Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.05.2014, Az. 1 StR 610/13

1. Strafsenat | REWIS RS 2014, 5399

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BUNDES[X.]ERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
1
StR
610/13

vom
20. Mai
2014
in der Strafsache
gegen

wegen Körperverletzung mit Todesfolge

-
2
-
Der 1.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 20. Mai 2014, an der teilgenommen haben:
[X.] am [X.]
Dr. Raum

und [X.] am [X.]
Dr. Wahl,
Dr. [X.]raf,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. [X.],

Staatsanwältin beim [X.]

als Vertreterin
der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

der Angeklagte persönlich,

Rechtsanwalt

als Vertreter der Nebenkläger,

die Nebenkläger persönlich,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der [X.]eschäftsstelle,

für Recht erkannt:

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-
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil
des [X.] vom 31. Juli 2013 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmit-tels und die den Nebenklägern
im Revisionsverfahren
entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

[X.]ründe:
Das [X.] hat den zur Tatzeit heranwachsenden Angeklagten
-
die Tat ist zwei Tage vor
seinem 19. [X.]eburtstag begangen -
wegen Körperverlet-zung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Mona-ten verurteilt. Die Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg.

I.

Nach den Feststellungen erwartete der Angeklagte zusammen mit zwei Bekannten den [X.]eschädigten

[X.]e.

am 8. Juni 2012 gegen 22.15
Uhr auf dem Bahnsteig des Bahnhofs in [X.].

. [X.]rund dafür [X.] einerseits der Umstand, dass die vom Angeklagten zu einer Feier eingela-dene

S.

sich lieber mit dem [X.]eschädigten treffen als der Einla-dung des Angeklagten folgen wollte, andererseits eine einige Tage zuvor zwi-schen dem Angeklagten und dem [X.]eschädigten stattgefundene Auseinander-setzung. Nachdem es zunächst zu einer verbalen Auseinandersetzung zwi-1
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schen dem Angeklagten und

[X.]e.

, dann zu
einer
körperlichen
Aus-einandersetzung zwischen dem [X.]eschädigten und einem der Begleiter des An-geklagten
gekommen war, welche aber ohne Folgen blieb, begann der Ange-klagte anschließend den [X.]eschädigten mehrfach zu schubsen. Schließlich ver-setzte er ihm einen Kopfstoß ins [X.]esicht; danach holte er mit der rechten Hand aus und versetzte

[X.]e.

einen heftigen Faustschlag an die linke Halsseite.

Der Faustschlag hatte zur Folge, dass der [X.]eschädigte auf dem [X.] bewusstlos zusammenbrach und einen
Herzkreislaufstillstand erlitt. Er verstarb schließlich an einem zentralen Regulationsversagen infolge einer schweren Sauerstoffmangelschädigung des [X.]ehirns am 21. Juni 2012.

Nach den Feststellungen des [X.]erichts wollte der Angeklagte den [X.]e-schädigten durch den Kopfstoß und den Faustschlag verletzen, wobei er aller-dings hätte erkennen können und
müssen, dass durch seinen Faustschlag schwere, gegebenenfalls auch tödliche Verletzungen hervorgerufen werden können.

Nach der Tat begab sich der Angeklagte, welcher bei einer um 23.28
Uhr entnommenen Blutprobe eine
BAK von 1,07 Promille aufwies, zunächst zurück zu der Feier, von der er zuvor aufgebrochen war, stellte sich dann aber kurze [X.] später der Polizei.

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II.

Die Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.

1. Die Überprüfung des Urteils auf [X.]rund der [X.] hat aus den
[X.]ründen der Antragsschrift des [X.]eneralbundesanwalts zum Schuld-spruch keinen Rechtsfehler zum
Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs.
2 StPO).

2. Die Begründung, mit der die [X.] zur Anwendung von [X.] auf den Angeklagten gelangt ist, der zur Tatzeit knapp 19
Jahre alt und damit Heranwachsender war, weist keinen Rechtsfehler auf.

Sie hat die gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 1 J[X.][X.] erforderliche [X.]esamtwürdi-gung seiner Persönlichkeit und der Lebensverhältnisse, unter denen er aufge-wachsen ist und
vor und nach der Tat lebte, vorgenommen und festgestellt, dass er bereits zum [X.]punkt der Tat zu einer realistischen Lebensplanung in der Lage war und zugleich ernsthaft und motiviert seiner Ausbildung nachging. Weder ergebe die [X.]esamtwürdigung der Persönlichkeit des Angeklagten, dass er zur [X.] der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung einem Ju-gendlichen gleichstand, noch handele es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung entsprechend §
105 Abs. 1 J[X.][X.]. Auch handele es sich nicht um eine Spontantat; vielmehr habe
der Angeklagte, der seit mehreren Tagen auf den [X.]eschädigten wütend war, sich mit dem alleinigen Ziel zum Tatort begeben, diesen körperlich zu
attackieren. Dabei habe es
sich nicht um eine Verhaltensweise gehandelt, die Ausdruck jugendlicher
Unreife sei, sondern die gleichermaßen bei Erwachse-nen vorkomme.
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Zutreffend ist die [X.] hierbei davon ausgegangen, dass es im Wesentlichen Tatfrage ist, ob ein Heranwachsender bei seiner Tat im Sinn des § 105 Abs. 1 Nr. 1 J[X.][X.] noch einem Jugendlichen gleichsteht, und dass der [X.] hierbei ein erheblicher Beurteilungsspielraum zusteht (B[X.]H, Beschluss vom 14. August 2012 -
5 [X.]; Urteil vom 6. Dezember 1988 -
1 [X.], B[X.]HSt 36, 37 f. mwN).

Den dabei anzulegenden Maßstab für die Reifebeurteilung nach § 105 Abs. 1 Nr. 1 J[X.][X.], ob der Heranwachsende zur [X.] der Tat nach seiner [X.] und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, hat die [X.] bei ihrer Entscheidung zutreffend angewendet. Entgegen dem Vorbringen der Revision und der Stellungnahme des [X.]eneralbundesanwalts ergibt sich aus der angefochtenen Entscheidung nicht, dass die [X.] ihrer Beurteilung rechtsfehlerhaft den [X.]punkt der Hauptverhandlung statt den [X.]punkt der Tat zugrunde gelegt hat. Soweit die Kammer ausgeführt hat, der Angeklagte habe sich zum [X.]punkt der Tat im dritten Lehrjahr befunden, liegt offensichtlich ein Schreibversehen vor, zumal es vom [X.]punkt der Tat bis zum Beginn des dritten [X.] nur knapp drei Monate dauerte.

Die [X.] hat zutreffend darauf abgestellt, dass
es
für die [X.]leichstellung eines Heranwachsenden mit einem Jugendlichen im Sinne von §
105 Abs. 1 Nr. 1 J[X.][X.] nicht entscheidend ist, ob er das Bild eines noch nicht 18-jährigen bietet; vielmehr ist maßgebend, ob in dem Täter noch in größerem Umfang Entwicklungskräfte wirksam sind (st. Rspr.; vgl.
B[X.]H,
Urteile vom 23.
Oktober 1958 -
4 [X.], B[X.]HSt 12, 116, 118; vom 16. Januar 1968
-
1 [X.], B[X.]HSt 22, 41, 42; vom 6. Dezember 1988 -
1 [X.], B[X.]HSt 36, 37, 39; vom 20. Mai 2002 -
2 StR 2/02, B[X.]HR J[X.][X.] § 105 Abs. 1 Nr.
1 Entwicklungsstand 8). Dies hat die [X.] aufgrund einer aus-10
11
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führlichen [X.]esamtwürdigung unter Einbeziehung der Umweltbedingungen für den Angeklagten im Ergebnis rechtsfehlerfrei
verneint. Weiter hat sie [X.], dass er gegenüber seinen Eltern bereits eigenständig war und sein Freundeskreis nicht nur aus jüngeren, sondern auch aus älteren Personen [X.], wobei er
zudem
in der Lage war, eine feste Beziehung zu beginnen und aufrecht zu erhalten, weshalb sie den Angeklagten als eine zur Tatzeit bereits gereifte Persönlichkeit angesehen hat. Dass sie bei ihrer Beurteilung wesentli-che [X.]esichtspunkte übersehen hätte, ist nicht ersichtlich. Der [X.] steht hier ein erheblicher Beurteilungsspielraum zu (vgl. B[X.]H, Urteile vom 9.
August 2001 -
1 StR 211/01,
NJW 2002, 73, 75; vom 22. Dezember 1992
-
1 [X.]). Das vom Tatrichter rechtsfehlerfrei gefundene Ergebnis hat das Revisionsgericht hinzunehmen.
Auch im Übrigen ist der Strafausspruch rechtsfehlerfrei.
Raum Wahl [X.]raf

RiB[X.]H Prof. Dr. [X.]

ist im Urlaub und deshalb an

der Unterschriftsleistung

verhindert.

[X.]

Meta

1 StR 610/13

20.05.2014

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.05.2014, Az. 1 StR 610/13 (REWIS RS 2014, 5399)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 5399

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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