5. Senat | REWIS RS 2015, 15545
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Zur Hinzuziehung bei Festsetzungsverjährung
NV: Das im Hinzuziehen eines Dritten liegende Zurückdrängen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit zugunsten der Rechtsrichtigkeit ist nur dann gerechtfertigt, wenn der Dritte vor Ablauf der Festsetzungsfrist der gegen ihn gerichteten steuerlichen Ansprüche hinzugezogen oder beigeladen wird .
Auf die Revision des [X.] werden das Urteil des [X.] vom 29. April 2014 2 K 1887/11, der [X.] des Beklagten vom 24. August 2010 und die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 25. Mai 2011, soweit sie den [X.] vom 24. August 2010 betrifft, aufgehoben.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
I. Streitig ist, ob der Hinzuziehung des [X.] und Revisionsklägers (Kläger) zum Einspruchsverfahren der G-GmbH (GmbH) die Festsetzungsverjährung entgegensteht.
Der Kläger erzielte in den Streitjahren als Einzelunternehmer steuerpflichtige Umsätze aus dem Betrieb einer Landwirtschaft sowie aus der Verpachtung von Gebäuden und Anlagen des landwirtschaftlichen Betriebs an die GmbH. Er war zu 51 % an der GmbH beteiligt und einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer der GmbH. Seine Ehefrau war zu 49 % an der GmbH beteiligt und ebenfalls einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführerin.
Die Umsätze des [X.] aus dem Betrieb der Landwirtschaft unterlagen der [X.] nach § 24 des Umsatzsteuergesetzes in der für die Streitjahre geltenden Fassung. Seine Lieferungen an die GmbH wurden mit 9 % der Besteuerung unterworfen. Die Umsätze aus der Verpachtung unterlagen der Regelbesteuerung. Die in den gegenüber der GmbH ausgestellten Rechnungen ausgewiesenen Umsatzsteuerbeträge wurden von dieser als Vorsteuerbeträge abgezogen.
Im [X.] an eine beim Kläger und bei der [X.] begonnene Außenprüfung ging der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) von einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft zwischen dem landwirtschaftlichen Betrieb des [X.] und der GmbH aus. Bei den Umsätzen zwischen dem Kläger und der GmbH habe es sich demnach um nicht steuerbare Innenumsätze gehandelt mit der Folge, dass die GmbH nicht zum Vorsteuerabzug aus den Rechnungen des [X.] berechtigt sei und die Umsätze der GmbH dem Kläger als Organträger zugerechnet werden müssten.
Das [X.] erließ deshalb am 9. Januar 2009 gegenüber dem Kläger [X.], mit denen es ihm für die Streitjahre (2000 bis 2002) insgesamt … € Umsatzsteuer [X.] Zinsen erstattete. Im Gegenzug wurde mit [X.]n vom 20. Januar 2009 von der GmbH für die Streitjahre Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt … € [X.] Zinsen nachgefordert.
Während der Kläger keinen Einspruch einlegte, legte die GmbH gegen die [X.] vom 20. Januar 2009 Einspruch ein. Der Kläger wurde mit Bescheid vom 24. August 2010 zum Einspruchsverfahren der GmbH gemäß § 174 Abs. 5 der Abgabenordnung ([X.]) hinzugezogen. Eine Rechtsbehelfsbelehrung war dem [X.] nicht beigefügt.
Im Einspruchsverfahren der GmbH erfolgte eine Einigung dahingehend, dass zwischen dem Kläger und der GmbH doch keine Organschaft vorliege. Das [X.] erstattete der GmbH mit [X.]n vom 7. September 2010 Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt … € [X.] Zinsen.
Am 15. September 2010 erließ das [X.] gegenüber dem Kläger nach § 174 [X.] geänderte Umsatzsteuerbescheide, mit denen für die Streitjahre Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt … € [X.] Zinsen nachgefordert wurde.
Der Kläger legte sowohl gegen den [X.] vom 24. August 2010 als auch gegen die geänderten Umsatzsteuerbescheide vom 15. September 2010 Einspruch ein. Das [X.] wies die Einsprüche, die es zu gemeinsamer Entscheidung verband, mit Einspruchsentscheidung vom 25. Mai 2011 als unbegründet zurück.
Die Klage (2 K 1886/11) gegen die [X.] 2000 bis 2002 vom 15. September 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. Mai 2011 hatte keinen Erfolg. Hiergegen richtet sich nach Zulassung der Revision durch das Finanzgericht ([X.]) das Revisionsverfahren V R 28/14.
Gegen den [X.] vom 24. August 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. Mai 2011 wandte sich der Kläger mit der Klage 2 K 1887/11 zum [X.]. Das [X.] wies die Klage als unbegründet ab.
Das [X.] begründete sein Urteil im Wesentlichen wie folgt:
Das [X.] habe den Kläger zu Recht zum Einspruchsverfahren der GmbH hinzugezogen. Die Anordnung der Hinzuziehung durch das [X.] nach § 174 Abs. 5 Satz 2 [X.] setze voraus, dass ein Steuerbescheid möglicherweise wegen irriger Beurteilung eines Sachverhalts aufzuheben oder zu ändern sei, und dass hieraus möglicherweise steuerrechtliche Folgerungen für einen Dritten durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheides gezogen werden könnten. Die Hinzuziehung sei nicht deshalb unzulässig, weil für eine dem Kläger gegenüber vorzunehmende Änderung der [X.] 2000 bis 2002 die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen gewesen sei. Denn im Hinzuziehungsverfahren sei noch nicht abschließend zu prüfen, ob die übrigen formellen und materiellen Voraussetzungen für eine Änderung des Steuerbescheides vorlägen. Für eine Hinzuziehung gemäß § 174 Abs. 5 Satz 2 [X.] reiche es vielmehr aus, dass sich bei einem Erfolg des Einspruchs eine Folgeänderung i.S. des § 174 Abs. 4 und 5 [X.] ergeben könne. Es sei nicht zu prüfen, ob eine etwaige Folgeänderung Bestand habe.
Auf die hiergegen beim [X.] ([X.]) eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde V B 67/14 hat der [X.] die Revision, die Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist, zugelassen.
Mit der Revision macht der Kläger geltend, er habe zu dem Einspruchsverfahren der GmbH nicht hinzugezogen werden dürfen, weil ihm gegenüber bereits Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Er, der Kläger, sei in keiner Weise an den Einspruchsverfahren der GmbH beteiligt. Soweit er Anträge für die GmbH gestellt habe, habe er das nicht als Einzelunternehmer, sondern in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der GmbH getan. Einen Antrag im eigenen Namen habe er im Besteuerungsverfahren der GmbH zu keiner Zeit gestellt. Der Sachverhalt des [X.]-Urteils vom 20. November 2013 [X.] ([X.]/NV 2014, 482), auf das sich das [X.] berufe, sei mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar, denn dort sei die später hinzugezogene Ehefrau zunächst selbst im eigenen Namen Einspruchsführerin gewesen und sei wegen der eigenen verfahrensrechtlichen Initiative in der Folgezeit zu Recht als nicht schutzwürdig behandelt worden.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das [X.]-Urteil, den [X.] vom 24. August 2010 sowie die Einspruchsentscheidung vom 25. Mai 2011, soweit sie den [X.] vom 24. August 2010 betrifft, aufzuheben.
Das [X.] beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Zur Begründung stützt es sich auf die Entscheidungsgründe des [X.]-Urteils.
II. Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, des [X.]es vom 24. August 2010 sowie der Einspruchsentscheidung vom 25. Mai 2011, soweit diese den [X.] betrifft (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat zu Unrecht entschieden, dass der Kläger noch nach Eintritt der Festsetzungsverjährung für die Streitjahre 2000 bis 2002 zu den Einspruchsverfahren der GmbH hat hinzugezogen werden können.
1. Im Zeitpunkt der Bekanntgabe des [X.]es vom 24. August 2010 war gegenüber dem Kläger die Festsetzungsfrist für die Streitjahre 2000 bis 2002 bereits abgelaufen.
a) Die reguläre Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer 2000 und 2001 begann mit Ablauf des Jahres 2003, die für das [X.] mit Ablauf des Jahres 2004, weil der Kläger seine Umsatzsteuererklärungen 2000 und 2001 am 21. November 2003, die Umsatzsteuererklärung 2002 am 1. Juli 2004 abgegeben hatte. Die Festsetzungsfrist für die [X.] und 2001 endete daher regulär mit Ablauf des 31. Dezember 2007, die für 2002 mit Ablauf des 31. Dezember 2008 (§ 169 Abs. 2 Nr. 2 [X.] i.V.m. § 170 Abs. 2 Nr. 1 [X.]).
b) Allerdings wurde der Fristablauf durch den Beginn der [X.] nach § 171 Abs. 4 Satz 1 [X.] gehemmt bis zu dem Zeitpunkt, an dem die auf Grund der Außenprüfung zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind. Da der Kläger gegen die auf Grund der Außenprüfung ergangenen [X.] 2000 bis 2002 vom 9. Januar 2009 keinen Einspruch eingelegt hat, sind diese mit Ablauf des 12. Februar 2009 unanfechtbar geworden. Zu diesem Zeitpunkt und damit bereits vor Bekanntgabe des [X.]es vom 24. August 2010 war Festsetzungsverjährung eingetreten.
2. Eine Hinzuziehung war --entgegen der Auffassung des [X.]-- nach Eintritt der Festsetzungsverjährung nicht mehr möglich.
Zwar ist der Ablauf der Festsetzungsfrist gemäß § 174 Abs. 4 Satz 3 [X.] grundsätzlich unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheides gezogen werden.
Gegenüber Dritten gilt das gemäß § 174 Abs. 5 Satz 1 [X.] aber nur, wenn sie an dem Verfahren, das zur Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheides geführt hat, beteiligt waren. Eine Hinzuziehung oder Beiladung zu diesem Verfahren ist zulässig (§ 174 Abs. 5 Satz 2 [X.]). Dabei ist im Beiladungsverfahren eines Dritten zwar noch nicht abschließend zu prüfen, ob die formellen und materiellen Voraussetzungen für eine Änderung des Steuerbescheides vorliegen. Die in der Hinzuziehung eines Dritten liegende Zurückdrängung des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit zugunsten der [X.] ist aber nur dann gerechtfertigt, wenn dieser vor Ablauf der Festsetzungsfrist für die gegen ihn gerichteten steuerlichen Ansprüche hinzugezogen oder beigeladen wird (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteile vom 5. Mai 1993 [X.], [X.], 400, BStBl II 1993, 817; vom 20. November 2013 [X.], [X.]NV 2014, 482; [X.] vom 17. Oktober 2006 VIII B 90/06, [X.]NV 2007, 199; vom 7. April 2003 III B 127/02, [X.]NV 2003, 887). Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass der Dritte, der nicht durch eigene verfahrensrechtliche Initiativen auf eine Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Bescheides hinwirkt und typischerweise deshalb auch keine Kenntnisse hinsichtlich der Auswirkungen der Korrektur hat, mit Ablauf der ihn betreffenden Festsetzungsfrist endgültig auf die Bestandskraft der ihm gegenüber erfolgten oder ggf. unterbliebenen Besteuerung vertrauen darf.
3. [X.] beruht auf § 135 Abs. 1 [X.]O.
Meta
12.02.2015
Urteil
vorgehend FG München, 29. April 2014, Az: 2 K 1887/11, Urteil
§ 169 Abs 2 AO, § 170 Abs 2 AO, § 171 Abs 4 AO, § 171 Abs 5 AO
Zitiervorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 12.02.2015, Az. V R 42/14 (REWIS RS 2015, 15545)
Papierfundstellen: REWIS RS 2015, 15545
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
(Zur Beteiligung eines Dritten i.S. von § 174 Abs. 5 AO)
Widerstreitende Steuerfestsetzung; Klage des zum Einspruchsverfahren des Steuerpflichtigen Hinzugezogenen gegen eine abhelfende Einspruchsentscheidung; Festsetzungsverjährung
(Grenzen der widerstreitenden Steuerfestsetzung - "Maßgeblicher Sachverhalt" i.S. des § 174 AO im Hinblick auf …
Hinzuziehung der Ehefrau zum Einspruchsverfahren des Ehemannes im Fall der Zusammenveranlagung
(Umfang der Änderungsbefugnis nach § 174 Abs. 4 AO - Maßgeblicher Sachverhalt bei Übertragung von …
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