Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.06.2021, Az. I ZB 68/20

1. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 4880

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Gegenstand

Zwangsvollstreckungverfahren: Hinzuziehung eines Gerichtsvollziehers bei Schuldnerpflicht zur Zutrittsgewährung zu einer Stromabnahmestelle und Duldung deren Sperrung durch Wegnahme des Stromzählers; vom Gläubiger behauptete bevorstehende Widerstandshandlung des Schuldners; Widerstand durch Unterlassen; Erforderlichkeit von Mitgewahrsam des Schuldners


Leitsatz

1. Ein Titel, der den Schuldner verpflichtet, Zutritt zu einer Stromabnahmestelle zu gewähren und deren Sperrung durch Wegnahme des Stromzählers zu dulden, kann insgesamt nach § 892 ZPO durch Hinzuziehung des Gerichtsvollziehers vollstreckt werden.

2. Für eine Hinzuziehung des Gerichtsvollziehers nach § 892 ZPO reicht es aus, wenn der Gläubiger eine dem Schuldner zurechenbare Widerstandshandlung als bevorstehend behauptet. Es ist nicht erforderlich, dass der Gläubiger zu erwartenden Widerstand nachweist oder glaubhaft macht.

3. Im Falle einer ergänzenden Handlungspflicht des Schuldners kann der Widerstand nicht nur in einem aktiven Tun, sondern auch in einem Unterlassen bestehen.

4. Soweit ein Duldungstitel den Schuldner auch dazu verpflichtet, Zutritt zu einem Raum zu gewähren, ist für eine Vollstreckung dieser ergänzenden Handlungspflicht nach § 892 ZPO erforderlich, dass der Schuldner zumindest Mitgewahrsam an diesem Raum hat. Andernfalls richtet sich die Zwangsvollstreckung insoweit nicht gegen ihn und fehlt es an einer Widerstandsleistung des Schuldners im Sinne von § 892 ZPO.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des [X.] (Oder) - 9. Zivilkammer - vom 11. August 2020 wird auf Kosten der Gläubigerin zurückgewiesen.

Gründe

1

A. Die Gläubigerin ist ein Energieversorgungsunternehmen. Sie betreibt die Zwangsvollstreckung aus einem Versäumnisurteil, durch das der Schuldner verurteilt wurde,

einem mit einem Ausweis versehenen Mitarbeiter oder Beauftragten der [X.] als Netzbetreiber Zutritt zur [X.] in der [X.]  in    [X.].    zu gewähren und die Sperrung der Abnahmestelle durch [X.] des Stromzählers mit der Nummer        zu dulden.

2

An der genannten Adresse befindet sich ein Mehrfamilienhaus, in dem der Schuldner eine Wohnung als Mieter bewohnt.

3

Die Gläubigerin hat den Gerichtsvollzieher mit der Durchsetzung der titulierten Verpflichtung beauftragt. Sie hat insbesondere darum gebeten, ihrem Beauftragten Zutritt zum Zähler zu verschaffen und für den Fall, dass der Zutritt nicht möglich ist, verschlossene Türen zu öffnen. Ein Vollstreckungstermin ist ergebnislos verlaufen. Der Gerichtsvollzieher hat der Gläubigerin mitgeteilt, der Schuldner habe erklärt, alle Zähler des Hauses befänden sich in einem Kellerraum, zu dem er keinen Schlüssel habe. Er habe die Zwangsvollstreckung eingestellt, weil der Schuldner weder [X.] an diesem Raum noch Zutritt dazu habe.

4

Hiergegen hat die Gläubigerin Erinnerung eingelegt und auf einen gesetzlichen Zutrittsanspruch des Schuldners zum Gemeinschaftszählerraum verwiesen. Der Gerichtsvollzieher hat der Erinnerung nicht abgeholfen und zur Begründung ausgeführt, die Vollstreckung sei ihm mit Blick auf den bezüglich des [X.] unbestimmten Titel und die zudem nicht titulierte Verpflichtung Dritter zur Zutrittsgewährung nicht möglich. Das Amtsgericht hat die Erinnerung zurückgewiesen. Die hiergegen von der Gläubigerin eingelegte sofortige Beschwerde hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen.

5

Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin ihr Begehren weiter, den Gerichtsvollzieher zur Fortsetzung der beantragten Vollstreckung anzuweisen.

6

B. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde der Gläubigerin ist unbegründet.

7

I. Das Beschwerdegericht hat angenommen, der Vollstreckungsauftrag der Gläubigerin sei zu unbestimmt, weil er keine Angaben zum Standort des wegzunehmenden Stromzählers enthalte. Im Ausgangspunkt stehe es der Gläubigerin frei, ob sie die gegen den Schuldner titulierte [X.] nach § 890 ZPO durch Ordnungsgeld und -haft oder nach § 892 ZPO durch Hinzuziehung des Gerichtsvollziehers zur Überwindung von [X.] des Schuldners vollstrecke. Bei einem Antrag nach § 892 ZPO müsse sie einen [X.] des Schuldners zwar weder glaubhaft machen noch nachweisen. Dennoch müsse der Gerichtsvollzieher bei seiner Beauftragung erkennen können, welche Art von [X.] er beseitigen solle. Fehle es - wie vorliegend - im Vollstreckungstitel an der Angabe des [X.], bedeute dies zwar nicht, dass dieser für eine Vollstreckung nach § 892 ZPO generell zu unbestimmt sei. Jedoch müsse die Gläubigerin dann im Vollstreckungsverfahren die Umstände benennen, aus denen sich die Erwartung eines künftigen [X.]s ergebe. Gehe es - wie vorliegend - um den Zutritt zu einer [X.] in einem Mehrfamilienhaus, die sich dort an unterschiedlichen - auch an frei zugänglichen - Orten befinden könne, müsse sie den [X.] mitteilen. Sie könne sich nicht darauf zurückziehen, dass sie diesen deswegen nicht kenne, weil sie nicht zugleich Netzbetreiberin sei. Im Gegensatz zum Schuldner stehe sie in einem Vertragsverhältnis zum Netzbetreiber und könne sich diese Information dort beschaffen. Befinde sich der Stromzähler - wie vom Schuldner angegeben - in einem verschlossenen und für den Schuldner unzugänglichen Kellerraum, sei nicht klar, welchen [X.] des Schuldners der Gerichtsvollzieher überwinden solle. Gegebenenfalls stehe die Geltendmachung eines [X.]s gegenüber dem Vermieter des Schuldners im Raum; es sei nicht erkennbar, warum dieser nicht ohne Gerichtsvollzieher und Zwang durchsetzbar sei. Auf einen [X.] des Schuldners gegen seinen Vermieter komme es hingegen nicht an, soweit der Schuldner keinen Gewahrsam an der Messeinrichtung habe.

8

II. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Rechtsbeschwerde der Gläubigerin hat keinen Erfolg. Das von ihr gegen den Schuldner erwirkte Versäumnisurteil fällt als Duldungstitel in den Anwendungsbereich des § 892 ZPO (dazu [X.]). Es begründet eine ergänzende Handlungspflicht des Schuldners, Zutritt zu den Gemeinschaftsräumen des von ihm bewohnten Mehrfamilienhauses zu gewähren (dazu [X.]). Die Voraussetzungen für eine Hinzuziehung des Gerichtsvollziehers nach § 892 ZPO sind im Streitfall erfüllt gewesen (dazu [X.]). Der Gerichtsvollzieher hat die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner jedoch zu Recht eingestellt, weil die Gläubigerin den erforderlichen (Mit-)Gewahrsam des Schuldners an dem verschlossenen Kellerraum, in dem sich die Zähler für alle Wohnungen des Mehrfamilienhauses nach seinen Angaben befinden, noch nicht einmal behauptet hat (dazu [X.] 4).

9

1. Das Beschwerdegericht ist zutreffend von einer [X.] des Schuldners ausgegangen, die die Gläubigerin wahlweise nach § 890 ZPO oder nach § 892 ZPO vollstrecken kann. Dem steht nicht entgegen, dass der Titel den Schuldner auch zur Vornahme ergänzender Handlungen verpflichtet.

a) Bei der gegen den Schuldner titulierten Verpflichtung, Zutritt zu einer [X.] zu gewähren und deren Sperrung durch Wegnahme des Stromzählers zu dulden, handelt es sich um eine Verpflichtung zur Duldung einer Handlung im Sinne des § 890 ZPO.

aa) Die Verurteilung zu einer Duldung kann die nach § 890 ZPO vollstreckbare Verpflichtung zu [X.] enthalten, auch wenn das im Urteil nicht ausdrücklich ausgesprochen worden ist. Dies kann anzunehmen sein, wenn der Schuldner der Pflicht, etwas zu dulden, nur gerecht werden kann, indem er daneben auch die positiven Handlungen vornimmt, die notwendig sind, um den rechtmäßigen Zustand zu erreichen. Die Zwangsvollstreckung würde unzumutbar erschwert, wenn der Gläubiger stattdessen darauf verwiesen werden müsste, jeweils einzelne Handlungstitel zu erwirken. Ob ein Titel [X.] auferlegt oder eine Duldung fordert, ist im Wege der Auslegung mit Blick auf den Schwerpunkt der jeweils in Rede stehenden Verpflichtung zu beurteilen (vgl. [X.], Beschluss vom 25. Januar 2007 - [X.], [X.], 1104 Rn. 17; Beschluss vom 9. Juli 2020 - [X.]/19, [X.], 1346 Rn. 20 = [X.], 1580, jeweils mwN).

bb) Nach diesen Maßstäben unterfällt die gegen den Schuldner titulierte Verpflichtung insgesamt dem Anwendungsbereich des § 890 ZPO. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Duldung der Wegnahme eines Stromzählers und der dadurch bewirkten Sperrung des Anschlusses des Schuldners. Die Gewährung des Zutritts zu der [X.], die typischerweise durch die Öffnung von Türen erfolgt, stellt sich lediglich als zur Erfüllung der [X.] erforderliche Hilfshandlung dar (vgl. hierzu [X.], [X.], 1346 Rn. 21; [X.].ZPO/[X.], 6. Aufl., § 890 Rn. 4; [X.]Keil, [X.] 2008, 109, 112 f.).

b) Die Gläubigerin kann einen solchen Titel wahlweise nach § 890 Abs. 1 und 2 ZPO durch Ordnungsgeld und -haft oder nach § 892 ZPO durch Hinzuziehung des Gerichtsvollziehers vollstrecken (vgl. [X.], [X.] 1988, 140; [X.], [X.] 1992, 91, 92; [X.], [X.] 2008, 119 [juris Rn. 15]; [X.], Beschluss vom 24. Februar 2009 - 5 [X.], juris Rn. 13; [X.] in [X.]/[X.], ZPO, 4. Aufl., § 892 Rn. 2; [X.] in [X.], ZPO, 23. Aufl., § 892 Rn. 3; [X.].ZPO/[X.] aaO § 892 Rn. 2; [X.]/[X.], ZPO, 33. Aufl., § 892 Rn. 1; [X.] in Musielak/[X.], ZPO, 18. Aufl., § 892 Rn. 1; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], ZPO, 79. Aufl., § 892 Rn. 4; [X.] in [X.]/Walker/Kessen/[X.], Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 7. Aufl., § 892 ZPO Rn. 1; [X.] in [X.]/[X.], Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 4. Aufl., § 892 ZPO Rn. 3; [X.]Keil, [X.] 2008, 109, 114 ff.).

2. Der im Streitfall zu vollstreckende Titel begründet die ergänzende Handlungspflicht des Schuldners, Zutritt zu den Gemeinschaftsräumen des von ihm bewohnten Mehrfamilienhauses zu gewähren.

a) Der maßgebliche Vollstreckungserfolg ergibt sich auch im Falle der [X.] aus dem Titel, der die vom Schuldner zu duldende Handlung des Gläubigers oder seiner Beauftragten bestimmt. Die Angaben des Gläubigers im Vollstreckungsauftrag sind hierfür nicht von Bedeutung. Die vom Schuldner im Rahmen seiner Duldungspflicht geschuldeten ergänzenden Handlungen ermittelt der Gerichtsvollzieher durch Auslegung des Duldungstitels (vgl. [X.], Beschluss vom 29. September 2016 - [X.], [X.], 208 Rn. 26 = [X.], 305; Beschluss vom 11. Oktober 2017 - [X.], [X.], 292 Rn. 22 = [X.], 473). Die Suche nach einem Stromzähler in einer Wohnung ist zwar keine Durchsuchung im Sinne des Art. 13 Abs. 2 GG, stellt aber einen Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 Abs. 1 GG dar, der gemäß Art. 13 Abs. 7 GG einer richterlichen Ermächtigung bedarf (vgl. [X.], Beschluss vom 10. August 2006 - [X.], [X.], 3352 Rn. 7 bis 10). An dieser fehlt es, wenn sich aus dem Titel auch durch Auslegung nicht ergibt, dass die vom Schuldner zu duldende Handlung Zutritt zur Wohnung erfordert.

b) Im Streitfall wird der Stromzähler, dessen Wegnahme der Schuldner nach dem Tenor des Vollstreckungstitels zu dulden hat, durch die Adresse des Mehrfamilienhauses, in dem er sich befindet, und durch seine Nummer individualisiert. Darüber hinaus enthält der Tenor die nicht näher konkretisierte Pflicht des Schuldners, Zutritt zur [X.] zu gewähren. Wo innerhalb des Mehrfamilienhauses sich diese befindet, ergibt sich aus dem Vollstreckungstitel nicht. Eine dahingehende Konkretisierung wäre der Gläubigerin auch nicht ohne Weiteres möglich, weil nicht der Energieversorger, sondern der Netzbetreiber für den Ein- und Ausbau von Stromzählern zuständig ist (vgl. §§ 21, 22, 24 Abs. 3 Niederspannungsanschlussverordnung - [X.]). Durch Auslegung lässt sich dem Titel jedoch zumindest eine ergänzende Handlungspflicht des Schuldners entnehmen, Zutritt zu den Gemeinschaftsräumen zu gewähren, in denen sich bei Mehrfamilienhäusern zumeist die Stromzähler befinden.

3. Die Voraussetzungen für eine Hinzuziehung des Gerichtsvollziehers nach § 892 ZPO sind im Streitfall erfüllt gewesen.

a) Gemäß § 892 Halbsatz 1 ZPO kann der Gläubiger den Gerichtsvollzieher hinzuziehen, wenn der Schuldner gegen die Vornahme einer Handlung [X.] leistet, die er nach §§ 887, 890 ZPO zu dulden hat. Nach § 892 Halbsatz 2, § 758 Abs. 3 ZPO ist der Gerichtsvollzieher, wenn er [X.] findet, zur Anwendung von Gewalt befugt und kann zu diesem Zweck die Unterstützung der polizeilichen Vollzugsorgane nachsuchen.

b) Für eine Hinzuziehung des Gerichtsvollziehers nach § 892 ZPO reicht es aus, wenn der Gläubiger eine dem Schuldner zurechenbare [X.]shandlung als bevorstehend behauptet; er kann sich insoweit auch auf Verhalten oder Einlassungen des Schuldners vor Erwirkung des Vollstreckungstitels beziehen (ebenso [X.], Beschluss vom 24. Februar 2009 - 5 [X.], juris Rn. 13 mwN; [X.], [X.] 2010, 61 [juris Rn. 13]; [X.] in [X.]/[X.] aaO § 892 Rn. 4; [X.].ZPO/[X.] aaO § 892 Rn. 3; [X.] in Musielak/[X.] aaO § 892 Rn. 2; [X.] in [X.]/Walker/Kessen/[X.] aaO § 892 ZPO Rn. 3). Entgegen der Ansicht des [X.] musste die Gläubigerin diese Behauptung allerdings nicht durch die Angabe des [X.] konkretisieren.

c) Das Beschwerdegericht hat zu Recht nicht verlangt, dass die Gläubigerin zu erwartenden [X.] nachweist oder glaubhaft macht. Ein solches Erfordernis mutete einem Gläubiger zu, sich zunächst selbst um die Vornahme der vom Schuldner nach dem Vollstreckungstitel zu duldenden Handlung zu bemühen und sich dabei möglicherweise in eine Auseinandersetzung mit dem Schuldner zu begeben (vgl. [X.], [X.] 1988, 140, 141; [X.], [X.] 1992, 91, 92; [X.], [X.] 2008, 119 [juris Rn. 16]; [X.], [X.] 2008, 120 [juris Rn. 2]; [X.], Beschluss vom 24. Februar 2009 - 5 [X.], juris Rn. 13; [X.], [X.] 1979, 28, 29; [X.].ZPO/[X.] aaO § 892 ZPO Rn. 3; [X.], [X.] 1992, 145, 146; [X.]/Keil, [X.] 2008, 109, 114). Der Schuldner ist ausreichend dadurch geschützt, dass der Gläubiger die Kosten des Gerichtsvollziehers zu tragen hat, soweit ein [X.] des Schuldners weder aus objektiver [X.] zu erwarten gewesen ist noch sich die Hinzuziehung des Gerichtsvollziehers ex post wegen des tatsächlich geleisteten [X.]s des Schuldners als notwendig erwiesen hat (§ 788 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 ZPO; vgl. [X.], [X.] 1988, 140, 141; [X.], [X.] 2008, 119 [juris Rn. 18]; [X.], [X.] 1979, 28, 29; [X.] in Prütting/[X.], ZPO, 13. Aufl., § 892 Rn. 7; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.] aaO § 892 Rn. 4).

4. Der Gerichtsvollzieher hat die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner jedoch zu Recht eingestellt, weil die Gläubigerin den erforderlichen (Mit-)Gewahrsam des Schuldners an dem verschlossenen Kellerraum, in dem sich die Zähler für alle Wohnungen des Mehrfamilienhauses nach seinen Angaben befinden, noch nicht einmal behauptet hat.

a) Die Ergreifung von Zwangsmaßnahmen nach § 892 ZPO setzt voraus, dass der Gerichtsvollzieher eine [X.]sleistung des Schuldners feststellt (vgl. [X.]/Keil, [X.] 2008, 109, 115). [X.] ist ein auf Verhinderung des [X.] gerichtetes vorsätzliches Verhalten (vgl. [X.] in Prütting/[X.] aaO § 892 Rn. 3; [X.] in [X.]/[X.] aaO § 892 ZPO Rn. 1; ebenso § 62 Abs. 3 [X.]). Im Falle einer ergänzenden Handlungspflicht des Schuldners kann der [X.] nicht nur in [X.], sondern auch in einem Unterlassen bestehen (vgl. [X.], [X.] 2008, 120, 121 [juris Rn. 3]; [X.], Beschluss vom 24. Februar 2009 - 5 [X.], juris Rn. 15; [X.], [X.] 2010, 61 [juris Rn. 13]; [X.] in [X.]/[X.] aaO § 892 Rn. 1; [X.], [X.] 1992, 145, 146; [X.]/Keil, [X.] 2008, 109, 114).

Der Gerichtsvollzieher darf nur solche Maßnahmen ergreifen, die zur Überwindung des [X.]s gegen die Durchführung der nach dem Titel zu duldenden Handlung erforderlich sind (vgl. [X.], Beschluss vom 24. Februar 2009 - 5 [X.], juris Rn. 19; [X.] in [X.]/[X.] aaO § 892 Rn. 9; [X.] in [X.] aaO § 892 Rn. 4; [X.] in Musielak/[X.] aaO § 892 Rn. 3; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.] aaO § 892 Rn. 4; [X.] in Prütting/[X.] aaO § 892 Rn. 5; ebenso § 133 Satz 2 [X.]). Obwohl § 892 Halbsatz 2 ZPO nur auf § 758 Abs. 3 ZPO und nicht auf dessen Abs. 2 verweist, erstreckt sich die Befugnis des Gerichtsvollziehers nach § 892 ZPO auch auf die zwangsweise Öffnung von Türen, soweit dies der Durchsetzung einer nach dem Titel bestehenden ergänzenden Handlungspflicht des Schuldners dient (vgl. [X.], [X.] 1988, 140, 141; [X.], [X.] 1992, 91, 92; [X.], Beschluss vom 24. Februar 2009 - 5 [X.], juris Rn. 19; [X.] in [X.]/[X.] aaO § 892 Rn. 8; [X.] in [X.] aaO § 892 Rn. 1; [X.] in [X.]/Walker/Kessen/[X.] aaO § 892 ZPO Rn. 4; [X.] in Prütting/[X.] aaO § 892 Rn. 5; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.] aaO § 892 Rn. 4; [X.], [X.] 1992, 145, 147; [X.]/Keil, [X.] 2008, 109, 117).

b) Soweit ein Duldungstitel den Schuldner auch dazu verpflichtet, Zutritt zu einem Raum zu gewähren, ist für eine Vollstreckung dieser ergänzenden Handlungspflicht nach § 892 ZPO erforderlich, dass der Schuldner zumindest [X.] an diesem Raum hat. Andernfalls richtet sich die Zwangsvollstreckung insoweit nicht gegen ihn und fehlt es an einer [X.]sleistung des Schuldners im Sinne von § 892 ZPO.

aa) Im Ausgangspunkt setzt der vollstreckungsrechtliche Zugriff auf eine Sache den Gewahrsam des Schuldners im Sinne des unmittelbaren Besitzes nach § 854 Abs. 1 BGB an dieser Sache voraus (vgl. § 808 Abs. 1, § 883 Abs. 2, § 886 ZPO). Erforderlich ist die von einem entsprechenden Willen getragene tatsächliche Sachherrschaft des Schuldners, die für den Gerichtsvollzieher äußerlich erkennbar sein muss. Der Gerichtsvollzieher muss die tatsächlichen Besitzverhältnisse beurteilen und prüfen, ob sich die Verpflichtung nach dem vom Gläubiger beigebrachten Titel gegen den von ihm nach diesem Maßstab festgestellten Mitbesitzer der Sache richtet. Allein diese Vorgehensweise entspricht dem formalisierten Verfahren der Zwangsvollstreckung (zu § 885 ZPO vgl. [X.], Beschluss vom 19. März 2008 - [X.], [X.], 1959 Rn. 12; Beschluss vom 14. August 2008 - [X.], [X.], 3287 Rn. 13; Beschluss vom 30. April 2020 - [X.]/19, [X.]Z 225, 252 Rn. 33 mwN; [X.] in [X.]/[X.] aaO § 885 Rn. 19). In wessen tatsächlicher Herrschaftsgewalt sich die Sache befindet, hängt maßgeblich von der Verkehrsanschauung ab (vgl. [X.], Urteil vom 2. Dezember 2012 - [X.], [X.], 1926 Rn. 10 mwN).

bb) Der [X.] Dritter an einem Raum steht einer Vollstreckung nach § 892 ZPO nicht entgegen (vgl. [X.], [X.] 2016, 109 [juris Rn. 7]).

Nach § 758a Abs. 3 Satz 1 ZPO sind Personen, die [X.] an der Wohnung des Schuldners haben, verpflichtet, die Durchsuchung der Wohnung zu dulden. Hierfür ist kein gegen diese Personen gerichteter Titel erforderlich (vgl. [X.].ZPO/[X.] aaO § 758 Rn. 11). Das gilt aufgrund der geringeren Schwere des Eingriffs erst recht für die Zugänglichmachung von Räumen zur Ermöglichung einer [X.] gegen den Schuldner, die keine Durchsuchung ist (vgl. hierzu [X.], [X.], 3352 Rn. 7 bis 9). [X.] als für eine Räumungsvollstreckung (vgl. hierzu [X.]Z 225, 252 Rn. 32 mwN; [X.] in [X.]/[X.] aaO § 885 Rn. 36) bedarf es für eine [X.] zum Ausbau eines Stromzählers in einem Raum, der im [X.] mehrerer Personen steht, keines Vollstreckungstitels gegen sämtliche [X.], weil die Vollstreckung nicht zu einer dauerhaften Gewahrsamsentziehung an dem Raum führt.

Ungeachtet dessen ist der Gerichtsvollzieher bei der Durchführung der [X.] verpflichtet, unbillige Härten gegenüber [X.]sinhabern zu vermeiden. Das folgt aus der entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 758a Abs. 3 Satz 2 ZPO, die das verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgebot konkretisiert. Danach muss der Gerichtsvollzieher grundsätzlich zunächst versuchen, den Zutritt zu dem Raum durch freiwillige Mitwirkung des Eigentümers oder der Hausverwaltung zu erlangen, bevor er die Tür zwangsweise öffnen lässt.

cc) Besteht kein (Mit-)Gewahrsam des Schuldners, ist für den Zutritt zu dem betreffenden Raum das Einverständnis eines (Mit-)[X.]s oder ein Titel gegen einen (Mit-)[X.] erforderlich (vgl. [X.].ZPO/[X.] aaO § 892 Rn. 3).

Eine Pfändung von Sachen kann gemäß § 809 ZPO auch bei einem zur Herausgabe bereiten Dritten erfolgen. Nach dem dieser Vorschrift zugrundeliegenden allgemeinen Rechtsgedanken (zu § 883 ZPO vgl. [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.] aaO § 883 Rn. 8 mwN; zu § 885 ZPO vgl. [X.] in [X.]/[X.] aaO § 885 Rn. 36 mwN; zu § 887 ZPO vgl. [X.], Beschluss vom 27. November 2008 - [X.], NJW-RR 2009, 443 Rn. 8) kann die gegen einen Schuldner gerichtete [X.], die den Zutritt zu einem Raum erfordert, auch dann fortgesetzt werden, wenn ein (Mit-)[X.] zur Zutrittsgewährung bereit ist.

Andernfalls bedarf es eines Vollstreckungstitels gegen mindestens einen (Mit-)[X.]. Dem Netzbetreiber steht zwar gemäß § 21 Satz 1, § 1 Abs. 2 [X.] ein Zutrittsanspruch gegen den Grundstückseigentümer zu, um die Anschlussnutzung nach § 24 Abs. 3 [X.] im Auftrag des Lieferanten zu unterbrechen (zu den Voraussetzungen im Rahmen der Grundversorgung vgl. ergänzend § 19 Abs. 2 und 3 Stromgrundversorgungsverordnung - StromGGV). Nach § 750 Abs. 1 Satz 1 ZPO darf die Zwangsvollstreckung jedoch nur beginnen, wenn - zumindest auch - die Personen, für und gegen die sie stattfinden soll, in dem Urteil oder in der ihm beigefügten Vollstreckungsklausel namentlich bezeichnet sind (vgl. [X.], [X.], 3287 Rn. 9; [X.]Z 225, 252 Rn. 31). Diese allgemeine Voraussetzung jeder Zwangsvollstreckung kann nicht durch materiell-rechtliche Erwägungen außer [X.] gesetzt werden. Gegen andere als die in dem Titel oder der Klausel bezeichneten Personen darf die Zwangsvollstreckung selbst dann nicht erfolgen, wenn zweifelsfrei feststeht, dass diese nach materiellem Recht zu der gemäß dem Titel geschuldeten Handlung verpflichtet sind (vgl. [X.], [X.], 3287 Rn. 11).

c) Im Streitfall war der Gerichtsvollzieher danach nicht befugt, den verschlossenen Kellerraum zu öffnen, den der Schuldner bei dem [X.] als Standort des Stromzählers angegeben hat.

aa) Nach den Feststellungen des Gerichtsvollziehers, die die Gläubigerin weder im Erinnerungs- noch im Beschwerdeverfahren angegriffen hat, hat der Schuldner keinen Schlüssel für den und damit keinen Gewahrsam an dem verschlossenen Kellerraum, in dem sich die Zähler für alle Wohnungen des Mehrfamilienhauses nach seinen Angaben befinden. Der Gerichtsvollzieher dürfte diesen Kellerraum daher nicht nach § 892 ZPO zwangsweise öffnen.

bb) Vergeblich wendet die Rechtsbeschwerde ein, es handele sich hierbei um einen im Vollstreckungsverfahren unbeachtlichen materiell-rechtlichen Einwand des Schuldners, der im Erkenntnisverfahren zu erheben gewesen wäre oder im Wege einer Vollstreckungsabwehrklage geltend zu machen sei. Ob der Schuldner Gewahrsam an einem Raum hat, zu dem er aufgrund eines Duldungstitels im Wege einer ergänzenden Handlungspflicht Zutritt gewähren soll, ist ein vom Gerichtsvollzieher bei der Durchführung der Zwangsvollstreckung von Amts wegen zu prüfender Umstand.

cc) Unerheblich ist auch, ob der Schuldner einen vertraglichen oder gesetzlichen Anspruch gegen seinen Vermieter auf Zutrittsgewährung zu dem Raum hat. Im Zwangsvollstreckungsverfahren kommt es nur auf die tatsächlichen Besitzverhältnisse an (vgl. [X.], [X.], 1959 Rn. 12 und 16; [X.], [X.], 3287 Rn. 13; [X.]Z 225, 252 Rn. 33). Der Schuldner wird durch einen Duldungstitel nicht verpflichtet, zur Ermöglichung der Vollstreckung Gewahrsam neu zu begründen. Ob ein Anspruch des Schuldners gegen seinen Vermieter besteht und der Gläubigerin auf ihren Antrag in entsprechender Anwendung des § 886 ZPO überwiesen werden könnte, bedarf vorliegend daher keiner Entscheidung.

C. Danach ist die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Koch     

        

Pohl     

        

Schmaltz

        

Odörfer      

        

Wille      

        

Meta

I ZB 68/20

17.06.2021

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Frankfurt (Oder), 11. August 2020, Az: 19 T 99/20

§ 892 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.06.2021, Az. I ZB 68/20 (REWIS RS 2021, 4880)

Papier­fundstellen: WM2021,1600 MDR 2021, 1352 REWIS RS 2021, 4880

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