Bundessozialgericht, Urteil vom 08.12.2022, Az. B 8 SO 11/20 R

8. Senat | REWIS RS 2022, 9643

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Sozialhilfe - Hilfe zum Lebensunterhalt - notwendiger Lebensunterhalt in Einrichtungen - weiterer notwendiger Lebensunterhalt - Passbeschaffungskosten - Darlehen - Ausweisersatz


Leitsatz

1. Die Kosten für die Beschaffung eines ausländischen Passes sind von Leistungsberechtigten in stationären Einrichtungen nicht aus dem Barbetrag zu decken, sondern vom Sozialhilfeträger als weiterer notwendiger Lebensunterhalt zu übernehmen.

2. Die Deckung von aktuellen Bedarfen des Lebensunterhalts durch die Bewilligung eines Darlehens scheidet für Leistungsberechtigte in Einrichtungen aus.

Tenor

Auf die Revision des [X.] werden die Urteile des [X.] vom 16. März 2020 und des [X.] vom 16. Juli 2013 sowie der Bescheid des Beklagten vom 6. Dezember 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. März 2013 aufgehoben und der Beklagte verurteilt, dem Kläger unter Abänderung des Bescheids vom 25. Juli 2012 211 Euro zu zahlen.

Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des [X.] in allen Rechtszügen.

Tatbestand

1

Der Kläger, der in einer stationären Einrichtung lebt, begehrt die Übernahme der Kosten für die Beschaffung eines Passes in Höhe von 211 Euro als Zuschuss.

2

Der 1978 geborene und unter Betreuung stehende Kläger ist [X.] Staatsangehöriger. Seit 1998 war er im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, seit dem 1.1.2005 einer Niederlassungserlaubnis. Er leidet an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis, lebte zunächst in [X.] und seit 2008 in [X.] in einer Außenwohngruppe eines Wohnheims. Er bezieht seit 2004 durchgehend Leistungen der stationären Eingliederungshilfe einschließlich eines monatlichen [X.] in Höhe von rund 100 Euro vom Beklagten, ua bewilligt für den Zeitraum vom 1.6.2012 bis zum [X.] (Bescheid vom 25.7.2012).

3

Im Oktober 2012 beantragte er beim Beklagten die Übernahme von [X.] in Höhe von zunächst 162 Euro. Der Beklagte bewilligte ein Darlehen und lehnte einen Zuschuss ab (Bescheid vom 6.12.2012; Widerspruchsbescheid vom [X.]). Der Kläger beschaffte sich im April 2013 den Pass und konkretisierte die angefallenen Kosten auf 211 Euro (Rechnung vom 11.4.2013). Das Darlehen in dieser Höhe wurde durch einen vom Beklagten vorgenommenen monatlichen Einbehalt aus dem Barbetrag getilgt.

4

Die Klage gegen die Ablehnung des Zuschusses hat keinen Erfolg gehabt (Urteil des Sozialgerichts [X.] vom 16.7.2013; Urteil des Landessozialgerichts <[X.]> Nordrhein-Westfalen vom 16.3.2020). Zur Begründung hat das [X.] ausgeführt, das [X.] - ([X.]) sehe einen Anspruch auf zuschussweise Übernahme von Beschaffungskosten für einen [X.] Pass nicht vor. Eine Übernahme der [X.] als weiterer notwendiger Lebensunterhalt oder durch Erhöhung des [X.] komme nicht in Betracht. Zwar enthalte § 27b Abs 2 [X.] eine Öffnungsklausel, die eine abweichende Bedarfsbemessung erlaube und [X.] seien grundsätzlich dem weiteren notwendigen Lebensunterhalt iS des § 27b Abs 2 [X.] zuzuordnen, jedoch falle der Bedarf schon nicht notwendig an, da der Kläger auf die Beantragung eines Ausweisersatzes verwiesen werden könne. Als (sonstiger) weiterer notwendiger Lebensunterhalt sei außerdem allenfalls dasjenige zu leisten, was außerhalb stationärer Leistungen als Teil des Regelsatzes gewährt würde, dazu zähle aber der Bedarf für die [X.] gerade nicht, andernfalls würden Leistungsberechtigte in Einrichtungen begünstigt.

5

Mit seiner Revision macht der Kläger eine Verletzung von § 27b Abs 2 [X.] geltend. Er erhalte in der Einrichtung keinen Regelsatz zur Deckung des Regelbedarfs; im Barbetrag seien [X.] nicht berücksichtigt. Die Beschaffung eines Ausweisersatzes sei nicht möglich, denn die allgemeinen Gebühren für die [X.] führten nicht zur Unzumutbarkeit der Passerlangung (§ 5 Abs 2 [X.] ).

6

Der Kläger beantragt,
die Urteile des [X.] vom 16. März 2020 und des Sozialgerichts [X.] vom 16. Juli 2013 sowie den Bescheid des Beklagten vom 6. Dezember 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. März 2013 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm unter Abänderung des Bescheids vom 25. Juli 2012 211 Euro zu zahlen.

7

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Er hält die Entscheidungen der Vorinstanzen für zutreffend.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ). Die Urteile des [X.] vom 16.3.2020 und des [X.] vom 16.7.2013 sowie der Bescheid des Beklagten vom 6.12.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] sind rechtswidrig und verletzen den [X.]läger in seinen Rechten. Zu Unrecht hat es der Beklagte abgelehnt, den Bescheid vom [X.] wegen einer wesentlichen Änderung im April 2013 abzuändern. Der [X.]läger hat einen Anspruch auf Übernahme der [X.] in Höhe von 211 Euro, die ihm als weiterer notwendiger Lebensunterhalt zuschussweise zustehen.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 6.12.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] (§ 95 SGG; abweichend von § 116 Abs 2 [X.] ohne beratende Beteiligung sozial erfahrener Dritter, vgl § 8 Abs 2 [X.] zum [X.] <[X.]/[X.]> vom 20.12.2004 ), mit dem der Beklagte nicht nur die Übernahme von [X.] als Zuschuss abgelehnt und lediglich ein Darlehen bewilligt, sondern in der Sache auch die zuvor konkludent beantragte Abänderung des Bescheids vom [X.] abgelehnt hat. Den geltend gemachten Anspruch auf Übernahme der [X.] unter Abänderung des Bescheids vom [X.] wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse verfolgt der [X.]läger nach vollständiger Tilgung des erhaltenen Darlehens mit seiner [X.]lage, die von Beginn an als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Alt 1 und 2, Abs 4, § 56 SGG) auszulegen war. Entsprechend hat der [X.]läger im Revisionsverfahren seinen Antrag klargestellt (vgl zur Auslegung von Anträgen nach den §§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch und nach dem [X.] vom [X.] [X.] 10/19 R - [X.] 4-1500 § 88 [X.] RdNr 9; BSG vom 10.11.2011 - [X.] [X.] 18/10 R - [X.] 4-3500 § 44 [X.] Rd[X.]3; BSG vom 10.3.1994 - 7 [X.]/93 - [X.], 77 = [X.] 3-4100 § 104 [X.] mwN).

Der angefochtene Bescheid ist formell rechtmäßig. Der Beklagte ist der für die begehrte Leistung - und damit auch für eine Abänderung des Dauerverwaltungsakts vom [X.] (§ 48 Abs 4 Satz 1, § 44 Abs 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - ) - sachlich und örtlich zuständige Sozialhilfeträger. Die sachliche Zuständigkeit des Beklagten als überörtlicher Träger der Sozialhilfe 97 Abs 2 bis 4 [X.]; § 1 Abs 1 Satz 2 [X.]/[X.]) ergibt sich nach den Feststellungen des [X.] aus dem Fehlen abweichender Regelungen im [X.] Landesrecht (vgl § 97 Abs 3 [X.] [X.]); die sachliche Zuständigkeit für eine stationäre Leistung umfasst auch die sachliche Zuständigkeit für gleichzeitig zu erbringende Leistungen nach anderen [X.]apiteln des [X.] (§ 97 Abs 4 [X.]). Vor dem erstmaligen Eintritt in eine Einrichtung hatte der [X.]läger nach den Feststellungen des [X.] seinen gewöhnlichen Aufenthalt in [X.], weshalb der Beklagte als örtlich zuständiger Sozialhilfeträger auch für die Leistungserbringung in [X.] zuständig ist 98 Abs 2 Satz 1 und 2 [X.]).

Materiell-rechtlich misst sich die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 6.12.2012 an § 48 SGB X. Nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Er soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse ua aufgehoben werden, soweit die Voraussetzungen des Abs 1 Satz 2 vorliegen. Eine solche Änderung in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen des Bescheids vom [X.] ist mit der Fälligkeit der [X.]osten für die [X.] eingetreten. Mit den vom Heimatland erhobenen Gebühren für die Ausstellung eines neuen Passes ist im April 2013 ein weiterer Bedarf in Höhe von 211 Euro entstanden. Da dieser Bedarf vom [X.]läger entgegen der Auffassung des Beklagten nicht aus den bereits bindend für die [X.] bis zum [X.] bewilligten Mitteln zu decken war, sondern ein Anspruch auf seine gesonderte Deckung besteht, ist eine Änderung zugunsten des [X.] erfolgt (Fall des § 48 Abs 1 Satz 2 [X.] X).

Anspruchsgrundlage für die Übernahme der Passkosten ist § 19 Abs 1, § 27b Abs 1, Abs 2 Satz 1 [X.] (jeweils in der ab 1.1.2011 geltenden Fassung des [X.] [X.] und zur Änderung des [X.] und [X.] vom 24.3.2011, [X.]). Der [X.]läger lebt auf Grundlage der bindenden Feststellungen des [X.] dauerhaft im [X.] in einer stationären Einrichtung (vgl § 13 Abs 2 [X.]); für ihn als Inhaber einer Niederlassungserlaubnis (§ 101 Abs 1 [X.] <[X.]>) kommt damit das [X.] uneingeschränkt zur Anwendung (vgl § 23 Abs 1 Satz 4 [X.]). Der Anwendungsbereich des § 73 [X.] ist nicht eröffnet, weil wegen der [X.]osten für die [X.] bei Ausländern keine atypische Bedarfslage gegeben ist. Zwar erhält der [X.]läger selbst keinen Regelsatz zur Deckung der Regelbedarfe; denn Leistungen nach dem Vierten [X.]apitel bzw nach § 27a [X.] scheiden für Leistungsberechtigte in stationären Einrichtungen aus (dazu sogleich). Es handelt sich bei [X.] gleichwohl um [X.]osten, die dem Regelbedarf zuzuordnen sind (vgl BSG vom 29.5.2019 - [X.] [X.] 8/17 R - [X.] 4-4200 § 24 [X.] Rd[X.]4; BSG vom 29.5.2019 - [X.] [X.] 14/17 R - FEVS 71, 221) und die deshalb dem [X.] (hier als notwendiger Lebensunterhalt in Einrichtungen) und nicht dem [X.] [X.]apitel des [X.] unterfallen.

Nach § 19 Abs 1 [X.] ist Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem [X.] Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen [X.]räften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können. Für den [X.]läger, der auf Grundlage der Feststellungen des [X.] einkommens- und vermögenslos ist, bestehen Ansprüche auf notwendigen Lebensunterhalt in Einrichtungen, der den darin erbrachten sowie in stationären Einrichtungen zusätzlich den weiteren notwendigen Lebensunterhalt umfasst (§ 27b Abs 1 Satz 1 [X.]). Nach § 27b Abs 2 Satz 1 [X.] beinhaltet der weitere notwendige Lebensunterhalt insbesondere [X.]leidung und einen angemessenen Barbetrag zur persönlichen Verfügung; wegen der fehlenden Verweisung in § 42 [X.] werden diese Bedarfe auch ggf dem Grunde nach Grundsicherungsberechtigten als Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt, nicht als solche der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach §§ 41 ff [X.] gewährt (vgl BSG vom 15.11.2012 - [X.] [X.] 25/11 R - [X.] 4-3500 § 35 [X.] Rd[X.]3 mwN; [X.] in [X.]/[X.], [X.], [X.] § 42 Rd[X.]5, Stand Februar 2022).

Die allgemein vom Heimatland erhobenen Gebühren für die Ausstellung eines neuen Passes sind nicht dem sog inkludierten Lebensunterhalt (§ 27b Abs 1 Satz 1 [X.]), sondern dem weiteren notwendigen Lebensunterhalt iS von § 27b Abs 1, Abs 2 Satz 1 [X.] zuzuordnen, weil die Einrichtung [X.]osten für den Pass nicht erbringt. Der Bedarf an notwendigem Lebensunterhalt als in die stationäre Leistung eingeschlossener Bedarf gemäß § 27b Abs 1 Satz 1 [X.] entspricht als Rechenposten insgesamt dem Umfang der Leistungen der Grundsicherung nach § 42 [X.], 2 und 4 [X.] (idF des Gesetzes zur Änderung des [X.] vom 20.12.2012, [X.] 2783, vgl BSG vom [X.] - [X.] [X.] 16/19 R - [X.], 41 = [X.] 4-3500 § 27b [X.], Rd[X.]1). Wie oben dargestellt, gehören die [X.]osten für Ausweispapiere zwar zum Regelbedarf iS des § 42 [X.] iVm § 28 [X.] (vgl BSG vom 29.5.2019 - [X.] [X.] 8/17 R - [X.] 4-4200 § 24 [X.] Rd[X.]4; BSG vom 29.5.2019 - [X.] [X.] 14/17 R - FEVS 71, 221) und fließen damit in den "Rechenposten" ein. Vom inkludierten Lebensunterhalt sind im Einzelfall aber nur solche Bedarfe für den Lebensunterhalt abgedeckt, die die Einrichtung tatsächlich erbringt. Dies gilt unabhängig davon, ob - was wegen der Passkosten allerdings ausscheidet - die Einrichtung zur Erbringung solcher Leistungen verpflichtet wäre (dazu BSG vom 23.8.2013 - [X.] [X.] 17/12 R - [X.], 147 = [X.] 4-3500 § 92a [X.], Rd[X.]0-41).

Der vom inkludierten Lebensunterhalt zu unterscheidende weitere notwendige Lebensunterhalt in stationären Einrichtungen, der dem Leistungsberechtigten im Grundsatz als Geldleistung ausgezahlt wird, umfasst insbesondere [X.]leidung und einen angemessenen Barbetrag zur persönlichen Verfügung (§ 27b Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 [X.]). Die Formulierung "insbesondere" in § 27b Abs 2 Satz 1 [X.] macht deutlich, dass es sich bei Bekleidung und angemessenem Barbetrag nicht um eine abschließende Aufzählung, sondern lediglich um Beispiele handelt (BSG vom 11.12.2007 - [X.]/9b [X.] 22/06 R - [X.] 4-3500 § 35 [X.] Rd[X.]3). Mit dem weiteren notwendigen Lebensunterhalt im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt in stationären Einrichtungen ist grundsätzlich alles gemeint, was nicht bereits Teil des in der Einrichtung erbrachten notwendigen Lebensunterhalts nach § 27b Abs 1 [X.] und nicht vom Barbetrag (und den [X.]osten für [X.]leidung, jetzt Bekleidungspauschale) zu decken ist. Umfasst sind damit alle anderen aktuellen Bedarfe, die ohne die stationäre Unterbringung als Hilfe zum Lebensunterhalt zu leisten wären und von der Einrichtung selbst nicht erbracht werden (vgl bereits BSG vom 15.11.2012 - [X.] [X.] 25/11 R - [X.] 4-3500 § 35 [X.] Rd[X.]4; BSG vom 23.8.2013 - [X.] [X.] 17/12 R - [X.], 147 = [X.] 4-3500 § 92a [X.], Rd[X.]9; [X.] in BeckO[X.] Sozialrecht, § 27b Rd[X.], Stand 1.12.2021; [X.] in LP[X.]-[X.], 12. Aufl 2020, § 27b Rd[X.]0).

Die [X.] sind nicht dem Barbetrag zuzuordnen. Die jeweiligen Zwecke des [X.] und des Regelsatzes sind verschieden. Der Barbetrag dient (nur) der Erfüllung persönlicher Bedürfnisse neben den in der Einrichtung selbst erbrachten Leistungen und ist als "kleines Spiegelbild" derjenigen Bedarfsteile, die überhaupt in den Deckungsbereich der stationären Einrichtung fallen, kein Auffangbecken für alle weiteren Bedarfe des Lebensunterhalts (vgl BSG vom 23.8.2013 - [X.] [X.] 17/12 R - [X.], 147 = [X.] 4-3500 § 92a [X.], Rd[X.]6). Er deckt die Bedarfe, die persönlichen Bedürfnissen entspringen, die im Rahmen einer freien und selbstgestalteten und -bestimmten Lebensführung entstehen. Er wird in Einrichtungen gezahlt, um dem Hilfebedürftigen so ein Mindestmaß an Selbstbestimmung zu belassen (vgl zum Ganzen BSG vom [X.] - [X.] [X.] 16/19 R - [X.], 41 = [X.] 4-3500 § 27b [X.], Rd[X.]5 ff; [X.], jurisPR-[X.] 25/2021 [X.]). Zu solchen persönlichen Bedürfnissen gehört die regelmäßig notwendig werdende Beschaffung von Ausweispapieren nicht.

Da der geltend gemachte Bedarf "[X.]" in den Bereich des sozialhilferechtlich relevanten Regelbedarfs fällt (vgl BSG vom 29.5.2019 - [X.] [X.] 8/17 R - [X.] 4-4200 § 24 [X.] Rd[X.]4; BSG vom 29.5.2019 - [X.] [X.] 14/17 R - FEVS 71, 221), vom Barbetrag jedoch nicht erfasst wird, ist er für Hilfebedürftige in Einrichtungen als im Einzelfall weiterer notwendiger Lebensunterhalt im Rahmen des § 27b Abs 2 [X.] zu leisten (vgl BSG vom [X.] - [X.] [X.] 16/19 R - [X.], 41 = [X.] 4-3500 § 27b [X.], Rd[X.]1). Dies ist Ausfluss des Bedarfsdeckungsprinzips, wonach auch in stationären Einrichtungen ein Anspruch darauf besteht, dass der individuell notwendige Bedarf zum Lebensunterhalt umfassend sichergestellt wird. Dabei handelt es sich nicht nur um laufende Bedarfe, wie der Hinweis auf § 31 [X.] zeigt (vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/Busse, [X.], 21. Aufl 2023, § 27b Rd[X.]9).

Die Deckung von aktuellen Bedarfen des Lebensunterhalts durch die Bewilligung eines Darlehen scheidet für Leistungsberechtigte in Einrichtungen - von dem in § 38 [X.] gesetzlich geregelten Ausnahmefall abgesehen - dabei aus. Im Barbetrag als laufende Geldleistung an den Leistungsberechtigten in Einrichtungen sind keine Ansparbeträge eingestellt, über die er einerseits Beträge für die Deckung einmalig anfallender Bedarfe ansparen müsste und aus denen er andererseits durch Einbehalt von der Regelleistung Rückzahlungen für ein Darlehen bestreiten könnte (vgl bereits BSG vom [X.] - [X.] [X.] 16/19 R - [X.], 41 = [X.] 4-3500 § 27b [X.], Rd[X.]3 f). Die gesetzgeberische [X.]onzeption, wonach bei vorübergehenden Spitzen eines vom Regelbedarf umfassten Bedarfs (nur) die Gewährung eines Darlehens nach § 37 Abs 1 [X.] in Betracht kommt, trägt aber nur dort, wo Leistungsberechtigte die Mittel, die auf der statistischen Ermittlung des Regelbedarfs beruhen, zur Bedarfsdeckung eigenverantwortlich ausgleichen und ansparen können (im Einzelnen zuletzt BSG vom 19.5.2022 - [X.] [X.] 1/21 R - Rd[X.]8 ff; zur Veröffentlichung in [X.] und [X.] vorgesehen). Deckt der Barbetrag, dessen Höhe nicht auf einer nachvollziehbaren Bedarfsermittlungsmethode beruht (vgl BSG vom [X.] - [X.] [X.] 16/19 R - [X.], 41 = [X.] 4-3500 § 27b [X.], Rd[X.]5), aber statistisch keine Ansparmöglichkeiten ab, darf der Leistungsberechtigte nicht auf ein Darlehen verwiesen werden.

Der mit der Fälligkeit der Rechnung im April 2013 angefallene Bedarf ist im [X.] zu berücksichtigen. Es handelt sich auch um einen notwendigen, unabweisbaren Bedarf. Der [X.]läger hätte der Ausweispflicht insbesondere nicht durch einen Ausweisersatz iS des § 48 Abs 2 [X.] genügen können. Es lag im Hinblick auf die Tragung der allgemeinen Gebühren des passausstellenden Staates keine Unzumutbarkeit der Passerlangung iS von § 48 Abs 2 [X.] vor.

Voraussetzung für die Ausstellung eines Ausweisersatzes nach § 48 Abs 2 [X.] ist, dass der Ausländer einen Pass seines [X.] nicht auf zumutbare Weise erlangen kann (vgl auch § 55 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.]). Eine Unzumutbarkeit, sich um die Ausstellung eines Nationalpasses des Heimatstaates zu bemühen, ist nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung im Hinblick auf den ordnungsrechtlichen Hintergrund und mit der Ausstellung eines Passes verbundenen Eingriff in die [X.] eines anderen Staates nur in Ausnahmefällen gegeben. Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Ausländerbehörde den Ausländer vorrangig auf die Ausstellung eines Passes durch seinen Heimatstaat verweist (vgl [X.] vom 14.1.2022 - 10 C 21.3219 -, vom 25.11.2021 - 19 [X.] - RdNr 55 und vom 28.12.2020 - 10 [X.]; [X.] vom [X.] - 8 LB 97/20 - Rd[X.]7 - [X.] 2021, 346; OVG Nordrhein-Westfalen vom 17.5.2016 - 18 A 951/15 - NVwZ-RR 2016, 678). Nach § 5 Abs 2 [X.] [X.] gilt es insbesondere als zumutbar, für behördliche Maßnahmen die vom Herkunftsstaat allgemein festgelegten Gebühren zu zahlen. Der [X.] hat allerdings darauf hingewiesen, dass an der Zumutbarkeit der Beschaffung eines Passes für Empfänger von Sozialhilfe wegen der damit verbundenen [X.]osten, jedenfalls soweit sie die allgemein vom Heimatland erhobenen Gebühren erheblich übersteigen, Zweifel bestehen, weil eine zuschussweise Gewährung von Leistungen nach dem [X.] ausscheidet (vgl BSG vom 29.5.2019 - [X.] [X.] 8/17 R - [X.] 4-4200 § 24 [X.] Rd[X.]9 ff). Unabhängig davon, ob dies auch gilt, wenn nur vergleichsweise geringe [X.]osten darlehensweise abgedeckt werden müssten, liegt die beschriebene [X.]onstellation bei Leistungsberechtigten in Einrichtungen gerade nicht vor. Leistungsberechtigte in Einrichtungen können - anders als Leistungsberechtigte außerhalb von Einrichtungen - die [X.] (zuschussweise) als Teil des weiteren notwendigen Lebensunterhalts verlangen und zumutbar zur [X.] einsetzen. Es liegt mit der zitierten Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte also kein Fall nach § 48 Abs 2 [X.] vor. Die Auffassung des [X.], Leistungsberechtigte in Einrichtungen würden damit im Ergebnis besser gestellt als Leistungsberechtigte außerhalb von Einrichtungen, ist nicht zutreffend. Die Sachverhalte sind aufgrund der unterschiedlichen Struktur von weiterem notwendigen Lebensunterhalt, der die Gewährung von Darlehen ausschließt, und Regelsatz nicht vergleichbar.

Die [X.]ostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

[X.]rauß                Bieresborn                [X.]

Meta

B 8 SO 11/20 R

08.12.2022

Bundessozialgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: SO

vorgehend SG Aachen, 16. Juli 2013, Az: S 20 SO 66/13, Urteil

§ 19 Abs 1 SGB 12, § 27b Abs 1 S 1 SGB 12 vom 24.03.2011, § 27b Abs 2 S 1 SGB 12 vom 24.03.2011, § 37 Abs 1 SGB 12, § 48 Abs 2 AufenthG 2004, § 55 Abs 1 S 1 Nr 1 AufenthV

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 08.12.2022, Az. B 8 SO 11/20 R (REWIS RS 2022, 9643)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 9643

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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