der Regelungen des § 758a ZPO. Im Hinblick auf das gesetzlich geschützte Ruhe-bedürfnis zur Nachtzeit und an Sonn- und Feiertagen sei eine gesonderte rich-- 4 - terliche Einzelfallprüfung unter Abwägung der Grundrechte des Schuldners (Art. 13 GG) und des Gläubigers (Art. 14 GG) durchzuführen.

Die Rechtsbeschwerde, die sich auf die Gegenmeinung beruft (vgl. [X.] NJW-RR 2003, 1146; [X.] [X.] 1999, 126; AG Mann-heim [X.] 1999, 142; AG Heinsberg [X.] 1999, 188; [X.] [X.] 2000, 190; [X.]/Stöber, ZPO 24. Aufl. § 758a Rn. 35), vertritt die Auffassung, es ergebe sich aus der Entstehungsgeschichte des § 758a ZPO, dessen Sy-stematik sowie dem Sinn und Zweck des Absatzes 4 dieser Vorschrift, daß die Vollstreckung zur Nachzeit und an Sonn- und Feiertagen von der richterlichen Entscheidung über den Erlaß des Haftbefehls [X.] sei. Durch die Verhaf-tung werde in das Freiheitsrecht des Schuldners eingegriffen, was den schwer-wiegendsten Grundrechtseingriff darstelle. Aufgrund der ausdrücklichen Regelung des § 758a Abs. 2 ZPO sei der [X.]vorbehalt für die Durchsu-chung der Wohnung des Schuldners zur Vollstreckung des Haftbefehls bereits durch dessen Erlaß erfüllt.

2. Der Standpunkt des [X.] ist zutreffend.

a) Die Wohnung des Schuldners darf nach § 758a Abs. 1 ZPO - soweit dies nicht den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde - ohne dessen Einwil-ligung nur aufgrund einer Anordnung des [X.]s durchsucht werden. Gemäß Absatz 2 dieser Vorschrift gilt dies u.a. dann nicht, wenn die Vollstreckung ei-nes Haftbefehls nach § 901 ZPO erfolgen soll. Nach § 758a Abs. 4 ZPO nimmt der Gerichtsvollzieher eine Vollstreckungshandlung zur Nachtzeit, d.h. von [X.] bis sechs Uhr (§ 758a Abs. 4 Satz 2 ZPO), und an Sonn- und Feiertagen nicht vor, wenn dies für den Schuldner und die [X.] 5 - haber eine unbillige Härte darstellt oder der zu erwartende Erfolg in einem Mißverhältnis zu dem Eingriff steht, in Wohnungen nur aufgrund einer beson-deren Anordnung des [X.].

b) Bereits der Wortlaut des § 758a Abs. 4 Satz 1 letzter Halbsatz ZPO spricht dafür, daß bei der Vollstreckung eines Haftbefehls, die zur Nachtzeit oder an Sonn- und Feiertagen in der Wohnung des Schuldners erfolgen soll, eine gesonderte Anordnung des [X.] notwendig ist (vgl. [X.]/[X.], aaO § 909 Rn. 7). Die Vorschrift verlangt ausnahmslos eine besondere richter-liche Anordnung für jede Vollstreckungshandlung des Gerichtsvollziehers zu den genannten [X.]en, und zwar unabhängig davon, ob außerhalb dieser Zei-ten eine solche nach § 758a Abs. 1 und 2 ZPO erforderlich ist oder nicht. [X.] bezieht sich die Ausnahmeregelung des § 758a Abs. 2 ZPO, nach der für die Durchsuchung der Schuldnerwohnung im Rahmen der Vollstreckung eines Haftbefehls eine Anordnung des [X.]s entbehrlich ist, nach ihrem Wortlaut lediglich auf Absatz 1 der Vorschrift und nicht auf deren Absatz 4.

c) Das Erfordernis einer besonderen richterlichen Anordnung für die Vollstreckung eines Haftbefehls in der Wohnung des Schuldners zur Nachtzeit und an Sonn- und Feiertagen geht auch aus der Gesetzessystematik hervor. In § 758a Abs. 1 ZPO ist geregelt, daß für die Durchsuchung der Wohnung des Schuldners eine richterliche Anordnung notwendig ist, wenn nicht einer der Ausnahmefälle des Absatzes 2 vorliegt. § 758a Abs. 4 ZPO, der den [X.] § 761 ZPO a.F. in veränderter Form ersetzt hat (vgl. [X.]/[X.], aaO § 758a Rn. 17; [X.]/[X.], aaO § 758a Rn. 25), bezieht sich auf jede Vollstreckungshandlung des Gerichtsvollziehers zur Nachtzeit und an Sonn- und Feiertagen in der Wohnung des Schuldners und beschränkt sich - 6 - nicht auf deren Durchsuchung. Er hat somit gegenüber den Absätzen 1 bis 3 des § 758a ZPO einen eigenständigen Regelungsgehalt und ist deshalb losge-löst von diesen Vorschriften zu sehen (vgl. [X.], aaO § 758a Rn. 35). Da es sich bei der besonderen Anordnung des [X.]s, die in § 758a Abs. 4 Satz 1 letzter Halbsatz ZPO gefordert wird, nur um die Genehmigung der in diesem Absatz ausschließlich geregelten Vornahme von [X.] zur Nachtzeit und an Sonn- und Feierta-gen handeln kann, wird die Zulässigkeit einer Wohnungsdurchsuchung zur Vollstreckung eines Haftbefehls (§ 758a Abs. 1 und 2 ZPO) ohne richterliche Anordnung insoweit eingeschränkt.

d) Vor allem sprechen Sinn und Zweck des § 758a ZPO für eine beson-dere richterliche Anordnung bei der Vollstreckung eines Haftbefehls zur [X.] oder an Sonn- und Feiertagen in der Wohnung des Schuldners. Diese trägt dem Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) Rech-nung, in das nach Art. 13 Abs. 2 GG grundsätzlich nur aufgrund einer [X.] Anordnung eingegriffen werden darf.

Bei der Vollstreckung eines Haftbefehls in der Wohnung des [X.] zur normalen [X.] befreit § 758a Abs. 2 ZPO vom Erfordernis einer richter-lichen Anordnung, weil der Haftbefehl vom [X.] erlassen wurde und die Wohnung regelmäßig nur kurzfristig zur Sistierung des Schuldners betreten wird. Über den mit dem Vollzug des Haftbefehls allgemein verbundenen schwerwiegenden Eingriff in das Freiheitsrecht des Schuldners hinaus greift dessen Vollstreckung in der Wohnung zur Nachtzeit oder an Sonn- und Feier-tagen zusätzlich in eine rechtlich geschützte Sphäre des Schuldners ein. Der Gesetzgeber hat - wie das [X.] zutreffend darlegt - mit der Regelung - 7 - des § 758a Abs. 4 ZPO deutlich gemacht, daß ein Schuldner zur Nachtzeit und an Sonn- und Feiertagen gesteigert schutzwürdig ist, weil er die Nachtzeit in der Regel zur Nachtruhe nutzt und die Sonn- und Feiertage als "Tage der [X.] und der seelischen Erhebung" (Art. 140 GG i.V. mit Art. 139 Weima-rer Reichsverfassung) benötigt. Während dieser [X.]en soll der Schuldner von Vollstreckungsmaßnahmen im geschützten Bereich seiner Wohnung möglichst verschont bleiben. Unter diesen Umständen gebietet es der Zweck des § 758a Abs. 4 ZPO, die Vollziehung des vom [X.] erlassenen Haftbefehls zur Nachtzeit oder an Sonn- und Feiertagen in der Wohnung des Schuldners von einer (nochmaligen) richterlichen Anordnung abhängig zu machen, damit der [X.] im Einzelfall prüfen kann, ob unter Abwägung der berechtigten Interes-sen des Gläubigers (Art. 14 Abs. 1 GG) und derjenigen des Schuldners (Art. 13 GG) eine Vollstreckung zu den genannten [X.]en gerechtfertigt ist. Diese Frage wird vom [X.] beim Erlaß des Haftbefehls regelmäßig nicht geprüft.

e) Die Entstehungsgeschichte des § 758a ZPO, der durch die zweite Zwangsvollstreckungsnovelle vom 17. Dezember 1997 ([X.]) in die Zivilprozeßordnung eingefügt worden ist, steht der vom Senat vorgenommenen Auslegung nicht entgegen.

Der Begründung zum Gesetzentwurf des Bundesrates ist zu entneh-men, daß mit der Novelle die Zwangsvollstreckungsverfahren vereinfacht und beschleunigt, die Vollstreckungsgerichte entlastet sowie die Vorschriften über die Durchsuchung von Wohnraum an die Rechtsprechung des Bundesverfas-sungsgerichts zu Art. 13 GG angepaßt werden sollten (vgl. BT-Drucks. 13/341, [X.], 15). Des weiteren sollten nach diesem Entwurf Entscheidungen über die Zulässigkeit von Vollstreckungsmaßnahmen zur Nachtzeit und an Sonn- und - 8 - Feiertagen (§ 761 ZPO a.F.) dem Rechtspfleger übertragen werden, soweit es sich nicht um eine Wohnungsdurchsuchung handelt (vgl. BT-Drucks. 13/341, [X.]8). Erst im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens wurde der Lö-sung der Vorzug gegeben, durch welche der Gerichtsvollzieher ermächtigt wird, nach erfolgloser Vollstreckung zur normalen [X.] diese auch zur Nachtzeit und an Sonn- und Feiertagen vorzunehmen. Deshalb wurde in § 758a ZPO ein neuer Absatz 4 eingefügt und § 761 ZPO a.F. gestrichen. Hierdurch sollte - ohne Nachteile für den Schuldner - die Durchsetzbarkeit von [X.] verbessert werden und die erstrebte Entlastung der Gerichte eintreten (vgl. BT-Drucks. 13/9088, [X.], 23).

Entgegen der Meinung der Rechtsbeschwerde kann aus der Entste-hungsgeschichte des § 758a ZPO indes nicht gefolgert werden, daß bei der Vollstreckung eines Haftbefehls in der Wohnung des Schuldners zur Nachtzeit und an Sonn- und Feiertagen die in § 758a Abs. 4 ZPO genannte besondere Anordnung des [X.] entbehrlich ist. Zum einen ist die Entstehungsge-schichte für die Auslegung regelmäßig nur von untergeordneter Bedeutung (vgl. [X.] 1, 299, 312; 8, 274, 307; 10, 234, 244; 11, 126, 129 f). Zum an-deren wird das Ziel des Gesetzgebers auch in der Auslegung des § 758a Abs. 4 ZPO durch den Senat erreicht. Denn diese Vorschrift erlaubt im Gegen-satz zur Vorgängerregelung des § 761 ZPO a.F., nach der jede Vollstreckung zur Nachtzeit und an Sonn- und Feiertagen von einer richterlichen Anordnung abhängig war, Vollstreckungshandlungen des Gerichtsvollziehers zur Nachtzeit und an Sonn- und Feiertagen außerhalb von Wohnungen ohne eine besondere richterliche Anordnung (vgl. [X.] [X.] 1999, 173; [X.]/[X.], aaO § 909 Rn. 23; [X.]/[X.], aaO § 758a Rn. 27). Wenn diese Vollstrek-kungshandlungen in der Wohnung des Schuldners zu den genannten [X.]en - 9 - aus den oben
- 10 - dargestellten Gründen einer besonderen Anordnung des [X.] bedür-fen, müssen die damit verbundene kurzfristige Verzögerung und der damit ein-hergehende relativ geringfügige Mehraufwand in Kauf genommen werden.

Kreft

[X.] von [X.]

[X.]

[X.]

Meta

IXa ZB 46/04

16.07.2004

Bundesgerichtshof IXa- Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.07.2004, Az. IXa ZB 46/04 (REWIS RS 2004, 2268)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2004, 2268

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

I ZB 126/05 (Bundesgerichtshof)


IXa ZB 274/03 (Bundesgerichtshof)


I ZB 68/20 (Bundesgerichtshof)

Zwangsvollstreckungverfahren: Hinzuziehung eines Gerichtsvollziehers bei Schuldnerpflicht zur Zutrittsgewährung zu einer Stromabnahmestelle und Duldung deren Sperrung …


IXa ZB 29/04 (Bundesgerichtshof)


113 M 338/22 (Amtsgericht Krefeld)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.