Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.06.2012, Az. V ZB 182/11

5. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 5643

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Gegenstand

Zwangsversteigerungsverfahren: Zustellungen an eine Postfachadresse des Zwangsvollstreckungsschuldners; verfahrensfehlerhafte Bestellung eines Zustellungsvertreters


Leitsatz

1. Ein Postfach ist jedenfalls dann eine ähnliche Vorrichtung im Sinne von § 180 Satz 1 ZPO, wenn eine Wohnanschrift desjenigen, dem zugestellt werden soll, unbekannt oder nicht vorhanden ist.

2. Ein Zustellungsvertreter darf nicht bestellt werden, wenn dem Vollstreckungsgericht die Postfachadresse desjenigen, dem zugestellt werden soll, bekannt ist. Dennoch erfolgte Zustellungen an den Zustellungsvertreter sind unwirksam.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 7 gegen den Beschluss der 9. Zivilkammer des [X.] vom 21. Juni 2011 wird zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 72.500 € für die Gerichtsgebühren und für die anwaltliche Vertretung des Beteiligten zu 7 sowie 145.000 € für die anwaltliche Vertretung des Beteiligten zu 1.

Gründe

I.

1

Der Beteiligte zu 2 betreibt seit 2006 die Zwangsversteigerung des im Eingang dieses Beschlusses bezeichneten Grundstücks des Beteiligten zu 1.

2

Nachdem bekannt worden war, dass der Beteiligte zu 1 im Verlaufe des Verfahrens seine Wohnung hatte räumen müssen und ohne festen Wohnsitz war, bestellte das Vollstreckungsgericht im April 2009 eine [X.]. Seit Ende Mai 2009 befindet sich ein Vermerk in den Akten, aus dem sich ergibt, dass der Beteiligte zu 1 ein Postfach unterhält. Der Beschluss vom 23. Juni 2009 über die Anberaumung eines Versteigerungstermins auf den 6. August 2009 wurde der [X.] zugestellt. In diesem Termin blieb der Beteiligte zu 7 Meistbietender. Der [X.] wurde der [X.] am 7. August 2009 ausgehändigt.

3

Der Beteiligte zu 1, der erst am 14. September 2009 durch ein Gespräch bei dem Finanzamt von dem Versteigerungstermin erfahren haben will, hat am 27. September 2009 unter Hinweis darauf, dass sein Postfach im Gericht bekannt gewesen sei, Zuschlagsbeschwerde erhoben. Das [X.] hat der Beschwerde stattgegeben und den [X.] aufgehoben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt der Beteiligte zu 7 die Wiederherstellung dieses Beschlusses. Der Beteiligte zu 1 beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

II.

4

Das Beschwerdegericht hält die Beschwerdefrist für gewahrt. Diese habe fünf Monate betragen, da der [X.] dem Beteiligten zu 1 nicht zugestellt worden sei. Die Zustellung an die [X.] sei unwirksam, weil die Voraussetzungen für deren Bestellung angesichts des von dem Beteiligten zu 1 bekannt gegebenen Postfachs nicht vorgelegen hätten. Mithilfe des Postfachs hätte der [X.] im Wege einer Ersatzzustellung nach § 180 Satz 1 ZPO zugestellt werden können. Die Beschwerde sei begründet, weil dem Beteiligten zu 1 der Beschluss über den Versteigerungstermin nicht vier Wochen vor dem Termin zugestellt worden sei. Schon zu diesem Zeitpunkt hätten die Voraussetzungen für eine Zustellung an einen Zustellungsvertreter nicht vorgelegen.

III.

5

Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das Beschwerdegericht hält die Zuschlagsbeschwerde zu Recht für zulässig und begründet.

6

1. Die zweiwöchige Frist für eine Beschwerde gegen die Erteilung des Zuschlags beginnt für Beteiligte, die bei der Verkündung der Entscheidung nicht anwesend waren, mit der Zustellung des [X.]es (§ 98 Satz 2, § 88 Satz 1 [X.] i.V.m. § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Sie wäre für den Beteiligten zu 1 bei Einlegung der Beschwerde am 27. September 2009 (Sonntag) daher nur abgelaufen gewesen, wenn die am 7. August 2009 erfolgte Zustellung des Beschlusses an die [X.] wirksam oder wenn der [X.] dem Beteiligten zu 1 vor dem 12. September 2009 tatsächlich zugegangen wäre (§ 189 ZPO). Beides ist nicht der Fall.

7

a) Die Zustellung des [X.]es an die [X.] ist unwirksam. Nach § 6 Abs. 1 [X.] hat das Vollstreckungsgericht einen Zustellungsvertreter zu bestellen, wenn ihm der Aufenthalt desjenigen, welchem zugestellt werden soll, nicht bekannt ist oder die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung aus sonstigen Gründen (§ 185 ZPO) gegeben sind. So verhielt es sich bereits im Zeitpunkt der Bestellung der [X.] nicht, weil dem Vollstreckungsgericht - wenn auch einer anderen Abteilung in einem Parallelverfahren - bekannt war, dass der Beteiligte zu 1 ein Postfach unterhielt. Im Übrigen hätte das Vollstreckungsgericht, selbst wenn die Bestellung der [X.] wirksam gewesen wäre, gemäß § 7 Abs. 1 [X.] von weiteren Zustellungen an diese absehen müssen, nachdem die Akten einen Vermerk über das Postfach des Beteiligten zu 1 enthielten.

8

Das Beschwerdegericht geht zu Recht davon aus, dass die Kenntnis von einem Postfach desjenigen, dem zuzustellen ist, nach Sinn und Zweck des § 6 [X.] der Kenntnis von dessen Aufenthalt gleichsteht. Durch die Bestellung eines Zustellungsvertreters sollen Verzögerungen vermieden werden, die infolge einer sonst notwendig werdenden öffentlichen Zustellung von Beschlüssen des Vollstreckungsgerichts entstünden (vgl. [X.]/[X.]/Hintzen/[X.]/[X.], [X.], 13. Aufl., § 6 Rn. 1; [X.]/[X.], [X.] 9. Aufl., § 6 Rn. 1 u. 6). Der Vorschrift des § 6 [X.] liegt also die Vorstellung zugrunde, dass nur eine öffentliche Zustellung (§ 185 ZPO) möglich ist, wenn der Aufenthalt desjenigen, dem zugestellt werden soll, unbekannt ist. Dies entsprach den vor dem Inkrafttreten des [X.] vom 25. Juni 2001 ([X.]) geltenden [X.] der Zivilprozessordnung, die Zustellungen an eine Postfachadresse nicht erlaubten. Durch das bloße Einlegen von Schriftstücken in einen Briefkasten oder eine ähnliche Einrichtung konnte eine Zustellung nicht bewirkt werden (vgl. § 181 ZPO aF). Eine Ersatzzustellung durch Niederlegung (§ 182 ZPO aF) war nur möglich, wenn der Empfänger an dem Bestimmungsort eine Wohnung hatte (vgl. [X.], Urteil vom 13. Oktober 1993 - [X.], NJW-RR 1994, 564; BayObLGSt 1962, 222). Auch die erleichterte Zustellung nach § 4 [X.] durch Aufgabe eines Einschreibens zur Post war bei einem Postfach unmöglich, da diese nur durch ein - die Aushändigung an den Empfänger oder eine andere berechtigte Person erforderndes - sog. „Übergabe“-Einschreiben, nicht aber durch ein sog. „Einwurf“-Einschreiben erfolgen kann (Stöber, [X.], 19. Aufl., § 4 [X.]. 2.3; vgl. auch [X.], 78).

9

Die Annahme, einer Person, deren Aufenthalt unbekannt sei, könne ein Schriftstück nur im Wege der öffentlichen Zustellung zugestellt werden, ist durch die genannte Reform der Vorschriften über die Zustellung jedoch überholt. Seither ist nämlich eine Ersatzzustellung durch Einlegen des Schriftstücks in einen zu der Wohnung oder dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung möglich, die der Adressat für den [X.] eingerichtet hat und die für eine sichere Aufbewahrung geeignet ist (§ 180 Satz 1 ZPO). Gedacht hat der Gesetzgeber insoweit zwar primär an Vorrichtungen, die sich in räumlicher Nähe zu der Wohnung oder den Geschäftsräumen des Empfängers befinden (vgl. BT-Drucks. 14/4554 S. 21). Mit dem Wortlaut der Vorschrift vereinbar ist aber auch die Annahme, eine ähnliche Vorrichtung könne ein von dem Empfänger eingerichtetes Postfach sein (so [X.] 2005, 229; 2008, 1860, 1861; vgl. auch [X.], Beschluss vom 21. Januar 2010 - [X.], [X.], 395, 396 [X.] sowie [X.], 3. Aufl., § 180 Rn. 4). Jedenfalls dann, wenn eine Zustellung unter der Wohnanschrift des Empfängers ausscheidet, weil diese unbekannt oder - wie hier - nicht vorhanden ist, gebieten Sinn und Zweck der Vorschrift, das Einlegen des Schriftstücks in ein Postfach als wirksame Ersatzzustellung anzusehen. [X.] ist es, dem Adressaten angemessene Gelegenheit zur Kenntnisnahme eines Schriftstücks zu verschaffen und den Zeitpunkt dieser Bekanntgabe zu dokumentieren (BT-Drucks. 14/4554 S. 14). Dabei soll insbesondere die Ersatzzustellung nach § 180 Satz 1 ZPO dem Adressaten einen leichteren und schnelleren Zugang zu der Sendung ermöglichen, als dies insbesondere bei einer Ersatzzustellung durch Niederlegung der Fall ist (aaO, S. 21). Diesem Anliegen des Gesetzgebers entsprechend ist eine solche Ersatzzustellung auch zuzulassen, wenn zwar kein Wohnort des Empfängers bekannt oder vorhanden, wohl aber eine briefkastenähnliche Vorrichtung zum [X.] eingerichtet ist. Denn hierdurch wird dem Empfänger die Kenntnisnahme des Schriftstücks in vergleichbar sicherer und einfacher Weise ermöglicht wie bei dem Einlegen in einen Briefkasten; zugleich werden Zustellungsformen vermieden, die den Zugang zu dem Schriftstück deutlich stärker erschweren, insbesondere die öffentliche Zustellung (§ 185 ZPO) oder eine Zustellung nach §§ 6, 7 [X.].

b) Das Beschwerdegericht nimmt ferner zu Recht an, dass der Zustellungsmangel nicht vor dem 12. September 2009 nach § 189 ZPO geheilt worden ist. Die Rüge der Rechtsbeschwerde, der Beteiligte zu 1 habe nicht dargelegt, wann und wie er Kenntnis von dem [X.] erlangt hat, ist unbegründet. Dem angefochtenen Beschluss lässt sich entnehmen, dass er erstmals am 14. September 2009 durch ein Gespräch im Finanzamt von der durchgeführten Versteigerung erfahren haben will. Hieraus erklärt sich zugleich, dass er die Zuschlagsbeschwerde eingelegt hat, bevor ihm der [X.] durch die [X.] ausgehändigt worden ist. Dass eine Beschwerde auch dann wirksam eingelegt werden kann, wenn dem Beschwerdeführer die angefochtene Entscheidung noch nicht zugegangen ist, entspricht allgemeiner Auffassung (vgl. nur [X.]/[X.], ZPO, 29. Aufl., § 569 Rn. 4).

2. Die Zuschlagsbeschwerde ist begründet. Der Erteilung des Zuschlags steht der Versagungsgrund des § 83 Nr. 1 [X.] entgegen, weil die Vorschrift des § 43 Abs. 2 [X.] verletzt worden ist. Danach ist der Versteigerungstermin aufzuheben, wenn dem Schuldner die [X.] nicht vier Wochen vor dem Termin zugestellt wurde. Hieran fehlt es, da die [X.] vom 23. Juni 2009 der [X.] zugestellt worden ist, obwohl dem Vollstreckungsgericht zu diesem Zeitpunkt bekannt war, dass der Beteiligte zu 1 ein Postfach unterhält. Eine Heilung des [X.] (§ 84 Abs. 1 [X.]) hat das Beschwerdegericht mit zutreffenden Erwägungen verneint; die Rechtsbeschwerde erhebt insoweit auch keine Einwendungen.

IV.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Dass der Beteiligte zu 7 die Gerichtskosten des von ihm erfolglos betriebenen [X.] zu tragen hat, folgt aus dem Gesetz. Ein Ausspruch über die außergerichtlichen Kosten scheidet aus, weil sich die Beteiligten bei der Zuschlagsbeschwerde grundsätzlich nicht als Parteien im Sinne der Zivilprozessordnung gegenüberstehen (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Januar 2007 - [X.], [X.]Z 170, 378, 381 Rn. 7).

Der Gegenstandswert des [X.] ist für die Gerichtsgebühren nach dem Wert des [X.]es festzusetzen (§ 47 Abs. 1 Satz 1 GKG) und entspricht dem [X.] (§ 54 Abs. 2 Satz 1 GKG). Der Wert für die anwaltliche Vertretung des Beteiligten zu 1 richtet sich nach dem Wert des Grundstücks (§ 26 Nr. 2 RVG), derjenige für die anwaltliche Vertretung des Beteiligten zu 7 nach seinem höchsten Gebot (§ 26 Nr. 3 RVG).

Krüger                                     [X.]                                     Schmidt-Räntsch

                    Brückner                                   Weinland

Meta

V ZB 182/11

14.06.2012

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Dortmund, 21. Juni 2011, Az: 9 T 715/09

§ 180 S 1 ZPO, § 6 ZVG, § 7 Abs 1 ZVG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.06.2012, Az. V ZB 182/11 (REWIS RS 2012, 5643)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 5643

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