Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 17.11.2010, Az. 1 BvR 1883/10

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2010, 1331

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Keine Witwenrente (§ 46 SGB 6) für überlebende Partnerin einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft - keine Verletzung von Grundrechten aus Art 6 Abs 1, Abs 4, Abs 5 GG


Gründe

1

Die Beschwerdeführerin begehrt die Gewährung von Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung aufgrund des Todes ihres nichtehelichen [X.].

I.

2

Die im Februar 1960 geborene Beschwerdeführerin hatte mit ihrem am 30. November 2004 verstorbenen [X.] nach eigener Darstellung bis zu dessen Tod sechzehn Jahre zusammengelebt. Der Beziehung entstammt eine im Mai 2000 geborene Tochter. Die Beschwerdeführerin und ihr Lebensgefährte schlossen am 15. Juli 2004 nach buddhistischem [X.] in [X.] eine Ehe. Nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin beabsichtigten sie auch eine standesamtliche Eheschließung, die auf den 21. Februar 2005 terminiert gewesen sei.

3

Nach dem Tod ihres Lebenspartners beantragte die Beschwerdeführerin im Dezember 2004 eine Witwenrente beim zuständigen Rentenversicherungsträger. Dieser lehnte den Antrag unter Hinweis auf die fehlende Witweneigenschaft im Sinne von § 46 [X.]([X.]) ab. Das Widerspruchsverfahren blieb erfolglos.

4

Die hiergegen gerichtete Klage wurde vom Sozialgericht mit angegriffenem Urteil abgewiesen. Das [X.] lehnte sodann die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren mit angegriffenem Beschluss mangels Erfolgsaussichten ab. Die Berufung selbst wurde vom [X.] mit nicht vorgelegtem und nicht angegriffenem Beschluss zurückgewiesen. Die Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom [X.] mit angegriffenem Beschluss als unzulässig verworfen, weil sie keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung benannt habe und auch nicht die Klärungsbedürftigkeit des von ihr angesprochenen Fragekomplexes dargelegt habe.

5

Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin, dass die Gerichte den Begriff der "Witwe" in einer mit Art. 6 GG in Verbindung mit Art. 8 [X.] nicht zu vereinbarenden Weise ausgelegt hätten. Zwar verstünden die [X.] Gesetze, wenn sie den Begriff "Witwe" oder "Witwer" verwenden, durchweg die Überlebenden aus einer formal geschlossenen Ehe. Eine davon abweichende Auslegung gebiete aber der fürsorgerische Gedanken, der auch Überlebende aus einer nichtehelichen Partnerschaft als schutzbedürftig erscheinen lasse, der verfassungsrechtliche Schutz der Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG, der nicht nur ehelich begründete Familien umfasse, sowie Art. 8 [X.], der auch faktische Beziehungen schütze. In dieselbe Richtung weise auch Art. 23 Abs. 1 des [X.] über bürgerliche und politische Rechte. Dass eine verfassungskonforme Interpretation des Begriffs "Witwe" jede überlebende Partnerin einer familiären Beziehung unabhängig vom bürgerlich rechtlichen Familienstand jedenfalls dann erfasse, wenn sie zugleich Mutter eines gemeinsamen Kindes sei, ergebe sich zudem aus [ref=007cf78c-c999-4be9-b473-ca8d8e9d9b4f]Art. 6 Abs. 4 und Abs. 5 [X.]]. Bei einer anderen Auslegung des Witwenbegriffs stelle sich die Frage der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelungen. Die Verweigerung einer Witwenrente verstoße darüber hinaus gegen Art. 14 [X.] und Art. 1 des [X.] zur [X.].

II.

6

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 [X.]G nicht vorliegen. Sie hat keine Aussicht auf Erfolg.

7

1. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des [X.]s über die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren richtet, ist sie verfristet (§ 93 Abs. 1 Satz 1 [X.]G). Der Beschluss ist am 9. Dezember 2009 beim Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin eingegangen; die Verfassungsbeschwerde ist indes erst am 22. Mai 2010 erhoben worden.

8

2. Die Verfassungsbeschwerde ist - unbeschadet der Beantwortung weiterer Zulässigkeitsfragen - unbegründet, soweit sie sich gegen die Sachentscheidung des [X.] richtet. Die Auslegung des Begriffs "Witwe" in § 46 [X.] durch das [X.]dahingehend, dass nur die Überlebende einer zivilrechtlich geschlossenen Ehe hierunter zu verstehen sei, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

9

a) Das [X.] prüft die Auslegung und die Anwendung einfachen Rechts nur darauf, ob sie [X.]enthält, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der betroffenen Grundrechte beruhen, und ob sie willkürlich ist (vgl. [X.] 18, 85 <92 f.>; 85, 248 <257 f.>; 108, 351 <365>).

b) Dies ist hier nicht Fall. Zum einen ist die Auslegung des [X.] nicht willkürlich. Die Beschwerdeführerin geht selbst und zu Recht davon aus, dass die [X.] Gesetze - hier konkret § 46 [X.] - unter "Witwe" nur den Überlebenden einer - hier unstreitig nicht vorliegenden - zivilrechtlich wirksam geschlossenen Ehe verstehen (vgl. etwa [X.], 137 <138>; BSG, Urteil vom 30. März 1994 - 4 RA 18/93 -, NJW 1995, [X.] <3271>; [X.], in: [X.], [X.], 3. Aufl. 2008, § 46 Rn. 4). Diese Auslegung des einfachen Rechts liegt auch der Rechtsprechung der [X.]s zugrunde (vgl. [X.] 112, 50 <65>).

c) Sie ist zum anderen auch mit dem Grundgesetz vereinbar. Das [X.] hat wiederholt entschieden, dass es dem Gesetzgeber wegen des besonderen verfassungsrechtlichen Schutzes der Ehe, den Art. 6 Abs. 1 GG anordnet, nicht verwehrt ist, die Ehe gegenüber anderen Lebensformen zu begünstigen (vgl. [X.] 6, 55 <76>; 105, 313 <348>; 124, 199 <225>; [X.], 169 <175, 177>). Dies gilt insbesondere im Verhältnis der Ehe zu nichtehelichen Lebensgemeinschaften (vgl. [X.] 117, 316 <327>); sie fallen nicht unter den Begriff der Ehe (vgl. [X.] 36, 146 <165>; 82, 6 <15>; 112, 50 <65>; [X.], Beschluss der 3. Kammer des [X.] vom 30. Juli 2003 - 1 BvR 1587/99 -, NJW 2003, S. 3691). Daher ist es gerechtfertigt, die Partner im Falle der Auflösung der Ehe durch Tod besser zu stellen als Menschen, die in weniger verbindlichen Paarbeziehungen zusammenleben (vgl. [X.] 124, 199 <225>). Dem entspricht die Nichteinbeziehung von überlebenden nichtehelichen [X.] in die Hinterbliebenenrente der gesetzlichen Rentenversicherung.

d) Etwas anderes folgt auch nicht aus Art. 6 Abs. 4 und Abs. 5 GG, deren Verletzung die Beschwerdeführerin rügt. [ref=87dbb144-b531-4eca-8378-7cbe659fa42f]Art. 6 Abs. 4 [X.]] betrifft nur Situationen, in denen die Mutter Nachteile erleidet, die auf ihre Mutterschaft zurückzuführen sind (vgl. [X.] 60, 68 <74>), nicht aber Regelungen für Sachverhalte, die nicht allein Mütter betreffen (vgl. [X.] 87, 1 <42>; 94, 241 <259>; Aubel, Der verfassungsrechtliche Mutterschutz, 2003, [X.] ff.). Der Ausschluss nichtehelicher Partner von der Hinterbliebenenrente in § 46 [X.] knüpft aber weder an die Mutterschaft an noch betrifft er ausschließlich Mütter. Art. 6 Abs. 5 GG schließlich begünstigt nur nichteheliche Kinder, nicht aber deren Eltern (vgl. [X.] 79, 203 <209>; 112, 50 <67>).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 1883/10

17.11.2010

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BSG, 22. April 2010, Az: B 5 R 74/10 B, Beschluss

Art 6 Abs 1 GG, Art 6 Abs 4 GG, Art 6 Abs 5 GG, Art 8 MRK, § 46 SGB 6

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 17.11.2010, Az. 1 BvR 1883/10 (REWIS RS 2010, 1331)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 1331

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

8 B 46/13

B 13 R 87/16 B

4 N 14.546

L 6 R 695/14

L 6 R 74/14

B 5 R 28/21 R

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