Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.08.2023, Az. X ZB 9/21

10. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 5083

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Gegenstand

Anspruch auf Herausgabe von Sachverständigengutachten zur Frage des Eingriffs in den Schutzbereich eines Streitgebrauchsmusters - Ästhetische Behandlung


Leitsatz

Ästhetische Behandlung

1. Gegen eine Entscheidung über die Herausgabe eines Gutachtens, das in einem selbständigen Beweisverfahren aufgrund einer nach § 140c Abs. 3 PatG oder § 24c Abs. 3 GebrMG angeordneten Besichtigung erstellt worden ist, an den Antragsteller des Beweisverfahrens ist gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO die sofortige Beschwerde statthaft. Dies gilt nicht nur dann, wenn der Antrag auf Herausgabe abgelehnt wird, sondern auch dann, wenn das erstinstanzliche Gericht die Herausgabe anordnet, obwohl der Antragsgegner dem unter Geltendmachung von Geheimhaltungsinteressen entgegengetreten ist.

2. Für die Entscheidung über die Herausgabe des Gutachtens ist die Frage, wie wahrscheinlich das Bestehen von Ansprüchen wegen Verletzung des Schutzrechts ist, nur dann erheblich, wenn der Antragsgegner berechtigte Geheimhaltungsinteressen dargelegt hat (Ergänzung zu BGH, Beschluss vom 16. November 2009 - X ZB 37/08, BGHZ 183, 153 = GRUR 2010, 318 - Lichtbogenschnürung).

Tenor

Der Beschluss des 6. Zivilsenats des [X.] vom 7. Oktober 2021 wird im Kostenpunkt und hinsichtlich Nr. 1 der Entscheidungsformel bezogen auf die Geräte "Z.    " und "S.   " aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 100.000 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Antragstellerin begehrt die Herausgabe von zwei aufgrund einer [X.]esichtigung erstellten Sachverständigengutachten.

2

Die Antragstellerin ist Inhaberin des am 24. Oktober 2019 eingetragenen [X.] Gebrauchsmusters 20 2016 008 804 ([X.]), das aus der [X.] Patentanmeldung 3 316 962 abgezweigt worden ist und eine Vorrichtung zur ästhetischen [X.]ehandlung betrifft.

3

Schutzanspruch 1, auf den dreizehn weitere Ansprüche zurückbezogen sind, lautet:

Vorrichtung zur ästhetischen [X.]ehandlung, die mittels einer Vielzahl zeitlich veränderlicher Magnetfelder zum Muskeltraining, zur Verringerung von adipösen Zellen oder zur Formung eines menschlichen Körpers dient, wobei die [X.]ehandlungsvorrichtung Folgendes umfasst:

- eine Steuerungseinheit;

- einen ersten Magnetfeldgenerator,

- einen zweiten Magnetfeldgenerator;

dadurch gekennzeichnet, dass

die Steuerungseinheit derart konfiguriert ist, dass sie die Energieversorgung des ersten [X.] und des zweiten [X.] regelt;

wobei der erste Magnetfeldgenerator derart konfiguriert ist, dass er ein erstes zeitlich veränderliches Magnetfeld erzeugt, und der zweite Magnetfeldgenerator derart konfiguriert ist, dass er ein zweites zeitlich veränderliches Magnetfeld erzeugt;

wobei das erste und das zweite zeitlich veränderliche Magnetfeld an Muskeln, neuromuskuläre Platten oder Nerven, die die neuromuskuläre Platten des menschlichen Körpers anregen, angelegt werden.

4

Die Antragsgegnerin bietet unter anderem unter den Typenbezeichnungen "Z.    " und "S.   " Geräte zur ästhetischen [X.]ehandlung an, die nach Auffassung der Antragstellerin das Streitgebrauchsmuster verletzen.

5

Das [X.] hat die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung verpflichtet, eine [X.]esichtigung ihrer [X.]etriebsstätte zu dulden. Parallel dazu hat es im vorliegenden Verfahren die Einholung von zwei schriftlichen Sachverständigengutachten zu der Frage angeordnet, ob die in der [X.]etriebsstätte der Antragsgegnerin und auf einem Messestand vorgefundenen Vorrichtungen in den Schutzbereich des [X.] eingreifen.

6

Nach Widerspruch der Antragsgegnerin gegen die einstweilige Verfügung und Gegenvorstellung gegen den [X.] haben die [X.]en in der mündlichen Verhandlung vereinbart, die [X.]eweiserhebung fortzusetzen und das Verfügungsverfahren bis zu einer Entscheidung der Gebrauchsmusterstelle über den Rechtsbestand des [X.] ruhend zu stellen.

7

Die von den beiden Sachverständigen eingereichten Gutachten hat das [X.] an die Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin übermittelt, mit der Maßgabe, sie nicht an die Antragstellerin selbst herauszugeben.

8

Die Antragstellerin hat unter anderem beantragt, beide Gutachten einschließlich Anlagen an sie selbst herauszugeben und ihre anwaltlichen Vertreter von der Verschwiegenheitspflicht zu entbinden. Die Antragsgegnerin ist dem entgegengetreten und hat mehrere Wideranträge gestellt.

9

Das [X.] hat antragsgemäß die Herausgabe der beiden Gutachten angeordnet. Auf die sofortige [X.]eschwerde der Antragsgegnerin hat das [X.]eschwerdegericht den Antrag auf Herausgabe hinsichtlich der beiden oben genannten Gerätetypen als derzeit unbegründet zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer insoweit zugelassenen Rechtsbeschwerde. Die Antragsgegnerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

II. [X.] ist aufgrund der Zulassung durch das [X.]eschwerdegericht statthaft und auch im Übrigen zulässig.

1. Der [X.] ist an die Zulassung der Rechtsbeschwerde allerdings nicht gebunden, wenn dieses Rechtsmittel gegen die angefochtene Entscheidung schon gar nicht statthaft ist. Insbesondere besteht keine [X.]indung, wenn schon das Rechtsmittel zum [X.]eschwerdegericht nicht zulässig war (vgl. nur [X.], [X.]eschluss vom 18. Dezember 2008 - [X.] 118/07, [X.], 519 Rn. 6 - Hohlfasermembranspinnanlage I).

2. Das [X.]eschwerdegericht hat die sofortige [X.]eschwerde gegen die Entscheidung des [X.]s im hier zu beurteilenden Umfang jedoch im Ergebnis zu Recht als zulässig angesehen.

a) Gegen eine Entscheidung über die Herausgabe eines Gutachtens, das in einem selbständigen [X.]eweisverfahren aufgrund einer nach § 140c Abs. 3 [X.] oder § 24c Abs. 3 [X.] angeordneten [X.]esichtigung erstellt worden ist, an den Antragsteller des [X.]eweisverfahrens ist gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO die sofortige [X.]eschwerde statthaft. Dies gilt nicht nur dann, wenn der Antrag auf Herausgabe abgelehnt wird (zu dieser Konstellation [X.], [X.]eschluss vom 16. November 2009 - [X.], [X.]Z 183, 153 = [X.], 318 - Lichtbogenschnürung), sondern auch dann, wenn das erstinstanzliche Gericht die Herausgabe anordnet, obwohl der Antragsgegner dem unter Geltendmachung von Geheimhaltungsinteressen entgegengetreten ist.

aa) § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO eröffnet die Möglichkeit einer sofortigen [X.]eschwerde nur für den Fall, dass das Gericht ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen hat.

Diese Voraussetzung ist grundsätzlich nur dann erfüllt, wenn der Erlass der angefochtenen Entscheidung einen Antrag der [X.] voraussetzt, nicht aber, wenn die angefochtene Entscheidung ohne Antrag von Amts wegen ergehen kann (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 6. November 2013 - [X.] 48/13, [X.], 705 Rn. 8 - Inländischer Admin-C).

bb) In der dem Streitfall zugrundeliegenden Konstellation darf sowohl die Anordnung der Herausgabe des Gutachtens als auch eine ablehnende Entscheidung nur auf Antrag ergehen.

Ein im selbständigen [X.]eweisverfahren erstelltes Gutachten wird den [X.]en bzw. ihren Verfahrensbevollmächtigten im Regelfall vorbehaltlos übermittelt. Ein Gutachten, das in einem selbstständigen [X.]eweisverfahren im [X.] an eine auf der Grundlage von § 140c Abs. 3 [X.] angeordnete [X.]esichtigung erstellt worden ist, darf dem Antragsteller hingegen nur insoweit zur eigenen Kenntnisnahme überlassen werden, als dem berechtigte Geheimhaltungsinteressen des Antragsgegners nicht entgegenstehen.

Grund hierfür ist die in § 140c Abs. 1 Satz 3 und Abs. 3 Satz 2 [X.] normierte Pflicht des Gerichts, bei Entscheidungen über die Verpflichtung zur Vorlage einer Urkunde oder zur Duldung der [X.]esichtigung einer Sache die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um den Schutz vertraulicher Informationen zu gewährleisten ([X.], [X.]eschluss vom 16. November 2009 - [X.], [X.]Z 183, 153 = [X.], 318 Rn. 15 - Lichtbogenschnürung).

Diese Pflicht greift nicht nur bei der Entscheidung über den Anspruch auf Vorlage oder [X.]esichtigung. [X.]erechtigte Geheimhaltungsinteressen des Antragsgegners sind vielmehr auch in einem selbständigen [X.]eweisverfahren zu berücksichtigen, in dem auf der Grundlage einer angeordneten Vorlage oder [X.]esichtigung ein Sachverständigengutachten erstellt worden ist. Abweichend von den herkömmlichen Regeln eines selbständigen [X.]eweisverfahrens darf ein solches Gutachten den [X.]eteiligten nicht vorbehaltlos übermittelt werden. [X.]egehrt der Antragsteller Aushändigung des Gutachtens an sich selbst, ist vielmehr zu entscheiden, inwieweit schützenswerte Interessen des Antragsgegners betroffen sind und das Geheimhaltungsinteresse überwiegt (aaO Rn. 35).

Will der Antragsgegner aus Gründen des Schutzes von Geschäfts- oder Privatgeheimnissen oder sonstigen schützenswerten Geheiminteressen verhindern, dass das Gutachten der gegnerischen [X.] vollständig zur Kenntnis gebracht wird, hat er nach allgemeinen Darlegungs- und [X.]eweislastgrundsätzen die tatsächlichen Voraussetzungen dafür darzutun. Die zur Wahrung der Geheiminteressen gebotenen Anordnungen sind dann auf Grund einer einzelfallbezogenen, umfassend alle beiderseitigen möglicherweise beeinträchtigten Interessen berücksichtigenden Würdigung zu treffen (aaO Rn. 37 f.).

Nach diesen Grundsätzen, die auch in einem [X.]esichtigungsverfahren auf der Grundlage von § 24c [X.] gelten, darf das Gericht über eine Herausgabe des Gutachtens mithin nur dann entscheiden, wenn der Antragsteller dies beantragt. Ablehnen darf es einen solchen Antrag nur dann, wenn der Antragsgegner Geheimhaltungsinteressen geltend macht. In beiden Konstellationen ist eine Entscheidung von Amts wegen folglich ausgeschlossen.

cc) Diese Auslegung von § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO entspricht dem Zweck der Vorschrift.

Die [X.]eschränkung der Statthaftigkeit der sofortigen [X.]eschwerde auf die Zurückweisung eines das Verfahren betreffenden Gesuchs dient dem Zweck, den Verfahrensablauf nicht durch ausufernde [X.] in unverhältnismäßiger Weise zu behindern (vgl. nur [X.] ZPO/[X.], 48. Edition, § 567 Rn. 30; [X.], 23. Aufl. 2018, § 567 Rn. 8; [X.] in [X.]/Schütze, ZPO, 5. Aufl. 2021, § 567 Rn. 2). Diese [X.]eschränkung der Rechtsschutzmöglichkeiten ist verfassungsrechtlich in der Regel schon deshalb unbedenklich, weil Art. 19 Abs. 4 GG einen Instanzenzug nicht zwingend vorschreibt und weil ein eventueller Rechtsfehler im Rahmen der Entscheidung über ein Rechtsmittel gegen die Endentscheidung korrigiert werden kann.

Eine andere [X.]eurteilung ist hingegen geboten, wenn bereits die Zwischenentscheidung für einen [X.]eteiligten einen bleibenden Nachteil zur Folge hätte, der sich im weiteren Verfahren nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr vollständig beheben ließe ([X.], [X.]eschluss vom 18. Dezember 2008 - [X.] 118/07, [X.], 519 Rn. 12 - Hohlfasermembranspinnanlage I).

Eine solche Konstellation liegt in der Regel vor, wenn der Antragsgegner dem Verlangen des Antragstellers mit der [X.]egründung entgegentritt, durch die Überlassung des Gutachtens würden schützenswerte Geheimnisse zu Unrecht preisgegeben.

Erweist sich die Anordnung, dem Antragsteller das Gutachten zu überlassen, im Nachhinein als fehlerhaft, kann die mit der Überlassung des Gutachtens verbundene Preisgabe geheimer Informationen nicht mehr rückgängig gemacht werden. Vor diesem Hintergrund ist es auch aus Gründen der Waffengleichheit geboten, nicht nur dem Antragsteller, sondern auch dem Antragsgegner die Möglichkeit der [X.]eschwerde gegen eine ihm ungünstige Entscheidung zu eröffnen (vgl. zu diesem Gesichtspunkt auch [X.], NJW-RR 2015, 33, 34; [X.] ZPO/[X.], 48. Edition, § 567 Rn. 30.1; [X.], 23. Aufl. 2018, § 567 Rn. 11; [X.] in [X.]/Schütze, ZPO, 5. Aufl. 2021, § 567 Rn. 11).

[X.]) Dieses Ergebnis steht zudem in Einklang mit der in § 20 Abs. 5 Satz 4 und 5 GeschGehG zum Ausdruck gekommenen Wertung des Gesetzgebers.

Nach der Regelung in § 20 Abs. 5 Satz 5 GeschGehG, die gemäß § 145a Satz 1 [X.] und § 26a [X.] in Patent- und Gebrauchsmusterstreitsachen entsprechend anzuwenden ist, unterliegt ein [X.]eschluss, mit dem ein Antrag auf gerichtliche Maßnahmen zum Schutz von [X.] abgelehnt wird, der sofortigen [X.]eschwerde. Diese Regelung beruht auf der Erwägung, dass die unbeschränkte Zugänglichkeit des [X.] zu einem bleibenden Nachteil für die Geheimhaltung begehrende [X.] führte, der sich im weiteren Verfahren nicht mehr beheben ließe ([X.]T-Drucks. 19/4724 S. 38; [X.], [X.]eschluss vom 18. November 2021 - [X.] 86/20, [X.], 591 Rn. 16 - Geschäftsgeheimnis bei Hohlfasermembranspinnanlagen).

Dieselbe Gefahr droht in der dem Streitfall zugrundeliegenden Konstellation. Die mit der Überlassung des Gutachtens verbundene Preisgabe geheimer Informationen kann im weiteren Verlauf des Verfahrens nicht mehr rückgängig gemacht werden.

Dass selbständige [X.]eweisverfahren vom Tatbestand des § 145a Satz 1 [X.] und des § 26a Satz 1 [X.] ausdrücklich ausgenommen sind, rechtfertigt keinen Gegenschluss. Diese Ausnahme dient dem Zweck, die im [X.]ereich des Patentrechts etablierte Kombination aus einem selbständigem [X.]eweisverfahren und einer einstweiligen Verfügung zur Duldung der [X.]esichtigung weiterhin in der bisher praktizierten Weise zu ermöglichen ([X.]T-Drucks. 19/25821 [X.]). Dass der Gesetzgeber damit die in § 20 Abs. 5 Satz 4 GeschGehG ausdrücklich eröffnete [X.]eschwerdemöglichkeit für selbständige [X.]eweisverfahren ausschließen wollte, kann schon deshalb nicht angenommen werden, weil bereits die damalige Rechtsprechung der Obergerichte eine [X.]eschwerde als statthaft angesehen hat ([X.], [X.] 8, 186 Rn. 28 ff.; [X.], [X.] 9, 41 Rn. 7; [X.], [X.] 12, 192 Rn. 24; vgl. auch [X.], [X.], 436, 441).

ee) Dass Entscheidungen, mit denen eine Geheimhaltungsanordnung nach § 174 Abs. 3 [X.] abgelehnt wird, nicht der sofortigen [X.]eschwerde unterliegen (dazu [X.], [X.]eschluss vom 14. Oktober 2020 - [X.], NJW-RR 2020, 1386 Rn. 11 ff.), spricht nicht gegen, sondern für das hier gefundene Ergebnis.

Die Ablehnung einer solchen Anordnung hat nicht zwingend den Verlust von schützenswerten Geheimnissen zur Folge. Die betroffene [X.] kann sich vor einer Offenbarung dadurch schützen, dass sie bis zur Rechtskraft der die Geheimhaltungsverpflichtung anordnenden Entscheidung keine Ausfertigung der Unterlagen zur Weiterleitung an die Klägerseite vorlegt. Dies kann zwar dazu führen, dass eine in der Hauptsache negative Entscheidung ergeht. Diesbezügliche Rechtsfehler können gegebenenfalls aber mit einem Rechtsmittel gegen die Entscheidung in der Hauptsache korrigiert werden (dazu [X.], [X.]eschluss vom 14. Oktober 2020 - [X.], NJW-RR 2020, 1386 Rn. 17 ff.).

In der dem Streitfall zugrunde liegenden Konstellation besteht eine solche Korrekturmöglichkeit demgegenüber nicht. Mit der Überlassung des Gutachtens an den Antragsteller sind die nach Auffassung des Antragsgegners schutzwürdigen Informationen unwiederbringlich preisgegeben. Konsequenterweise muss der [X.]etroffene die Möglichkeit haben, eine fehlerhafte Entscheidung korrigieren zu lassen, bevor das Gutachten dem Gegner ausgehändigt wird.

b) Eine [X.]eschwerde gegen die Anordnung der Herausgabe des Gutachtens an die Antragstellerin ist auch nicht nach § 490 Abs. 2 Satz 2 ZPO ausgeschlossen (ebenso [X.], [X.] 8, 186 Rn. 28 ff.; [X.], [X.] 9, 41 Rn. 7; [X.], [X.] 12, 192 Rn. 24; [X.], [X.], 436, 441).

Nach § 490 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist ein [X.]eschluss, mit dem ein selbständiges [X.]eweisverfahren angeordnet wird, nicht anfechtbar.

Im vorliegenden Verfahren geht es nicht um den [X.]eschluss, mit dem das [X.] das [X.]eweisverfahren angeordnet hat, sondern um die nachgelagerte Frage, ob das aufgrund einer durch einstweilige Verfügung erzwungenen [X.]esichtigung erstellte Gutachten an die Antragstellerin selbst herausgegeben werden darf. Diese Entscheidung ist anhand anderer Kriterien zu treffen als diejenige über die Anordnung des [X.]eweisverfahrens. Die Anordnung eines selbständigen [X.]eweisverfahrens führt auch nicht zu irreparablen [X.]eeinträchtigungen für die Antragsgegnerin (dazu [X.], [X.]eschluss vom 13. September 2011 - V[X.] 67/10, NJW 2011, 3371 Rn. 6; [X.]eschluss vom 15. September 2022 - [X.], NJW-RR 2022, 1553 Rn. 6).

III. [X.] ist begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an das [X.]eschwerdegericht.

1. Das [X.]eschwerdegericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die Aushändigung eines Gutachtens an die Antragstellerin eines [X.] habe nicht nur dann zu unterbleiben, wenn die Antragsgegnerin entgegenstehende Geheimhaltungsinteressen geltend mache. Eine Aushändigung sei vielmehr auch dann ausgeschlossen, wenn eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine Gebrauchsmusterverletzung im Sinne von § 24c Abs. 1 [X.] wegen fehlender Schutzfähigkeit des zugrundeliegenden Schutzrechts nicht bestehe. Diesbezügliche Einwendungen müssten der Antragsgegnerin in einem solchen Verfahren nach Art. 7 Abs. 1 Satz 5 der Richtlinie 2004/48/[X.] (nachfolgend: [X.]) möglich sein. Ein sonstiger Rechtsbehelf stehe nicht zur Verfügung. Dies sei jedenfalls bei einem ungeprüften Schutzrecht nicht sachgerecht.

Im Streitfall sei eine Gebrauchsmusterverletzung nicht hinreichend wahrscheinlich, nachdem die Löschungsabteilung des [X.] zu der vorläufigen [X.]eurteilung gelangt sei, das Streitgebrauchsmuster sei nicht rechtsbeständig. Dem habe die Antragstellerin keinen substantiierten Vortrag entgegengesetzt.

2. Diese [X.]eurteilung hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde nicht stand.

a) Wie bereits oben dargelegt wurde, darf ein Gutachten, das in einem selbstständigen [X.]eweisverfahren im [X.] an eine auf der Grundlage von § 140c Abs. 3 [X.] angeordnete [X.]esichtigung erstellt worden ist, dem Antragsteller nur insoweit zur eigenen Kenntnisnahme überlassen werden, als dem berechtigte Geheimhaltungsinteressen des Antragsgegners nicht entgegenstehen.

b) Diese Grundsätze gelten, wie auch das [X.]eschwerdegericht im Ansatz zutreffend angenommen hat, in einem selbständigen [X.]eweisverfahren, das ein Gebrauchsmuster betrifft, grundsätzlich in gleicher Weise.

§ 24c [X.] enthält eine mit § 140c [X.] übereinstimmende Regelung. Sie unterscheidet sich nur insoweit, dass kein Anspruch auf [X.]esichtigung eines Verfahrens besteht - was schon deshalb folgerichtig ist, weil Verfahren gemäß § 2 Nr. 3 [X.] dem Gebrauchsmusterschutz nicht zugänglich sind.

c) Entgegen der Auffassung des [X.] ergibt sich aus diesen Grundsätzen, dass die Frage, wie wahrscheinlich das [X.]estehen von Ansprüchen wegen Verletzung des Schutzrechts ist, für die Entscheidung über die Herausgabe des Gutachtens nur dann erheblich ist, wenn der Antragsgegner berechtigte Geheimhaltungsinteressen dargelegt hat und deshalb eine Abwägung im oben genannten Sinne anzustellen ist.

Sofern nicht aufgezeigt ist, dass die Herausgabe des Gutachtens berechtigte Geheimhaltungsinteressen berührt, sind Maßnahmen im Sinne von § 140c Abs. 1 Satz 3 und Abs. 3 Satz 2 [X.] oder den entsprechenden Regelungen in § 24c [X.] nicht erforderlich.

d) Aus der Vorgabe in Art. 7 Abs. 1 Satz 5 der [X.] ergeben sich keine weitergehenden Anforderungen.

aa) Nach der genannten Regelung muss es einem [X.]etroffenen, der vor der Anordnung von Maßnahmen zur [X.]eweissicherung nicht angehört worden ist, möglich sein, nach der Mitteilung der Maßnahmen eine gerichtliche Entscheidung darüber herbeizuführen, ob die Maßnahmen abgeändert, aufgehoben oder bestätigt werden sollen.

bb) Das [X.] Recht trägt dieser Anforderung durch die in § 936 und § 924 ZPO vorgesehene Möglichkeit Rechnung, gegen eine einstweilige Verfügung, die die Vorlage von Urkunden oder die Duldung einer [X.]esichtigung anordnet, Widerspruch einzulegen ([X.]. 64/07, S. 65).

Gegen die Anordnung eines selbständigen [X.]eweisverfahrens steht gemäß § 490 Abs. 2 Satz 2 ZPO grundsätzlich kein Rechtsmittel zur Verfügung ([X.], [X.]eschluss vom 13. September 2011 - V[X.] 67/10, NJW 2011, 3371 Rn. 6; [X.]eschluss vom 15. September 2022 - [X.], NJW-RR 2022, 1533 Rn. 6). Wenn der Antragsgegner, wie dies in Fällen der vorliegenden Art üblich ist, vor der Anordnung nicht gehört worden ist, hat das Gericht jedoch auf eine Gegenvorstellung hin zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für die Anordnung eines selbständigen [X.]eweisverfahrens auch im Lichte des Gegenvorbringens erfüllt sind (vgl. allgemein [X.], [X.]eschluss vom 16. August 2012 - 5 W 445/12, [X.], 171; zu [X.], Handbuch der Patentverletzung, 15. Aufl. 2023, [X.]. [X.]. 182; [X.]/[X.]/[X.], 3. Aufl. 2022, ZPO § 490 Rn. 28).

cc) Durch diese Ausgestaltung stehen dem Antragsgegner ausreichende Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung.

Der Antragsgegner kann erreichen, dass beide typischerweise ergehenden gerichtlichen Entscheidungen - die einstweilige Verfügung, mit der die Duldung angeordnet wird, und der [X.]eschluss über die Einleitung des selbständigen [X.]eweisverfahrens - überprüft und gegebenenfalls abgeändert oder aufgehoben werden, wenn sich ergibt, dass es an einer Rechtsgrundlage fehlt.

In diesem Zusammenhang bedarf es keiner abschließenden Entscheidung der Frage, unter welchen Voraussetzungen die einstweilige Verfügung, mit der die Duldung angeordnet wird, nach Durchführung der [X.]esichtigung als erledigt anzusehen ist. Soweit der Antragsteller unter diesem Gesichtspunkt eine nochmalige Entscheidung über den ursprünglich gestellten Antrag nicht mehr herbeiführen kann (dazu [X.], Handbuch der Patentverletzung, 15. Aufl. 2023, [X.]. [X.]. 186), beruht dies allein darauf, dass diesbezüglicher Rechtsschutz aufgrund der tatsächlich eingetretenen Entwicklung nicht mehr sinnvoll möglich ist. Sinnlose Rechtsbehelfe gibt auch die [X.] nicht vor. Soweit eine angeordnete Maßnahme weiterhin Wirkungen entfaltet, darf eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung auf einen zulässigen Rechtsbehelf hin nicht verweigert werden. Unabhängig davon kann der Antragsgegner zumindest eine feststellende Entscheidung über die ursprüngliche Rechtmäßigkeit herbeiführen, indem er einer Erledigungserklärung des Antragstellers entgegentritt.

[X.]) Vor diesem Hintergrund ist eine nochmalige Überprüfung der Frage, ob die Voraussetzungen für eine einstweilige Verfügung zur Duldung einer [X.]esichtigung oder für die Anordnung eines selbständigen [X.]eweisverfahrens vorliegen, im Rahmen der Entscheidung über die Herausgabe des Gutachtens nicht geboten. Vielmehr genügt es, gegebenenfalls die in § 140c Abs. 1 Satz 3 und Abs. 3 Satz 2 [X.] oder den entsprechenden Regelungen in § 24c [X.] vorgeschriebenen Maßnahmen zum Schutz vertraulicher Informationen zu treffen.

Art. 7 der [X.] schreibt nicht vor, dass ein [X.]etroffener die Möglichkeit haben muss, mehrfach eine gerichtliche Prüfung derselben Fragen herbeizuführen.

ee) Ein Ersuchen um Vorabentscheidung durch den [X.] ist nicht erforderlich.

Vor dem oben aufgezeigten Hintergrund bestehen keine Zweifel daran, dass das [X.] Recht dem [X.]etroffenen die in Art. 7 der [X.] vorgeschriebenen Möglichkeiten zur Erlangung effektiven Rechtsschutzes bietet.

e) Im vorliegenden Verfahren ist aufgrund der beschränkten Zulassung der Rechtsbeschwerde allein über die Frage zu entscheiden, ob die beiden Gutachten an die Antragstellerin herauszugeben sind. Folglich sind der Rechtsbestand des [X.] und sonstige Voraussetzungen für das [X.]estehen von Ansprüchen wegen Verletzung des Schutzrechts nur dann relevant, wenn die Antragsgegnerin berechtigte Geheimhaltungsinteressen dargelegt hat.

3. Die Entscheidung des [X.] stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 577 Abs. 3 ZPO).

a) Dem Antrag auf Herausgabe eines Gutachtens kann nicht entgegengehalten werden, dass dieses bei mangelnder Eignung des Sachverständigen nicht verwertbar wäre.

Dieser Umstand betrifft ausschließlich die Verwertung des Gutachtens. Darüber ist gegebenenfalls im Verfahren über die Hauptsache zu entscheiden.

b) Entsprechendes gilt für den Einwand, die [X.]eweisanordnung sei nicht allein auf Feststellungen zur [X.]eschaffenheit der angegriffenen Ausführungsform gerichtet, sondern auch auf eine wertende [X.]eurteilung der Verletzungsfrage.

4. [X.] ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO).

Das [X.]eschwerdegericht hat sich - von seinem rechtlichen Ausgangspunkt folgerichtig - nicht mit der Frage befasst, ob die Antragsgegnerin berechtigte Geheimhaltungsinteressen dargelegt hat und deshalb eine umfassende Abwägung der beiderseitigen Interessen durchzuführen ist. Die [X.]eurteilung dieser Fragen und eine danach gegebenenfalls erforderliche Abwägung werden im wieder eröffneten [X.]eschwerdeverfahren nachzuholen sein.

IV. Eine mündliche Verhandlung erachtet der [X.] nicht für erforderlich.

[X.]     

      

Deichfuß     

      

Kober-Dehm

      

Rombach     

      

Rensen     

      

Meta

X ZB 9/21

01.08.2023

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG München, 7. Oktober 2021, Az: 6 W 829/21

§ 567 Abs 1 Nr 2 ZPO, § 140c Abs 1 S 3 PatG, § 140c Abs 3 S 2 PatG, § 24c Abs 1 S 3 GebrMG, § 24c Abs 3 S 2 GebrMG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.08.2023, Az. X ZB 9/21 (REWIS RS 2023, 5083)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 5083

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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