Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.07.2023, Az. I ZR 17/22

1. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 5776

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Gegenstand

Übereinstimmende Erledigungserklärung hinsichtlich eines Teils des Rechtsstreits: Kostenentscheidung des Revisionsgericht bei weiter bestehender Anhängigkeit eines Teils des Rechtsstreits in einer der Vorinstanzen; verzögerte Abgabe der Erledigungserklärung durch eine Partei


Leitsatz

1. Im Fall übereinstimmender Erledigungserklärungen hinsichtlich eines Teils des Rechtsstreits hat das Revisionsgericht in Abweichung von dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung auch dann, wenn nur ein Teil des Rechtsstreits bei ihm und ein weiterer Teil in einer der Vorinstanzen weiter anhängig ist, eine Kostenentscheidung nach § 91a Abs. 1 ZPO für den erledigten Teil des Rechtsstreits zu treffen. Zur Vermeidung widersprechender Kostenentscheidungen muss sich diese Kostenentscheidung auch auf die diesbezüglich in den Vorinstanzen entstandenen Verfahrenskosten erstrecken (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 1975 - I ZR 48/74, MDR 1976, 379 [juris Rn. 7] und Beschluss vom 8. April 2015 - VII ZR 254/14, NJW 2015, 1762 [juris Rn. 6]).

2. Gibt eine Partei die Erledigungserklärung verzögert ab, kann es im Rahmen der nach § 91a Abs. 1 ZPO zu treffenden Ermessensentscheidung gerechtfertigt sein, ihr die hierdurch entstandenen Mehrkosten aufzuerlegen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Juni 2007 - KVR 23/98, WRP 2008, 252 [juris Rn. 11]).

Tenor

Die Urteile des [X.] - Kammer 16 für Handelssachen - vom 26. März 2021 (416 [X.]/19), des [X.] - 3. Zivilsenat - vom 20. Januar 2022 (3 [X.]) und des [X.] vom 23. März 2023 sind wirkungslos geworden, soweit dort über den Klageantrag zu 3 (Unterlassungsantrag) entschieden wurde.

Der Beklagte trägt die auf den Klageantrag zu 3 (Unterlassungsantrag) entfallenden Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der in der Revisionsinstanz angefallenen Terminsgebühren, die der Kläger ebenso zu tragen hat wie die durch seine Versäumnis veranlassten Kosten.

Der Streitwert des Revisionsverfahrens für die [X.] ab der übereinstimmenden Erledigungserklärung wird auf 10.000 € festgesetzt.

Gründe

1

I. Der Kläger nimmt den Beklagten wegen des [X.] ohne Grundpreisangabe auf Unterlassung (Klageantrag zu 3), Zahlung von Abmahnkosten (Klageantrag zu 1) und Erstattung der Kosten für ein Abschlussschreiben (Klageantrag zu 2) in Anspruch. Das [X.] hat der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Auf die Revision des Beklagten hat der Senat das Urteil des Berufungsgerichts durch Versäumnisurteil vom 23. März 2023 unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als hinsichtlich der Klageanträge zu 2 und 3 zum Nachteil des Beklagten erkannt worden war. Im Umfang der Aufhebung hat er das Urteil des [X.]s auf die Berufung des Beklagten teilweise abgeändert und den Klageantrag zu 3 abgewiesen. Im übrigen Umfang der Aufhebung (Klageantrag zu 2) hat er die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen ([X.], Urteil vom 23. März 2023, [X.], 1116 = WRP 2023, 961 - [X.]).

2

Der Kläger hat gegen das Versäumnisurteil fristgerecht Einspruch eingelegt, soweit der Unterlassungsantrag (Klageantrag zu 3) abgewiesen worden ist, und insoweit zugleich den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Zur Begründung hat er angegeben, der Vortrag des Beklagten in der Revisionsbegründung, wonach der Kläger seine Geschäftstätigkeit im Februar 2022 aufgegeben habe, sei zutreffend. Der ordnungsgemäß belehrte Beklagte hat der Erledigung innerhalb der Frist des § 91a Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht widersprochen.

3

II. Durch den zulässigen Einspruch des [X.] (§§ 338 bis 340 ZPO) ist der Prozess hinsichtlich des [X.] (Klageantrag zu 3) gemäß § 342 ZPO in die Lage zurückversetzt worden, in der er sich vor Eintritt der Versäumnis befunden hat. Aufgrund der auf den Unterlassungsantrag bezogenen übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Parteien ist über die darauf entfallenden Kosten des Rechtsstreits gemäß § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands zu entscheiden.

4

In Abweichung von dem Grundsatz, dass über die Kosten eines Rechtsstreits einheitlich zu entscheiden ist, hat das Revisionsgericht auch dann, wenn nur ein Teil des Rechtsstreits bei ihm und ein weiterer Teil in einer der Vorinstanzen weiter anhängig ist, eine Kostenentscheidung nach § 91a Abs. 1 ZPO für den Teil des Rechtsstreits zu treffen, den die Parteien übereinstimmend für erledigt erklärt haben. Dies folgt daraus, dass die Kostenentscheidung nach § 91a ZPO grundsätzlich den bisherigen Sach- und Streitstand berücksichtigen muss und deshalb in dem Fall, dass die Hauptsache in der Revisionsinstanz für erledigt erklärt wird, darauf abzustellen ist, ob das Rechtsmittel Erfolg gehabt haben würde, wenn es nicht zur Erledigung der Hauptsache gekommen wäre (vgl. [X.], Beschluss vom 12. Dezember 1975 - [X.], [X.] 1976, 379 [juris Rn. 7] mwN; Beschluss vom 8. April 2015 - [X.], NJW 2015, 1762 [juris Rn. 6]). Diese Beurteilung ist dem Revisionsgericht vorbehalten und kann nicht dem Tatgericht überlassen werden, da es sonst seine eigene Entscheidung rechtlich überprüfen und insoweit zugleich die Stellung des [X.] übernehmen müsste ([X.], [X.] 1976, 379 [juris Rn. 7]). Dabei darf sich die Kostenentscheidung des [X.] nicht auf die Kosten des Revisionsverfahrens beschränken. Sie muss sich vielmehr auch auf die in den Vorinstanzen entstandenen Verfahrenskosten erstrecken, soweit sie den in der Revisionsinstanz erledigten Teil des Rechtsstreits betreffen, weil sonst die Gefahr einander widersprechender Kostenentscheidungen zum gleichen Anspruch bestünde ([X.], [X.] 1976, 379 [juris Rn. 7]; NJW 2015, 1762 [juris Rn. 6]).

5

III. Die nach § 91a Abs. 1 ZPO zu treffende Ermessensentscheidung ergibt, dass die auf den Unterlassungsantrag (Klageantrag zu 3) entfallenden Kosten des Rechtsstreits dem Beklagten aufzuerlegen sind. Dies gilt nicht für die in der Revisionsinstanz angefallenen [X.], die der Kläger ebenso zu tragen hat wie die Kosten seiner Versäumnis.

6

1. Die gegen seine vollumfängliche Verurteilung gerichtete Revision des Beklagten wäre in Bezug auf den Unterlassungsantrag (Klageantrag zu 3) ohne Erfolg geblieben, wenn es diesbezüglich nicht zu einem erledigenden Ereignis gekommen wäre, weshalb es grundsätzlich der Billigkeit entspricht, ihm die auf diesen Antrag entfallenden Kosten aufzuerlegen. Nach bisherigem Sach- und Streitstand war der Unterlassungsantrag zulässig; insbesondere war die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs nicht rechtsmissbräuchlich (vgl. dazu [X.], [X.], 1116 [juris Rn. 13 bis 24] - [X.]). Der Antrag war auch begründet. Jedenfalls zum Zeitpunkt des Zugangs der Abmahnung stand dem Kläger ein Unterlassungsanspruch gegen den Beklagten nach § 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 1, § 3 Abs. 1 UWG, § 5a Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 UWG aF zu (vgl. dazu [X.], [X.], 1116 [juris Rn. 38 bis 72] - [X.]). Der Kläger war nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG aF anspruchsberechtigt, weil zwischen den Parteien ein konkretes Wettbewerbsverhältnis bestand (vgl. dazu [X.], [X.], 1116 [juris Rn. 39 bis 43] - [X.]). Die beanstandete Handlung war wegen eines Verstoßes gegen § 2 Abs. 1 [X.] aF rechtswidrig und stellte ein nach § 5a Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 UWG aF unlauteres Verhalten dar (vgl. dazu [X.], [X.], 1116 [juris Rn. 44 bis 72] - [X.]). Es sind keine Umstände vorgetragen oder sonst ersichtlich, aus denen sich bezogen auf den Zeitpunkt der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Parteien in dieser Hinsicht eine geänderte Beurteilung ergeben könnte.

7

2. Im Rahmen der nach § 91a Abs. 1 ZPO zu treffenden Kostenentscheidung nach Billigkeit ist allerdings auch zu berücksichtigen, dass der Kläger die Erledigungserklärung erst nach Erlass des Versäumnisurteils und damit verzögert abgegeben hat (vgl. [X.], Beschluss vom 19. Juni 2007 - [X.] 23/98, [X.], 252 [juris Rn. 11] mwN; [X.], [X.] 2006, 489 [juris Rn. 5] mwN; [X.], Beschluss vom 24. Januar 2011 - 6 U 209/10, juris Rn. 6; [X.], [X.] 2015, 539 [juris Rn. 5] mwN). Als Ausfluss des auch das gesamte Kostenrecht beherrschenden Grundsatzes von Treu und Glauben ist jede Prozesspartei verpflichtet, die Kosten ihrer Prozessführung, die sie im Fall ihres Sieges vom Gegner erstattet verlangen will, so niedrig zu halten, wie sich dies mit der Wahrung ihrer berechtigten Belange vereinbaren lässt (vgl. [X.], Beschluss vom 2. Mai 2007 - [X.] 156/06, [X.], 2257 [juris Rn. 12 f.]; Beschluss vom 31. August 2010 - [X.], [X.], 529 [juris Rn. 10] mwN). Hätte der Kläger die kurz nach der Verkündung des Berufungsurteils am 20. Januar 2022, nämlich im Februar 2022, erfolgte Aufgabe seiner Geschäftstätigkeit unmittelbar mitgeteilt und den Rechtsstreit für erledigt erklärt, hätte er den Anfall der [X.] in der Revisionsinstanz vermeiden können, weshalb es der Billigkeit entspricht, ihm diese durch die verzögerte Abgabe der Erledigungserklärung entstandenen Mehrkosten aufzuerlegen. In Bezug auf die weiteren in der Revisionsinstanz angefallenen Rechtsanwalts- und Gerichtsgebühren kann eine Vermeidbarkeit hingegen nicht angenommen werden, da der Beklagte bereits am 8. Februar 2022 Revision gegen das Berufungsurteil eingelegt hat. Um seine berechtigten Belange angemessen wahren zu können, war der Kläger auch nicht verpflichtet, zur Verringerung der Kosten seine Erledigungserklärung ohne Beauftragung eines Rechtsanwalts zu Protokoll der Geschäftsstelle zu erklären, wie dies § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO zulässt. Ergeht im Falle übereinstimmender Erledigungserklärungen nach § 91a ZPO eine Entscheidung über die Kosten, erfolgt außerdem keine Reduzierung der 5,0 Gerichtsgebühr auf 3,0 (vgl. KV Nr. 1215 der Anlage 1 zum GKG).

8

3. Die durch die Versäumnis veranlassten Kosten hat ebenfalls der Kläger zu tragen, § 344 ZPO.

9

IV. Die Entscheidung über die übrigen Kosten des Rechtsstreits bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

V. Der Streitwert ab Erledigungserklärung beträgt 10.000 €. Da die bis zur Erledigungserklärung entstandenen Kosten den Wert der Hauptsache übersteigen, ist letzterer maßgeblich (vgl. [X.], Beschluss vom 28. Oktober 2014 - [X.], [X.] 2015, 51; [X.]/[X.], ZPO, 34. Aufl., § 3 Rn. 16.67).

Feddersen     

  

Schwonke     

  

Pohl

  

Odörfer     

  

Wille     

  

Meta

I ZR 17/22

12.07.2023

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend BGH, 23. März 2023, Az: I ZR 17/22, Versäumnisurteil

§ 91a Abs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.07.2023, Az. I ZR 17/22 (REWIS RS 2023, 5776)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 5776

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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