Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.06.2011, Az. 4 StR 127/11

4. Strafsenat | REWIS RS 2011, 5917

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Gegenstand

Voraussetzungen für die Anordnung von Sicherungsverwahrung in Übergangsfällen


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 10. Dezember 2010 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit besonders schwerer räuberischer Erpressung, Freiheitsberaubung und vorsätzlicher Körperverletzung, wegen Betrugs und wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu der Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Des Weiteren hat es die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet und eine Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis von fünf Jahren festgesetzt. Hiergegen richtet sich die auf Verfahrensrügen und die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

Die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung kann nicht bestehen bleiben. Zwar hat das [X.] die Unterbringungsanordnung rechtsfehlerfrei auf § 66 Abs. 1 StGB a.F. gestützt und die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. durch die Urteile des [X.]s Traunstein vom 23. Juli 2007 und des [X.]s Göttingen vom 1. Oktober 1998 als erfüllt angesehen. Den Urteilsgründen ist jedoch nicht zu entnehmen, ob nach der am 1. Januar 2011 - nach Verkündung des angefochtenen Urteils - in [X.] getretenen Neufassung der Vorschrift des § 66 Abs. 1 StGB die Voraussetzungen der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ebenfalls erfüllt sind.

3

Durch das [X.] und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 ([X.]) ist u.a. die Bestimmung des § 66 StGB erheblich umgestaltet worden. Gemäß der Übergangsregelung des Art. 316e Abs. 1 [X.] findet, sofern die für die Maßregelanordnung relevanten Anlasstaten vor dem 1. Januar 2011 begangen wurden, zwar grundsätzlich das bisherige Recht Anwendung. Anderes gilt indes dann, wenn nach neuem Recht die rechtlichen Voraussetzungen für eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht mehr gegeben sind. In diesen Fällen ist nach Art. 316e Abs. 2 [X.], der auch in der Revisionsinstanz zu beachten ist (§ 354a StPO), das neue Recht als das mildere Gesetz anzuwenden (vgl. [X.], Urteil vom 27. Januar 2011 - 4 StR 502/10 Rn. 49; Beschluss vom 12. Januar 2011 - 2 StR 642/10 Rn. 2).

4

Nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB n.F. müssen die in formeller Hinsicht für die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung erforderlichen Vorverurteilungen jeweils Straftaten zum Gegenstand haben, die in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a bis c StGB n.F. bezeichnet sind. Diesen Anforderungen genügen die Urteile des [X.]s Traunstein vom 23. Juli 2007 und des [X.]s Göttingen vom 1. Oktober 1998, auf welche sich die [X.] für die Bejahung der formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. gestützt hat, nicht, weil beiden Entscheidungen ausschließlich nicht vom Katalog des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB n.F. erfasste Delikte zu Grunde lagen. Beide Urteile sind nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB n.F. nicht mehr geeignet, formell die Anordnung der Sicherungsverwahrung zu begründen.

5

Als Vorverurteilungen, welche den Voraussetzungen des neuen Rechts entsprechen, kommen nach den Feststellungen allein die Verurteilungen durch das [X.] Schwerin vom 2. Februar 1995 wegen räuberischen Angriffs auf [X.]fahrer in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung und wegen Geiselnahme in zwei Fällen sowie durch das [X.] Berlin vom 11. August 1978 u.a. wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen räuberischer Erpressung in Betracht, wobei das angefochtene Urteil weder die Höhe der Einzelstrafen aus dem Urteil des [X.]s Berlin vom 11. August 1978 mitteilt, noch die jeweiligen [X.] genau feststellt. Die [X.] legen es - wie der [X.] in seinem Verwerfungsantrag im Einzelnen darlegt - allerdings zumindest sehr nahe, dass für die Katalogtaten im Urteil des [X.]s Berlin vom 11. August 1978 eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verhängt wurde und die Verjährungsregelung des § 66 Abs. 4 Satz 3 und 4 StGB n.F. der Berücksichtigung der jeweils abgeurteilten Taten nicht entgegen steht.

6

In materieller Hinsicht hat sich die [X.] aber - der damaligen Rechtslage entsprechend - bei der Feststellung des Hangs neben der neu abgeurteilten Gewalttat zum Nachteil der Eheleute [X.]maßgeblich auf die nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. als Symptomtaten gewerteten Straftaten gestützt, welche den Urteilen des [X.]s Traunstein vom 23. Juli 2007 und des [X.]s Göttingen vom 1. Oktober 1998 zu Grunde lagen, während die Verurteilungen durch das [X.] Berlin vom 11. August 1978 und das [X.] Schwerin vom 2. Februar 1995 in der Gesamtwürdigung des [X.]s nur am Rande und in summarischer Weise Erwähnung finden. Ob das [X.] bei einer Gesamtbewertung, welche insbesondere die nach neuem Recht in formeller Hinsicht zur Begründung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 StGB n.F. allein in Betracht kommenden Taten aus den Urteilen des [X.]s Berlin vom 11. August 1978 und des [X.]s Schwerin vom 2. Februar 1995 in den Blick zu nehmen und damit auf anders gewichteter tatsächlicher Grundlage zu erfolgen hätte, ebenfalls zur Bejahung eines Hangs des Angeklagten gelangt wäre, vermag der Senat den Urteilsgründen mit hinreichender Sicherheit nicht zu entnehmen. Die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung bedarf daher einer neuen tatrichterlichen Verhandlung und Entscheidung.

7

Bei der neuerlichen Prüfung der Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung werden die Anforderungen zu beachten sein, die das [X.] in seinem Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 - für die befristete weitere Anwendung des § 66 StGB alter und neuer Fassung aufgestellt hat (vgl. Rn. 172 der Entscheidung).

Ernemann                                   Roggenbuck                                  Mutzbauer

                           [X.]                                         [X.]

Meta

4 StR 127/11

08.06.2011

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bielefeld, 10. Dezember 2010, Az: 1 KLs 46 Js 525/10 - 25/10 I, Urteil

§ 66 Abs 1 Nr 1 StGB vom 27.12.2003, § 66 Abs 1 S 1 Nr 1 Buchst a StGB vom 22.12.2010, § 66 Abs 1 S 1 Nr 1 Buchst b StGB vom 22.12.2010, § 66 Abs 1 S 1 Nr 1 Buchst c StGB vom 22.12.2010, § 66 Abs 1 S 1 Nr 2 StGB vom 22.12.2010, Art 316e Abs 1 StGBEG, Art 316e Abs 2 StGBEG, SichVNOG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.06.2011, Az. 4 StR 127/11 (REWIS RS 2011, 5917)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5917

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