Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.10.2010, Az. V ZB 210/09

5. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 2095

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Gegenstand

Ablehnung einer Gerichtsperson: Non liquet hinsichtlich der Glaubhaftmachung der tatsächlichen Grundlagen eines Ablehnungsgrundes


Leitsatz

Sieht sich das Beschwerdegericht bei der Frage, ob die tatsächlichen Grundlagen eines Ablehnungsgrundes glaubhaft gemacht sind (§ 44 Abs. 2 ZPO), weder zur Bejahung noch zur Verneinung einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit in der Lage (non liquet), führt dies nicht dazu, dass von der die Besorgnis der Befangenheit begründenden Behauptung des Ablehnenden auszugehen ist .

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners wird der Beschluss der Zivilkammer 4 des [X.] vom 18. November 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt für die Gerichtskosten 500 € und für die Vertretung des Schuldners 264.000 €.

Gründe

I.

1

Der Rechtsbeschwerdeführer ist Schuldner des im Rubrum näher bezeichneten [X.]. Die in dem Versteigerungstermin am 6. Januar 2009 tätig gewordene Rechtspflegerin hat er wegen Besorgnis der Befangenheit mit der Begründung abgelehnt, diese habe sich nach Übergabe eines Einstellungsantrages nach § 765a ZPO wie folgt geäußert:

"Ich werde das noch prüfen und während der [X.] entscheiden, aus welchen Gründen ich den Antrag ablehne.“

2

Zur Glaubhaftmachung stützt sich der Schuldner auf eine diesen Vortrag bestätigende eidesstattliche Versicherung von [X.], der in dem Termin "im Auftrag" des Schuldners anwesend war. In der dienstlichen Äußerung der Rechtspflegerin hierzu heißt es:

"Nach dem Termin wurde über den Antrag gem. § 765a ZPO entschieden. Die Äußerung, dass der Antrag noch geprüft werden muss und ich während der Bietstunde entscheide, aus welchen Gründen ich den Antrag ablehne, konnte und wurde von [X.] auch nicht ausgesprochen. Eine anderweitige Entscheidung als über Gebote kann in der Bietstunde gar nicht getroffen werden."

3

Das Amtsgericht hat das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde ist erfolglos geblieben. Auf die zunächst von dem [X.] durch die Einzelrichterin zugelassene Rechtsbeschwerde hat der [X.] die Beschwerdeentscheidung wegen Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG aufgehoben und die Sache an das Beschwerdegericht zurückverwiesen. Dieses hat die Beschwerde erneut - nunmehr in voller Kammerbesetzung - zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner sein Ablehnungsgesuch weiter.

II.

4

Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, dem Schuldner sei es nicht gelungen, die behauptete Äußerung der Rechtspflegerin glaubhaft zu machen. Der eidesstattlichen Versicherung von [X.] stehe die dienstliche Äußerung der Rechtspflegerin entgegen. Da nicht festgestellt werden könne, welche Darstellung zutreffe, sei von einem "non liquid" auszugehen, das zu Lasten des das Ablehnungsgesuch stellenden Verfahrensbeteiligten gehe.

III.

5

1. Die gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und nach § 575 ZPO auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

6

a) Allerdings rügt die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg, das Rechtsbeschwerdegericht sei auf der Grundlage der Beschwerdeentscheidung nicht zu einer rechtlichen Überprüfung in der Lage. Zwar sind ausreichende tatsächliche Angaben erforderlich (vgl. nur [X.], Beschluss vom 7. Mai 2009 - [X.]/08, [X.] 2009, 442 f.; [X.], Beschluss vom 20. Juni 2002 - [X.], [X.], 2648, 2649; Beschluss vom 5. August 2002 - [X.], NJW-RR 2002, 1571; Beschluss vom 12. Juli 2004 - [X.], NJW-RR 2005, 78; Beschluss vom 7. April 2005 - IX [X.], NJW-RR 2005, 916), weil das Rechtsbeschwerdegericht nach § 577 Abs. 2 Satz 4, § 559 ZPO grundsätzlich von dem Sachverhalt auszugehen hat, den das Beschwerdegericht festgestellt hat. Fehlen solche Feststellungen, ist es zu einer rechtlichen Überprüfung nicht in der Lage. Ausführungen des [X.], die eine solche Überprüfung nicht ermöglichen, sind keine Gründe im zivilprozessualen Sinne. Sie begründen einen Verfahrensmangel, der von Amts wegen zu berücksichtigen ist und die Aufhebung der Beschwerdeentscheidung nach sich zieht ([X.], Beschluss vom 11. Mai 2006 - [X.], [X.], 1030). So liegt es hier jedoch nicht. Die tatsächlichen Ausführungen des [X.] ermöglichen infolge der darin enthaltenen Bezugnahmen in (noch) ausreichender Weise die auf Rechtsfehler beschränkte Überprüfung durch den [X.].

7

b) Dieser [X.] hält die Beschwerdeentscheidung jedoch nicht stand. Die Rechtsbeschwerde rügt im Ergebnis zu Recht, dass die Erwägung, mit der das Beschwerdegericht eine Glaubhaftmachung verneint hat, von unzutreffenden rechtlichen Voraussetzungen ausgeht. Denn entgegen der Auffassung des [X.] scheitert eine Glaubhaftmachung nicht schon dann, wenn nicht festgestellt werden kann, ob die Darstellung des [X.] oder die des Abgelehnten zutrifft. Anders als in Konstellationen, in denen eine Partei den (vollen) Beweis für eine Behauptung zu erbringen hat, ist eine Glaubhaftmachung selbst bei Vorliegen vernünftiger Zweifel nicht ausgeschlossen. Nach den zu § 294 ZPO entwickelten Grundsätzen genügt zur Glaubhaftmachung ein geringerer Grad der richterlichen Überzeugungsbildung. An die Stelle des [X.] tritt eine Wahrscheinlichkeitsfeststellung. Die Behauptung ist schon dann glaubhaft gemacht, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sie zutrifft (vgl. nur [X.], Beschluss vom 21. Dezember 2006 - [X.], NJW-RR 2007, 776, 777; [X.], ZPO, 22. Aufl., § 294 Rn. 7; jeweils mwN). Diese Voraussetzung ist schon dann erfüllt, wenn bei der erforderlichen umfassenden Würdigung der Umstände des jeweiligen Falles mehr für das Vorliegen der in Rede stehenden Behauptung spricht als dagegen ([X.], Beschluss vom 11. September 2003 - [X.], [X.]Z 156, 139, 143). Diese Würdigung vorzunehmen, ist - ebenso wie die Beweiswürdigung nach § 286 ZPO - grundsätzlich Sache des Tatrichters.

8

c) Der Rechtsfehler des [X.] führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht, damit dieses die erforderliche Würdigung nachholen kann (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Das Beschwerdegericht hat daher im Einzelnen zu prüfen und zu würdigen, ob für die von dem Schuldner behauptete Äußerung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht. Diese Würdigung ist zu begründen. Die angestellten Erwägungen müssen zumindest deutlich machen, dass auf der Grundlage des zutreffenden Maßstabes die wesentlichen Umstände abgewogen worden sind ([X.]/[X.]/[X.]/[X.], aaO, § 294 Rn. 3; [X.], aaO, § 294 Rn. 9; vgl. auch [X.], Beschluss vom 11. September 2003 - [X.], [X.]Z 156, 139, 143).

9

2. Für das weitere Verfahren weist der [X.] auf Folgendes hin:

a) Sollte die von dem Beschwerdegericht nachzuholende Würdigung dazu führen, dass sich das Beschwerdegericht weder zur Bejahung noch zur Verneinung einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit in der Lage sieht (non liquet), führte dies nicht dazu, dass gleichwohl von einer Glaubhaftmachung der die Besorgnis der Befangenheit begründenden Behauptung des [X.] auszugehen wäre (wie hier etwa [X.], [X.], 404, 405; [X.]/[X.]/[X.]/[X.], ZPO, 68. Aufl., § 44 Rn. 5; [X.]/[X.], 3. Aufl., § 44 Rn. 8; vgl. auch [X.], Beschluss vom 14. Mai 2002 - [X.], juris Rn. 19; Beschluss vom 13. Januar 2003 - [X.], [X.], 848, 850; [X.], [X.], 221, 222; Musielak/[X.], ZPO, 7. Aufl., § 294 Rn. 3; [X.], 131, 137; [X.], [X.], 122 f.; [X.]/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 42 Rn. 10; [X.], [X.], 1304, 1305 mwN).

aa) Dass § 42 Abs. 2 ZPO nicht an die Befangenheit des [X.]s bzw. des [X.] (§ 10 Satz 1 RPflG) anknüpft, sondern bereits an ein Verhalten, das die Annahme der Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt, bedeutet nicht, dass das dieser Bewertung zugrunde liegende Verhalten nicht mit den Mitteln der Glaubhaftmachung festgestellt werden müsste. Die Last der Glaubhaftmachung trägt nach der klaren und unzweideutigen Regelung des § 44 Abs. 2 ZPO der Ablehnende. Erweist sich der von ihm behauptete Geschehensablauf nicht als überwiegend wahrscheinlich, ist das Ablehnungsgesuch zurückzuweisen. Gerade eine solche Konstellation liegt jedoch vor, wenn das Gericht den widerstreitenden Mitteln der Glaubhaftmachung exakt den gleichen Beweiswert beimisst (vgl. auch [X.]/[X.]/[X.]/[X.], aaO).

bb) Die Zulassung einer Ausnahme für den Sachbereich der Ablehnung von [X.] findet im Gesetz keine Stütze. Bei der Beweiswürdigung ist der [X.] grundsätzlich frei. Nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen ist er an [X.] gebunden (§ 286 Abs. 2 ZPO). Bei der Würdigung der Frage, ob eine Behauptung glaubhaft gemacht ist, gilt nichts anderes. Da auch diese Würdigung einen Akt wertender Erkenntnis darstellt, die sich jedenfalls in [X.] von der Beweiswürdigung nur hinsichtlich des Beweismaßes, also von dem Grad der Überzeugungsbildung unterscheidet, kommt auch insofern der Grundsatz der freien richterlichen Überzeugungsbildung zum Tragen (vgl. nur [X.], Beschluss vom 21. Dezember 2006 - [X.], NJW-RR 2007, 776, 777 mwN). Einen Rechtssatz dahin, dass bei divergierenden Äußerungen mit gleichem Beweiswert ausnahmsweise der dienstlichen Stellungnahme des [X.]s bzw. des [X.] ein geringerer Beweiswert zukommt, kennt das Gesetz nicht.

cc) Dass der Ablehnende nach der klaren Gesetzeslage generell die Last der Glaubhaftmachung trägt (§ 44 Abs. 2 ZPO), ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG darf niemand seinem gesetzlichen [X.] entzogen werden; der gesetzlich im Voraus bestimmte [X.] darf nicht verdrängt werden. Dieser Grundsatz gilt indessen nicht ausnahmslos, weil das Grundgesetz von einem [X.]bild ausgeht, das von der Neutralität und Distanz des [X.]s gegenüber den Verfahrensbeteiligten geprägt ist (vgl. [X.] 21, 139, 145 f.; [X.], NJW 2007, 3771, 3772 mwN). Daher ist ein [X.] von einem Verfahren auszuschließen, wenn er diesen Anforderungen nicht genügt oder durch sein Verhalten zumindest begründeten Anlass zu der Besorgnis gibt, er stehe der Sache nicht (mehr) unvoreingenommen gegenüber. Vor dem Hintergrund dieses [X.] ist es naheliegend, zumindest aber verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber die Last der Glaubhaftmachung demjenigen Verfahrensbeteiligten auferlegt, der den [X.] ablehnt. Das gilt auch dann, wenn sich bei miteinander unvereinbaren Schilderungen auch bei verständiger Würdigung der Gesamtumstände nicht sagen lässt, welche Version die wahrscheinlichere ist.

Nicht anders verhält es sich, wenn es - wie hier - um die Ablehnung einer Rechtspflegerin geht. Zwar unterfällt die Tätigkeit eines [X.] nicht dem Gewährleistungsbereich des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Rechtspfleger sind keine [X.] (vgl. nur [X.] 101, 397, 405; [X.], Beschluss vom 10. Dezember 2009 - [X.], [X.], 910, 911 mwN). Jedoch hat der Gesetzgeber in Ausübung des ihm eingeräumten [X.] die Ablehnung von [X.] denselben Anforderungen unterworfen, unter denen ein [X.] wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden kann (§ 10 Satz 1 RPflG).

b) Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Der [X.] hat bereits entschieden, dass sich die Beteiligten in einem bereits eröffneten Zwangsversteigerungsverfahren in der Regel nicht als Parteien im Sinne der Zivilprozessordnung gegenüber stehen, und deshalb § 97 Abs. 1 ZPO grundsätzlich nicht anwendbar ist (vgl. dazu insbesondere [X.], Urteil vom 19. Januar 2007 - [X.], [X.]Z 170, 378, 381 mwN). Für Beschwerdeverfahren, die sich an ein in einem eröffneten Zwangsversteigerungsverfahren gestelltes Ablehnungsgesuch anschließen, gilt nichts anderes (vgl. [X.], [X.], Beschluss vom 21. Juni 2007 - [X.], NJW-RR 2008, 216, 217).

Krüger                                  [X.]                                     Schmidt-Räntsch

                      [X.]                                    Brückner

Meta

V ZB 210/09

21.10.2010

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Hamburg, 18. November 2009, Az: 304 T 14/09, Beschluss

§ 44 Abs 2 ZPO, § 10 S 1 RPflG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.10.2010, Az. V ZB 210/09 (REWIS RS 2010, 2095)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 2095

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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