Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 02.12.2013, Az. 1 BvL 5/12

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2013, 661

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Unzulässige Richtervorlage zur Vereinbarkeit der Bußgeldvorschrift des § 24 Abs 1 Nr 4 JMStVtr mit Art 3 Abs 1 GG - unzureichende Darlegung der Entscheidungserheblichkeit, keine eigene Subsumtion der § 24 Abs 1 Nr 4, § 5 Abs 1 JMStVtr durch vorlegendes Gericht - Bezugnahme auf Beteiligtenschriftsätze zur Darlegung der Überzeugung des vorlegenden Gerichts von der Verfassungswidrigkeit der vorgelegten Norm nicht hinreichend


Gründe

I.

1

1. Das Amtsgericht hat in einem Bußgeldverfahren, das gegen den privaten Fernsehsender S. und dessen verantwortlichen Redakteur wegen der Ausstrahlung einer Folge einer Sendereihe, in der fiktive Kriminalfälle im Stil einer Dokumentation präsentiert werden, eingeleitet wurde, mit Beschluss vom 17. Februar 2012 dem [X.] die Frage zur Klärung vorgelegt, ob der [X.] des § 24 Abs. 1 Nr. 4 [X.] ([X.]) mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist.

2

2. Das vorlegende Gericht hält die Vorschrift für verfassungswidrig, weil sie sich ausschließlich an die privatrechtlichen Fernsehanstalten beziehungsweise deren Redakteure richte, während für die öffentlichrechtlichen Sender beziehungsweise deren Redakteure eine vergleichbare Bußgeldvorschrift überhaupt nicht existiere. Da die Sichtweise des vorlegenden Gerichts der Auffassung der Betroffenen entspreche, nehme es auf die wörtlich zitierten Ausführungen der Betroffenen Bezug.

3

3. Die Vorlagefrage sei entscheidungserheblich, da bei Verfassungswidrigkeit der zitierten Vorschrift die Betroffenen freizusprechen beziehungsweise das Verfahren einzustellen wäre. Demgegenüber sei bei Annahme der Wirksamkeit ein Bußgeld zu verhängen. Die Eingangssequenz der beanstandeten Sendung, in der die Tötung einer Frau angedeutet wurde, sei im Sinne des § 24 Abs. 1 Nr. 4 [X.] geeignet, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen und erheblich zu gefährden. Eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift komme infolge des eindeutigen Wortlauts nicht in Betracht.

II.

4

Der Normenkontrollantrag ist unzulässig, weil die Voraussetzungen des Art. 100 Abs. 1 GG, § 13 Nr. 11, §§ 80 f. [X.] nicht erfüllt sind.

5

1. Gemäß Art. 100 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 [X.] muss das vorlegende Gericht darlegen, inwiefern seine Entscheidung von der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Norm abhängt. Der Vorlagebeschluss muss danach mit hinreichender Deutlichkeit erkennen lassen, dass das vorlegende Gericht im Falle der Gültigkeit der in Frage gestellten Vorschrift zu einem anderen Ergebnis kommen würde als im Falle ihrer Ungültigkeit und wie das Gericht dieses Ergebnis begründen würde (seit [X.] 7, 171 <173 f.> stRspr, vgl. zuletzt [X.] 107, 59 <85>; 124, 251 <260>; 131, 1 <15>). Hierbei muss es insbesondere die in Literatur und Rechtsprechung entwickelten Rechtsauffassungen berücksichtigen (vgl. [X.] 65, 308 <316>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 27. August 1999 - 1 BvL 7/96 -, NJW 1999, S. 3550; stRspr), auf einschlägige Entscheidungen des [X.]s eingehen (vgl. [X.] 79, 240 <243 ff.>) und sich gegebenenfalls auch mit der Entstehungsgeschichte der Norm auseinandersetzen (vgl. [X.] 92, 277 <312>; stRspr).

6

2. Diesen Anforderungen genügt der Vorlagebeschluss des Amtsgerichts nicht. Aus dem vorgelegten Beschluss ergibt sich jedenfalls nicht die hinreichende Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Rechtsfrage für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits im Sinne von Art. 100 Abs. 1 GG. Da der Begründungszwang des § 80 Abs. 2 Satz 1 [X.] das [X.] entlasten soll, muss der Vorlagebeschluss aus sich heraus verständlich sein. Das vorlegende Gericht hat daher in den Gründen des [X.] den Sachverhalt, soweit er für die rechtliche Beurteilung wesentlich ist, und die rechtlichen Erwägungen erschöpfend darzulegen (vgl. [X.] 17, 135 <138 f.>; 65, 308 <314>; stRspr).

7

a) Das vorlegende Gericht hat zwar den seiner Ansicht nach entscheidungserheblichen Sachverhalt im Wesentlichen wiedergegeben und im Beschluss ausgeführt, dass die Eingangssequenz der fraglichen Sendung, in dem ein Ritualmord an einer Frau angedeutet wird, Anlass zur Beanstandung gegeben hat, weil dieser Teil geeignet gewesen sei, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen. Darüber hinaus hat das Amtsgericht - wenngleich mit dem schlichten Verweis auf den vermeintlich eindeutigen Wortlaut des § 24 Abs. 1 Nr. 4 [X.] - eine mit Blick auf die Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG vorrangig zu prüfende verfassungskonforme Auslegung (vgl. [X.] 22, 373 <377>; 68, 337 <344>; 90, 145 <170>; 96, 315 <324 f.>; 124, 251 <262>; stRspr) erwogen und im Ergebnis ausgeschlossen.

8

b) Dies reicht jedoch nicht aus, um den Anforderungen zu genügen, die an die Darlegung der Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Rechtsfrage zu stellen sind. Aus dem Vorlagebeschluss ist nicht zu erkennen, dass den Betroffenen bei Gültigkeit der vorgelegten Vorschrift des § 24 Abs. 1 Nr. 4 [X.] das Bußgeld zu Recht auferlegt würde.

9

Das vorlegende Gericht hat keine ausreichende eigene Subsumtion unter die Vorschriften des § 24 Abs. 1 Nr. 4 [X.] und § 5 Abs. 1 [X.] vorgenommen, sondern sich auf die Feststellung beschränkt, dass die streitgegenständliche Eingangssequenz der Sendung, die eine selbst für Erwachsene erheblich bedrohlich und beängstigend wirkende Situation dargestellt habe, wegen der hohen Erreichbarkeit von Kindern und Jugendlichen zur Sendezeit geeignet gewesen sei, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen. An dieser Stelle hätte das vorlegende Gericht die Tatbestandsvoraussetzung der Eignung zur [X.] auslegen, anschließend den Sachverhalt hierunter subsumieren und genau darstellen müssen, welche Elemente des Sachverhalts im Einzelnen oder ihrer Gesamtschau die Einstufung der beanstandeten Sendung als zur Beeinträchtigung der Entwicklung geeignet rechtfertigen. Nicht zuletzt fehlen Überlegungen, nach welchen Maßstäben sich eine Eignung zur Beeinträchtigung der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen objektiv bemessen lässt. Warum bei Gültigkeit des § 24 Abs. 1 Nr. 4 [X.] ein Freispruch der Betroffenen oder eine Einstellung des Verfahrens ausgeschlossen wäre, hat das vorlegende Gericht somit nicht in der nach § 80 Abs. 2 Satz 1 [X.] gebotenen Weise dargelegt.

c) Im Übrigen ist zweifelhaft, ob das Amtsgericht sich eine eigene Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der vorgelegten Vorschrift des § 24 Abs. 1 Nr. 4 [X.] gebildet hat. Denn die Ausführungen des vorlegenden Gerichts zur Darlegung der Verfassungswidrigkeit der vorgelegten Vorschrift erschöpfen sich im Wesentlichen in einer Kopie des Schriftsatzes der Bevollmächtigten der Betroffenen und dem Hinweis, dass sich das vorlegende Gericht diese Ausführungen vollumfänglich zu eigen mache. Insofern ist nicht ersichtlich, dass sich das vorlegende Gericht selbst mit der verfassungsrechtlichen Lage auseinandergesetzt und aufgrund dessen eine eigene Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit gewonnen hat. Nach Art. 100 Abs. 1 GG muss das vorlegende Gericht selbstständig und in eigener Verantwortung über die Vorlage entscheiden, was eine eigene Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Norm voraussetzt (vgl. [X.] 22, 373 <379>; 68, 337 <343 ff.>). Die eigene Darstellung des wesentlichen Sachverhalts und der rechtlichen Erwägungen darf nicht durch Hinweise auf die Ausführungen eines anderen Gerichts ganz oder auch nur teilweise ersetzt werden (vgl. [X.] 22, 175 <177>; 90, 145 <167>; 93, 121 <132>). Dies muss erst recht für die Ausführungen in Schriftsätzen der am Verfahren des Ausgangsrechtsstreits Beteiligten gelten.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvL 5/12

02.12.2013

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Beschluss

Sachgebiet: BvL

vorgehend AG Ludwigshafen, 17. Februar 2012, Az: 5019 Js 6681/08.4d OWi, Vorlagebeschluss

Art 3 Abs 1 GG, Art 100 Abs 1 GG, § 80 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 5 Abs 1 JMStVtr, § 24 Abs 1 Nr 4 JMStVtr

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 02.12.2013, Az. 1 BvL 5/12 (REWIS RS 2013, 661)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 661

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

B 5 SF 4/16 AR

B 5 SF 5/16 AR

B 5 SF 3/16 AR

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