Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.07.2010, Az. 5 StR 199/10

5. Strafsenat | REWIS RS 2010, 4648

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Verhängung einer Jugendstrafe: Notwendige Begründung der Annahme schädlicher Neigungen


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten M. wird das Urteil des [X.] vom 7. Oktober 2009 – soweit es diesen Angeklagten betrifft – gemäß § 349 Abs. 4 StPO im Ausspruch über die Höhe der Jugendstrafe aufgehoben.

Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten – wie auch zwei Mitangeklagte – wegen Totschlags in Tateinheit mit versuchter räuberischer Erpressung schuldig gesprochen und ihn zu einer Jugendstrafe von acht Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten erzielt lediglich den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Der Verurteilung liegt zugrunde, dass der Angeklagte am 15. April 2008 an einer gewaltsamen Eintreibung von [X.] aus Drogenverkäufen des Angeklagten B. durch diesen und den Nichtrevidenten [X.] mitgewirkt hat, die zur Tötung des Drogenkäufers führte. Der Angeklagte hatte zunächst eine Mitwirkung an der Tötung abgelehnt und sich lediglich mit der Erteilung einer Lektion einverstanden erklärt. Nach Beginn der Tötungshandlungen der Mittäter sprang er mehrfach auf das Opfer, setzte hierdurch dessen Wehrfähigkeit herab und nahm in Kenntnis und Billigung der Tathandlungen der Mittäter den Tod des Drogenkäufers in Kauf.

3

2. Das [X.] hat die Jugendstrafe neben der Schwere der Schuld auch mit dem Vorliegen schädlicher Neigungen gemäß § 17 Abs. 2 [X.] begründet und hierfür auf die ganz erhebliche Beteiligung des Angeklagten an einem besonders schweren Delikt, wenn auch nicht als treibende Kraft, abgestellt. Es hat ferner ausgeführt: „Der bis dahin nur geringfügig strafrechtlich in Erscheinung getretene Angeklagte M. hat zur Überzeugung der Kammer erkennbare Defizite, sich von möglicherweise als falsch erkannten Handlungen zu distanzieren. Die Probleme, sich abzugrenzen, und die ihn prägenden [X.] führten zur Überzeugung der Kammer dazu, dass der Angeklagte M. aus falsch verstandener Kameradschaft auch bereit war, sich an erheblichsten Straftaten zu beteiligen. In der Tat sind schädliche Neigungen in einem Umfang hervorgetreten, die ohne eine längere Gesamterziehung die Gefahr weiterer nicht nur unerheblicher Straftaten in sich bergen“ ([X.] 188).

4

3. Diese Erwägungen tragen die Annahme schädlicher Neigungen nicht.

5

a) Hierfür sind erhebliche Anlage- und Erziehungsmängel erforderlich, die in aller Regel nur bejaht werden können, wenn erhebliche Persönlichkeitsmängel schon vor der Tat, wenn auch verborgen, angelegt waren ([X.]R [X.] § 17 Abs. 2 schädliche Neigungen 5 m.w.N.; [X.], 280, 281). Solche hat das [X.] aber nicht festgestellt.

6

aa) Die [X.] ist dem Gutachten des jugendpsychiatrischen Sachverständigen zur Persönlichkeit des Angeklagten gefolgt, das keine Auffälligkeiten im Sozialverhalten des Angeklagten festgestellt und ihn als hilfsbereite Persönlichkeit beschrieben hat, die über kein großes Selbstwertgefühl und wenig Selbstvertrauen verfüge und unter Prüfungsangst leide ([X.] 165). Er sei eine um Bestätigung bemühte Person, die nicht leicht eine eigene klare Position definieren könne und eher Tendenzen zeige, sich mit seinen Problemen einem Erwachsenen anzuvertrauen. Im Verhältnis zu den Eltern habe noch keine deutliche Emanzipation stattgefunden, der Angeklagte sei „jugendtypisch anlehnungsbedürftig“ ([X.] 187). Damit hat das [X.] im Ergebnis lediglich Umstände festgestellt, die eine Reifeverzögerung belegen (vgl. [X.]R aaO).

7

bb) Soweit die [X.] eine vom Angeklagten geübte falsch verstandene Kameradschaft als schädliche Neigung anerkannt hat, fehlt es hierfür an der gebotenen Begründung (vgl. [X.], 419, 420). Deren Annahme widerspricht zudem der festgestellten [X.]. Insoweit hat das [X.] dargelegt, dass der Angeklagte bei der – ihm persönlichkeitsfremden ([X.] 168) – Tötungshandlung mitgewirkt habe, um anerkannt zu werden bzw. die Anerkennung nicht zu verlieren ([X.] 167). Die [X.] hätte angesichts dieser Feststellung erwägen müssen, ob diese Motivation – und damit auch die falsch verstandene Kameradschaft – ebenfalls den Reifeverzögerungen zuzurechnen ist und deshalb keine schädlichen Neigungen begründen konnte (vgl. [X.]R aaO).

8

cc) Das [X.] hat ferner den Umstand nicht in seine Bewertung einbezogen, dass sich der Angeklagte während eines von den Mittätern eskalierend geführten Tatgeschehens spontan zur Mitwirkung an der Tötung entschlossen hat, was eine Würdigung als ein der Annahme schädlicher Neigungen tendenziell entgegenstehendes situationsbedingtes Versagen erfordert hätte (vgl. [X.], [X.] 14. Aufl. § 17 Rdn. 19).

9

b) Auch soweit das [X.] – ohne weitere Darlegung – schädliche Neigungen noch als zum Urteilszeitpunkt bestehend angenommen hat, begegnet dies durchgreifenden Bedenken. Es hat in diesem Zusammenhang wesentliche gegenläufige Feststellungen nicht erwogen, die Zweifel an der Fortdauer schädlicher Neigungen oder die Annahme von deren Überwindung hätten begründen können (vgl. [X.] bei Böhm NStZ 1997, 481; [X.] aaO § 17 Rdn. 23).

Der Angeklagte hat bereits neun Tage nach der Tat am 24. April 2008 sein den Mittätern gelobtes Schweigen gebrochen und sich den Ermittlungsbehörden gestellt, ohne gegen ihn bereits laufende Ermittlungsmaßnahmen gekannt zu haben ([X.] 34). Auch wenn der Angeklagte seinen eigenen Tatbeitrag teilweise geleugnet hat, hat das [X.] die zutreffende Belastung der Mitangeklagten (todesursächliches Strangulieren durch den Angeklagten B. und Verlegung der Atemwege mittels gewaltsamer Einführung einer Zwiebel durch den Angeklagten [X.]) als frühen Aufklärungsbeitrag gewürdigt ([X.] 190). Darüber hinaus hat sich der Angeklagte nach zwei Entlassungen aus der ihn beeindruckenden Untersuchungshaft ([X.] 190) dem weiteren Verfahren jeweils gestellt, sein relativiertes Tatverhalten als falsch erkannt, sich entschuldigt ([X.] 190) und keine weitere Straftat mehr begangen.

4. Die aufgezeigten Mängel führen zur Aufhebung des Ausspruchs über die Höhe der Jugendstrafe. Auch wenn die [X.] in nicht zu beanstandender Weise die Notwendigkeit von Verhängung von Jugendstrafe auch auf die Schuldschwere gestützt hat, ist nicht auszuschließen, dass sich die bisher von den Feststellungen nicht getragene Annahme schädlicher Neigungen bei der Bemessung der Jugendstrafe zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat (vgl. [X.]R [X.] § 17 Abs. 2 schädliche Neigungen 5 m.w.N.).

Der Aufhebung von Feststellungen bedurfte es bei dem hier vorliegenden Subsumtionsfehler nicht. Das [X.] wird die Jugendstrafe auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen neu zu bestimmen haben, wobei weitere Feststellungen, die nicht in Widerspruch zu den bisher getroffenen treten, dem Strafausspruch zugrunde gelegt werden können.

Brause                                [X.]

                      [X.]

Meta

5 StR 199/10

20.07.2010

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Hamburg, 7. Oktober 2009, Az: 604 Ks 40/08, Urteil

§ 17 Abs 2 JGG, § 22 StGB, § 23 StGB, § 25 Abs 2 StGB, § 52 StGB, § 212 StGB, § 255 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.07.2010, Az. 5 StR 199/10 (REWIS RS 2010, 4648)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 4648

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

5 StR 199/10 (Bundesgerichtshof)


2 StR 170/15 (Bundesgerichtshof)

Verhängung von Jugendstrafe: Annahme schädlicher Neigungen bei nur geringfügigen Straftaten in der Vergangenheit; Gefahr künftiger …


2 StR 435/21 (Bundesgerichtshof)

Verwertung von Tatsachen zur Feststellung des Fortbestehens schädlicher Neigungen eines Jugendlichen aufgrund des Nachtatverhaltens


2 StR 280/20 (Bundesgerichtshof)

Jugendstrafrecht: Voraussetzungen für die Aussetzung der Verhängung einer Jugendstrafe


2 Ss 291/99 (Oberlandesgericht Hamm)


Referenzen
Wird zitiert von

5 StR 199/10

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.