Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 11.07.2013, Az. 2 AZB 6/13

2. Senat | REWIS RS 2013, 4219

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Gegenstand

Versäumung der Berufungsfrist - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand


Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des [X.] vom 28. Januar 2013 - 18 [X.] 1640/12 - aufgehoben.

2. Der Klägerin wird Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Berufung gewährt.

3. Die [X.]che wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

4. Der Wert des [X.] wird auf 42.747,07 Euro festgesetzt.

Gründe

1

A. Die [X.]en haben vor dem [X.] ua. über die Wirksamkeit einer Kündigung gestritten. Das Arbeitsgericht hat die Klage überwiegend abgewiesen.

2

Am Donnerstag, dem 29. November 2012 - dem letzten Tag der Berufungsfrist - versuchte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ab ca. 20.00 Uhr erfolglos, eine Berufungsschrift per Telefax an das [X.] zu übermitteln. Dort konnten ab 17.24 Uhr aus technischen Gründen keine Telefaxsendungen mehr empfangen werden. Die Störung wurde erst am 30. November 2012 behoben.

3

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin übersandte wegen der erkennbaren Störung am 29. November 2012 um 20.40 Uhr die eingescannte - nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehene - Berufungsschrift als pdf-Datei per E-Mail an das Postfach der Verwaltung des [X.]. Die Berufungsschrift war an das [X.] gerichtet und führte die [X.]en mit vollem Namen, ihrer Adresse sowie den [X.]bezeichnungen für beide Instanzen an. In der Zeile „Aktenzeichen I. Instanz“ war aufgeführt: „14 [X.], [X.]“. Weiter hieß es: „… legen wir namens der Klägerin und Berufungsklägerin gegen das am 17. Oktober 2012 verkündete und am 29. Oktober 2012 zugestellte Urteil des [X.]urt, [X.]: 11 [X.]/10 Berufung ein.“

4

Die so per E-Mail übersandte Berufungsschrift wurde beim [X.] am 30. November 2012 ausgedruckt. Dem Ausdruck wurde als Datum des Eingangs der 29. November 2012 aufgestempelt.

5

Der Leiter der Serviceeinheit, an den die E-Mail nebst Anhang am Morgen des 30. November 2012 von der Verwaltung weitergeleitet worden war, fragte vor 8.24 Uhr telefonisch im Büro des Prozessbevollmächtigten der Klägerin nach, gegen welches Urteil sich die Berufung richte. Er erhielt die Auskunft, es handele sich um ein Urteil des [X.] mit dem Aktenzeichen 14 [X.]. Kurz danach übermittelte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die korrigierte Berufungsschrift per Telefax und stellte noch am selben Tag einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung waren Faxprotokolle und eine eidesstattliche Versicherung beigefügt.

6

Das [X.] hat den Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und ihre Berufung wegen Versäumung der Berufungsfrist als unzulässig verworfen. Mit der vom [X.] zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Klägerin die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Zurückverweisung der Sache an das [X.].

7

B. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

8

I. Die Klägerin hat die Berufungsfrist versäumt. Diese endete nach den Feststellungen des [X.] mit Ablauf des 29. November 2012. Die Übermittlung des - eingescannten - [X.]es per E-Mail am 29. November 2012 vermochte die Frist nicht zu wahren.

9

1. Der per E-Mail übermittelte [X.] entspricht weder den Anforderungen des § 130 ZPO noch denen des § 130a ZPO.

a) Eine E-Mail ist ein elektronisches Dokument, das aus der in einer elektronischen Datei enthaltenen Datenfolge besteht. Ein solches wahrt nicht die in § 130 ZPO vorausgesetzte Schriftform für vorbereitende und bestimmende Schriftsätze ([X.] Dezember 2008 - IX ZB 41/08 - Rn. 6; 15. Juli 2008 - [X.]/08 - Rn. 10).

b) Die Berufungsschrift genügt mangels einer qualifizierten elektronischen Signatur auch nicht den Anforderungen des § 130a Abs. 1 Satz 2 ZPO. Diese Vorschrift enthält für bestimmende Schriftsätze nicht nur eine Ordnungsvorschrift ([X.] 14. Januar 2010 - VII ZB 112/08 - Rn. 15, [X.]Z 184, 75).

2. Zwar kann ein bestimmender Schriftsatz auch ohne qualifizierte elektronische Signatur formgerecht per E-Mail übermittelt werden. Auf diese Weise wahrt der Schriftsatz aber nur dann die Rechtsmittelfrist, wenn er dem zuständigen Gericht - mit der in Kopie wiedergegebenen Unterschrift des Prozessbevollmächtigten versehen - noch innerhalb der Frist in ausgedruckter Form vorliegt ([X.] Dezember 2008 - IX ZB 41/08 - Rn. 10; 15. Juli 2008 - [X.]/08 - Rn. 8). Im Streitfall wurde die Berufungsschrift vom [X.] erst am 30. November 2012 und damit nach Ablauf der Berufungsfrist ausgedruckt. Rechtlich unerheblich ist, dass der Ausdruck vom [X.] mit dem Eingangsstempel vom 29. November 2012 versehen wurde.

II. Das [X.] hat die Klägerin zu Unrecht nicht wieder in die Frist zur Einlegung der Berufung eingesetzt.

1. Nach § 233 ZPO ist einer [X.] auf ihren Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden verhindert war, eine Notfrist einzuhalten.

a) Die Klägerin hat die Berufungsfrist ohne ihr Verschulden versäumt.

aa) Die fristgerechte Übermittlung der Berufungsschrift an das Gericht scheiterte aufgrund der technischen Störung des Empfangsgeräts. Diese hatte die Klägerin nicht zu vertreten.

bb) Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin musste nicht auf andere Weise versuchen, den Schriftsatz fristwahrend an das [X.] zu übermitteln. Er hatte mit der Wahl eines anerkannten Übermittlungsmediums, der ordnungsgemäßen Nutzung eines funktionsfähigen Sendegeräts und der korrekten Eingabe der [X.] das von seiner Seite aus Erforderliche zur Fristwahrung getan. Er hatte - um ca. 20.00 Uhr - so rechtzeitig mit der Übermittlung der Berufungsschrift begonnen, dass unter normalen Umständen mit deren Zugang bis 24 Uhr zu rechnen war (vgl. [X.] 1. August 1996 - 1 [X.] - zu [X.] 2 der Gründe; [X.] 30. September 2003 - [X.] - zu II 2 c der Gründe; 1. Februar 2001 - V ZB 33/00 - zu II 2 der Gründe).

cc) Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist war entgegen der Auffassung des [X.] nicht deshalb zurückzuweisen, weil die Berufung auch dann unzulässig gewesen wäre, wenn kein technisches Hindernis bestanden hätte.

(1) Das [X.] hat angenommen, die Berufung wäre auch bei rechtzeitigem Einreichen eines Schriftsatzes, der dem per E-Mail übersandten Schriftsatz entsprochen hätte, unzulässig gewesen. Einer solchen Berufungsschrift wären weder das Aktenzeichen der angegriffenen Entscheidung noch das erstinstanzliche Gericht zweifelsfrei zu entnehmen gewesen. Da ihr auch das erstinstanzliche Urteil nicht beigefügt gewesen wäre, hätte die Berufungsschrift auch bei rechtzeitigem Eingang nicht den Anforderungen des § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. § 519 Abs. 2 Nr. 1 ZPO genügt (vgl. zu diesen Anforderungen [X.] 27. Juli 2011 - 10 [X.]R 454/10 - Rn. 11, 13).

(2) Darauf kommt es für eine Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist nicht an. Nach § 233 ZPO ist Voraussetzung für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur, dass eine [X.] ohne ihr Verschulden verhindert war, die Rechtsmittelfrist einzuhalten. Ob die Berufungsschrift auch die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt, ist dafür ohne Belang. Deren Vorliegen ist nach der gesetzlichen Regelung nicht im Rahmen des Verfahrens zur Wiedereinsetzung, sondern erst im Rechtsmittelverfahren als solchem zu prüfen.

b) Die Klägerin hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand form- und fristgerecht gestellt (§ 234 Abs. 1 Satz 1, § 236 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO) und die [X.] innerhalb der Antragsfrist von zwei Wochen ordnungsgemäß nachgeholt (§ 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO).

aa) Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat dem Gericht noch am 30. November 2012 einen [X.] übermittelt, welcher die zutreffende Bezeichnung von erstinstanzlichem Gericht und Aktenzeichen enthielt.

bb) Der Umstand, dass dem [X.] bereits zuvor der Ausdruck der per E-Mail übermittelten Berufungsschrift vorlag, die erstinstanzliches Gericht und Aktenzeichen unzutreffend bezeichnete, ist unschädlich. Formfehler einer Berufungsschrift können innerhalb der Berufungsfrist noch behoben werden ([X.] 28. April 1982 - 7 [X.]R 1125/79 - zu II 4 der Gründe, [X.]E 38, 343). Dies gilt im vorliegenden Fall entsprechend. Die Klägerin durfte nach unverschuldeter Fristversäumung die [X.] binnen zweier Wochen nach Wegfall des Hindernisses nachholen. Während dieser [X.] ist sie so zu stellen, als hätte sie die Frist nicht versäumt. Ihr kommt daher auch das Recht zu, in diesem zeitlichen Rahmen einen Formfehler der Berufungsschrift zu korrigieren.

        

    Kreft     

        

    Berger     

        

    Rinck     

        

        

        

        

        

        

                 

Meta

2 AZB 6/13

11.07.2013

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AZB

vorgehend ArbG Frankfurt, 17. Oktober 2012, Az: 14 Ca 2582/12, Urteil

§ 64 ArbGG, § 66 ArbGG, § 130 ZPO, § 130a Abs 1 S 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 Abs 1 S 1 ZPO, § 236 Abs 1 ZPO, § 236 Abs 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 11.07.2013, Az. 2 AZB 6/13 (REWIS RS 2013, 4219)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 4219

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