Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.02.2024, Az. 1 StR 30/24

1. Strafsenat | REWIS RS 2024, 1382

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Tenor

1.    Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 10. Oktober 2023 aufgehoben

a)    im sie betreffenden Strafausspruch und

b)    in der [X.] mit den zugehörigen Feststellungen; dies gilt in den betreffenden acht Fällen auch zugunsten der Mitangeklagten [X.]                        .

2.    Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

3.  Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagte wegen Betrugs in acht Fällen zu einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt; zudem hat es gegen die Angeklagte die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 69.000 € angeordnet. Die gegen ihre Verurteilung gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten hat, betreffend die Einziehung auch zugunsten der nichtrevidierenden Mitangeklagten [X.](§ 357 Satz 1 StPO), den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); der Schuldspruch birgt hingegen keinen Rechtsfehler zu ihren Lasten (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

Der Rechtsfolgenausspruch hält der sachlichrechtlichen Überprüfung nicht stand.

3

a) Die Annahme schädlicher Neigungen (§ 105 Abs. 1 Nr. 1, § 17 Abs. 2 Alternative 1 [X.]) begegnet mit der hierfür gegebenen Begründung durchgreifenden Bedenken.

4

aa) Schädliche Neigungen im Sinne des § 17 Abs. 2 [X.] sind erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel, die ohne längere Gesamterziehung des [X.] die Gefahr weiterer Straftaten begründen. Sie können in der Regel nur bejaht werden, sofern erhebliche Persönlichkeitsmängel schon vor der Tat, wenn auch unter Umständen verborgen, angelegt waren. Sie müssen schließlich noch zum Urteilszeitpunkt bestehen und weitere Straftaten des Angeklagten befürchten lassen (st. Rspr.; [X.], Urteile vom 29. Juni 2023 – 3 [X.] Rn. 7; vom 3. März 2021 – 2 [X.] Rn. 22 und vom 6. Februar 2020 – 3 StR 331/19 Rn. 12 mwN; Beschluss vom 8. Januar 2015 – 3 StR 581/14 Rn. 5).

5

bb) Diesen Vorgaben wird das Urteil nicht gerecht.

6

(a) Das [X.] hat sich nicht mit der Persönlichkeitsentwicklung der nicht vorgeahndeten Angeklagten vor der [X.], insbesondere nicht mit etwaigen daraus ersichtlichen Erziehungsdefiziten, auseinandergesetzt, sondern die schädlichen Neigungen allein mit der Begehung der [X.] begründet ([X.] f.; vgl. [X.], Beschlüsse vom 4. Mai 2016 – 3 [X.] Rn. 6 und vom 26. Januar 2016 – 3 [X.] Rn. 5). Die erforderliche Gefahrenprognose im Hinblick auf zukünftig zu erwartende Straftaten fehlt. Das Geständnis der Angeklagten, ihre Entschuldigung gegenüber den beiden Betrugsopfern und die von ihr ernsthaft erstrebte Schadenswiedergutmachung als gewichtige ihr günstige Umstände bleiben unerörtert.

7

(b) Auch die Begründung der schädlichen Neigungen zum Urteilszeitpunkt erweist sich als unzulänglich. Das [X.] hat allein darauf abgestellt, dass die Angeklagte mit der Betreuung ihrer beiden unter einer Stoffwechselerkrankung leidenden Kleinkinder „ausgelastet“ sei ([X.]) und daher nach wie vor kein Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit erzielen könne. Dies besagt nichts über die weitere Persönlichkeitsentwicklung der nunmehr erwachsenen Angeklagten und eine etwaige „Nachreifung“. Vielmehr hätte das [X.] erörtern müssen, dass die letzte Tat zum Schluss der Verhandlung rund zwei Jahre zurücklag und die Angeklagte seitdem nicht erneut straffällig geworden ist (vgl. [X.], Beschlüsse vom 9. Juli 2015 – 2 [X.] Rn. 8; vom 24. Februar 2015 – 4 StR 37/15 Rn. 7 und vom 13. November 2013 – 2 StR 455/13, [X.]R [X.] § 17 Abs. 2 Schädliche Neigungen 11 Rn. 9).

8

(c) Diese Erörterungsmängel erfordern eine erneute tatgerichtliche Würdigung. Die Feststellungen bleiben hiervon unberührt und damit aufrechterhalten (§ 353 Abs. 2 StPO). Sie können um solche ergänzt werden, die ihnen nicht widersprechen.

9

b) Die [X.] (§ 73 Abs. 1 Alternative 1, § 73c Satz 1 StGB) hat ebenfalls keinen Bestand. Die Angeklagte hat sich, wie im Urteil ausgeführt wird ([X.]), mit der Verrechnung einer von ihr in Höhe von 70.000 € geleisteten Sicherheit, aufgrund derer sie vom weiteren Vollzug eines Untersuchungshaftbefehls verschont worden war, zur Schadenswiedergutmachung einverstanden erklärt. Mit einem wirksamen Verzicht auf die Rückzahlung des hinterlegten Betrages könnte die Angeklagte den staatlichen Zahlungsanspruch aus § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB erfüllt haben (vgl. [X.], Beschlüsse vom 17. November 2020 – 4 [X.] Rn. 3; vom 6. Februar 2019 – 5 [X.] Rn. 5 und vom 11. Dezember 2020 – 5 [X.], [X.]St 63, 305 Rn. 22 f., 33). Die rudimentären Ausführungen hierzu (vgl. auch [X.]) lassen indes die revisionsgerichtliche Überprüfung einer tatsächlich schon eingetretenen Erfüllungswirkung (vgl. § 362 Abs. 1, §§ 378, 376 Abs. 1 Nr. 1, 2 BGB iVm Art. 18 ff. des [X.] in der Fassung vom 23. Mai 2022; § 116 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Alternative 1 StPO) nicht zu.

Gemäß § 357 Satz 1 StPO ist die Aufhebung der [X.] in den sechs Betrugsfällen zu Lasten des Zeugen A.       und in den zwei zu Lasten des [X.]        mit einem Gesamtbetrag von 69.000 € auf die Mitangeklagte V.                         zu erstrecken.


Jäger    Wimmer    Bär

    Leplow    [X.]

Meta

1 StR 30/24

20.02.2024

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG München I, 10. Oktober 2023, Az: 1 JKLs 463 Js 153955/22 jug

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.02.2024, Az. 1 StR 30/24 (REWIS RS 2024, 1382)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 1382

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 StR 170/15 (Bundesgerichtshof)

Verhängung von Jugendstrafe: Annahme schädlicher Neigungen bei nur geringfügigen Straftaten in der Vergangenheit; Gefahr künftiger …


3 StR 331/19 (Bundesgerichtshof)

Jugendstrafe: Beurteilung der Schwere der Schuld


3 StR 78/16 (Bundesgerichtshof)

Jugendstrafe: Anforderungen an die Urteilsfeststellungen zu schädlichen Neigungen eines Jugendlichen


5 StR 55/09 (Bundesgerichtshof)


5 StR 199/10 (Bundesgerichtshof)

Verhängung einer Jugendstrafe: Notwendige Begründung der Annahme schädlicher Neigungen


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

3 StR 581/14

2 StR 455/13

4 StR 37/15

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.