Bundesgerichtshof, Urteil vom 22.06.2021, Az. KZR 72/15

Kartellsenat | REWIS RS 2021, 4774

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Gegenstand

Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung eines Eisenbahninfrastrukturunternehmens: Berücksichtigung der Wertungen der sektorspezifischen Entgeltregulierung; Schadensersatzanspruch eines Eisenbahnverkehrsunternehmens wegen Verstoßes des für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktureinrichtungen maßgeblichen Entgeltsystems gegen das eisenbahnrechtliche Diskriminierungsverbot und das Missbrauchsverbot - Stationspreissystem III


Leitsatz

Stationspreissystem III

1. Bei der Anwendung des Missbrauchsverbots nach Art. 102 AEUV auf das Preisverhalten eines marktbeherrschenden Anbieters von Schieneninfrastruktureinrichtungen sind die Wertungen der sektorspezifischen Entgeltregulierung (hier: § 14 Abs. 5 AEG aF) zu berücksichtigen (Bestätigung von BGH, Urteile vom 29. Oktober 2019 - KZR 39/19, WuW 2020, 209 - Trassenentgelte und vom 1. September 2020 - KZR 12/15, WuW 2021, 119 - Stationspreissystem II).

2. Dem Schadensersatzanspruch eines Eisenbahnverkehrsunternehmens, der sich aus einem Verstoß des für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktureinrichtungen maßgeblichen Entgeltsystems gegen das eisenbahnrechtliche Diskriminierungsverbot und das Verbot eines Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung des Eisenbahninfrastrukturunternehmens ergibt, steht es nicht entgegen, wenn die Bundesnetzagentur dem ihr im Rahmen der Vorabprüfung angezeigten Entgeltsystem nicht widersprochen hat (Bestätigung von BGH, Urteil vom 1. September 2020 - KZR 12/15, WuW 2021, 119 - Stationspreissystem II).

Tenor

Auf die Revision wird das Urteil des 1. Kartellsenats des [X.] vom 23. April 2013 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Beklagte, eine Tochtergesellschaft der [X.], ist ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen im Sinne des § 2 Abs. 1 Allgemeines Eisenbahngesetz ([X.]). Sie unterhält etwa 5.400 Bahnhöfe in [X.]. Die Klägerin, ein Eisenbahnverkehrsunternehmen, nutzt die Bahnhöfe der Beklagten auf der Strecke von [X.] nach Hamburg-Neugraben.

2

Die Beklagte schließt mit Eisenbahnverkehrsunternehmen, die die von ihr vorgehaltene Infrastruktur in Anspruch nehmen wollen, jeweils Rahmennutzungsverträge über die Stationsnutzung ab. Darin nimmt sie hinsichtlich der Höhe der Nutzungsentgelte Bezug auf ihre jeweils gültige Stationspreisliste. Die Einzelnutzungen der Bahnhöfe werden in gesonderten Stationsnutzungsverträgen geregelt.

3

Die Parteien schlossen mit Datum vom 10. und 14. Dezember 2001 einen solchen Rahmenvertrag. Das Entgelt für die Nutzung der Personenbahnhöfe berechnete die Klägerin zunächst nach dem Stationspreissystem 1999 ([X.]), das Einzelpreise für jeden von der Beklagten betriebenen Bahnhof vorsah. Zum 1. Januar 2005 führte die Beklagte ein neues Stationspreissystem ([X.]) ein, dem die Bundesnetzagentur im Rahmen der Vorabprüfung nicht widersprach. Danach wurden die von den zugangsberechtigten Eisenbahnverkehrsunternehmen zu zahlenden Entgelte nach bestimmten Preiskategorien und bezogen auf die jeweiligen Bundesländer pauschal ermittelt. Die Einordnung eines bestimmten Bahnhofs in eine der sechs [X.] richtete sich nach einer Vielzahl von Faktoren, zu denen unter anderem die jeweils nach Fern- und Nahverkehr unterschiedlich gewichtete Anzahl der Reisenden und der Zughalte zählte. Die Klägerin, für die das neue System zu Preiserhöhungen führte, entrichtete die [X.] ab dem 1. Januar 2005 nur noch unter Vorbehalt.

4

Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin Rückzahlung von Teilbeträgen bereits entrichteter Stationsnutzungsentgelte für den Zeitraum von Juni bis Oktober 2006. Sie hat beantragt, die Beklagte zur Zahlung in Höhe von 53.136,54 € zu verurteilen. Das [X.] hat der Klage - unter Abweisung eines Teils des geltend gemachten [X.] - stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr auf Klageabweisung gerichtetes Begehren weiter.

Entscheidungsgründe

5

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

6

I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

7

Der Klägerin stehe nach § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. [X.] ein Anspruch auf Rückzahlung von Teilbeträgen bereits entrichteter Stationsentgelte zu. Die Bestimmung der im streitbefangenen Zeitraum vertraglich geschuldeten Entgelte seitens der Klägerin halte einer Billigkeitskontrolle nach § 315 [X.] nicht stand und sei daher unverbindlich. Eine Überprüfung am Maßstab des § 315 [X.] sei weder durch die Vorschriften des Allgemeinen Eisenbahngesetzes noch durch diejenigen der [X.] ausgeschlossen. Die Klägerin habe die Billigkeit der geforderten Entgelte nicht hinreichend dargelegt. Aus ihrem Vortrag ergebe sich bereits nicht, dass das Stationspreissystem 2005 als solches den gesetzlichen Anforderungen des § 14 Abs. 5 [X.] in der ab dem 3. August 2005 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) entspreche. Es spreche zwar viel dafür, dass ein Kategoriepreismodell für die Bemessung der Stationsnutzungsentgelte nicht grundsätzlich unzulässig sei. Die konkrete Ausgestaltung des [X.] sei jedoch nicht mit der Anforderung vereinbar, einen nicht missbräuchlichen und diskriminierungsfreien Zugang zu den Stationen zu ermöglichen. Zwar bestünden gegen die von der Beklagten vorgetragenen Kriterien der Kategorieeinteilung, insbesondere die hohe Gewichtung des Fernverkehrs und die Bildung einer besonderen Kategorie 4 für S-Bahnhöfe mit einfacher Ausstattung aber hoher Frequentierung, keine grundlegenden Bedenken. Trotz mehrfach ergänztem Vortrag intransparent und nicht nachvollziehbar sei aber die Ermittlung der konkreten Preise für die verschiedenen Kategorien in den einzelnen Bundesländern. Die dargestellte Preisermittlung aus den durch die Anzahl der gewichteten Halte dividierten Gesamtkosten lasse allerdings einen [X.] erkennen, und schlüssig erscheine auch die Zuordnung projektbezogener Zuschüsse der öffentlichen Hand. Die weitere Ableitung der tatsächlichen [X.] im Wege einer "iterativen Simulation" sei indessen sachlich nicht gerechtfertigt und intransparent. Die Beklagte habe eingeräumt, dass die vorgenommene "Preisglättung" nicht rechnerisch darstellbar, sondern ergebnisorientiert vorgenommen worden sei. Dies genüge den gesetzlichen Vorgaben nicht und reiche nicht aus, um ein diskriminierungsfreies System zu begründen. Wähle die Beklagte kein bundesweit einheitliches, sondern hinsichtlich jeder Kategorie länderbezogenes System, erscheine es willkürlich, im Ergebnis Kosten aus einem Bundesland durch Erlöse aus anderen auszugleichen, zumal nicht nur die Herleitung der Anpassung dunkel bleibe, sondern auch das Ergebnis fragwürdig erscheine. So führe die Preisglättung dazu, dass für die von der Klägerin genutzten Kategorien 3 und 5 in [X.] im Jahr 2006 der Erlös der Beklagten mehr als das Doppelte der Kosten betrage. Auch mit dem erklärten Ziel der Beklagten, entsprechend den vorgesehenen jährlichen Steigerungen der Regionalisierungsmittel in keinem Bundesland eine Steigerung von mehr als 1,5 % zu erzielen, sei dies nicht zu rechtfertigen.

8

II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann der mit der Klage verfolgte Zahlungsanspruch nicht bejaht werden.

9

Als rechtsfehlerhaft erweist sich die Annahme des Berufungsgerichts, die von der Beklagten erhobenen Stationsentgelte seien am Maßstab der individuellen vertraglichen Billigkeit im Sinne des § 315 Abs. 3 [X.] zu überprüfen. Wie der [X.] (Urteil vom 9. November 2017 - [X.]/15, [X.] 2018, 74 - [X.]) nach Verkündung des Berufungsurteils ausgesprochen hat, steht die Richtlinie 2001/14/[X.] Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2001 über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn, die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur und die Sicherheitsbescheinigung (im Folgenden: Richtlinie 2001/14/[X.]), insbesondere im Hinblick auf die Vorschriften des Art. 4 Abs. 5 und des Art. 30 Abs. 1, 3, 5 und 6, der Anwendung einer nationalen Regelung wie derjenigen des § 315 [X.] entgegen, die eine - von der durch die Richtlinie vorgesehenen Überwachung durch eine [X.] unabhängige - Überprüfung von [X.] auf ihre Billigkeit im Einzelfall und deren Abänderung durch die Zivilgerichte zulassen. Die vom Gesetz nicht ausdrücklich angeordnete Überprüfung der Trassenentgelte am Maßstab des § 315 [X.] und die gerichtliche Neufestsetzung eines billigen Entgelts haben daher, wie der [X.] bereits mehrfach entschieden hat ([X.], Urteile vom 29. Oktober 2019 - [X.], [X.], 209 Rn. 34 - Trassenentgelte, vom 1. September 2020 - [X.], [X.], 119 = N&R 2021, 56 Rn. 13 f. - [X.]; vom 8. Dezember 2020 - [X.], [X.], 365 Rn. 16 - Stornierungsentgelt II), zu unterbleiben.

III. Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Das Urteil ist daher aufzuheben (§ 562 ZPO) und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).

1. Wie der [X.] für entsprechende Sachverhalte bereits ausführlich begründet hat, ist die Vorschrift des Art. 102 AEUV im Streitfall anwendbar ([X.], [X.], 209 Rn. 28 ff. - Trassenentgelte; [X.], 119 Rn. 18 f. - [X.]). Das Berufungsgericht hat jedoch - von seinem rechtlichen Standpunkt aus folgerichtig - nicht geprüft, ob und inwieweit das [X.] der Klägerin einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung darstellt, die Bestimmung der Stationspreise nach den ebenfalls uneingeschränkt anwendbaren Vorschriften der §§ 134, 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. [X.], § 33 GWB in der seit dem 1. Juli 2005 geltenden Fassung (nachfolgend: aF) (teilweise) unwirksam sind (vgl. [X.], [X.], 119 Rn. 72 - [X.]) und die Klageforderung daher begründet ist. Da das Berufungsgericht hierzu keine umfassenden Feststellungen getroffen hat und der [X.] auf Grundlage des festgestellten Sachverhalts in der Sache auch nicht selbst entscheiden kann, ist sie nicht zur Endentscheidung reif und an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

2. Eine Aussetzung des Revisionsverfahrens in entsprechender Anwendung der Vorschrift des § 148 ZPO ist im Hinblick auf das Vorabentscheidungsersuchen des [X.]s an den [X.] vom 10. Dezember 2020 ([X.], 178 ff.) nicht geboten. Entgegen der Auffassung der Revision stellt sich in diesem Zusammenhang nicht die vom [X.] dem [X.] vorgelegte Frage, ob es mit der Richtlinie 2001/14/[X.] vereinbar ist, wenn ein Zivilgericht "unabhängig von der Überwachung durch die [X.] die Höhe der verlangten Entgelte nach den Maßstäben von Art. 102 AEUV und/oder des nationalen Kartellrechts überprüf[t]".

a) Mit der Anwendung des Missbrauchsverbots nach Art. 102 AEUV sowie der darauf bezogenen Normen des nationalen Rechts durch die Zivilgerichte ergibt sich im Streitfall weder in [X.]rechtlicher noch in verfahrensrechtlicher Hinsicht ein Konflikt mit der Richtlinie 2001/14/[X.].

aa) Ungeachtet des Umstandes, dass es sowohl im [X.]srecht wie auch im nationalen Recht an einem gesetzlich normierten Anwendungsausschluss des Art. 102 AEUV sowie der Vorschriften der §§ 134, 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. [X.], § 33 GWB aF fehlt ([X.], [X.], 209 Rn. 21 ff., 32 ff. - Trassenentgelte; [X.], 119 Rn. 19 ff., 38 - [X.]), ergeben sich in [X.]rechtlicher Hinsicht für die Wahrung eines diskriminierungsfreien Zugangs zur Eisenbahninfrastruktur aus Art. 102 AEUV im Wesentlichen gleichlautende Vorgaben wie aus der Richtlinie 2001/14/[X.]. Darüber hinaus ist anerkannt, dass regulierungsrechtliche Vorgaben bei der Prüfung des Verhaltens eines Infrastrukturunternehmens am Maßstab des Art. 102 AEUV zwingend zu berücksichtigen sind ([X.], [X.], 209 Rn. 44 - Trassenentgelte; [X.], 119 Rn. 34 - [X.]).

bb) In verfahrensrechtlicher Hinsicht lassen sich weder dem [X.]srecht noch dem nationalen Recht Vorschriften entnehmen, nach denen die Zivilgerichte Ansprüche wegen eines Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung eines Eisenbahninfrastrukturunternehmens durch ein bestimmtes Entgelt oder Entgeltsystem nur und erst dann prüfen und zuerkennen dürfen, wenn die [X.] (oder das deren Entscheidungen überprüfende Verwaltungsgericht) das betreffende Entgelt oder Entgeltsystem für nach den Maßstäben des Eisenbahnregulierungsrechts für rechtswidrig befunden hat ([X.], [X.], 209 Rn. 37 - Trassenentgelte; [X.], 119 Rn. 38 ff. - [X.]).

Sollte sich eine solche besondere Zulässigkeitsvoraussetzung für die Erhebung und Sachprüfung einer Schadensersatzklage wegen Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung eines Eisenbahninfrastrukturunternehmens aus der Richtlinie 2001/14/[X.] ableiten lassen, fehlte es jedenfalls an einer entsprechenden Umsetzung durch den nationalen Gesetzgeber. Ein etwaiges Umsetzungsdefizit könnte auch nicht dadurch geheilt werden, dass die Zivilgerichte die maßgeblichen anspruchsbegründenden oder -vernichtenden Normen unangewendet lassen ([X.], [X.], 209 Rn. 38 - Trassenentgelte; [X.], 119, 41 - [X.]). Denn die Verpflichtung der mitgliedstaatlichen Gerichte, das nationale Recht unionsrechtskonform auszulegen, findet nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] ihre Grenze darin, dass sie nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem dienen darf ([X.], Urteile vom 16. Juni 2005 - [X.]/03, [X.]. 2005, [X.] Rn. 47 - [X.]; vom 8. Mai 2019 - [X.]/18, [X.], 1131 Rn. 38 - [X.]; vom 11. September 2019 - [X.]/18, [X.], 1919 Rn. 38 - [X.]; s.a. [X.], Beschluss vom 26. September 2011 - 2 BvR 2216/06, [X.], 669, 670; [X.], Urteil vom 15. Oktober 2019 - [X.], [X.], 2164 Rn. 22; Beschluss vom 31. März 2020 - [X.], [X.], 865 Rn. 12; Urteil vom 18. November 2020 - [X.], NJW 2021, 1008 Rn. 26). Vor diesem Hintergrund kommt eine richtlinienkonforme Auslegung nur nach Maßgabe des nach innerstaatlichem Recht methodisch Erlaubten in Betracht ([X.], [X.], 669, 670; [X.], Urteile vom 7. Mai 2014 - [X.], [X.]Z 201, 101 Rn. 20; vom 28. Juni 2017 - [X.], [X.]Z 215, 126 Rn. 24; vom 26. März 2019 - [X.]/17, [X.]Z 221, 325 Rn. 21).

Die Richtlinie 2001/14/[X.] selbst, die sich an die Mitgliedstaaten richtet, kann den Schadensersatzanspruch eines [X.] weder ausschließen, noch kann sie unmittelbar weitere [X.] oder verfahrensrechtliche Voraussetzungen für seine Geltendmachung und Durchsetzung begründen; insbesondere kann sie keine Beschränkungen vorsehen, die - wie im Streitfall - auf den faktischen Ausschluss eines solchen Anspruchs hinauslaufen. Auch wenn eine Richtlinie unter bestimmten Umständen unmittelbare Ansprüche eines Privaten gegen den Staat begründen vermag, kann sie entsprechend der Kompetenzordnung der [X.] weder Verpflichtungen Privater begründen noch ihnen Ansprüche nehmen, die ihnen das nationale Recht einräumt ([X.], [X.], 209 Rn. 38 - Trassenentgelte, mwN).

b) Die Zuerkennung von kartellzivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen dient zudem in [X.]rechtlicher Hinsicht der zumindest teilweisen Herstellung eines primärrechts- und richtlinienkonformen Zustands. Dies beruht darauf, dass die [X.] zum maßgeblichen Zeitpunkt zu einer substantiellen Kontrolle der Stationsnutzungsentgelte auf ihre Kostenorientierung und ihre nicht diskriminierende Ausgestaltung nicht in der Lage war ([X.], N&R 2021, 56 Rn. 36, 41 - [X.]). Insofern können zivilrechtliche Ansprüche auch im Hinblick auf das [X.] und zentrale Kriterium für die Berechnung und Erhebung der Wegeentgelte, allen Eisenbahnverkehrsunternehmen einen gleichen und nicht diskriminierenden Zugang zu bieten und den Bedürfnissen aller Nutzer und Verkehrsarten soweit wie möglich gerecht und in nicht diskriminierender Weise zu entsprechen ([X.], [X.] 2018, 74 Rn. 46 f. - [X.]; [X.], Beschluss vom 19. Januar 2019 - [X.], [X.], 470 - Stationspreissystem I), nicht mit der Begründung verneint werden, die Klägerin habe es versäumt, bei der [X.] nach § 14f Abs. 2 [X.] aF eine Überprüfung der Stationsentgelte anzuregen (vgl. auch [X.], N&R 2021, 56 Rn. 41 - [X.]). Eine behördliche Kontrolle ist auch nicht nachholbar, weil der [X.] eine nachträgliche und damit rückwirkende Regulierung aus Rechtsgründen ([X.], [X.], 119 Rn. 37 - [X.]), aber auch faktisch aufgrund der Vielzahl der bereits vollständig abgewickelten Vertragsbeziehungen und der durch den Zeitablauf weiter erschwerten Ermittlung der Entgeltbemessungsgrundlagen nicht möglich ist.

IV. Im wiedereröffneten [X.] wird das Berufungsgericht die gebotene Prüfung nach Art. 102 AEUV, §§ 134, 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. [X.], § 33 GWB aF nachzuholen haben. Dabei wird es Folgendes zu berücksichtigen haben:

1. Die Beklagte ist Normadressatin des Missbrauchsverbots nach Art. 102 AEUV. Daran bestehen im Streitfall keine Zweifel (vgl. bereits [X.], N&R 2021, 56 Rn. 42, 49 - [X.]).

2. Das Berufungsgericht wird die Bemessung der von den Eisenbahnverkehrsunternehmen nach dem Stationspreissystem 2005 zu zahlenden Stationsnutzungsentgelte, welche es bereits mit [X.] - und im [X.] mit der Beurteilung der [X.] in ihrem im Urteil des [X.]s vom 1. September 2020 (N&R 2021, 56 Rn. 58 f. - [X.]) erörterten Bescheid vom 10. September 2010 (Anlage [X.]) übereinstimmenden - Erwägungen als in Widerspruch zu § 14 Abs. 5 [X.] aF stehend bewertet hat, auch als Missbrauch dieser marktbeherrschenden Stellung ansehen können.

Die Anwendung eines keinen rationalen Kriterien folgenden und in sich unschlüssigen Preissystems, das die untereinander im Wettbewerb stehenden Nutzer einer unentbehrlichen Infrastruktur infolge dieses Preissystems unterschiedlichen Zugangsbedingungen für die Infrastrukturnutzung unterwirft, stellt eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung dieser Nutzer im Sinne des Art. 102 Abs. 2 Buchst. [X.] dar. Dies gilt auch für die unterschiedliche Behandlung von Eisenbahnverkehrsunternehmen bei der Anwendung eines Preissystems für die Eisenbahninfrastrukturnutzung (näher: [X.] [X.], 119 Rn. 51 ff., 63 f. - [X.]). Mit ausführlichen und zutreffenden Erwägungen, die auch von der Revision unbeanstandet geblieben sind, hat das Berufungsgericht angenommen, das Stationspreissystem 2005 stehe im Widerspruch zu den Entgeltbestimmungen des § 14 Abs. 5 [X.] aF. Die Ermittlung der konkreten Preise für die verschiedenen Kategorien des Preissystems seien weder transparent noch nachvollziehbar. Insbesondere ein Kostenausgleich zwischen den Bundesländern erscheine willkürlich. Die erfolgte Preisglättung sei rechnerisch nicht nachvollziehbar, sondern vielmehr ergebnisorientiert vorgenommen worden, was die Beklagte eingestanden habe. Das Berufungsgericht hat daraus zutreffend abgeleitet, dass die Beklagte damit ihrer Verpflichtung nicht entsprochen habe, der Klägerin einen nicht missbräuchlichen und diskriminierungsfreien Zugang zur Infrastruktur zu gewähren. Auf Grundlage dieser Feststellungen wird das Berufungsgericht dieses - bereits gegen Entgeltvorschriften des Allgemeinen Eisenbahnrecht verstoßende - [X.] auch als einen Missbrauch nach Art. 102 AEUV qualifizieren können (vgl. bereits [X.], N&R 2021, 56 Rn. 58 f. - [X.]).

3. Für die sich danach gegebenenfalls anschließende Prüfung, ob und in welcher Höhe die von der Klägerin gezahlten Entgelte von denjenigen abweichen, die ohne ein missbräuchliches Verhalten der Beklagten vereinbart worden wären, wird sich das Berufungsgericht mangels anderweitiger geeigneter Anhaltspunkte auf die in der Vergangenheit auf Basis des Stationspreissystems 99 in Rechnung gestellten Entgelte stützen können ([X.], N&R 2021, 56 Rn. 73 ff. - [X.]).

[X.]     

      

Tolkmitt     

      

[X.]

      

Rombach     

      

Allgayer     

      

Meta

KZR 72/15

22.06.2021

Bundesgerichtshof Kartellsenat

Urteil

Sachgebiet: False

vorgehend BGH, 28. September 2016, Az: KZR 72/15, Beschluss

Art 102 AEUV, § 33 GWB 2005, § 14 Abs 5 aF AEG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 22.06.2021, Az. KZR 72/15 (REWIS RS 2021, 4774)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 4774

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XI ZR 198/19

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IV ZR 76/11

IV ZR 440/14

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