Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 08.12.2022, Az. 2 B 19/22

2. Senat | REWIS RS 2022, 8738

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Gegenstand

Zulässigkeit eines Eigenattests eines verbeamteten approbierten Humanmediziners als Nachweis krankheitsbedingter Dienstunfähigkeit


Leitsatz

Mit einer auf § 96 Abs. 1 Satz 2 BBG gestützten Anordnung, sei es abstrakt generell durch Verwaltungsvorschrift oder konkret individuell durch dienstlich-persönliche Weisung, konkretisiert der Dienstherr die Pflicht des Beamten, eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit zu belegen. Folgt der Beamte einer solchen wirksamen Anordnung - hier: Vorlage eines Attests eines anderen Arztes ab dem 4. Fehltag - nicht, kann er dem Dienstherrn Dienstunfähigkeit für den Zeitraum seines Fernbleibens vom Dienst nicht entgegenhalten; er bleibt dem Dienst unerlaubt fern.

Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] vom 8. Februar 2022 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1

Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 69 [X.] m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde des [X.]n ist zum Teil unzulässig und im Übrigen unbegründet.

2

1. Der 1967 geborene [X.] steht als Medizinaloberrat (Besoldungsgruppe [X.]) im Dienst der Klägerin und war zuletzt in der Wehrbereichsverwaltung ... eingesetzt. Die Klägerin versetzte den [X.]n mit Bescheid vom September 2015 wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand. Nachdem seine dagegen erhobene Klage Erfolg hatte, forderte die Klägerin den [X.]n auf, den Dienst wieder anzutreten. Der [X.] erschien u. a. zu zwei [X.] im Dezember 2017 nicht und blieb im [X.] mehr als elf Monate dem Dienst fern. Mit Verfügung vom Januar 2018, die weder mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung noch mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen war, gab die Klägerin dem [X.]n auf, künftige Erkrankungen durch amts- oder vertrauensärztliche Atteste zu belegen. Dagegen erhob der [X.] Widerspruch. Bis Mitte Oktober 2018 legte er von ihm selbst handschriftlich erstellte Schreiben mit der Überschrift "Ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen" vor. Danach reichte er keinerlei Bescheinigungen mehr bei der Klägerin ein. Dieser Sachverhalt war nach dem Abschlussbericht des Ermittlungsführers Ende August 2019 der noch verbliebene Gegenstand des im April 2016 eingeleiteten und im August 2018 ausgedehnten Disziplinarverfahrens. Auf die im April 2020 erhobene [X.] hat das Verwaltungsgericht den [X.]n aus dem Dienst entfernt.

3

Das Oberverwaltungsgericht hat das Disziplinarverfahren auf den Vorwurf des unerlaubten Fernbleibens vom Dienst beschränkt und die Berufung des [X.]n zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der [X.] habe ein schwerwiegendes Dienstvergehen begangen, indem er nahezu das gesamte [X.] unerlaubt nicht zum Dienst erschienen sei. Die vorgelegten Selbstatteste seien nicht geeignet, den Nachweis der Dienstunfähigkeit infolge Krankheit zu führen. Mangels vollziehbarer [X.] sei der [X.] verpflichtet gewesen, ein privatärztliches Attest eines anderen Arztes vorzulegen. Nach den Vorgaben in Ziffer 513 der Zentralen Dienstvorschrift [X.]/8 "Anwendung des Bundesbeamtengesetzes" für den Geschäftsbereich des [X.] ([X.]) müssten Beamte ihre Dienstunfähigkeit bei einem Dienstversäumnis von mehr als drei Arbeitstagen durch eine ärztliche Bescheinigung eines neutralen, fachkundigen Dritten nachweisen. Bereits aus dem Wortlaut folge, dass die Vorschrift differenziere zwischen den ersten drei Tagen einer Erkrankung, in denen der Beamte selbst und ohne Nachweis erklären könne, dienstunfähig zu sein, und dem Zeitraum ab dem vierten Tag, ab dem ein Anderer - ein Arzt - die Dienstunfähigkeit attestieren müsse. Vom Dienstherrn bezweckt sei, einen glaubhaften Nachweis eines sachverständigen Dritten dafür zu erhalten, dass der Beamte aufgrund seines gesundheitlichen Zustands nicht in der Lage sei, seine Dienstpflichten ordnungsgemäß zu erfüllen. Außerdem werde damit dem [X.] getragen, weil dem betroffenen Beamten bei einer mehr als drei Arbeitstage andauernden Erkrankung ärztliche Hilfe zuteil werde. Nichts Anderes gelte für die Beamtengruppe verbeamteter Ärzte, bei denen auch die grundsätzliche Gefahr bestehe, in eigenen Angelegenheiten nicht hinreichend objektiv zu sein. Der [X.] habe seine Erkrankung nicht durch privatärztliche Atteste Dritter belegt. Das vorsätzliche unentschuldigte Fernbleiben vom Dienst sei ein schwerwiegendes Dienstvergehen, das regelmäßig zur Entlassung aus dem Beamtenverhältnis führe. Nach Gesamtwürdigung sämtlicher zu berücksichtigender Umstände lägen keine Gründe vor, die das Absehen von der Höchstmaßnahme rechtfertigten.

4

2. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 69 [X.] m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

5

Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder auf der Grundlage der bestehenden bundesgerichtlichen Rechtsprechung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregelungen auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. Januar 2011 - 2 B 2.11 - NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 4, vom 9. April 2014 - 2 B 107.13 - [X.] 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 9 und vom 20. Juni 2017 - 2 B 84.16 - juris Rn. 9).

6

a) Die Beschwerde sieht die Frage als rechtsgrundsätzlich an,

"ob sich ein approbierter Humanmediziner selbst arbeits- bzw. dienstunfähig schreiben kann".

7

Der Senat legt die pauschale Fragestellung vor dem Hintergrund des Gegenstandes des Verfahrens dahin aus, dass sie sich auf den Vorwurf des unerlaubten Fernbleibens vom Dienst bezieht und auf die Klärung abzielt, ob ein verbeamteter approbierter Humanmediziner mit einem selbst erstellten Attest gegenüber seinem Dienstherrn den Nachweis einer vorübergehenden Dienstunfähigkeit führen und das Nichterscheinen zum Dienst entschuldigen kann. Diese Frage hat keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Ihre Beantwortung ist nicht entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass nach der dienstlichen Anordnung der Klägerin die Beamten im Geschäftsbereich des [X.] verpflichtet sind, die Dienstunfähigkeit infolge Erkrankung ab dem vierten Fehltag durch eine ärztliche Bescheinigung eines Arztes, im Fall verbeamteter Ärzte eines anderen Arztes, nachzuweisen. Die Ausführungen des [X.]n, die Auffassung des [X.] beruhe auf einem unzutreffenden Verständnis der maßgeblichen Zentralen Dienstvorschrift [X.]/8, begründen keinen rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf, weil sie nicht die Auslegung revisiblen Rechts betreffen. Bei der Zentralen Dienstvorschrift der Klägerin handelt es sich um eine Verwaltungsvorschrift, nicht um eine Rechtsnorm im Sinne des § 137 Abs. 1 VwGO. Verwaltungsvorschriften sind Willenserklärungen der sie anordnenden Stelle (BVerwG, Urteile vom 2. Februar 1995 - 2 [X.] 19.94 - [X.] 237.6 § 75 NdsLBG Nr. 3 S. 2 f., vom 2. März 1995 - 2 [X.] 17.94 - [X.] 240 § 17 [X.] Nr. 7 S. 8 und vom 10. April 1997 - 2 [X.] 38.95 - [X.] 236.1 § 3 SG Nr. 16 S. 34). Ihre Auslegung unterliegt der revisionsgerichtlichen Prüfung nur insoweit, als es um die Einhaltung allgemeiner Erfahrungssätze, von Denkgesetzen oder sonstigen allgemeinen Auslegungsgrundsätzen geht (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 21. September 1993 - 2 B 109.93 - [X.] 310 § 137 VwGO Nr. 181 S. 33 und vom 2. Februar 2010 - 2 B 86.09 - [X.] 2011, 33 <34>). Dass die Auslegung der maßgebenden Dienstvorschrift durch das Berufungsgericht an einem solchen Fehler leidet, lässt die Beschwerde nicht erkennen.

8

Im Hinblick auf die Feststellung des Berufungsgerichts, dass der vom Dienstherrn geforderte Nachweis durch die Vorlage eines ärztlichen Attests eines Dritten zu führen ist, kommt es auf die Frage der Beschwerde nicht an, ob auch ein Eigenattest eines verbeamteten Arztes ein taugliches Mittel sein kann, eine Dienstunfähigkeit zu belegen. Wie vom Berufungsgericht zutreffend angenommen, ist maßgebend für die Befreiung von der Dienstleistungspflicht die auf der Grundlage des § 96 Abs. 1 Satz 2 [X.] getroffene Anordnung des Dienstherrn, welche Mittel er als geeignet und erforderlich ansieht, um die Dienstunfähigkeit glaubhaft zu machen. Denn nach der Rechtsprechung des Senats ermächtigt § 96 Abs. 1 Satz 2 [X.] den Dienstherrn, die Bedingungen näher festzulegen, unter denen der Beamte von der Dienstleistungspflicht infolge einer Erkrankung entbunden ist. Mit einer auf § 96 Abs. 1 Satz 2 [X.] gestützten Anordnung, sei es abstrakt generell durch Verwaltungsvorschrift - wie hier - oder konkret individuell durch dienstlich-persönliche Weisung, konkretisiert der Dienstherr die Pflicht des Beamten, eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit zu belegen. Folgt der Beamte einer solchen wirksamen Anordnung zur Vorlage eines bestimmten ärztlichen Attests nicht, kann er dem Dienstherrn Dienstunfähigkeit für den Zeitraum seines Fernbleibens vom Dienst nicht entgegenhalten; er bleibt dem Dienst unerlaubt fern (vgl. BVerwG, Urteile vom 12. November 2020 - 2 [X.] 6.19 - [X.] 235.2 LDisziplinarG Nr. 81 Rn. 28 und vom 15. Dezember 2021 - 2 [X.] 9.21 - BVerwGE 174, 273 Rn. 29 f.; Beschluss vom 23. März 2006 - 2 A 12.04 - [X.] 232 § 73 [X.] Nr. 29 Rn. 5).

9

b) Auch die weitere von der Beschwerde aufgeworfene Frage,

"ob der Dienstherr derart gleichstimmig und wiederholt von einer Dienstunfähigkeit sprechen und gleichzeitig ein solches Disziplinarverfahren anstrengen kann",

hat keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung. Sie würde sich im angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen. Denn die Frage geht von einem Sachverhalt aus, der der [X.] nicht zugrunde liegt. Das behördliche Disziplinarverfahren ist zwar parallel zum Zurruhesetzungsverfahren wegen Dienstunfähigkeit mit dem Vorwurf eingeleitet worden, dass der [X.] den Aufforderungen zu den amtsärztlichen Untersuchungen nicht nachgekommen sei. Dieser Disziplinarvorwurf ist aber von der Klägerin nicht mehr aufrechterhalten worden, nachdem das Verwaltungsgericht die Zurruhesetzungsverfügung mit der Begründung aufgehoben hat, dass die [X.] rechtswidrig gewesen seien. Gegenstand der [X.] ist allein (noch) der mit der Ausdehnungsverfügung vom August 2018 erhobene Vorwurf des unerlaubten Fernbleibens vom Dienst im [X.].

c) Die weiteren Ausführungen der Beschwerdebegründung (S. 4 f.) genügen nicht den Zulässigkeitsanforderungen an eine Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Beschwerde formuliert schon keine konkrete Frage, der nach ihrer Auffassung grundsätzliche Bedeutung zukommt. Eine solche Frage ist dem Beschwerdevorbringen auch nicht der Sache nach zu entnehmen. Es beschränkt sich auf das Vorbringen, das Berufungsgericht habe bei der nach § 13 [X.] zu treffenden Bemessungsentscheidung nicht zu Gunsten des [X.]n berücksichtigt, dass er unter erheblichen psychischen Erkrankungen leide, die durch eine chronische Unterforderung und systematische Benachteiligung im Dienst hervorgerufen worden seien. Diese lediglich in der Art eines zulassungsfreien oder bereits zugelassenen Rechtsmittels vorgebrachte Kritik an dem Berufungsurteil erfüllt nicht die Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 77 Abs. 1 [X.] und § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts bedarf es nicht, weil für das Beschwerdeverfahren Festgebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 78 [X.] erhoben werden.

Meta

2 B 19/22

08.12.2022

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend OVG Lüneburg, 8. Februar 2022, Az: 6 LD 1/21, Urteil

§ 13 BDG, § 69 BDG, § 96 Abs 1 S 2 BBG 2009

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 08.12.2022, Az. 2 B 19/22 (REWIS RS 2022, 8738)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 8738

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