Bundesfinanzhof, Beschluss vom 22.10.2021, Az. IX B 16/21

9. Senat | REWIS RS 2021, 1653

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

(Im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Beschluss vom 22.10.2021 IX B 15/21 - Ablehnung eines "coronabedingten" Terminsverlegungsantrags)


Leitsatz

NV: Trotz Vorerkrankung eines nicht geimpften Prozessbeteiligten kann es sich im fortgeschrittenen Stadium der COVID-19-Pandemie als nicht verfahrensfehlerhaft erweisen, wenn das FG den Antrag auf Terminsverlegung ablehnt und ohne den Prozessbeteiligten mündlich verhandelt.

Tenor

Die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 19.01.2021 - 6 K 2198/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Kläger zu tragen.

Gründe

1

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

2

Die Revision ist nicht wegen eines [X.], auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--), zuzulassen.

3

1. Die Ablehnung des Antrags auf Terminsverlegung und die nachfolgende Durchführung der mündlichen Verhandlung am 19.01.2021 erweisen sich nicht als verfahrensfehlerhaft.

4

a) Einem Verfahrensbeteiligten wird rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--, §§ 96 Abs. 2, 119 Nr. 3 [X.]O) versagt, wenn das Gericht mündlich verhandelt und in der Sache entscheidet, obwohl er einen Antrag auf Terminsverlegung gemäß § 155 [X.]O i.V.m. § 227 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) gestellt und dafür erhebliche Gründe geltend gemacht hat. Das Finanzgericht ([X.]) ist in einem solchen Falle verpflichtet, den anberaumten Verhandlungstermin zu verlegen (z.B. Senatsbeschluss vom 05.11.2013 - IX B 71/13, [X.], 175, Rz 2).

5

b) Nach § 155 [X.]O i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann das Gericht einen Termin aus erheblichen Gründen vor seiner Durchführung aufheben oder (unter Bestimmung eines neuen Termins) verlegen. Welche Gründe als erheblich anzusehen sind, richtet sich nach den Verhältnissen des Einzelfalls. Zu den erheblichen Gründen i.S. des § 227 ZPO gehört auch die krankheitsbedingte Verhinderung. Allerdings stellt nicht jegliche Erkrankung einen ausreichenden Grund für eine Terminsverlegung dar. Diese ist grundsätzlich nur geboten, wenn die Erkrankung so schwer ist, dass vom Beteiligten die Wahrnehmung des Termins nicht erwartet werden kann (vgl. Beschluss des [X.] --[X.]-- vom 06.04.2021 - VIII B 108/20, juris, Rz 10 f., m.w.N.).

6

c) Auf Verlangen des Vorsitzenden sind die erheblichen Gründe glaubhaft zu machen (§ 155 Satz 1 [X.]O i.V.m. § 227 Abs. 2 ZPO). Die Glaubhaftmachung erfordert nicht den vollen Beweis, wohl aber die überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass die Umstände, aus denen der erhebliche Grund abgeleitet wird, tatsächlich vorliegen. Der eine Terminsverlegung beantragende Verfahrensbeteiligte muss die Gründe i.S. des § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO so genau angeben, dass sich das Gericht aufgrund seiner Schilderung ein Urteil über deren Erheblichkeit bilden kann (vgl. [X.] vom 06.04.2021 - [X.]/20, juris, Rz 12).

7

d) Nach diesen Grundsätzen durfte das [X.] den Terminsverlegungsantrag der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ablehnen und in ihrer Abwesenheit mündlich verhandeln.

8

aa) Die Kläger haben in ihrem Antrag vom 13.01.2021 im Wesentlichen auf die von der COVID-19-[X.] ausgehenden Gesundheitsgefährdungen, insbesondere bei der Benutzung des öffentlichen Personennahverkehrs, sowie das Alter und die Vorerkrankungen des [X.] hingewiesen. Sie haben beantragt, den Termin für die mündliche Verhandlung auf die [X.] nach dessen Schutzimpfung zu "verschieben".

9

Der Vorsitzende des Senats hat die --erneute-- Verlegung des Termins unter Hinweis darauf, dass wegen des umfangreichen gerichtlichen Schutzkonzepts (Einsatz eines Luftreinigungsgeräts, regelmäßiges Lüften, Desinfizieren der Tische, Nutzung von Plexiglasabtrennungen) keine besondere Ansteckungsgefahr bestehe, abgelehnt. Zudem bestehe bei lang andauernder Verhinderung aus gesundheitlichen Gründen die Pflicht, für eine Vertretung zu sorgen.

bb) Dies erscheint vertretbar. Zwar haben das Alter der Kläger und die Vorerkrankungen des [X.] sowie der Umstand, dass die mündliche Verhandlung auf dem "Höhepunkt" der sog. zweiten Welle der Corona-[X.] stattgefunden hat, für eine Terminsverlegung gesprochen. Gleiches gilt für die erfolgte Anmeldung des [X.] zur Corona-Schutzimpfung.

Das [X.] hat aber zu Recht darauf hingewiesen, dass aufgrund des vom Gericht ergriffenen Schutzkonzepts kein erhöhtes Ansteckungsrisiko in der mündlichen Verhandlung besteht. Dies ist sachgerecht. Eine schwere Vorerkrankung eines Prozessbeteiligten gebietet nicht per se die Terminsaufhebung oder -verlegung, sondern stellt (nur) einen angemessen zu berücksichtigenden Abwägungsgesichtspunkt im Rahmen der Anwendung und Auslegung des "erheblichen Grunds" i.S. des § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO dar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass einem Gericht, das Maßnahmen ergreift, um einer zu befürchtenden Schädigung entgegenzuwirken, bei der Erfüllung seiner Schutzpflichten ein erheblicher Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zusteht (Verfassungsgericht des [X.], Beschluss vom 19.03.2021 - 11/21, 11/21 (PKH), 4/21 [X.], 4/21 [X.] (PKH), juris, Rz 26, m.w.N.).

Im Übrigen hatte der Vorsitzende die Kläger bereits mit [X.] vom 05.10.2020 auf das bestehende Schutzkonzept des [X.] hingewiesen. Zudem hatte er den auf den 10.11.2020 bestimmten Termin zur mündlichen Verhandlung bereits antragsgemäß aufgehoben und die Sache --wie von den Klägern vorgeschlagen-- nicht vor Januar 2021 neu terminiert. Dies lässt eine erneute Terminsverlegung als nicht gerechtfertigt erscheinen.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass die mündliche Verhandlung in einem fortgeschrittenen Stadium der [X.] stattgefunden hat. Vor diesem Hintergrund unterscheidet sich der Streitfall etwa von jenem, über den das [X.] ([X.]) [X.] im Beschluss vom 02.07.2020 - 3 W 41/20 (Neue Juristische [X.] Zivilrecht --NJW-RR-- 2020, 1325) zu entscheiden hatte. Dort hat das [X.] einen erheblichen Grund i.S. des § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO im Fall einer lungenvorerkrankten Rechtsanwältin darin gesehen, dass der Termin in einem recht frühen Stadium der Corona-[X.] hätte stattfinden sollen.

Zwar verblieb es damit bei der von den Klägern geltend gemachten Ansteckungsgefahr auf der An- und Abreise. Insofern wäre es den Klägern aber durchaus zuzumuten gewesen, auf Alternativen zum öffentlichen Personennahverkehr (PKW, [X.]) auszuweichen. Dies erscheint --auch angesichts der Entfernung zwischen dem Wohn- bzw. Dienstort der Kläger und dem [X.]-- nicht unzumutbar.

Zudem hat der Vorsitzende zu Recht berücksichtigt, dass die Kläger bereits mit [X.] vom 05.10.2020 sowie in der Ladung vom 27.11.2020 auf die Möglichkeit, für eine Vertretung zu sorgen, hingewiesen worden waren. Mit Blick auf die Regelung in § 53 der Bundesrechtsanwaltsordnung muss ein Prozessbevollmächtigter, der angesichts der fortdauernden Corona-[X.] wegen seiner gesundheitlichen Situation davon ausgeht, Termine nicht wahrnehmen zu können, Vorsorge für eine Vertretung treffen (vgl. Beschluss des [X.] [X.] in NJW-RR 2020, 1325, Rz 25). Dies entspricht der --vergleichbaren-- Situation bei einer längeren Erkrankung, die den Beteiligten dazu verpflichtet, Vorsorge für die Terminswahrnehmung zu treffen, etwa durch Bestellung eines ([X.] (vgl. [X.] vom 04.03.2014 - VII B 189/13, [X.], 1057, Rz 7; Gräber/[X.], Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 91 Rz 4).

2. Ein Verfahrensmangel liegt auch nicht in der Ablehnung des [X.] der Kläger.

a) Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 [X.]O i.V.m. § 42 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Dabei kommt es darauf an, ob der Prozessbeteiligte von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger objektiver Betrachtung Anlass hat, die Voreingenommenheit des oder [X.] zu befürchten. Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 [X.]O i.V.m. § 44 Abs. 2 ZPO sind die das Misstrauen in die Unparteilichkeit rechtfertigenden Umstände im Ablehnungsgesuch substantiiert darzulegen und glaubhaft zu machen. Ein Zulassungsgrund ist dabei nur dann gegeben, wenn die Ablehnung entweder gegen das Willkürverbot verstößt oder ein Verfahrensgrundrecht wie der Anspruch auf [X.] (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzt wird. Auch das Verfahrensgrundrecht auf [X.] schützt indes nur vor willkürlichen Verstößen gegen Verfahrensvorschriften. Eine Besetzungsrüge kann deshalb auch nur dann Aussicht auf Erfolg haben, wenn sich dem Beschwerdevorbringen entnehmen lässt, dass der Beschluss über die Zurückweisung des [X.] nicht nur fehlerhaft, sondern greifbar gesetzwidrig und damit willkürlich war (vgl. nur Senatsbeschluss vom 04.09.2017 - IX B 84/17, [X.], 1619, Rz 11, m.w.N.).

b) Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor.

aa) Die Kläger haben den Befangenheitsantrag im Wesentlichen auf die Ablehnung der beantragten Terminsverlegung durch den Vorsitzenden gestützt. Der Termin könne durchaus [X.] verlegt werden. Die im Gerichtsgebäude ergriffenen Schutzmaßnahmen änderten nichts daran, dass die An- und Abreise mit einer Ansteckungsgefahr verbunden sei. Eine Pflicht zur Bestellung eines ([X.] bestehe zudem nicht.

Demgegenüber hat das [X.] die Ablehnung des [X.] damit begründet, dass die Ablehnung des Antrags auf Terminsverlegung nicht willkürlich gewesen sei. Im Gerichtssaal selbst bestehe aufgrund des bestehenden Schutzkonzepts keine erhöhte Ansteckungsgefahr. Könnten sich die Kläger der allgemeinen Ansteckungsgefahr bei der An- und Abreise --nachvollziehbarerweise-- nicht aussetzen, seien sie für unabsehbare [X.] nicht in der Lage, an einer mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Daher seien sie --in entsprechender Anwendung der für Krankheiten entwickelten [X.] verpflichtet, für eine Vertretung zu sorgen. Ansonsten könnten auf unabsehbare [X.] keine Prozesse mit älteren Personen geführt werden. Dies sei verfassungsrechtlich nicht geboten. Wenn nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) auch ein 77-Jähriger zu einer Strafverhandlung erscheinen müsse (Beschluss vom 16.11.2020 - 2 BvQ 87/20, juris), dürften Gerichtsverfahren, bei denen die Beteiligten nicht zum Erscheinen verpflichtet seien, erst recht durchgeführt werden.

bb) Dies erweist sich als nicht greifbar gesetzeswidrig. Die Ablehnung eines Antrags auf Terminsverlegung allein rechtfertigt die Besorgnis der Befangenheit nicht (Senatsbeschluss in [X.], 1619, Rz 12; Gräber/Stapperfend, a.a.[X.], § 51 Rz 52). Aber auch im Übrigen bestanden keine Hinweise für eine Befangenheit des Vorsitzenden. Der Hinweis auf die Entscheidung des [X.] ist missverständlich, aber nicht sachfremd. Die Kernaussage liegt (allein) darin, dass mündliche Verhandlungen vor dem [X.], zu denen die Beteiligten nicht erscheinen müssen (vgl. § 91 Abs. 2 [X.]O), auch in [X.]zeiten durchgeführt werden können und nicht dauerhaft ausgeschlossen sein dürfen. Dies ist nicht zu beanstanden.

c) Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass sich [X.] zwar nach § 51 Abs. 1 Satz 1 [X.]O i.V.m. § 44 Abs. 3 ZPO über den Ablehnungsgrund dienstlich zu äußern hat. Einer dienstlichen Äußerung bedarf es nach der Rechtsprechung des [X.] indes nicht, wenn der Sachverhalt, auf den das Ablehnungsgesuch gestützt wird, feststeht (vgl. nur [X.] vom 24.11.2000 - II B 44/00, [X.]/NV 2001, 621). Darauf hat sich das [X.] --zu Recht-- berufen. Auch vor diesem Hintergrund begegnet der das Ablehnungsgesuch zurückweisende Beschluss keinen Bedenken.

3. Ebenso wenig liegt ein Verfahrensmangel darin, dass das [X.] unter Mitwirkung des abgelehnten Richters entschieden hat. Die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch ergeht durch Beschluss (§ 51 Abs. 1 Satz 1 [X.]O i.V.m. § 46 Abs. 1 ZPO). Dieser ist sofort wirksam. Einer förmlichen Zustellung bedarf es nicht (§ 53 Abs. 1 [X.]O); die formlose Mitteilung genügt (Gräber/Stapperfend, a.a.[X.], § 53 Rz 3). Vor diesem Hintergrund durfte [X.] bei der mündlichen Verhandlung mitwirken.

4. Von einer weiter gehenden Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 [X.]O abgesehen.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

IX B 16/21

22.10.2021

Bundesfinanzhof 9. Senat

Beschluss

vorgehend FG München, 19. Januar 2021, Az: 6 K 2198/18, Urteil

§ 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 155 FGO, § 227 ZPO, § 96 Abs 2 FGO, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 22.10.2021, Az. IX B 16/21 (REWIS RS 2021, 1653)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 1653

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