Bundesfinanzhof, Beschluss vom 23.05.2016, Az. X B 174/15

10. Senat | REWIS RS 2016, 11073

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Gegenstand

Verfrüht erhobene Untätigkeitsklage


Leitsatz

1. NV: Eine Untätigkeitsklage ist unzulässig, wenn das FA nicht nur einen zureichenden Grund für die vorläufige Nichtbescheidung des Einspruchs hat, sondern dem Steuerpflichtigen diesen Grund auch vor der Klageerhebung mitteilt.

2. NV: Das Rechtsmittelgericht darf die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Untätigkeitsklage ohne Bindung an die Tatsachenfeststellungen des FG selbst prüfen.

3. NV: Ein kurz bevorstehender Erörterungstermin in einem vor dem FG anhängigen Klageverfahren ist als zureichender Grund anzusehen, vorläufig nicht über Einsprüche zu entscheiden, die dieselbe Frage für andere Besteuerungszeiträume betreffen.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 3. September 2015  15 K 15060/15 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wurde in den Streitjahren 2012 und 2013 mit seiner [X.]hefrau ([X.]) zur [X.]inkommensteuer [X.]. [X.]r erzielt aus einem [X.]inzelunternehmen sowie aus mehreren mitunternehmerischen Beteiligungen [X.]inkünfte aus Gewerbebetrieb, ferner erzielen beide [X.]heleute u.a. [X.]inkünfte aus Kapitalvermögen.

2

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) erließ am 26. bzw. 27. August 2014 die [X.]inkommensteuerbescheide 2012 und 2013. In beiden Jahren ließ es die vom Kläger erklärten Betriebsausgaben für das [X.]inzelunternehmen zum größten Teil nicht zum Abzug zu und schätzte die Betriebsausgaben auf jeweils 83,84 % der [X.]innahmen. Damit folgte es dem [X.]rgebnis einer für das [X.] durchgeführten Außenprüfung, die große Teile des geltend gemachten [X.] wegen Verquickung mit dem Privatbereich beanstandet und letztlich Betriebsausgaben im Umfang von 83,84 % der dort erklärten [X.]innahmen zum Abzug zugelassen hatte. Dieses [X.]rgebnis hatte das [X.] auch auf das Folgejahr 2011 übertragen.

3

Mit seinen am 7. September 2014 eingelegten [X.]insprüchen gegen die [X.]inkommensteuerbescheide 2012 und 2013 wandte sich der Kläger zum einen gegen die Kürzung des [X.]. Für 2013 beanstandete er ferner, das [X.] habe bei den [X.]inkünften aus Kapitalvermögen Gewinne aus der Veräußerung von Aktien angesetzt, obwohl er und [X.] jeweils die Verrechnung mit vorhandenen Altverlusten beantragt hätten.

4

Seit dem 4. November 2013 war wegen der Frage des [X.] bereits ein Klageverfahren zur [X.]inkommensteuer 2010 beim Finanzgericht ([X.]) anhängig. Gleichzeitig mit der [X.]inlegung der [X.]insprüche für die Streitjahre 2012 und 2013 (7. September 2014) erhob der Kläger eine weitere Klage wegen des [X.] zur [X.]inkommensteuer 2011.

5

Mit Schreiben vom 9. September 2014 bestätigte das [X.] den [X.]ingang der [X.]insprüche und schlug im Hinblick auf das zum selben Sachverhalt anhängige Klageverfahren vor, die [X.]inspruchsverfahren bis zur [X.]ntscheidung über das Klageverfahren "auszusetzen". Der Kläger bestand indes auf dem [X.]rlass von [X.]inspruchsentscheidungen.

6

Am 8. März 2015 erhob der Kläger Untätigkeitsklage, die das [X.] mit dem angefochtenen Urteil als unzulässig verwarf. [X.]s führte aus, die Voraussetzungen des § 46 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) seien nicht erfüllt. Auch eine Bearbeitungsdauer, die über einen Sechs-Monats-Zeitraum hinausgehe, könne noch angemessen sein. Allerdings müsse hierfür ein zureichender Grund bestehen und dem Steuerpflichtigen auch mitgeteilt werden. Dies sei hier der Fall, da das [X.] dem Kläger mitgeteilt habe, es wolle die [X.]inspruchsverfahren bis zur [X.]ntscheidung über die für das Vorjahr erhobene Klage zurückstellen.

7

Mit seiner Beschwerde rügt der Kläger in erster Linie einen Verfahrensmangel.

8

Das [X.] hält die Beschwerde für unzulässig.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Beschwerde ist unbegründet.

Keiner der vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe ist tatsächlich gegeben.

1. Der vom Kläger geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O) liegt nicht vor.

a) Allerdings stellt es --entgegen der Auffassung des [X.]-- einen Verfahrensmangel dar, wenn ein [X.] eine zulässige Klage durch Prozessurteil als unzulässig verwirft (Beschluss des [X.] --BFH-- vom 7. Dezember 2010 X B 212/09, [X.], 564, unter 1.b aa, m.w.N.).

Eine Untätigkeitsklage ist indes unzulässig, wenn das [X.] dem Steuerpflichtigen vor Klageerhebung einen zureichenden Grund für die vorläufige Nichtbescheidung des Einspruchs mitgeteilt hat ([X.] vom 14. März 1972 VII R 9/69, [X.], 92, [X.] 1972, 546, und vom 31. August 2006 II B 141/05, [X.], 2296, unter [X.]).

b) Vorliegend ergibt sich zwar allein aus dem vom [X.] festgestellten Ablauf des [X.] noch nicht mit hinreichender Sicherheit, dass das [X.] dem Kläger einen solchen zureichenden Grund mitgeteilt hatte. Das Rechtsmittelgericht ist jedoch insoweit zu eigenen Tatsachenfeststellungen befugt, als es --wie hier-- um das Vorliegen der Sachentscheidungsvoraussetzungen für das finanzgerichtliche Verfahren geht (BFH-Urteile vom 19. Mai 2004 III R 18/02, [X.], 201, [X.] 2004, 980, unter [X.] vor a, und vom 13. Mai 2015 III R 8/14, [X.], 422, [X.] 2015, 844, Rz 27, beide m.w.N.).

Insoweit ergibt sich aus den Akten, dass das [X.] den Verlauf des [X.] im entscheidungserheblichen Punkt nicht vollständig wiedergegeben hat. Gerade aus dem vom [X.] nicht festgestellten Sachverhalt folgt indes, dass das [X.] dem Kläger vor Klageerhebung einen zureichenden Grund mitgeteilt hatte. So hatte das [X.] dem Kläger zwar mit Schreiben vom 22. Januar 2015 --innerhalb der [X.] zunächst in Aussicht gestellt, noch im Laufe des Januar 2015 über die Einsprüche zu entscheiden. Am 5. Februar 2015 lud das [X.] indes in dem zur Einkommensteuer 2010 anhängigen Klageverfahren für den 19. März 2015 zu einem Erörterungstermin. Daraufhin wandte sich das [X.] am 18. Februar 2015 erneut an den Kläger und teilte mit, es stelle im Hinblick auf den "recht kurzfristig anberaumten" Erörterungstermin die Entscheidung über die Einsprüche vorerst zurück. Im Rahmen des Erörterungstermins sei eine Klärung streitiger Sach- und Rechtsfragen denkbar, weshalb es diese kurze Verfahrensruhe als zweckmäßig ansehe.

Jedenfalls in diesem Schreiben hat das [X.] dem Kläger einen zureichenden Grund für die Zurückstellung der Entscheidung über die Einsprüche mitgeteilt. Das [X.] durfte daher die vom Kläger noch vor Durchführung des Erörterungstermins erhobene Untätigkeitsklage als unzulässig ansehen.

2. Soweit der Kläger die Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O) und zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 [X.]O) begehrt, ist die Beschwerde unzulässig. Der Kläger macht insoweit --ohne konkrete Rechtsfragen zu [X.] lediglich geltend, es gehe um den Erhalt des Grundsatzes, dass sich Behörden an die rechtsstaatlichen Prinzipien zu halten hätten. Zur näheren Begründung verweist der Senat insoweit auf seinen Beschluss vom 23. Mai 2016 in den Verfahren [X.], 200/15.

3. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

4. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]O ab.

Meta

X B 174/15

23.05.2016

Bundesfinanzhof 10. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 3. September 2015, Az: 15 K 15060/15, Urteil

§ 46 Abs 1 FGO, § 118 Abs 2 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 23.05.2016, Az. X B 174/15 (REWIS RS 2016, 11073)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 11073

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