Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 22.08.2017, Az. 10 AZB 46/17

10. Senat | REWIS RS 2017, 6369

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Rechtsmittelbelehrung - fehlerhafte Adressierung der Berufungsschrift - gemeinsame Einlaufstelle mehrerer Gerichte


Tenor

1. Die Revisionsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des [X.] vom 18. April 2017 - 6 [X.]/15 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Revisionsbeschwerdeverfahrens zu tragen.

3. Der Wert des Revisionsbeschwerdeverfahrens wird auf 9.090,00 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Die [X.]en streiten über vom Kläger geltend gemachte Nachtarbeitszuschläge.

2

Das [X.] hat mit einem am 12. Juni 2015 verkündeten Urteil die Klage abgewiesen. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des [X.] am 10. Juli 2015 zugestellt. Dieser legte mit einem an das [X.] adressierten Schriftsatz Berufung ein. Er übermittelte diesen Schriftsatz am 10. August 2015 gegen 15:00 Uhr per Telefax an die Telefaxnummer des [X.]. Am Abend desselben Tages warf der Prozessbevollmächtigte den an das [X.] adressierten [X.] ferner im Original in den Nachtbriefkasten des [X.] ein, der eine gemeinsame Posteingangseinrichtung des [X.], des [X.] und anderer Justizbehörden ist. Das Arbeitsgericht leitete am 11. August 2015 die Berufung des [X.] formlos an das im selben Gebäude befindliche [X.] [X.] weiter.

3

Mit Beschluss vom 18. April 2017 hat das [X.] die Berufung des [X.] als unzulässig verworfen. Diese sei erst nach Ablauf der Frist des § 66 Abs. 1 ArbGG und damit verspätet beim [X.] eingegangen. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lägen nicht vor. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner vom [X.] zugelassenen Revisionsbeschwerde.

4

II. Die zulässige (§ 77 Satz 1 und Satz 4 ArbGG in Verb. mit § 575 ZPO) Revisionsbeschwerde ist unbegründet. Das [X.] hat die Berufung des [X.] zu Recht als unzulässig verworfen.

5

1. Der Kläger hat die Frist zur Einlegung der Berufung (§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG) versäumt. Der Kläger hätte gemäß § 64 Abs. 1, § 66 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ArbGG gegen das ihm am 10. Juli 2015 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts innerhalb eines Monats - also bis zum Ablauf des 10. August 2015 - Berufung beim [X.] einlegen müssen. Die Berufungsschrift vom 10. August 2015 ist erst am 11. August 2015 beim [X.] eingegangen und wahrt deshalb diese Frist nicht.

6

a) Entgegen der Ansicht der Beschwerde konnte der Kläger nicht gemäß § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG wegen einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung des Arbeitsgerichts die Berufung innerhalb eines Jahres seit Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidung einlegen. Zwar wird in der Rechtsmittelbelehrung des Arbeitsgerichts nur darauf hingewiesen, dass die Berufung innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des Urteils beim [X.] einzulegen ist. Dies gibt den Gesetzeswortlaut des § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG jedoch nur unvollständig wieder, da nach dieser Vorschrift die Berufungsfrist nicht stets nach Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidung zu laufen beginnt, sondern bei nicht fristgerecht zugestellten Entscheidungen spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Das macht die Rechtmittelbelehrung im konkreten Fall aber nicht unrichtig. Selbst wenn man sie als unvollständig ansehen würde, könnte der Kläger daraus die Rechtsfolge des § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG nicht herleiten. Diese wird nur dann ausgelöst, wenn die Unvollständigkeit der Rechtsmittelbelehrung den Rechtsmittelführer beschwert ([X.] 2. Juni 1986 - 6 [X.] - zu II der Gründe; [X.]/[X.]/[X.] 4. Aufl. § 9 Rn. 71; [X.]/[X.]/[X.] 4. Aufl. ArbGG § 9 Rn. 29). Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde dem Kläger bereits vier Wochen nach Verkündung zugestellt. Der Lauf der Berufungsfrist für den Kläger war damit offenkundig allein vom Zeitpunkt der Zustellung des Urteils abhängig.

7

b) Die Berufungsschrift des [X.] ist nicht bis zum Ablauf des 10. August 2015 beim [X.] eingegangen.

8

aa) Das ist für den am 10. August 2015 per Telefax übermittelten Schriftsatz offenkundig. Er ist an diesem Tag nur beim Arbeitsgericht, nicht aber beim [X.] eingegangen. Der Schriftsatz war an das Arbeitsgericht adressiert und an die Telefaxnummer des Arbeitsgerichts übermittelt worden, die sich von der des [X.]s unterscheidet. In die Verfügungsgewalt des [X.]s ist der Schriftsatz erst nach Fristablauf am 11. August 2015 aufgrund Weiterleitung durch das Arbeitsgericht gelangt.

9

bb) Gleiches gilt für den am Abend des 10. August 2015 in den Nachtbriefkasten des [X.] eingeworfenen Schriftsatz. Das [X.] hatte dadurch keine tatsächliche Verfügungsgewalt über den Schriftsatz. Ein bei einer gemeinsamen [X.] mehrerer Gerichte eingegangener Schriftsatz einer [X.] ist mit der Einreichung bei der [X.] bei dem Gericht eingegangen, an das er adressiert ist ([X.] März 2010 - IV ZB 15/09 - Rn. 6 mwN). Dies war aber das Arbeitsgericht und nicht das [X.]. Es liegt auch kein Sonderfall vor, in dem die Fehlerhaftigkeit der Adressierung ohne weiteres erkennbar war (vgl. hierzu [X.] 18. Februar 1997 - [X.] -).

2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hat das [X.] dem Kläger zu Recht versagt, § 233 iVm. § 85 Abs. 2 ZPO.Seinen Prozessbevollmächtigten trifft ein Verschulden an der durch falsche Adressierung und falsche Telefaxübermittlung verursachten Versäumung der Notfrist zur Einlegung der Berufung.

a) Aufgrund der falschen Adressierung und falschen Telefaxübermittlung ist die Berufung am Tag des Fristablaufs beim Arbeitsgericht und erst einen Tag später beim [X.] eingegangen. Der Prozessbevollmächtigte, dessen Verschulden dem Kläger zugerechnet wird (§ 85 Abs. 2 ZPO), hat dieses nicht entschuldigt. Er bezieht sich nur auf ein „bedauerliches Büroversehen“, ohne dieses näher zu erläutern oder Mittel der Glaubhaftmachung vorzulegen.

b) Die Kausalität des Verschuldens des Prozessbevollmächtigten des [X.] an der Fristversäumung ist nicht dadurch entfallen, dass das Arbeitsgericht den [X.] seinerseits nicht rechtzeitig an das [X.] weitergeleitet hat.

aa) Geht ein fristgebundenes Rechtsmittel statt beim zuständigen Rechtsmittelgericht bei einem anderen Gericht ein, ist dieses grundsätzlich lediglich verpflichtet, den Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Geht der Schriftsatz so rechtzeitig ein, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, darf die [X.] darauf vertrauen, dass der Schriftsatz noch rechtzeitig beim Rechtsmittelgericht eingeht. Kommt das angerufene Gericht dem nicht nach, wirkt sich das Verschulden der [X.] oder ihrer Verfahrensbevollmächtigten an der falschen Adressierung nicht mehr aus, so dass ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist. Die eine Wiedereinsetzung begehrende [X.] hat jedoch darzulegen und glaubhaft zu machen, dass ihr Schriftsatz im normalen ordnungsgemäßen Geschäftsgang fristgerecht an das zuständige Rechtsmittelgericht hätte weitergeleitet werden können (vgl. [X.] 8. Februar 2012 - [X.]/11 - Rn. 22).

bb) Nach diesem Maßstab ist es nicht zu beanstanden, dass der [X.] des [X.] vom Arbeitsgericht erst am 11. August 2015 und damit nach Fristablauf an das [X.] weitergeleitet wurde.

(1) Den am 10. August 2015 in den Nachtbriefkasten eingeworfenen Schriftsatz konnte das Arbeitsgericht offenkundig nicht vor dem 11. August 2015 an das [X.] weiterleiten. Etwas anderes behauptet auch der Kläger nicht.

(2) Der Kläger konnte nicht darauf vertrauen, dass der am 10. August 2015 gegen 15:00 Uhr beim Arbeitsgericht als Telefax eingegangene Schriftsatz noch am selben Tag an das [X.] weitergeleitet wird. In diesem Zusammenhang beruft sich die Beschwerde zu Unrecht darauf, dass bei einem Dienstschluss von 16:00 Uhr beim Arbeitsgericht noch ausreichend Zeit für eine Weiterleitung des Schriftsatzes am selben Tag bestanden habe, zumal sich das [X.] im selben Gebäude befinde. Damit verkennt der Kläger, dass sich aus der verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht der staatlichen Gerichte keine generelle Verpflichtung zur sofortigen Prüfung der Zuständigkeit bei Eingang der [X.] ableiten lässt. Dies enthöbe die Verfahrensbeteiligten und deren Prozessbevollmächtigte ihrer eigenen Verantwortung für die Einhaltung der Formalien und überspannte die Anforderungen an die Grundsätze des fairen Verfahrens ([X.] 17. Januar 2006 - 1 BvR 2558/05 - Rn. 10, [X.]K 7, 198). Der Kläger konnte nicht damit rechnen, dass der Schriftsatz noch am selben Tag vom Arbeitsgericht an das zuständige [X.] weitergeleitet wird (vgl. [X.] 20. August 1997 - 2 [X.] - zu [X.] der Gründe; [X.] 8. Februar 2012 - [X.]/11 - Rn. 22; 12. Juni 2013 - XII ZB 394/12 - Rn. 23).

III. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Revisionsbeschwerdeverfahrens zu tragen.Die [X.] beruht auf § 63 GKG.

        

    Linck    

        

    Brune    

        

    Schlünder    

        

        

        

        

        

        

                 

Meta

10 AZB 46/17

22.08.2017

Bundesarbeitsgericht 10. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AZB

vorgehend ArbG Erfurt, 12. Juni 2015, Az: 8 Ca 2716/14, Urteil

§ 66 Abs 1 S 1 ArbGG, § 66 Abs 1 S 2 ArbGG, § 64 Abs 1 ArbGG, § 9 Abs 5 S 4 ArbGG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 22.08.2017, Az. 10 AZB 46/17 (REWIS RS 2017, 6369)

Papier­fundstellen: NJW 2017, 3614 REWIS RS 2017, 6369

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

10 Sa 1425/98 (Landesarbeitsgericht Düsseldorf)


5 AZB 16/19 (Bundesarbeitsgericht)

Überwachungspflichten bei Berufungseinlegung über das beA


5 AZB 10/10 (Bundesarbeitsgericht)

Alleinentscheidungsbefugnis des Vorsitzenden - Versäumung der Berufungsbegründungsfrist


IV ZB 15/09 (Bundesgerichtshof)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Wahrung der Berufungsfrist bei Eingang der an ein falsches Gericht …


5 AZB 23/20 (Bundesarbeitsgericht)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - einfache Signatur


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.