Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.02.2014, Az. VI ZR 51/13

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 7834

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
VI [X.]/13
Verkündet am:

18. Februar 2014

Holmes

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
[X.] § 110 Abs. 1
Von den für die Sicherheit der Beschäftigten auf einer Arbeitsstelle Verantwort-lichen ist die Kenntnis der zu beachtenden Sicherheitsbestimmungen zu [X.]. Die mangelnde Kenntnis ist ein für die Beurteilung des [X.] wesentlicher Umstand.

[X.], Urteil vom 18. Februar 2014 -
VI [X.]/13 -
OLG [X.]

LG Leipzig

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Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom
18. Februar 2014 durch den
Vorsitzenden [X.], [X.], die Richterin [X.], [X.] und die Richterin von Pentz
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 9. Zivilsenats des [X.] vom 8. Januar 2013
aufgehoben.
Die Sache wird zur
neuen
Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Revisionsverfahrens,
an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:
Die Klägerin, ein
gesetzlicher Unfallversicherer,
nimmt die Beklagte auf Erstattung von Aufwendungen in Anspruch, die ihr infolge eines Arbeitsunfalls
des bei ihr versicherten [X.].
entstanden sind. Sie begehrt außerdem die Fest-stellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz der durch den Arbeitsunfall verursachten künftigen
Aufwendungen.
Am Morgen des 25.
Juni 2007 teilte
die Beklagte, die Leiterin des [X.] war, -Jobs als Hilfsarbeiter zu-gewiesenen [X.]. dazu ein, einen Graben, den der Baggerfahrer B. ausheben sollte, von Hand nachzuschachten. Der Graben war ca. 1,80
m
tief, am Boden
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0,70
m und an der oberen [X.] 1,80
m breit. Eine Sicherung gegen [X.] war nicht vorhanden. Als [X.]., der
über eine Leiter in den
Graben gestiegen war,
dort arbeitete, löste sich ein Erdbrocken, der [X.].
unter sich begrub. [X.]. wurde schwer verletzt.
Der Klägerin entstanden Kosten für die Rettung, ärztliche Behandlung und wegen der Minderung der Erwerbsfähigkeit des [X.].. Sie nimmt die [X.] in Anspruch, weil es -
nach ihrer Auffassung
-
die Beklagte grob fahrläs-sig versäumt habe, für die gebotene Absicherung des Grabens gegen abrut-schendes Erdreich zu sorgen.

Das [X.] hat der
Klage stattgegeben. Auf die Berufung der [X.]n hat das Berufungsgericht das Urteil des [X.]s aufgehoben und die Klage abgewiesen. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:
I.
Nach Auffassung des
Berufungsgerichts hat die Beklagte den Versiche-rungsfall
nicht
grob fahrlässig im Sinne von §
110 Abs.
1 SGB
VII verursacht. Sie habe darauf vertrauen dürfen, dass der Baggerfahrer B., der schon länger bei der [X.] beschäftigt und ihr
als zuverlässig bekannt gewesen sei, vor einer Handschachtung die notwendigen Sicherungsmaßnahmen veranlassen werde. Eine andere Bewertung sei vorliegend nicht deshalb gerechtfertigt, weil Unfallverhütungsvorschriften im Raum stünden, die sich mit Vorrichtungen zum [X.]utz der Arbeiter vor tödlichen Gefahren befassten und somit elementare Sicherungspflichten zum Inhalt hätten. Hier könne der objektive Pflichtenver-3
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stoß ein solches Gewicht haben, dass im Einzelfall der [X.]luss auf ein subjektiv gesteigertes Verschulden gerechtfertigt sei. Die Beklagte habe indes nicht selbst dem [X.]utz eines Mitarbeiters dienende Regelungen außer [X.], sondern allenfalls den Hinweis an den Baggerfahrer B.
versäumt, diese
Regelungen einzuhalten, sobald eine Handschachtung erfolge. Das Unterlas-sen eines solchen Hinweises stelle jedenfalls nicht eine grobe Fahrlässigkeit dar.

II.
Die Ausführungen des Berufungsgerichts begegnen durchgreifenden
rechtlichen Bedenken.
1.
Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ansatz des
Berufungsgerichts, dass nach §
110 Abs.
1 SGB
VII Personen, deren Haftung nach den §§
104 bis 107 SGB
VII beschränkt ist, den Sozialversicherungsträgern für die infolge des Versicherungsfalls entstandenen Aufwendungen dann
haften, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt haben, jedoch nur bis zur Höhe des zivilrechtlichen [X.]adensersatzanspruchs. Für die Ausle-gung des Begriffs der groben Fahrlässigkeit
kann
auf die zu §
640 Abs.
1 [X.] ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden.
Die Vorschrift in §
110 Abs.
1 [X.] hat im Vergleich zu §
640 Abs.
1 [X.], an dessen Stelle sie getreten ist, an dem haftungsauslösenden [X.] nichts geändert (vgl. Senatsurteil vom 30.
Januar 2001 -
VI
ZR 49/00, [X.], 985, 986; [X.] Urteil vom 15.
Mai 1997 -
III
ZR 250/95, NJW 1998, 298, 301;
BT-Drucks. 13/2204,
S.
101). Grobe Fahrlässigkeit
setzt
einen objektiv schweren und sub-jektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen
Sorgfalt voraus. Diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem 6
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Maß verletzt und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gege-benen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Ein objektiv grober Pflichtenver-stoß rechtfertigt für sich allein noch nicht den
[X.]luss auf ein entsprechend ge-steigertes personales Verschulden, nur weil ein solches häufig damit einherzu-gehen pflegt.
Vielmehr erscheint eine Inanspruchnahme des haftungsprivilegier-ten [X.]ädigers im Wege des Rückgriffs nur dann gerechtfertigt, wenn eine auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung vorliegt, die das in §
276 Abs. 2
BGB bestimmte Maß erheblich überschreitet (vgl. Senatsurteile vom 30.
Januar 2001 -
VI
ZR 49/00, aaO und vom 12.
Januar 1988 -
VI
ZR 158/87, [X.], 474, 475 mwN sowie
[X.], Urteil vom 8. Juli 1992 -
IV
ZR 223/91,
[X.]Z 119, 147, 149). Dies hat das Berufungsgericht im Ansatzpunkt richtig gesehen.
2.
Auch trifft die Rechtsauffassung des
Berufungsgerichts zu, dass sich die grobe Fahrlässigkeit der Beklagten nicht allein mit der Verletzung der [X.] Unfallverhütungsvorschriften begründen lässt. Nicht jeder Verstoß ge-gen die einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften ist schon als ein grob fahr-lässiges Verhalten im Sinne des §
110 [X.] zu werten (vgl. Senatsurteile vom 8. Mai 1984 -
VI
ZR 296/82, [X.], 775, 776; vom 21. Oktober 1980 -
VI
ZR 265/79, [X.], 75;
vom 22. Juni 1971 -
VI
ZR 39/70,
VersR 1971, 1019, 1020 und vom 8. Oktober 1968 -
VI
ZR 164/67,
VersR 1969, 39, 40). Vielmehr ist auch dann, wenn solche Verstöße gegen [X.], eine Wertung des Verhaltens des [X.]ädigers geboten, in die auch die [X.] Umstände des Einzelfalles einzubeziehen sind. So kommt es darauf an, ob es sich um eine Unfallverhütungsvorschrift handelt, die sich mit Vorrichtun-gen zum [X.]utz der Arbeiter vor tödlichen Gefahren befasst und elementare Sicherungspflichten zum Inhalt hat. Auch
spielt insbesondere eine Rolle, ob der [X.]ädiger nur unzureichende Sicherungsmaßnahmen getroffen oder von den vorgeschriebenen [X.]utzvorkehrungen völlig abgesehen hat, obwohl die [X.]
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rungsanweisungen eindeutig waren. Im letzteren Fall kann der objektive [X.] gegen elementare Sicherungspflichten ein solches Gewicht haben, dass der [X.]luss auf ein auch subjektiv gesteigertes Verschulden gerechtfertigt ist (vgl. Senatsurteil vom 18.
Oktober 1988 -
VI
ZR 15/88, [X.], 109,
110).
3. Der Senat vermag indes dem Berufungsgericht in der Anwendung
die-ser Grundsätze
auf den vorliegenden Fall nicht zu folgen.
a) Zwar ist die tatrichterliche Entscheidung, ob den [X.]ädiger der Vor-wurf grober Fahrlässigkeit trifft, mit der Revision nur beschränkt angreifbar. Der Nachprüfung unterliegt aber, ob der Tatrichter den Begriff der groben Fahrläs-sigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des [X.]es wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat (vgl. Senatsurteile vom 30. Januar 2001 -
VI
ZR 49/00, aaO, 985 und vom 18. Oktober 1988 -
VI
ZR 15/88, aaO,
109 mwN). Wie die Revision mit Recht beanstandet (§
286 ZPO), hat das [X.] die vom Gesetz vorgeschriebene Gesamtwürdigung nicht in der gebotenen Weise vorgenommen (vgl. Senatsurteil vom 8. Mai 1984 -
VI
ZR 296/82, aaO). Auch sind für die Beurteilung des [X.]es der [X.]n wesentliche Umstände
noch nicht geklärt.
b)
Die im Streitfall einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften für Bauar-beiten GUV-V
C 22
regeln
in §
6 Abs.
3, §
28 Abs.
1 iVm der [X.] (Stand 10.02) die an die Standsicherheit von Gräben zu stellenden Anforderungen. Sie
haben elementare Sicherungspflichten zum Inhalt, die sich mit Vorrichtungen zum [X.]utz der Arbeiter vor tödlichen Gefahren befassen.
Die Regelungen in §
6 Abs.
3, §
28 Abs.
1 GUV-V
C 22 sehen
vor, dass Wände von Baugruben und Gräben so abzuböschen, zu verbauen
oder anderweitig zu sichern sind, dass sie während der einzelnen Bauzustände standsicher sind. Nach den all-gemeinen Vorschriften der [X.] dürfen Gräben in mindestens steifem bin-9
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digem Boden unter bestimmten Voraussetzungen nur bis zu einer Tiefe von 1,75 m senkrecht abgeschachtet werden. Anderenfalls sind sie, wenn dort Be-schäftigte tätig werden, auch in [X.] durch Böschung oder Verbau zu sichern. Dass die Beklagte aufgrund der ihr obliegenden Bauaufsicht für die danach gebotene Sicherung des Arbeiters [X.]. Sorge zu tragen hatte und kei-ne
[X.]utzvorkehrungen getroffen hat, steht nicht in Streit.
aa)
Mit Recht wendet sich die Revision dagegen, dass das Berufungsge-richt das Unterlassen der Beklagten damit entschuldigt hat, diese habe auf die Zuverlässigkeit des [X.] dürfen. Konkrete Umstände oder Maßnahmen, die ein solches
Vertrauen, dass der Baggerführer B.
die Un-fallverhütungsvorschriften beachten
würde, begründen
konnten, hat das [X.] nicht festgestellt. Dies
folgt nicht bereits daraus, dass B.
allgemein als zuverlässig bekannt und schon länger bei der [X.] beschäftigt war.
[X.]) Das Berufungsgericht
durfte auch
nicht unberücksichtigt
lassen, dass sich die Beklagte
selbst
darauf
beruft, keine Kenntnis von
den geltenden [X.] gehabt zu haben. Zutreffend wertet die Revision die fehlende Kenntnis von den zu beachtenden Sicherheitsanforderungen der für die Bauaufsicht zu-ständigen Beklagten als einen für die Beurteilung des [X.]es we-sentlichen Umstand. Von der Beklagten sind die
Kenntnisse zu fordern, die für die
Erfüllung der ihr obliegenden Aufgaben
notwendig sind. Hätte sich die
[X.]
in der gebotenen Weise informiert, hätte sie gewusst, dass
zur Abstüt-zung des Grabens bei einer Tiefe von 1,80 m
unter Umständen
Baumaterial erforderlich sein würde, das dem Baggerführer B. zur Verfügung stehen
muss-te.
Waren die für die Abstützung erforderlichen Materialien nicht auf der [X.] vorhanden, durfte die Beklagte nicht darauf vertrauen, dass B. die not-wendige Verbauung vor der Handschachtung durch [X.]. anbringen würde. 12
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Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist mithin die Unkenntnis der Beklagten für den Unfall kausal geworden.
cc) Die Beklagte vermag nicht zu entlasten, dass sie
zum Zeitpunkt des Unfalls nicht an der Baustelle anwesend war.
Auch das Berufungsgericht nimmt an, dass die Ausführung der Handschachtung für die Beklagte absehbar war. Als verantwortliche Bauleiterin musste sie danach die beim
Ausschachten in Gräben mögliche Gefährdung erkennen und einer solchen rechtzeitig vorbeu-gen.

4. Danach ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Bei
der Frage der Anrechnung eines Mitverschuldens des [X.].
wird das [X.] zu erwägen
haben, ob von [X.].
in der
konkreten
Situation als
1

-Jo[X.]er
überhaupt erwartet werden durfte,
dass er
den Anweisungen
ihm
sach-kundig erscheinender
Personen
nicht Folge leistet.

Galke
[X.]
[X.]

[X.]
von Pentz
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 08.06.2012 -
2 O 1272/11 -

OLG [X.], Entscheidung vom 08.01.2013 -
9 U 1158/12 -

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Meta

VI ZR 51/13

18.02.2014

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.02.2014, Az. VI ZR 51/13 (REWIS RS 2014, 7834)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 7834

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Wird zitiert von

9 U 75/15

Zitiert

VI ZR 51/13

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