Bundesgerichtshof, Urteil vom 04.03.2013, Az. NotSt (Brfg) 1/12

Senat für Notarsachen | REWIS RS 2013, 7720

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Gegenstand

Berufsrecht der Notare: Zuständigkeit für die Ahndung des Verstoßes eines Anwaltsnotars gegen das anwaltliche Tätigkeitsverbot und die notarielle Neutralitätspflicht


Leitsatz

Zur Zuständigkeit für die Ahndung des Verstoßes eines Anwaltsnotars gegen das Tätigkeitsverbot nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO und damit einhergehender Verletzung der Neutralitätspflicht nach § 14 Abs. 1 Satz 1 BNotO.

Tenor

Auf die Berufung des [X.] wird das Urteil des 2. Senats für Notarsachen des [X.] vom 18. April 2012 abgeändert.

Die Disziplinarverfügung des Präsidenten des [X.] vom 16. August 2011 und der Widerspruchsbescheid des Präsidenten des [X.] vom 10. Januar 2012 werden aufgehoben.

Das Disziplinarverfahren wird eingestellt.

Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger ist Anwaltsnotar.

2

Gegenstand des vorliegenden Disziplinarverfahrens ist folgender Sach-verhalt:

3

Die Geschwister [X.]und [X.]     sowie [X.].    waren als ungeteilte Erbengemeinschaft Eigentümer des ehemaligen Gärtnereigrundstücks [X.] 1 in [X.]      . Am 22. Oktober 1999 beurkundete der Kläger als Notar unter seiner [X.] eine Teil-erbauseinandersetzung dieser Erbengemeinschaft hinsichtlich dieses Grundstücks, wonach [X.].    einen noch zu vermessenden Teil von ca. 2.041 m² als Eigentum unter Anrechnung auf ihren Erbteil erhielt. [X.].   verpflichtete sich zur Durchführung von diversen Arbeiten auf dem Gesamtgrundstück, insbesondere an dem Wohnhaus. Der Aufwand für diese Arbeiten sollte wiederum von dem anzurechnenden Betrag hinsichtlich des restlichen Erbteils abgezogen werden.

4

Die Arbeiten wurden von dem Ehemann der [X.].   , dem Heizungs-Sanitär-Installateur- und Schlossermeister [X.].   , durchgeführt. Für diesen erhob der Kläger in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2006 beim [X.]          Klage gegen [X.] und [X.]    auf Zahlung von Werklohn in Höhe von 16.808,76 €. Begründet wurde die Klage damit, dass nach Durchführung der von [X.].    im Rahmen der Teilerbauseinandersetzung geschuldeten Arbeiten weitere Arbeiten von der Erbengemeinschaft durch die Beklagten des Zivilprozesses in Auftrag gegeben worden seien. Diese verkündeten der [X.] [X.].    den Streit. Der Rechtsstreit endete mit einem Vergleich. Darin verpflichteten sich die dortigen Beklagten zur Zahlung von 5.000 €. Wegen dieses Betrages sollte Frau [X.].    im Innenausgleich aus der Erbengemeinschaft nicht in Anspruch genommen werden. Die Abwicklung sollte dergestalt geschehen, dass aus dem Konto der Erbengemeinschaft 5.000 € an jeden Erben ausgezahlt werden, damit die Beklagten des Zivilprozesses aus den ihnen zustehenden Beträgen die Vergleichssumme bezahlen könnten.

5

Aufgrund einer Dienstaufsichtsbeschwerde des Miterben [X.]      befasste sich zunächst die Rechtsanwaltskammer mit der Rüge, dass der Kläger, der als Notar die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft hinsichtlich dieses Grundstücks beurkundet habe, nicht als Rechtsanwalt des Ehemanns einer der Miterben habe auftreten dürfen. Die Rechtsanwaltskammer wies mit [X.] vom 11. Juli 2007 die gegen den Kläger erhobene Beschwerde zurück.

6

Mit Disziplinarverfügung vom 16. August 2011 erteilte der Präsident des [X.] als zuständige Dienstaufsichtsbehörde dem Kläger einen Verweis wegen Verstoßes gegen das Neutralitätsgebot nach § 14 Abs. 1 [X.] i.V.m. § 45 Abs. 1 Nr. 1 [X.]. Der Präsident des [X.] hat [X.] darauf gestützt, dass der Kläger in dem Rechtsstreit nicht für den Ehemann einer [X.] habe tätig werden dürfen. Im Rahmen des geführten Rechtsstreits gegen die [X.] sei es um die Frage gegangen, welche Tätigkeiten seitens der Ehefrau des dortigen [X.] zu bezahlen gewesen seien. Dies hänge damit zusammen, dass ausweislich der Urkunde des [X.] vom 22. Oktober 1999 ein Teil der Werkleistung allein von der [X.] Sch.    zu tragen gewesen wäre, der aber gerade nicht eingeklagt gewesen sei. Dass sich die Sachverhalte entgegen der Ansicht des [X.] nicht trennen ließen, ergebe sich auch daraus, dass der Rechtsstreit durch einen Vergleich beendet worden sei, in dem durch einen Vertrag zugunsten Dritter auch [X.].    als [X.] einbezogen worden sei. Tatsächlich habe sich der erhobene Anspruch von vornherein gegen die Erbengemeinschaft und damit auch gegen [X.].    als Mitglied dieser Erbengemeinschaft gerichtet. Nachdem der Kläger für die Erbengemeinschaft als Notar tätig geworden sei, habe er als Rechtsanwalt keine Ansprüche gegen diese Erbengemeinschaft als Klägervertreter verfolgen dürfen, bei der die Frage zu klären gewesen sei, welche Ansprüche gegen die Erbengemeinschaft oder einzelne Mitglieder bestünden, wenn dazu eine Abgrenzung zu den Arbeiten notwendig gewesen sei, die Gegenstand der Beurkundung gewesen seien. Dass die [X.] das Verhalten des [X.] ebenfalls geprüft und darin keine anwaltliche Pflichtverletzung gesehen habe, könne den Kläger nicht entlasten, da vorliegend eine notarielle Amtspflicht zu beurteilen sei. Insgesamt hielt der Präsident des [X.] einen Verweis für tat- und schuldangemessen.

7

Der gegen die Disziplinarverfügung erhobene Widerspruch des [X.] ist vom Präsidenten des [X.] zurückgewiesen worden.

8

Die gegen die Disziplinarverfügung in der Gestalt des Widerspruchsbescheids erhobene Klage ist vor dem [X.] erfolglos geblieben. Das [X.] hat die Anfechtungsklage für nicht begründet erachtet. Der Kläger habe durch Verstoß gegen das anwaltliche Tätigkeitsverbot nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 [X.] zugleich die nachwirkende notarielle Neutralitätspflicht nach § 14 Abs. 1 Satz 1 [X.] verletzt. Der Entscheidung im notariellen Disziplinarverfahren stehe im vorliegenden Fall die Entscheidung der unzuständigen Rechtsanwaltskammer nicht entgegen, da das Gericht an die vorangegangene Entscheidung der [X.] und der Staatsanwaltschaft nicht gebunden sei. Der Kläger habe als Rechtsanwalt wegen § 45 Abs. 1 Nr. 1 [X.] nicht tätig werden dürfen.

9

Mit der vom Senat zugelassenen Berufung verfolgt der Kläger die Anfechtung der Disziplinarverfügung in der Gestalt des Widerspruchsbescheids weiter. Er macht geltend, das [X.] habe zu Unrecht die Dienstaufsicht der Notare als zuständig für die Ahndung des angenommenen Pflichtenverstoßes angesehen und zugleich verkannt, dass kein Verstoß gegen § 45 Abs. 1 Nr. 1 [X.] vorliege.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des [X.] ist begründet. Die Disziplinarverfügung des Präsidenten des [X.] und der Widerspruchsbescheid des Präsidenten des [X.] sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Sie sind daher aufzuheben (§ 109 [X.], § 65 Abs. 1 Satz 1, § 3 [X.], § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Da eine Ahndung der dem Kläger als Notar vorgeworfenen Verfehlung im Disziplinarverfahren nicht in Betracht kommt, ist das Verfahren einzustellen (§ 32 Abs. 1 Nr. 4 [X.] analog).

1. Eine disziplinarrechtliche Ahndung scheitert bereits an § 110 Abs. 1 [X.]. Maßgebend für die Zuständigkeit zur Ahndung einer Pflichtverletzung ist danach, ob der Pflichtenverstoß des Anwaltsnotars vorwiegend mit dem Amt als Notar oder der Tätigkeit als Rechtsanwalt im Zusammenhang steht. Ist dies zweifelhaft oder besteht ein solcher Zusammenhang nicht, so ist im anwaltsgerichtlichen Verfahren, andernfalls im Disziplinarverfahren zu entscheiden. Das bedeutet, nur ein nicht zweifelhafter Zusammenhang des [X.] mit dem Amt als Notar begründet die Disziplinargewalt der Dienstaufsicht über die Notare.

a) Hier hat das [X.] einen Verstoß gegen das [X.] nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 [X.] angenommen. Dies würde zugleich einen Verstoß gegen die Neutralitätspflicht nach § 14 Abs. 1 [X.] darstellen. Formal gesehen hätte der Kläger als Anwaltsnotar jedoch zunächst einmal seine anwaltlichen Pflichten verletzt, da er die hier in Rede stehende Handlung in seiner Funktion als Rechtsanwalt wahrgenommen hat. Inhaltlich stellt die Verletzung der [X.]e nach § 45 [X.] eine Verletzung der anwaltlichen Verpflichtung zur Unabhängigkeit dar. Diese Standespflicht fordert in den in § 45 Abs. 1 [X.] aufgeführten Fällen einen Verzicht auf die Vertretung z.B. in einem Zivilprozess. Nach der Rechtsprechung des [X.] ist in dem Fall, dass der Notar eine von § 45 Abs. 1 Nr. 1 [X.] erfasste Beurkundung vorgenommen hat, von einem Übergewicht der anwaltlichen Pflichtverletzung im Verhältnis zum gleichzeitig verwirklichten [X.] als Notar auszugehen (vgl. [X.]St 22, 157, 163 f. zu dem vergleichbaren Fall des § 45 Nr. 4 [X.] a.F., dessen Regelungsgehalt nunmehr in § 45 Abs. 1 Nr. 2 [X.] erfasst ist. § 45 Abs. 1 Nr. 2 [X.] ist seinerseits lex specialis zu § 45 Abs. 1 Nr. 1 [X.] anzusehen, weil mit der Verwirklichung des § 45 Abs. 1 Nr. 2 [X.] stets zugleich ein Verstoß gegen § 45 Abs. 1 Nr. 1 [X.] vorliegt [[X.]/Weyland-Böhnlein, [X.], 8. Aufl. § 45 Rn. 12]; siehe auch [X.]/[X.]/[X.]-[X.], [X.], 3. Aufl., § 110 Rn. 15; [X.]/Weyland-[X.], [X.], 8. Aufl. § 118a Rz. 35; [X.]/Wolf/Göcken-Johnigk, [X.] Berufsrecht, § 118a [X.] Rn. 8), wenn nicht besondere Anhaltspunkte eine andere Wertung erfordern.

Dem steht der Beschluss des Senats vom 9. Dezember 1991 ([X.] 26/90 - D[X.] 1992, 455) nicht entgegen. Dort war bereits in der Vorinstanz ([X.], Urteil vom 7. November 1990 - 2 VA (Not) 14/90) der Vorwurf einer Verletzung von § 45 Nr. 4 [X.] a.F. verneint worden. Gegenstand des Verfahrens vor dem Senat war deshalb allein eine davon unabhängige Verletzung der notariellen Neutralitätspflicht durch mangelnde organisatorische Vorkehrungen zur Vermeidung von Mandatsannahmen durch in der Anwaltssozietät tätige Anwälte in Fällen, in denen über Inhalte von vom Notar beurkundeten Urkunden gestritten wurde. Der Senat hatte in der oben genannten Entscheidung keinen Anlass, sich zu den Voraussetzungen des § 110 [X.] zu äußern. Daher kann aus dieser Entscheidung nicht abgeleitet werden, der Verstoß eines Anwaltsnotars gegen seine Neutralitätspflicht aus § 14 Abs. 1 [X.] überwiege einen anwaltlichen Verstoß gegen das Vertretungsverbot aus § 45 [X.] (so aber [X.]/[X.]/[X.]-[X.], [X.], 7. Aufl., § 110 Rn. 23; sich [X.] anschließend [X.]/Vaasen-Lohmann, [X.]/BeurkG, 3. Aufl., § 110 [X.] Rn. 14).

b) Im vorliegenden Fall liegen keine Anhaltpunkte vor, die ein Übergewicht eines notariellen [X.] begründen würden. Dies gilt schon deshalb, weil der Inhalt der vom Kläger beurkundeten Teilerbauseinandersetzung allenfalls wirtschaftliche Bedeutung für den anschließenden Zivilprozess hatte und besondere Informationen aus dem Beurkundungsverfahren nicht von Bedeutung für die Erfolgsaussicht der von ihm als Prozessbevollmächtigter erhobenen Klage waren. Der Kläger des Zivilprozesses hatte seine Klage auf Aufträge gestützt, die die Erbengemeinschaft ihm erteilt habe. Die Frage, wie das Grundstück im Innenverhältnis der Miterben aufgeteilt wurde, war ohne rechtliche Relevanz für die Begründetheit der [X.]. Ferner war es rechtlich unerheblich, ob im Innenverhältnis der Erbengemeinschaft die Ehefrau des dortigen [X.] gewisse Arbeiten zu übernehmen hatte. Sollten diese Arbeiten durch die Erbengemeinschaft dem Kläger des Zivilprozesses als Werkauftrag übertragen worden sein, würde die Begründetheit seiner Klage durch [X.], welche dieser Tätigkeiten im Innenverhältnis von welchem der Miterben zu tragen war, nicht berührt.

Unentschieden bleiben kann, ob ein Übergewicht eines anwaltlichen [X.] anzunehmen wäre. Nach § 110 Abs. 1 [X.], § 118a Abs. 1 [X.] ist bereits dann eine Ahndung im notariellen Disziplinarverfahren ausgeschlossen, wenn kein Übergewicht des notariellen [X.]es festzustellen ist.

2. [X.] kann deshalb, ob überhaupt ein Verstoß gegen § 45 Abs. 1 Nr. 1 [X.] vorliegt, woran Zweifel bestehen. Nach der Rechtsprechung des [X.] ist es erforderlich, dass die vorangegangene Tätigkeit und der insoweit anvertraute [X.] in dem neuen Auftragsverhältnis eine rechtliche Bedeutung erlangen kann (vgl. - zu § 356 StGB - [X.], Urteil vom 16. November 1962 - 4 StR 344/62, [X.]St 18, 192, 193; Urteil vom 7. Oktober 1986 - 1 [X.], [X.]St 34, 190, 191), um von derselben Rechtssache nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 [X.] ausgehen zu können. Dies ist im vorliegenden Fall nicht anzunehmen, da die beurkundete Teilerbauseinandersetzung - wie ausgeführt - keine rechtliche Bedeutung für die vom Kläger als Prozessbevollmächtigter erhobene Zivilklage hatte.

3. Da eine disziplinarrechtliche Ahndung nicht in Betracht kommt, ist neben der Aufhebung der angefochtenen Bescheide die Einstellung des Disziplinarverfahrens auszusprechen.

4. [X.] beruht auf § 109 [X.], § 77 Abs. 1 [X.], § 154 Abs. 1 VwGO und die [X.] auf § 109 [X.], § 78 Satz 2 [X.], § 52 Abs. 2 GKG.

Galke                        [X.]

              Strzyz                              [X.]

Meta

NotSt (Brfg) 1/12

04.03.2013

Bundesgerichtshof Senat für Notarsachen

Urteil

Sachgebiet: False

vorgehend OLG Frankfurt, 18. April 2012, Az: 2 Not 2/12

§ 14 Abs 1 S 1 BNotO, § 110 Abs 1 BNotO, § 45 Abs 1 Nr 1 BRAO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 04.03.2013, Az. NotSt (Brfg) 1/12 (REWIS RS 2013, 7720)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 7720

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