Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 09.11.2023, Az. 10 C 4/22

10. Senat | REWIS RS 2023, 9152

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Gegenstand

Keine Anwendung des IFG auf Glückwunschschreiben des Bundespräsidenten an ausländische Staaten


Leitsatz

1. Präsidentielle Akte des Bundespräsidenten und ihre Vorbereitung sind nicht vom Anwendungsbereich des Informationsfreiheitsgesetzes umfasst.

2. Die Übermittlung eines Glückwunschschreibens an ein ausländisches Staatsoberhaupt ist ein präsidentieller Akt, den der Bundespräsident in seiner Funktion als Staatsoberhaupt in Ausübung seiner allgemeinen Repräsentations- und Integrationsaufgaben wahrnimmt, die ihm über die von der Verfassung ausdrücklich zugewiesenen Befugnisse hinaus zukommen.

Tenor

Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben. Insoweit ist das Urteil des [X.] vom 25. August 2022 wirkungslos.

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt der Kläger.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein Journalist, begehrt nach dem Informationsfreiheitsgesetz Zugang zu Glückwunschtelegrammen des Bundespräsidenten an den Staatspräsidenten der [X.] anlässlich des [X.] Nationalfeiertages sowie den dazugehörigen Verwaltungsvorgängen und Aktenvermerken. Seinen Antrag lehnte das Bundespräsidialamt ab.

2

Die Klage blieb in den Vorinstanzen ohne Erfolg. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision macht der Kläger im Wesentlichen geltend: Die Heranziehung der Begründung des Gesetzentwurfs zur Bestimmung des Anwendungsbereichs des [X.] sei eine nachrangige und wenig hilfreiche Auslegungsmethode. Bei der Übermittlung von Glückwunschschreiben an ausländische Staatsoberhäupter handele der Bundespräsident nicht als Verfassungsorgan, sondern nehme eine informelle Tätigkeit wahr, die dem Verwaltungshandeln zuzurechnen sei. Im Rahmen des Anspruchs nach dem Informationsfreiheitsgesetz sei die Wertung des Art. 10 Abs. 1 [X.] zu berücksichtigen.

3

Der Kläger beantragt,

unter teilweiser Änderung des Urteils des [X.] vom 25. August 2022 und des Urteils des [X.] vom 15. Oktober 2020 den Bescheid des [X.] vom 19. März 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Juni 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm Einsicht in sämtliche Gruß- und Glückwunschschreiben anlässlich des "[X.]" seit Gründung der [X.] ab dem Jahr 1994 bis zum letzten Glückwunschschreiben im Jahr 2019 sowie die dazu gehörigen Verwaltungsvorgänge und Aktenvermerke - durch Farbkopie - zu gewähren, ausgenommen die Jahre 2007 bis 2013.

4

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

5

Sie verteidigt das angegriffene Berufungsurteil.

Entscheidungsgründe

6

Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Revisionsinstanz - hinsichtlich des Glückwunschschreibens aus dem Jahr 1993 - übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren entsprechend § 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1, § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Das Urteil des [X.] ist insoweit wirkungslos (§ 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO analog).

7

Die zulässige Revision des [X.] ist nicht begründet und deshalb zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat den Anwendungsbereich des [X.] zutreffend als nicht eröffnet angesehen. Bei der Übermittlung eines Glückwunschschreibens des [X.]präsidenten an ein ausländisches Staatsoberhaupt handelt es sich um einen präsidentiellen Akt und nicht um die Wahrnehmung einer öffentlich-rechtlichen Verwaltungsaufgabe. Der Kläger hat deshalb keinen Anspruch gegenüber dem [X.]präsidialamt auf Zugang zu den begehrten Informationen.

8

1. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 [X.] hat jeder nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber Behörden des [X.] einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen. Für sonstige [X.]organe und [X.]einrichtungen gilt das Gesetz, soweit sie öffentlich-rechtliche Verwaltungsaufgaben wahrnehmen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 [X.]).

9

Beim [X.]präsidialamt handelt es sich zwar um eine Behörde im organisationsrechtlichen Sinne. Der Behördenbegriff des § 1 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist jedoch funktioneller Natur. Eine Behörde ist jede Stelle im Sinne einer eigenständigen Organisationseinheit, die öffentlich-rechtliche Verwaltungsaufgaben wahrnimmt (BVerwG, Urteil vom 15. November 2012 - 7 [X.] 1.12 - NVwZ 2013, 431 Rn. 22). Der Anwendungsbereich des [X.] bezieht sich daher allein auf die materielle Verwaltungstätigkeit der Behörden und sonstigen Stellen des [X.] (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 7 [X.] 1.14 - BVerwGE 152, 241 Rn. 15). Diese bestimmt sich nach materiellen Kriterien in negativer Abgrenzung zu den anderen Staatsfunktionen (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. November 2011 - 7 [X.] 3.11 - BVerwGE 141, 122 Rn. 13).

Das Berufungsgericht hat für seine Annahme, dass es sich bei der streitgegenständlichen Tätigkeit des [X.]präsidialamtes nicht um eine Verwaltungsaufgabe handelt, zu Recht die Begründung des Entwurfs zum Informationsfreiheitsgesetz herangezogen. Der Gesetzgeber legt in § 1 Abs. 1 [X.] die grundsätzliche Zugänglichkeit von staatlichen Vorgängen und damit zugleich deren Öffnung als Informationsquelle fest, so dass in diesem Umfang der Schutzbereich der Informationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 [X.] eröffnet wird (vgl. [X.], Beschluss vom 20. Juni 2017 - 1 BvR 1978/13 - [X.]E 145, 365 Rn. 20; BVerwG, Urteil vom 29. März 2023 - 10 [X.] 2.22 - [X.] 2023, 623 Rn. 33). Entscheidend für die Auslegung des Begriffs der öffentlich-rechtlichen Verwaltungsaufgaben ist deshalb das Regelungsziel des [X.], wie es sich insbesondere unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien erschließt (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. November 2011 - 7 [X.] 3.11 - BVerwGE 141, 122 Rn. 19).

Nach der Begründung des Gesetzentwurfs fällt die Tätigkeit des [X.]präsidialamtes in der Regel nicht in den Anwendungsbereich des [X.], insbesondere nicht die Vorbereitung präsidentieller Akte des [X.]präsidenten ([X.]. 15/4493 S. 8). Diese Begründung ist entgegen der Auffassung des [X.] nicht widersprüchlich, sondern eindeutig. Sie schließt unmittelbar an die Begründung des Gesetzentwurfs zu den in § 1 Abs. 1 Satz 2 [X.] genannten Staatsfunktionen an, worin, soweit es um die diesen zuzuordnenden spezifischen Aufgaben geht, im Wesentlichen die Tätigkeitsbereiche umschrieben werden, auf die das Informationsfreiheitsgesetz sich nicht erstreckt (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 7 [X.] 1.14 - BVerwGE 152, 241 Rn. 15).

a) Die Übersendung eines Glückwunschtelegramms des [X.]präsidenten an ein ausländisches Staatsoberhaupt ist ein präsidentieller Akt, den er in seiner Funktion als Staatsoberhaupt in Ausübung seiner allgemeinen Repräsentations- und Integrationsaufgaben wahrnimmt, die ihm über die von der Verfassung ausdrücklich zugewiesenen Befugnisse hinaus zukommen (vgl. [X.], Urteil vom 10. Juni 2014 - 2 [X.] u. a. - [X.]E 136, 277 Rn. 94). Der [X.]präsident repräsentiert hierbei Staat und Volk der [X.]republik nach außen. Er verkörpert die Einheit des Staates. Wie der [X.]präsident seine ungeschriebenen Verfassungsaufgaben der Repräsentation und Integration mit Leben erfüllt, entscheidet der Amtsinhaber grundsätzlich selbst (vgl. [X.], Urteil vom 10. Juni 2014 - 2 [X.] - [X.]E 136, 323 Rn. 25). Für den Einwand des [X.], bei der Ausübung ungeschriebener Staatsaufgaben repräsentativen [X.]harakters durch den [X.]präsidenten könne es sich nicht um einen präsidentiellen Akt handeln, fehlt jeder Anhaltspunkt. Gegen ihn spricht auch die Begründung des Entwurfs zum Informationsfreiheitsgesetz, die mit der Ausübung des Ordensrechts in ihrer nicht abschließenden Aufzählung der [X.] eine dem [X.]präsidenten nicht vom Grundgesetz ausdrücklich zugewiesene Materie benennt ([X.]. 15/4493 S. 8). Umgekehrt wird dem [X.]präsidenten in Art. 60 Abs. 1 [X.] die Ernennung und Entlassung u. a. der [X.]richter und [X.]beamten ausdrücklich zugewiesen, während diese Aufgaben in der Begründung des Gesetzentwurfs nicht als Beispiele für [X.] genannt werden. Ein präsidentieller Akt des [X.]präsidenten erfordert nach allem auch keine Rechtsverbindlichkeit.

Am Vorliegen eines [X.]s ändert es schließlich nichts, dass auch Mitglieder der [X.]regierung Glückwunschschreiben an ausländische Staatsoberhäupter versenden. Dies geschieht gegebenenfalls in Ausübung ihrer Befugnis zur Staatsleitung (vgl. [X.], in: Dreier, [X.], 3. Aufl. 2015, Art. 62 Rn. 30 ff.). Hierdurch wird die Wahrnehmung der [X.] durch den [X.]präsidenten bei der Übermittlung entsprechender eigener Glückwunschschreiben nicht in Frage gestellt.

b) Das [X.]präsidialamt bereitet die Glückwunschschreiben des [X.]präsidenten an ausländische Staatsoberhäupter durch Entwürfe und die dazugehörigen [X.], die den Verwaltungsvorgängen zu entnehmen sind, vor. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs fällt bereits die Vorbereitung präsidentieller Akte nicht in den Anwendungsbereich des [X.] ([X.]. 15/4493 S. 8). Wegen der strikten Akzessorietät der Aufgaben des Amtes zu denjenigen des [X.]präsidenten ist das [X.]präsidialamt nur insoweit informationspflichtig, als dies auch für den [X.]präsidenten anzunehmen ist (vgl. auch [X.], [X.], 2. Aufl. 2016, § 1 Rn. 138, 191). Entgegen der Auffassung des [X.] ist diese Aufgabenverteilung mit derjenigen im Verhältnis der [X.] des Deutschen [X.]tages zu dessen Wissenschaftlichen Diensten nicht vergleichbar. Die Informationsaufbereitung und Wissensgenerierung durch die [X.] Deutschen [X.]tages, die als solche Verwaltungsaufgabe ist, liegt der mandatsbezogenen Aufgabenerfüllung der [X.] voraus. Deshalb ist der Informationszugang zu den Ausarbeitungen des [X.] als solchen nicht geeignet, die parlamentarische Tätigkeit eines [X.] nachteilig zu beeinflussen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 7 [X.] 1.14 - BVerwGE 152, 241 Rn. 18 f.). An einer solchen Unterscheidung fehlt es jedoch bei der Vorbereitung präsidentischer Akte durch das [X.]präsidialamt.

2. Als Journalist kann sich der Kläger zwar auf das Jedermannsrecht des § 1 Abs. 1 Satz 1 [X.] berufen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. November 2012 - 7 [X.] 1.12 - NVwZ 2013, 431 Rn. 46). Die Rechtsprechung des [X.] von Journalisten als "public watchdog" (vgl. [X.], Urteil vom 19. Oktober 2021 - 6106/16 - NVwZ 2022, 533 Rn. 35, 38) zwingt jedoch umgekehrt nicht dazu, den Behördenbegriff des [X.] im Lichte von Art. 10 Abs. 1 [X.] erweiternd auszulegen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 155 Abs. 1 Satz 3 und § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO.

Meta

10 C 4/22

09.11.2023

Bundesverwaltungsgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 25. August 2022, Az: OVG 12 B 25/20, Urteil

§ 1 Abs 1 IFG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 09.11.2023, Az. 10 C 4/22 (REWIS RS 2023, 9152)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 9152

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2 BvE 4/13

2 BvE 2/09

1 BvR 1978/13

28 W 1782/18

XI R 45/17

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