Bundesfinanzhof, Urteil vom 03.03.2011, Az. III R 45/08

3. Senat | REWIS RS 2011, 8891

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Gegenstand

Erlass eines Berichtigungsbescheids in verjährter Zeit


Leitsatz

1. Ein Berichtigungsbescheid nach § 129 AO, durch den ein in verjährter Zeit ergangener, unter einer offenbaren Unrichtigkeit leidender Gewerbesteuermessbescheid korrigiert werden soll, kann jedenfalls dann nicht mehr erlassen werden, wenn seit Bekanntgabe des fehlerhaften Bescheids ein Jahr vergangen ist (§ 171 Abs. 2 AO) .

2. Ist die Festsetzungsfrist für einen Aufhebungsbescheid bereits abgelaufen, so scheidet eine Korrektur nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO auch mit Zustimmung des Steuerpflichtigen aus .

3. Eine Änderung einander widersprechender Steuerfestsetzungen, die sich zugunsten des Steuerpflichtigen auswirken (§ 174 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 AO), ist nur möglich, wenn der Steuerpflichtige selbst, allein oder überwiegend, die unzutreffende mehrfache Berücksichtigung des Sachverhalts verursacht hat .

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war Inhaber eines [[X.].]etriebs zur Herstellung von [[X.].] ([[X.].]) und eines Großhandelsbetriebs ([[X.].]etrieb [[X.].]). Für beide [[X.].]etriebe waren unterschiedliche [X.]teuernummern vergeben.

2

Der Kläger führte vor dem Finanzgericht ([[X.].]) einen Rechtsstreit, in dem er die Herabsetzung des [[X.].] 1990 für den [[X.].]etrieb [[X.].] begehrte, dem die [X.]teuernummer [[X.].] zugeteilt war. Der [[X.].] war nach einer Außenprüfung ergangen. In einem Erörterungstermin vom 8. Juli 2003 schlug die [[X.].]erichterstatterin eine tatsächliche Verständigung und die Erledigung der Hauptsache vor. Die [[X.].]eteiligten stimmten dem Vorschlag zu, aufgrund dessen der [[X.].] für den [[X.].]etrieb [[X.].] zu mindern gewesen wäre. Der [[X.].]eklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[[X.].]--) erließ einen geänderten [X.] 1990 vom 26. August 2003, der dem Ergebnis des Erörterungstermins Rechnung tragen sollte. Allerdings verwechselte das [[X.].] die beiden [[X.].]etriebe des [[X.].]. Es verminderte die [[X.].]esteuerungsgrundlagen für den [[X.].], für den [[X.].] ein einheitlicher [X.] 1990 von 581.187 DM bestandskräftig festgesetzt worden war, und setzte nunmehr einen einheitlichen [X.] von 247.635,02 € (entspricht 484.332 DM) fest. Es vermerkte in dem [[X.].]escheid die [X.]teuernummer für den [[X.].] ([X.]). Die Angabe der jeweiligen [X.]teuernummer war in den [X.] für die beiden [[X.].]etriebe das einzige Unterscheidungsmerkmal. Der [[X.].]escheid vom 26. August 2003 ging im [X.]eptember 2003 dem Klägervertreter zu. Dieser erklärte mit [X.]chreiben vom 16. [X.]eptember 2003 den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.

3

[X.] bemerkte das [[X.].] nach einem Hinweis der [X.]tadt [X.] die Verwechslung. Unter dem Datum des 29. April 2005 erließ es einen nach § 129 der Abgabenordnung ([[X.].]) berichtigten [[X.].]escheid, durch den der [X.] 1990 für den [[X.].] wieder auf den ursprünglichen [[X.].]etrag von 297.156,19 € (entspricht 581.187 DM) heraufgesetzt wurde. Außerdem erließ es auch für den [[X.].]etrieb [[X.].] einen geänderten [[X.].]escheid und verminderte den [X.] auf 4.250,37 € (entspricht 8.313 DM).

4

Gegen den [[X.].]escheid vom 29. April 2005 für den [[X.].] wandte sich der Kläger ohne Erfolg mit Einspruch (Einspruchsentscheidung vom 9. August 2006).

5

Das [[X.].] wies die anschließend erhobene Klage ab. Zur [[X.].]egründung führte es aus, der Kläger sei verpflichtet gewesen, an der Umsetzung der tatsächlichen Verständigung vom 8. Juli 2003 mitzuwirken. Obwohl dem Klägervertreter die Fehlerhaftigkeit des [[X.].]escheids vom 26. August 2003 aufgefallen sei, habe er den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Wegen der für den [[X.].] eingetretenen Festsetzungsverjährung hätte das [[X.].] weder den [[X.].]escheid vom 26. August 2003 noch den vom 29. April 2005 erlassen dürfen. Hätte der Kläger bzw. sein Prozessvertreter den [[X.].] für den [[X.].] unmittelbar nach dessen Zugang beanstandet, so wäre der Fehler korrigiert worden und es wäre nicht zu der [X.] für beide Einzelfirmen gekommen. Vor diesem Hintergrund könne der Kläger nicht seine Zustimmung zu einer Änderung des fehlerhaften [[X.].]escheids vom 26. August 2003 verweigern, ohne gegen den Grundsatz von Treu und Glauben zu verstoßen.

6

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 172 Abs. 1 [[X.].]. Die Rechtsprechung, die das [[X.].] zur [[X.].]egründung seiner Entscheidung herangezogen habe, sei zu § 94 Abs. 1 Nr. 2 der Reichsabgabenordnung entwickelt worden. Aufgrund der mit Inkrafttreten der [[X.].] 1977 vollzogenen Neuregelung der verfahrensrechtlichen Änderungsvorschriften sei diesen Rechtsgrundsätzen der [[X.].]oden entzogen worden. Der Gesetzgeber habe den Konflikt zwischen materieller Rechtmäßigkeit einer [X.]teuerfestsetzung und Rechtssicherheit abschließend geregelt. Unabhängig hiervon sei der angefochtene [X.] auch deshalb rechtswidrig, weil zum Zeitpunkt seines Erlasses bereits Festsetzungsverjährung eingetreten sei. [X.]elbst wenn er, der Kläger, die Zustimmung zu einer Änderung erteilt hätte, hätte der [[X.].]escheid nicht ergehen dürfen.

7

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil und den [X.] 1990 vom 29. April 2005 sowie die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 9. August 2006 aufzuheben.

8

Das [[X.].] beantragt, die Revision zurückzuweisen.

9

Der Kläger sei aufgrund der Einigung im Erörterungstermin verpflichtet gewesen, an deren Umsetzung mitzuwirken. [X.]einem Prozessvertreter sei die Fehlerhaftigkeit des [[X.].]escheids aufgefallen, gleichwohl habe er den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass der fehlerhafte [X.] vom 26. August 2003 am 12. März 2004 durch die [X.]tadt [X.] zur Post gegeben und erst danach bekanntgegeben worden sei. Der innerhalb der Jahresfrist des § 171 Abs. 2 [[X.].] im März 2005 von der [X.]tadt [X.] gestellte Antrag auf Aufhebung des fehlerhaften [[X.].]escheids führe nach § 171 Abs. 3 [[X.].] dazu, dass bei Erlass des angefochtenen [[X.].]escheids vom 29. April 2005 die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen gewesen sei.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. [X.]ie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, des [X.]s vom 29. April 2005 sowie der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 9. August 2006 (§ 126 Abs. 3 [X.]atz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] durfte den angefochtenen [X.] 1990 vom 29. April 2005 für den [X.]etrieb A nicht erlassen, da die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen war.

1. Nach § 169 Abs. 1 [X.]ätze 1 und 2 [X.] sind die [X.]teuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist; ebenso unzulässig ist nach Ablauf der Frist eine [X.]erichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit (§ 129 [X.]). Dies gilt auch für [X.]e (§ 184 Abs. 1 [X.]atz 3 [X.]). Nach den nicht mit Revisionsrügen angegriffenen Feststellungen des [X.] (§ 118 Abs. 2 [X.]O) war die Festsetzungsfrist für einen den [X.]etrieb A betreffenden [X.] 1990 spätestens im [X.] abgelaufen. Trotz Verjährung erließ das [X.] aufgrund einer Verwechslung für den [X.]etrieb A den [X.] vom 26. August 2003, der zwar rechtswidrig, aber rechtlich existent und nicht etwa nichtig i.[X.]. von § 125 [X.] ist ([X.]eschluss des [X.] --[X.]FH-- vom 6. Mai 1994 [X.], [X.] 1995, 275; [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, vor § 169 [X.] Rz 2; [X.]/Rüsken, [X.], 10. Aufl., § 169 Rz 46).

2. Eine Möglichkeit, den [X.] vom 26. August 2003 nach § 129 [X.] zu berichtigen, bestand nicht.

a) Zwar hat der [X.]enat mit Urteil vom 14. Juni 1991 [X.]/89 ([X.], 438, [X.] 1992, 52) entschieden, dass ein [X.]erichtigungsbescheid nach § 129 [X.] i.V.m. § 171 Abs. 2 [X.] auch dann noch erlassen werden kann, wenn der zu berichtigende [X.] erst nach Ablauf der Festsetzungsverjährung ergangen ist (a.A. [X.] in Tipke/[X.], a.a.[X.], § 171 [X.] Rz 7; [X.]/ Koenig/Cöster, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 171 Rz 18; [X.] Hamburg, Urteil vom 17. Dezember 1993 V 178/91, Entscheidungen der Finanzgerichte 1994, 642; offen gelassen im [X.]FH-Urteil vom 9. November 1994 [X.], [X.] 1995, 563).

b) Jedoch konnte im [X.]treitfall auch unter Zugrundelegung dieser Rechtsansicht ein [X.]erichtigungsbescheid nicht mehr ergehen, da die Jahresfrist des § 171 Abs. 2 [X.] abgelaufen war. Der [X.] vom 26. August 2003 ging im [X.]eptember 2003 dem Klägervertreter zu, nicht erst im März 2004, als die [X.]tadt [X.] den [X.] übersandte. Auch wenn die [X.]ekanntgabe oder Zustellung von [X.]en in [X.] den hebeberechtigten Gemeinden übertragen ist, war das [X.] dennoch berechtigt, den [X.] selbst bekanntzugeben (§ 2 Abs. 1 des Gesetzes über die Zuständigkeit für die Festsetzung und Erhebung der Realsteuern vom 16. Dezember 1981, Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land [X.] 1981, 732). Zu dem Zeitpunkt, als der [X.]erichtigungsbescheid vom 29. April 2005 dem Kläger bekanntgegeben wurde, war die Jahresfrist nach § 171 Abs. 2 [X.] bereits verstrichen.

3. Eine sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 des [X.]ürgerlichen Gesetzbuches) ergebende Verpflichtung des [X.], dem Erlass eines Aufhebungsbescheids nach § 172 Abs. 1 [X.]atz 1 Nr. 2 [X.]uchst. a [X.] zuzustimmen, würde keine Aufhebungsmöglichkeit eröffnen. Eine Aufhebung des [X.]s 1990 vom 26. August 2003 wäre wegen des Eintritts der Festsetzungsverjährung auch mit Zustimmung des [X.] nicht möglich.

4. Zutreffend hat das [X.] eine Aufhebung des [X.]erichtigungsbescheids wegen widerstreitender Festsetzungen abgelehnt. Nachdem das [X.] nach Entdeckung der Verwechslung auch den Gewerbesteuermessbetrag für den [X.]etrieb [X.] korrigiert hatte, lagen zwar widerstreitende [X.]teuerfestsetzungen vor. Die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 174 [X.] sind jedoch nicht erfüllt. Gemäß § 174 Abs. 2 [X.]atz 1 i.V.m. Abs. 1 [X.] ist ein fehlerhafter [X.] auf Antrag aufzuheben oder zu ändern, wenn ein bestimmter [X.]achverhalt in unvereinbarer Weise in mehreren [X.]en zugunsten eines [X.]teuerpflichtigen berücksichtigt worden ist, obwohl er nur einmal hätte berücksichtigt werden dürfen. In sinngemäßer Anwendung des § 174 Abs. 1 [X.]atz 2 [X.] kann der fehlerhafte [X.] trotz Festsetzungsverjährung und ohne Antrag (§ 174 Abs. 2 [X.]atz 1 Halbsatz 2 [X.]) noch bis zum Ablauf eines Jahres, nachdem der letzte der betroffenen [X.]teuerbescheide unanfechtbar geworden ist, aufgehoben oder geändert werden ([X.] in Tipke/[X.], a.a.[X.], § 174 [X.] Rz 27). Der fehlerhafte [X.] darf nach § 174 Abs. 2 [X.]atz 2 [X.] allerdings nur dann geändert werden, wenn die [X.]erücksichtigung des [X.]achverhalts auf einen Antrag oder eine Erklärung des [X.]teuerpflichtigen zurückzuführen ist. Der [X.]teuerpflichtige muss selbst, allein oder überwiegend, die fehlerhafte [X.]erücksichtigung verursacht haben ([X.]FH-Urteile vom 6. [X.]eptember 1995 [X.], [X.]FHE 179, 196, [X.] 1996, 148; vom 13. November 1996 [X.], [X.]FHE 181, 408, [X.] 1997, 170; [X.]FH-[X.]eschluss vom 24. Juni 2004 XI [X.] 63/02, [X.] 2005, 1; [X.] in [X.], [X.], [X.], [X.], § 174 Rz 23). Dies ist hier zu verneinen. Der Erlass des fehlerhaften [X.]s vom 26. August 2003 für den [X.]etrieb A war nicht auf einen Antrag oder eine Erklärung des [X.] zurückzuführen, sondern beruhte auf einem Versehen des [X.].

Meta

III R 45/08

03.03.2011

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend FG Düsseldorf, 16. Mai 2007, Az: 9 K 3554/06 G, Urteil

§ 125 AO 1977, § 129 AO 1977, § 169 Abs 1 S 1 AO 1977, § 169 Abs 1 S 2 AO 1977, § 171 Abs 2 AO 1977, § 172 Abs 1 S 1 Nr 2 Buchst a AO 1977, § 174 Abs 1 AO 1977, § 174 Abs 2 AO 1977, § 184 Abs 1 S 1 AO 1977, § 242 BGB, § 94 Abs 1 Nr 2 AO, § 2 Abs 1 RealStG NW

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 03.03.2011, Az. III R 45/08 (REWIS RS 2011, 8891)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 8891

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(Im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 27.11.2013 II R 57/11 - Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist durch …


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