Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.01.2016, Az. VI ZR 179/15

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 17184

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:260116UVIZR179.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL

VI [X.]/15
Verkündet am:

26. Januar 2016

Holmes

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
[X.] § 17; [X.] § 1, § 9 Abs. 5
a) Die Vorschrift des § 9 Abs. 5 [X.] ist auf Parkplätzen ohne eindeutigen [X.] nicht unmittelbar anwendbar. Mittelbare Bedeutung erlangt sie aber über § 1 [X.].
b) Entsprechend der Wertung des § 9 Abs. 5 [X.] muss sich auch derjenige, der auf einem Parkplatz rückwärts fährt, so verhalten, dass er sein Fahrzeug notfalls sofort anhalten kann.
c) Kollidiert der [X.] mit einem anderen Fahrzeug, so können zugunsten desjenigen, der sich auf ein unfall[X.] Verschulden des [X.]n beruft, die Grundsätze des Anscheinsbeweises zur An-wendung kommen. Steht fest, dass sich die Kollision beim Rückwärtsfahren ereignete, der [X.] zum Kollisionszeitpunkt selbst also noch nicht stand, so spricht auch bei [X.] ein allgemeiner Erfah-rungssatz dafür, dass der [X.] der dargestellten Sorgfalts-pflicht nicht nachgekommen ist und den Unfall dadurch (mit)verursacht hat.
[X.], Urteil vom 26. Januar 2016 -
VI [X.]/15 -
LG [X.]

[X.]
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Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 26.
Januar
2016
durch den Vorsitzenden [X.], die
Richterin von [X.], [X.] und die Richterinnen Dr. [X.] und Müller
für Recht erkannt:
Auf die Revision der
Klägerin
wird das Urteil der
1. Zivilkammer
des [X.]s [X.]
vom 27. Februar
2015
aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:
Die Klägerin
nimmt die [X.] nach einem Verkehrsunfall auf restli-chen Schadensersatz in Anspruch.
Im Dezember 2012 kollidierte
die Beklagte zu 1 mit ihrem bei der [X.] zu 2 haftpflichtversicherten
Pkw mit
dem
Pkw der Klägerin. Der Zusammen-stoß ereignete sich auf dem Kundenparkplatz eines Einkaufszentrums. Mit der Behauptung, die Klägerin treffe eine Mithaftung von
40 %,
regulierte die [X.] zu 2 den am Fahrzeug der Klägerin entstandenen, der Höhe nach unstreiti-gen
Schaden zu 60 %. Die restlichen 40 %, einen Betrag vodie Klägerin -
soweit in der Revisionsinstanz
noch von Interesse
-
mit ihrer Kla-ge geltend.
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Die Klägerin hat behauptet, sie sei zunächst hinter dem Fahrzeug der [X.] zu 1 hergefahren. Diese habe dann versucht, in eine Parklücke ein-zuparken. Sie, die Klägerin, sei dabei mit ihrem Pkw -
quer
zur Parklücke
-
hin-ter
dem Fahrzeug der [X.] zu 1 gestanden. Da es der [X.] zu 1 nicht gelungen sei, ganz in die Parklücke einzufahren, habe diese den Rück-wärtsgang eingelegt und sei aus
der Parklücke rückwärts wieder [X.]. Dabei sei das Fahrzeug der [X.] zu 1 mit demjenigen der Klägerin, das zu diesem Zeitpunkt gestanden habe, kollidiert. Sie, die Klägerin, habe die-sen Unfall nicht vermeiden
können.
Ein Zurücksetzen ihrerseits sei schon [X.] nicht in Betracht gekommen, weil sich hinter ihr ein anderes Fahrzeug be-funden habe;
ein Hupen, um die Beklagte zu 1 auf sich aufmerksam zu ma-chen,
sei ihr
ebenfalls nicht möglich gewesen.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die von der Klägerin dagegen geführte Berufung zurückgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche weiter.

Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht
hat im Wesentlichen
ausgeführt, der Klägerin [X.] aus dem Unfallereignis kein über die bereits erfolgte Regulierung des Scha-dens hinausgehender Schadensersatzanspruch zu. Dies folge aus dem [X.] der gemäß § 17 Abs. 1, 2 [X.] vorzunehmenden Abwägung. [X.] seien dabei im Streitfall allein die -
gleich zu wertenden
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Betriebsgefahren der beiden Fahrzeuge. Ein für den Unfall [X.] Verschulden der [X.] stehe indes nicht fest.
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Auf einen Verstoß der [X.] zu 1 gegen § 9 Abs. 5 [X.] könne sich die Klägerin schon deshalb nicht berufen, weil die Bestimmung auf Unfälle auf einem Parkplatz nicht unmittelbar anwendbar sei. Ein für den Unfall ursächli-cher Verstoß der [X.] zu
1 gegen § 1 [X.] stehe nicht fest. Zwar könne nicht fraglich sein, dass vor dem (Rückwärts-)Ausparken neben dem von der [X.] zu 1 angegebenen Blick über die rechte Schulter auch der Blick un-mittelbar nach hinten und über die linke Schulter erforderlich sei. Das in einem unzureichenden Blick nach hinten liegende Verschulden hätte sich aber nur dann ausgewirkt, wenn bei Beginn des
[X.]s erkennbar gewesen wäre, dass mit dem Ausparken eine Gefährdung des gegnerischen Fahrzeugs
einhergehe
und der [X.] deshalb hätte abgebrochen werden [X.] bzw. gar nicht hätte eingeleitet werden dürfen. Davon könne im Streitfall nicht ausgegangen werden, da nicht feststehe, wo sich das Fahrzeug der Klä-gerin im Zeitpunkt der [X.] (spätestens bei Aufleuchten des Rückscheinwerfers am Fahrzeug der [X.] zu 1) befunden habe und
ob es in Bewegung gewesen sei.
Schließlich nehme die Kammer einen Anscheinsbeweis dafür, dass ein Verschulden des rückwärts [X.] ursächlich für den Unfall gewesen sei, nicht an. Es fehle im Hinblick auf die auf einem Parkplatz bestehenden Be-sonderheiten an einem hierfür erforderlichen typischen Geschehensablauf.
Wenn es beim [X.] zu einem Unfall komme, sei es gerade nicht typisch, dass allein den [X.] ein Vorwurf treffe und der Unfall-gegner den ihm aufzuerlegenden, ebenfalls erhöhten Sorgfaltspflichten genügt habe.
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II.
Das Berufungsurteil
hält
revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
1.
Mit den Erwägungen des Berufungsgerichts lässt sich ein Anspruch der Klägerin auf weiteren Schadensersatz nicht verneinen.
Mit
Erfolg bean-standet die Revision die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Abwägung der beiderseitigen Verursachungs-
und Verantwortungsbeiträge nach § 17 Abs.
1 und 2 [X.].
a) Grundsätzlich ist die Entscheidung über die Haftungsverteilung im Rahmen des § 17 [X.] -
wie im Rahmen des § 254 BGB
-
Sache des Tatrich-ters
und
im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt worden sind (Senatsurteile vom 27. Mai 2014 -
VI [X.], [X.], 894 Rn. 18; vom 7. Februar 2012 -
VI [X.], [X.], 504 Rn. 5 mwN).
Die Abwägung ist aufgrund aller festgestellten, das heißt unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, die
sich auf den Unfall ausgewirkt haben; in erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von [X.], in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; ein Faktor bei der Abwägung ist dabei das beiderseitige Verschulden (Senatsurteile vom 27. Mai 2014 -
VI [X.], aaO, mwN; vom 7. Februar 2012 -
VI
[X.], aaO, mwN). Einer Überprüfung nach diesen Grundsätzen hält die vom Berufungsgericht vorgenommene Abwägung
nicht stand. Auf der Grundlage des im Revisionsverfahren maßgeblichen Sachverhalts kann nicht ausge-schlossen werden, dass in die Abwägung zu Lasten der [X.] ein [X.] der [X.] zu 1 hätte eingestellt werden müssen.

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b)
Im Ausgangspunkt zutreffend geht das Berufungsgericht freilich davon aus, dass ein solches Verschulden nicht aus einem Verstoß der [X.] un-mittelbar gegen § 9 Abs. 5 [X.] hergeleitet werden kann. Die Vorschrift ist auf Parkplätzen ohne eindeutigen [X.] nicht unmittelbar anwendbar
(Senatsurteil vom 15. Dezember 2015 -
VI [X.], Rn. 11).
Mittelbare Bedeu-tung erlangt § 9 Abs. 5 [X.] aber über § 1 [X.]. Entsprechend der Wertung des § 9 Abs. 5 [X.] muss sich auch derjenige, der auf einem Parkplatz rück-wärts fährt, so verhalten, dass er sein Fahrzeug notfalls sofort anhalten kann (Senat aaO).
Kollidiert der [X.] mit einem anderen Fahrzeug, so können zugunsten desjenigen, der sich auf ein unfall[X.] Verschulden des [X.]n beruft, die Grundsätze des Anscheinsbeweises zur Anwendung kommen. Steht fest, dass sich die Kollision beim Rückwärtsfahren ereignete, der [X.] zum Kollisionszeitpunkt selbst also noch nicht stand, so spricht auch bei [X.] ein allgemeiner Erfahrungs-satz dafür, dass der
[X.]
der dargestellten Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen ist und den
Unfall dadurch (mit)verursacht hat (vgl. Senat aaO,
Rn. 14 f.).
c)
Nach diesen -
vom erkennenden Senat erst nach Erlass des Beru-fungsurteils entwickelten
-
Grundsätzen hätte, was der Senat im [X.] überprüfen darf (z.B. Senatsurteile vom 26. März 2013 -
VI [X.], [X.], 1000 Rn. 27; vom 16. März 2010 -
VI [X.], [X.], 627 Rn. 16
mwN),
auf der Grundlage des revisionsrechtlich maßgeblichen Sachver-halts davon ausgegangen werden müssen, dass der Beweis des ersten An-scheins für
ein unfall[X.] Verschulden der [X.] zu 1
spricht.
Denn die Klägerin hat ausweislich der tatbestandlichen Feststellungen des Beru-fungsurteils vorgetragen, die aus der Parklücke rückwärts (wieder) ausfahrende Beklagte zu 1 sei auf das
im Kollisionszeitpunkt
bereits stehende Fahrzeug der Klägerin aufgefahren. Davon abweichende Feststellungen hat das Berufungs-11
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gericht nicht getroffen, weshalb dieser Vortrag im
Revisionsverfahren zu unter-stellen ist.
Umstände, die den Anscheinsbeweis erschüttern, hat das [X.] ebenfalls nicht festgestellt.
2.
Die angefochtene Entscheidung beruht auf dem dargestellten Rechts-fehler (§ 545 Abs. 1 ZPO). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Klägerin mehr als die ihr von der [X.] zu 2 bereits gezahlten 60 % des Schadens zu ersetzen sind, wenn bei der nach § 17 Abs. 1 und 2 [X.] vorzu-nehmenden Abwägung der Verursachungs-
und Verantwortungsbeiträge ein schuldhafter Verstoß der [X.] zu 1 gegen § 1 [X.] berücksichtigt wird.
3. Für das weitere Verfahren und die dabei neu vorzunehmende Abwä-gung der Verursachungs-
und Verantwortungsbeiträge wird auf Folgendes hin-gewiesen:
Das Berufungsgericht wird unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des erkennenden Senats die Frage zu klären haben, ob der [X.] zu 1 ein [X.] zu machen ist, der bei der Abwägung zu Lasten der [X.] zu berücksichtigen wäre. Gegebenenfalls wird sich das Berufungsge-richt auch mit der unabhängig davon zu beurteilenden Frage zu befassen
ha-ben, ob der Unfall auch auf einem Verschulden der Klägerin beruht. Im Hinblick auf ein mögliches Mitverschulden der Klägerin wird zu berücksichtigen sein,

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dass das dafür erforderliche sorgfaltspflichtwidrige Verhalten der Klägerin, sollte es nicht unstreitig sein, ebenfalls positiv festgestellt werden muss.

Galke
von [X.]
[X.]

[X.]
Müller

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 28.02.2014 -
21 [X.] -

LG [X.], Entscheidung vom 27.02.2015 -
1 S 88/14 -

Meta

VI ZR 179/15

26.01.2016

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.01.2016, Az. VI ZR 179/15 (REWIS RS 2016, 17184)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 17184

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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7 U 58/20 (Oberlandesgericht Hamm)


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VI ZR 179/15

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VI ZR 64/09

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