Bundesgerichtshof, Urteil vom 07.09.2016, Az. 1 StR 154/16

1. Strafsenat | REWIS RS 2016, 5827

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Gegenstand

Justizgrundrecht des fairen Verfahrens: Verstoß gegen die Unschuldsvermutung durch Äußerungen eines Polizeibeamten in einem Fernsehinterview; Kompensation des Verstoßes nach dem Vollstreckungsmodell


Leitsatz

Zu Voraussetzungen und Rechtsfolgen von Verstößen gegen die Unschuldsvermutung.

Tenor

1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 27. Juli 2015 im Rechtsfolgenausspruch insoweit aufgehoben, als von den gegen die Angeklagten verhängten Gesamtfreiheitsstrafen jeweils zwei Monate als vollstreckt erklärt worden sind; der Ausspruch entfällt.

2. Die Revisionen der Angeklagten [X.]und [X.]      gegen das vorbezeichnete Urteil werden verworfen.

3. Die Angeklagten [X.]und [X.]      haben die Kosten ihres jeweiligen Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten wie folgt verurteilt: den Angeklagten [X.]    wegen schweren Bandendiebstahls in sechs Fällen, versuchten schweren Bandendiebstahls in zwei Fällen sowie wegen Wohnungseinbruchdiebstahls in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten; den Angeklagten [X.]    wegen schweren Bandendiebstahls in drei Fällen, wegen Wohnungseinbruchdiebstahls sowie wegen versuchten Wohnungseinbruchdiebstahls und den Angeklagten [X.]wegen schweren Bandendiebstahls in drei Fällen und wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlicher [X.]örperverletzung. Beide haben jeweils eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten erhalten. Hinsichtlich aller Angeklagten hat das [X.] bestimmt, dass jeweils zwei Monate der Gesamtstrafen als vollstreckt gelten.

2

Die auf den Ausspruch über die gewährte [X.]ompensation beschränkte, vom [X.] vertretene Revision der [X.]sanwaltschaft hat Erfolg. Dagegen dringen die auf sachlich-rechtliche Beanstandungen gestützten Revisionen der Angeklagten [X.]    und [X.]     , der sich allein gegen seine Verurteilung in den Fällen [X.] – 14 der Urteilsgründe wendet, nicht durch.

A.

3

Ein aus einer die Angeklagten betreffenden Fernsehberichterstattung resultierendes Verfahrenshindernis, das zur Einstellung des Verfahrens führt, besteht angesichts der dafür erforderlichen Voraussetzungen (dazu [X.], Urteile vom 9. Dezember 1987 – 3 [X.], [X.]St 35, 137, 140; vom 25. Oktober 2000 – 2 [X.], [X.]St 46, 159, 168 f. mit zahlr. [X.] und vom 11. August 2016 – 1 [X.]; siehe auch [X.] in [X.] [X.]ommentar zur [X.], 1. Aufl., [X.]. Rn. 353 und [X.] in Löwe/[X.], [X.], 27. Aufl., [X.]. [X.] Rn. 37 m[X.]) unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt.

4

Die in der fraglichen Fernsehsendung ausgestrahlten Äußerungen des polizeilichen [X.] erweisen sich entgegen der von dem [X.] im Rahmen seiner [X.]ompensationsentscheidung vertretenen Rechtsauffassung weder für sich genommen noch im Zusammenhang mit den Umständen der Ausstrahlung als Verstoß gegen die Unschuldsvermutung (unten Rn. 32 ff.). Schon deshalb kann daraus kein Verfahrenshindernis resultieren.

5

Art und Inhalt der Fernsehberichterstattung begründen ein solches unter dem Aspekt einer „öffentlichen Vorverurteilung“ ebenfalls nicht. Ob daraus überhaupt ein Verfahrenshindernis hervorgehen kann – woran ohne ein [X.] Verhalten dem [X.] zurechenbarer Personen bereits grundlegende Zweifel bestehen (vgl. [X.] in [X.] Tage 2011, [X.], 92) –, bedarf keiner Entscheidung. Denn selbst wenn ein so begründetes Verfahrenshindernis nicht von vornherein als ausgeschlossen erachtet würde (vgl. etwa Hillenkamp NJW 1989, 2841, 2845; [X.] [X.], 186, 189 ff.; siehe auch [X.] 2003, 186, 190 f. sowie [X.]eil, Verdachtsberichterstattung, 2013, S. 264 f.), liegen die dafür geforderten Voraussetzungen (siehe dazu [X.] [X.], 186, 189 f.) nicht vor.

B.

Revisionen der [X.]sanwaltschaft

6

Die wirksam auf den Ausspruch, dass jeweils zwei Monate der verhängten Gesamtfreiheitsstrafen als vollstreckt gelten, beschränkten, jeweils zu Lasten der Angeklagten erhobenen Revisionen der [X.]sanwaltschaft haben Erfolg. Die Rechtsmittel führen zum Wegfall der entsprechenden Anordnung bei allen drei Angeklagten.

I.

7

1. Die [X.]sanwaltschaft hat ihre Revisionen ausweislich ihrer Rechtsmittelbegründungsschrift auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Ihrem Antrag sowie dessen Begründung entnimmt der [X.], dass die [X.]sanwaltschaft sich ausschließlich gegen die vom Tatgericht wegen eines angenommenen Verstoßes gegen die Unschuldsvermutung durch Äußerungen staatlicher Organe in den Medien getroffene [X.]ompensationsentscheidung richtet.

8

2. Diese Beschränkung ist wirksam.

9

a) In Bezug auf [X.]ompensationsentscheidungen wegen Verfahrensverzögerung hat der [X.] bereits die grundsätzlich bestehende Möglichkeit isolierter Überprüfung anerkannt (siehe nur [X.], Beschluss vom 21. Dezember 2010 – 2 [X.] Rn. 2; Urteil vom 23. Oktober 2013 – 2 [X.], [X.], 21). Die Beschränkung ist lediglich im Einzelfall bei untrennbarer Verknüpfung des Strafausspruchs mit der Entscheidung über die [X.]ompensation nicht wirksam ([X.] in [X.]/[X.], [X.], 59. Aufl., § 318 Rn. 30b). Eine solche Verknüpfung ist aber selbst dann nicht zwingend gegeben, wenn mit dem Rechtsmittel solche vom Tatgericht festgestellten und zur Grundlage der [X.]ompensation gemachten Belastungen beanstandet werden, die an sich auch für den Strafausspruch bedeutsam sein können ([X.], Urteil vom 23. Oktober 2013 – 2 [X.] Rn. 2 [insoweit in [X.], 21 f. nicht abgedruckt]). Maßgebend ist insoweit, ob das Tatgericht den fraglichen Umstand ausschließlich für die [X.]ompensation berücksichtigt oder auch für die Strafzumessung herangezogen hat (vgl. [X.] aaO).

b) Bei Heranziehung dieser Maßstäbe ist die Beschränkung der Revision auf die [X.]ompensationsentscheidung wirksam.

Das [X.] hat die – aus seiner Sicht ([X.] ff.) – mit der Unschuldsvermutung nicht in Einklang stehenden Äußerungen des polizeilichen [X.], [X.]H[X.] S.   , sowie die Umstände der Ausstrahlung des entsprechenden Interviews und die Wahrnehmung der Sendung durch Dritte ausschließlich für die getroffene [X.]ompensationsentscheidung herangezogen. Bei der Bemessung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafen finden diese keine Erwähnung. Das [X.] hat damit eindeutig zum Ausdruck gebracht, lediglich von einer Bedeutung für die [X.]ompensation ausgegangen zu sein. Dementsprechend hat es bei den Erwägungen zum Ausmaß des Verstoßes als Grundlage für die Bestimmung des als vollstreckt geltenden Strafanteils auf die überschaubare Anzahl derjenigen Personen abgestellt, die die Angeklagten identifizieren konnten.

Der Tatrichter hat nicht auf Art und konkreten Umfang grundsätzlich möglicher Belastungen der Angeklagten, hier allenfalls der Angeklagten [X.]    und [X.]    (vgl. [X.] unten), aufgrund des Fernsehberichts einschließlich der dort enthaltenen Äußerungen von [X.]H[X.] S.    abgestellt. Solche Belastungen sind vorliegend allerdings ohnehin angesichts der festgestellten Umstände nicht ersichtlich. Der [X.] kann daher ausschließen, dass das [X.] auf Belastungen der beiden genannten Angeklagten im Zusammenhang mit der Fernsehberichterstattung als Strafzumessungsgesichtspunkt rekurriert hätte, wenn ihm das Fehlen einer Verletzung der Unschuldsvermutung (nachfolgend Rn. 21 ff.) als Grundlage der [X.]ompensationsentscheidung bewusst gewesen wäre.

c) Der Regelungsgehalt von § 301 [X.] steht der Wirksamkeit der Beschränkung im Übrigen nicht entgegen. Denn dessen Wirkung ist durch den Umfang der Anfechtung begrenzt (Frisch in Systematischer [X.]ommentar zur [X.], [X.], 5. Aufl., § 301 Rn. 4; [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 301 Rn. 6; siehe auch [X.], Urteil vom 4. Dezember 2001 – 1 [X.], juris Rn. 11 [insoweit in NStZ 2002, 198 nicht abgedruckt]).

[X.]

Die Anordnung, dass zugunsten aller Angeklagten jeweils zwei Monate der gegen sie verhängten Gesamtstrafen als vollstreckt gelten, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Eine derartige [X.]ompensation konnte vorliegend unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Betracht kommen.

1. Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob aus einem Verstoß gegen die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMR[X.] generell oder lediglich unter bestimmten, über den Verstoß als solchen hinausgehenden Voraussetzungen überhaupt eine [X.]ompensation in Gestalt der Erklärung eines Teils der verhängten Strafe als vollstreckt resultieren kann. Denn es fehlt entgegen der Rechtsauffassung des [X.]s bereits an einer Verletzung der Unschuldsvermutung; und zwar selbst dann, wenn dessen diesbezügliche Feststellungen als rechtsfehlerfrei getroffen unterstellt werden.

a) Seiner [X.]ompensationsentscheidung hat das [X.] folgende Feststellungen zugrunde gelegt:

Nach Anklageerhebung und einige Wochen vor dem Beginn der Hauptverhandlung wurde eine Fernsehsendung ausgestrahlt, die sich inhaltlich mit der steigenden Zahl von Wohnungseinbrüchen in der [X.] beschäftigte. Zur Vorbereitung der Sendung fanden Fernsehaufnahmen im Dienstzimmer des polizeilichen [X.], [X.]H[X.] S.   , statt. Mit diesem wurde – nach Zustimmung seitens der [X.]sanwaltschaft – ein ebenfalls aufgenommenes Interview geführt. Zudem entstanden im Dienstzimmer des Polizeibeamten Aufnahmen des Fernsehteams, die Lichtbilder zeigten, auf denen die Angeklagten [X.]    und [X.]    zu erkennen waren. Vor der Ausstrahlung waren die Gesichter der betroffenen Angeklagten zwar „verpixelt“ worden, um diese unkenntlich zu machen. Mitgefangene der Angeklagten hatten diese dennoch bei Betrachten der Sendung erkannt und sie darauf angesprochen. Der polizeiliche Hauptsachbearbeiter hatte zudem in dem geführten, gleichfalls ausgestrahlten Interview von „[X.]“, „Bandenmitgliedern“ sowie einer „Einbrechergruppierung“ gesprochen. Hinweise darauf, dass die abgebildeten Personen auf den „verpixelten“ Fotos noch nicht rechtskräftig verurteilt worden waren, erfolgten in dem Fernsehbericht nicht.

Dieses tatsächliche Geschehen begründet keinen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung.

b) Nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) soll die durch Art. 6 Abs. 2 EMR[X.] gewährleistete Unschuldsvermutung verhindern, dass die Fairness eines Strafverfahrens untergraben wird, indem in engem Zusammenhang mit diesem Verfahren nachteilige Äußerungen getätigt werden (etwa [X.], Urteil vom 12. November 2015 – 2130/10, „[X.]“ Rn. 52 m[X.]). Die Unschuldsvermutung ist eines der Merkmale eines fairen Verfahrens im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMR[X.] ([X.], Urteile vom 10. Februar 1995 – 15175/89, „[X.]“ Rn. 35; vom 24. Mai 2011 – 53466/07, „[X.]onstas ./. Greece“ Rn. 29; vom 27. März 2014 – 54963/08, „[X.]“ Rn. 46). Der Grundsatz der Unschuldsvermutung wird verletzt, wenn eine gerichtliche Entscheidung oder eine Äußerung eines Amtsträgers, die eine einer Straftat angeklagte Person betrifft, die Auffassung widerspiegelt, sie sei schuldig, bevor der gesetzliche Nachweis der Schuld erbracht ist ([X.], jeweils aaO, „[X.]“ Rn. 35 und 36; „[X.]onstas ./. Greece“ Rn. 32 und 33 m[X.]; siehe auch aaO, „[X.]“ Rn. 53). Die Erstreckung der Beachtung der Unschuldsvermutung über [X.] und Gerichte hinaus auf sonstige Amtsträger begründet der Gerichtshof mit der Bedeutung dieses Grundsatzes als Verfahrensrecht, das sowohl die Rechte der Verteidigung garantiert als auch dazu beiträgt, die Ehre und Würde des Angeklagten zu wahren ([X.], aaO, „[X.]onstas ./. Greece“ Rn. 32). Er unterscheidet zudem regelmäßig zwischen Äußerungen, nach denen jemand der Begehung einer Straftat nur verdächtig ist und einer – vor rechtskräftigem Schuldspruch – erfolgten Erklärung, dass die Person die in Rede stehende Straftat begangen hat ([X.], aaO, „[X.]“ Rn. 54 m[X.]).

Bei der Prüfung, ob eine Verletzung der Unschuldsvermutung eingetreten ist, kommt nach der Rechtsprechung des [X.] der Wortwahl bei der Äußerung durch Amtsträger entscheidende Bedeutung zu ([X.], aaO, „[X.]“ Rn. 54 m[X.]; vor allem auch aaO, „[X.]“ Rn. 46). Ob die Aussage eines Amtsträgers gegen den Grundsatz der Unschuldsvermutung verstößt, ist darüber hinaus im Zusammenhang mit den besonderen Umständen zu prüfen, unter denen die fragliche Aussage getätigt wurde ([X.], jeweils aaO, „[X.]onstas ./. Greece“ Rn. 33; „[X.]“ Rn. 55). Im Hinblick auf die Berücksichtigung der Wortwahl und der Umstände muss ein „unglücklicher Sprachgebrauch“ nicht entscheidend sein; es kann an einer Verletzung von Art. 6 Abs. 2 EMR[X.] fehlen, obwohl der [X.] den Sprachgebrauch der innerstaatlichen Behörden oder Gerichte kritisiert hat ([X.], aaO, „[X.]“ Rn. 46 m[X.]; vgl. vor allem auch [X.], Urteil vom 12. Juli 2013 – 25424/09, „Allen ./. The United [X.]ingdom“ Rn. 125 – 129).

c) Nach diesen Maßstäben ist die Unschuldsvermutung aus Art. 6 Abs. 2 EMR[X.] nicht verletzt.

aa) Zwar war [X.]H[X.] S.    als Polizeibeamter zur Wahrung der Unschuldsvermutung in dem vorgenannten Sinne verpflichtet. Die Wortwahl „Täter“, „Bandenmitgliedern“ und Zerschlagung einer „Einbrechergruppierung“ ist vor dem Hintergrund des Gebots, vor einem rechtskräftigen [X.] nicht den Eindruck zu erwecken, die betroffene Person sei der Begehung einer Straftat schuldig, auch nicht unbedenklich.

Allerdings liegen unter Berücksichtigung der sonstigen Umstände des Interviews und seiner Ausstrahlung im Fernsehen keinesfalls solche vor, die zu einem Verstoß gegen die Unschuldsvermutung führen. Die Äußerungen von [X.]H[X.] S.    selbst erfolgten nicht im Rahmen einer Berichterstattung über das konkret gegen die Angeklagten geführte Strafverfahren, sondern im [X.]ontext eines Fernsehbeitrags, der sich allgemein mit der Zunahme von [X.] befasste ([X.]). Die Namen der Angeklagten sind weder in den Äußerungen des Polizeibeamten noch sonst in der fraglichen Fernsehsendung genannt worden (anders etwa in dem [X.], aaO, „[X.]“ Rn. 10 ff. zugrunde liegenden Sachverhalt). Eine Identifizierung ihrer Personen war aufgrund der Äußerungen des Beamten selbst nicht möglich (anders etwa in dem [X.], aaO, „[X.]onstas ./. Greece“ Rn. 9 ff. zugrunde liegenden Sachverhalt). Über das Strafverfahren gegen die Angeklagten war auch zuvor nicht in den Medien berichtet worden. Es hatte dementsprechend weder regionale noch gar landesweite Aufmerksamkeit erlangt, die dazu hätte führen können, im Zusammenhang mit bereits früher bekannt gewordenen Informationen, die Identität der Angeklagten zu offenbaren (vgl. zu einer solchen [X.]onstellation [X.], Urteil vom 9. April 2009 – 28070/06, „[X.]“ Rn. 13 ff.).

Die von dem Polizeibeamten verwendeten Begriffe sind zudem im Zusammenhang mit den polizeilichen Ermittlungen zu sehen, über die [X.]H[X.] S.    in dem Interview berichtet hat ([X.]). Ausweislich der übrigen Feststellungen und vor allem der Beweiswürdigung des [X.]s ist Teil dieser polizeilichen Ermittlungen auch die Durchsuchung der im Zeitpunkt ihrer Durchführung von allen drei Angeklagten genutzten Wohnung in [X.]     gewesen. In dieser Wohnung, insbesondere auch im Schlafzimmer, in dem zwei der Angeklagten schlafend angetroffen wurden, befand sich ein bei einer verfahrensgegenständlichen Diebstahlstat [X.], der nach der Beweiswürdigung des [X.]s „nur notdürftig mit einer Decke abgedeckt“ war ([X.]). Außerdem wurden in der fraglichen Wohnung Beutegegenstände aus weiteren der Polizei zum Zeitpunkt des Interviews bekannten [X.] sowie ein bei drei der verfahrensgegenständlichen Taten eingesetztes Einbruchswerkzeug aufgefunden.

bb) Unter Berücksichtigung dieser Umstände, die Teil der polizeilichen Ermittlungen waren, über die [X.]H[X.] S.    nach den diesbezüglichen Feststellungen des [X.]s in dem Fernsehinterview berichtet hat, kommt der Wortwahl „Bandenmitglieder“ und „Einbrechergruppierung“ vor dem Hintergrund der Unschuldsvermutung nur geringes Gewicht zu. Von einer Verletzung der [X.] (Art. 6 Abs. 1 EMR[X.]), als deren Element sich die Unschuldsvermutung nach der Rechtsprechung des [X.] erweist ([X.], jeweils aaO, „[X.]“ Rn. 35; „[X.]onstas ./. Greece“ Rn. 29; „[X.]“ Rn. 46), kann keine Rede sein.

cc) Das gilt erst recht bei näherer Betrachtung der Zusammenhänge der Fernsehberichterstattung. Wie bereits dargelegt ist eine Namensnennung der Angeklagten nicht erfolgt. Die ausgestrahlten Bilder, die die Angeklagten [X.]    und [X.]    zeigten, waren „verpixelt“. Auch die offenbar allein auf den Angaben eines Verteidigers beruhende Feststellung des [X.]s, Mitgefangene hätten trotz „Verpixelung“ der in der Sendung gezeigten Bilder die Angeklagten erkannt und diese darauf angesprochen ([X.] und 42), führt weder für sich noch in der Zusammenschau mit den bereits erörterten Gegebenheiten zu einem Verstoß gegen die Unschuldsvermutung.

Dass die Art der Unkenntlichmachung der veröffentlichten Bilder dennoch ein Erkennen der Angeklagten durch Mitgefangene möglich gemacht haben soll, fällt nicht unmittelbar in den Verantwortungsbereich der Strafverfolgungsbehörden. Zwar trifft den [X.] im Hinblick auf die Gewährleistung aus Art. 8 EMR[X.] die Verpflichtung, das Privatleben des von einem Strafprozess Betroffenen während des Fortgangs des Verfahrens zu schützen ([X.], aaO, „[X.]“ Rn. 65 m[X.]). Allerdings kommt den Vertragsstaaten dann, wenn es um eine Abwägung zwischen dem Recht des Einzelnen und dem Informationsanspruch der Medien (siehe Art. 10 Abs. 1 Satz 2 EMR[X.]) geht, ein weiter Beurteilungsspielraum zu, wie der Ausgleich vorzunehmen ist (vgl. [X.], aaO, „[X.]“ Rn. 65 und 66 m[X.]). Die [X.]sanwaltschaft hat die Gestattung der Durchführung des Interviews mit [X.]H[X.] S.    sowie das Ausstrahlen von Bildern, die die Angeklagten zeigen, sowohl von der Anonymisierung als auch der „Verpixelung“ abhängig gemacht. Beides ist seitens des zuständigen Senders bzw. des Produktionsunternehmens auch eingehalten worden. Angesichts dessen handelt es sich hinsichtlich des Verantwortungsbereichs der Strafverfolgungsbehörden lediglich um eine gering zu gewichtende Beeinträchtigung von [X.] der Angeklagten. Eine Identifizierung erfolgte offenbar lediglich durch Mitgefangene, denen die Untersuchungshaft der Angeklagten nach den [X.] ohnehin bekannt gewesen sein dürfte.

Damit fehlt es selbst nach den vom Tatgericht getroffenen Feststellungen an einem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 EMR[X.]

2. Der [X.] hat zudem in rechtlicher Hinsicht Zweifel, ob eine festgestellte Verletzung der Unschuldsvermutung eine [X.]ompensation nach dem [X.] begründen könnte.

Die dargestellte Rechtsprechung des [X.] zu Art. 6 Abs. 2 EMR[X.] gibt – soweit ersichtlich – den Vertragsstaaten keine bestimmte Art der [X.]ompensation für den Fall des [X.]onventionsverstoßes vor. Es verhält sich damit anders als in den [X.]onstellationen polizeilicher Tatprovokation (dazu etwa [X.], Urteil vom 23. Oktober 2014 – 54648/09, „[X.]“ Rn. 64 m[X.]; siehe auch [X.], Beschluss vom 18. Dezember 2014 – 2 BvR 209/14 u.a., NJW 2015, 1083, 1085). Auch auf nationales Verfassungsrecht ließe sich die Anwendung des [X.] nicht stützen. Die Unschuldsvermutung ist zwar eine besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips und hat deshalb Verfassungsrang (siehe nur [X.], Beschluss vom 26. März 1987 – 2 BvR 589/79 u.a., [X.]E 74, 358, 370). Allerdings enthält die Unschuldsvermutung keine in allen Einzelheiten bestimmten Ge- und Verbote. Ihre Auswirkungen auf das Verfahrensrecht bedürfen vielmehr der [X.]onkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten; dies zu tun, ist grundsätzlich Aufgabe des Gesetzgebers ([X.] aaO, [X.]E 74, 358, 372 m[X.]).

Das einfache Gesetzesrecht nimmt die Gewährleistungen der Unschuldsvermutung, soweit es um mit dieser in Widerspruch stehende Äußerungen während eines laufenden Strafverfahrens geht, vor allem durch die Befangenheit von [X.] in § 24 [X.] auf. Bringt eine von dieser Vorschrift erfasste Person durch Äußerungen oder sonstige Umstände zum Ausdruck, dem Angeklagten nicht (mehr) unbefangen gegenüberzustehen und von dessen Schuld bereits vor dem formalen Schuldspruch überzeugt zu sein (zum Maßstab Cirener in BeckO[X.] [X.], 25. Edition, § 24 Rn. 5 sowie [X.], Beschluss vom 28. Mai 2015 – 2 StR 526/14, [X.], 217, 218), eröffnet dies dem Angeklagten die Möglichkeit der Ablehnung des Äußernden wegen Befangenheit. Angesichts dieser Reaktionsmöglichkeit auf Verletzungen der Unschuldsvermutung im noch nicht zum rechtskräftigen Schuldspruch geführten Verfahren ist für eine anderweitige [X.]ompensation nach dem Modell der [X.] kein Raum. Das gilt erst recht für Verstöße gegen diesen Grundsatz durch Personen, die vom Anwendungsbereich der Befangenheitsregelungen nicht erfasst sind.

Ob mit Verstößen gegen die Unschuldsvermutung einhergehende oder durch diese Rechtsverletzung hervorgerufene konkrete Belastungen auf [X.] der Strafzumessung Berücksichtigung finden können, bedarf keiner Entscheidung. Solche Belastungen sind weder festgestellt noch ersichtlich.

3. Die gewährte [X.]ompensation erweist sich auch nicht aus einem anderen Grund als tragfähig. Insbesondere kann eine solche nicht auf eine „Vorverurteilung“ der Angeklagten in den Medien gestützt werden.

Selbst eine „aggressive und vorverurteilende Berichterstattung“ in den Medien stellt regelmäßig keinen bestimmenden [X.] im Sinne von § 267 Abs. 3 Satz 1 [X.] dar (vgl. [X.], Beschluss vom 30. März 2011 – 4 StR 42/11 Rn. 24 sowie [X.], aaO, [X.], 93 ff. m[X.]). Erst recht kommt dann eine Berücksichtigung nach der [X.] nicht in Betracht; zumal es sich vorliegend aus den zur Unschuldsvermutung dargelegten Gründen gerade nicht um eine aggressive oder vorverurteilende Berichterstattung gehandelt hat.

4. Da nach dem Vorstehenden die [X.]ompensation durch die Anordnung, dass ein Teil der verhängten Gesamtfreiheitsstrafen jeweils als vollstreckt gilt, keine tragfähige Grundlage hat, lässt der [X.] in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 [X.] den Ausspruch entfallen. Er kann ausschließen, dass sich noch Umstände feststellen lassen, auf die eine [X.]ompensation nach dem [X.] rechtlich tragfähig gestützt werden könnte.

[X.]

Revisionen der Angeklagten

I.

Die auf die nicht ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten [X.]    bleibt ohne Erfolg. Die Nachprüfung hat keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben.

Das gilt auch für die Bemessung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe. Eine Berücksichtigung der erfolgten medialen Berichterstattung in Gestalt der angesprochenen Fernsehsendung bei der Strafzumessung war nicht veranlasst. Wie bereits ausgeführt, handelt es sich regelmäßig nicht einmal bei einer „aggressiven und vorverurteilenden Berichterstattung“ in den Medien um einen bestimmenden [X.]. Für die hier fragliche Art der Berichterstattung gilt dies erst recht.

Es sind auch keine konkreten Belastungen des Angeklagten im Zusammenhang mit der Fernsehberichterstattung festgestellt oder ersichtlich.

[X.]

Die Revision des Angeklagten [X.]dringt ebenfalls nicht durch.

1. Die ihn betreffenden Feststellungen zu den Fällen [X.] – 14 der Urteilsgründe beruhen auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung.

a) Die Beweiswürdigung ist dem Tatgericht vorbehalten (§ 261 [X.]). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind (siehe nur [X.], Urteil vom 7. August 2014 – 3 [X.] Rn. 5 [in [X.], 349 nur redaktioneller Leitsatz]; Beschluss vom 25. Februar 2015 – 4 StR 39/15 Rn. 2 [in NStZ-RR 2015, 80 nur redaktioneller Leitsatz]; Urteil vom 13. Juli 2016 – 1 StR 128/16 Rn. 21 f. m[X.]). Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt nur, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Urteile vom 10. Dezember 2014 – 5 [X.] m[X.]; vom 15. Dezember 2015 – 1 [X.], Rn. 18 und vom 13. Juli 2016 – 1 StR 128/16 Rn. 21; Beschluss vom 25. Februar 2015 – 4 StR 39/15 Rn. 2 [in NStZ-RR 2015, 80 nur redaktioneller Leitsatz]).

b) Derartige Rechtsfehler enthält das angefochtene Urteil nicht. Die von dem Tatgericht aus einer Vielzahl von Umständen mit [X.] Bedeutung gezogenen Schlüsse sind jeweils möglich und schon deshalb vom Revisionsgericht hinzunehmen. Dass sich das [X.] in der Zusammenschau aller von ihm berücksichtigten tatsächlichen Umstände von einer (mit)täterschaftlichen Begehung des Angeklagten an den [X.] zu [X.] – 14 überzeugt hat, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Angriffe der Revision auf die dieser Überzeugung zugrunde liegende Beweiswürdigung beschränken sich – jeweils revisionsrechtlich unbeachtlich – teils auf urteilsfremdes Vorbringen und teils auf das Unterfangen, eine eigene Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen durch das Tatgericht zu setzen.

Die Überzeugungsbildung des Tatgerichts hat auch eine ausreichende objektive Grundlage (zu diesem Erfordernis [X.], Beschluss vom 27. Oktober 2015 – 2 StR 4/15, [X.], 144, 145 m[X.]). Insoweit müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer nachvollziehbaren Beweisgrundlage beruht und die vom Tatgericht gezogenen Schlussfolgerungen sich nicht lediglich als bloße Vermutung erweisen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 27. Oktober 2015 – 2 StR 4/15, [X.], 144, 145 und vom 16. Februar 2016 – 1 [X.], [X.], 222 f. jeweils m[X.]).

Dem genügt die Beweiswürdigung des [X.]s. Es hat u.a. mit der [X.], der am Ort der Festnahme aufgefundenen Gegenstände, der im Ergebnis erfolglosen Flucht des Angeklagten sowie den weiteren näher dargelegten Umständen ([X.] – 32) eine Vielzahl von tatsächlichen Anhaltspunkten aufgezeigt und bewertet, die der gebildeten Überzeugung eine ohne weiteres tragfähige objektive Grundlage geben.

2. Die Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen schweren Bandendiebstahls in drei Fällen.

3. Der Strafausspruch enthält ebenfalls weder zu den Einzelstrafen für die Fälle [X.] – 14 noch zu der Gesamtstrafe dem Angeklagten nachteilige Rechtsfehler. Anders als bei den beiden Mitangeklagten konnte das [X.] ein Geständnis nicht zu Gunsten des Angeklagten [X.]werten, weil dieser ein solches bezüglich der hier fraglichen Taten nicht abgelegt hat. Von der durch die Revision behaupteten „bewussten und unzulässigen Sanktionierung des [X.]assungsverhaltens“ kann daher keine Rede sein.

Bezüglich der Nichtberücksichtigung der Ausstrahlung des Fernsehberichts wird auf die Ausführungen zu Rn. 37 – 38 verwiesen. Für den Angeklagten [X.]kam eine Berücksichtigung zudem schon deshalb nicht in Betracht, weil von diesem nach den Feststellungen ([X.]) keine Bilder gezeigt worden sind und er daher auch nicht durch Mitgefangene anhand ausgestrahlter Bilder identifiziert worden sein kann.

                                   

Ri[X.] Prof. Dr. Mosbacher ist
im Urlaub und deshalb an der
Unterschriftsleistung gehindert.

Raum     

        

[X.]     

        

Raum   

        

Fischer     

        

Bär     

        

Meta

1 StR 154/16

07.09.2016

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Stuttgart, 27. Juli 2015, Az: 17 KLs 85 Js 85875/14

Art 20 Abs 3 GG, Art 6 Abs 2 MRK

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 07.09.2016, Az. 1 StR 154/16 (REWIS RS 2016, 5827)

Papier­fundstellen: NJW 2016, 3670 REWIS RS 2016, 5827

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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