Bundespatentgericht, Beschluss vom 23.05.2016, Az. 19 W (pat) 19/15

19. Senat | REWIS RS 2016, 11069

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Gegenstand

Patentbeschwerdeverfahren – "Schutzvorrichtung mit richtzonenselektiver Verriegelungsfunktionalität" – Prioritätsunterlagen können nicht als Offenbarungsquelle für nachgereichte Zeichnungen dienen


Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Patentanmeldung 10 2014 217 457.0

hat der 19. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des [X.] am 23. Mai 2016 unter Mitwirkung des Vorsitzenden [X.] [X.], der Richterin [X.] sowie [X.]. [X.]. [X.] und Dipl.-Ing. Matter

beschlossen:

Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse H 02 H des [X.] vom 15. Mai 2015 aufgehoben und die Sache zur weiteren Bearbeitung der Patentanmeldung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

I.

1

Die Anmelderin hat am 2. September 2014 einen Antrag auf Erteilung eines Patents mit der Bezeichnung „Schutzvorrichtung mit richtzonenselektiver Verriegelungsfunktionalität“ beim [X.] (i. W. [X.]) eingereicht, dem sieben Blatt Zeichnungen, Figuren 1 bis 8, beigefügt waren. In der Beschreibung der Anmeldung (Seiten 7 bis 17) wird auf Figuren 1, 2A, [X.], 3, 4, 5, 6 und 7 Bezug genommen. Dem Antrag beigefügt ist weiterhin eine Abschrift der [X.] Voranmeldung CN 2013P05982, deren Priorität vom 10. September 2013 in Anspruch genommen wird, und die sieben Blatt Zeichnungen, Figuren 1, 2A, [X.], 3 bis 7, umfasst.

2

Auf einen Hinweis der Prüfungsstelle vom 23. September 2014 bezüglich Unstimmigkeiten bei der Nummerierung der Figuren in der Beschreibung und in den Zeichnungen, hat die Anmelderin mit Eingabe vom 30. Januar 2015, eingegangen am selben Tag, einen Satz Zeichnungen nachgereicht, die mit der Nummerierung (Figuren 1, 2A, [X.], 3 bis 7) in der Beschreibung übereinstimmen und auch mit der jeweils zugehörigen Figurenbeschreibung korrespondieren. Die nachgereichten Figuren 1 und 3 bis 7 weichen jedoch sämtlich in dem dargestellten Inhalt von dem der ursprünglich mit der Anmeldung eingereichten Figuren 1 und 3 bis 7 ab.

3

Mit Bescheid vom 12. Februar 2015 hat die Prüfungsstelle darauf hingewiesen, dass die mit der Anmeldung eingegangenen Unterlagen eine Bezugnahme auf Zeichnungen (Figuren 1, 2A, [X.], 3 bis 7) enthielten, die ursprünglich eingereichten Zeichnungen aber ersichtlich nicht zur Beschreibung der Ausführungsbeispiele gehörten. Die entsprechenden zur Anmeldung gehörenden Zeichnungen (Figuren 1, 2A, [X.], 3 bis 7) seien erst am 30. Januar 2015 nachgereicht worden. Die Anmelderin ist – unter Fristsetzung von einem Monat ab Zustellung – aufgefordert worden zu erklären, ob die Bezugnahme auf Zeichnungen als nicht erfolgt gelten solle mit dem dann ursprünglichen Anmeldetag oder ob sie als erfolgt gelten solle mit dem dann verschobenen Anmeldetag 30. Januar 2015.

4

Mit Eingabe vom 18. Februar 2015 hat die Anmelderin geltend gemacht, dass die korrekten Zeichnungen zusammen mit der Anmeldung in der Abschrift der [X.] Prioritätsanmeldung eingereicht und offenbart worden seien. Sinn und Zweck der §§ 34 Abs. 3 und 35 Abs. 2 [X.] sei es, mit nachgereichten Unterlagen nicht nachträglich den [X.] der Anmeldung zu erweitern. Dies sei aber vorliegend mit den am 30. Januar 2015 nachgereichten Zeichnungen nicht geschehen, da diese mit den Zeichnungen der am Anmeldetag eingegangenen Abschrift der [X.] Prioritätsanmeldung übereinstimmten. Auch unter Hinweis auf Regel 56 Abs. 3 [X.] werde deshalb beantragt, den ursprünglichen Anmeldetag für die nachgereichten Zeichnungen beizubehalten.

5

Durch Beschluss vom 15. Mai 2015 hat die Prüfungsstelle die Patentanmeldung zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, dass gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 und 2 [X.] bei einer Bezugnahme auf Zeichnungen der Tag des Eingangs von fehlenden Zeichnungen beim [X.] sei. Die Erfindung sei gemäß § 34 Abs. 4 [X.] in der Anmeldung zu offenbaren, wobei zur Anmeldung gemäß § 34 Abs. 3 [X.] Antrag, Beschreibung, Ansprüche und Zeichnungen gehörten, nicht jedoch andere mit der Anmeldung eingereichte Unterlagen, wie [X.]. In dem Erteilungsantrag oder der Beschreibung finde sich auch kein Hinweis, dass die [X.] [X.], insbesondere die Zeichnungen, als Teil der [X.] zu werten seien. Die Zeichnungen aus der Abschrift der [X.] Voranmeldung könnten daher nicht als zu den [X.] gehörend berücksichtigt werden.

6

Regel 56 Abs. 3 [X.], wonach fehlende Zeichnungen oder Beschreibungsteile unter Wahrung des [X.] nachgereicht werden könnten, sofern diese vollständig in einer früheren Anmeldung enthalten seien, deren Priorität beansprucht werde, sei im [X.] Anmeldeverfahren nicht vorgesehen und daher nicht anwendbar. Nachdem die Anmelderin auf dem ursprünglichen Anmeldetag bestehe, sei die Anmeldung zurückzuweisen gewesen.

7

Gegen den Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin vom 19. Juni 2015. Die Anmelderin hat ihre Beschwerde weder begründet noch Anträge gestellt.

8

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Akte verwiesen.

II.

9

Die statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde hat Erfolg und führt unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] wegen eines wesentlichen [X.] (§ 79 Abs. 3 Nr. 2 [X.]).

Entgegen dem angefochtenen Beschluss ist eine Verschiebung des [X.] auf den 30. Januar 2015, dem Tag der nachgereichten Zeichnungen, Figuren 1, 2A, [X.], 3 bis 7, nicht gemäß § 35 Abs. 2 Satz 2 [X.] eingetreten, so dass die Zurückweisung der Patentanmeldung wegen des von der Anmelderin nicht auf diesen Anmeldetag gerichteten [X.] zu Unrecht erfolgt ist.

Zwar erachtet der Senat den Anwendungsbereich der Bestimmung des § 35 Abs. 2 [X.], wonach der Anmeldung nicht beigefügte Zeichnungen, auf die die Anmeldung eine Bezugnahme enthält, unter Verschiebung des [X.] auf den Tag ihres Eingangs nachgereicht werden können, grundsätzlich für eröffnet, da jedenfalls ein Teil der in Bezug genommenen Zeichnungen, und zwar die Figuren 2A und [X.], der Anmeldung nicht beigefügt waren. Ob die Bestimmung darüber hinaus auch Anwendung findet, wenn der Anmeldung zwar Zeichnungen beigefügt sind (wie vorliegend die Figuren 1, 3 bis 7), die in der Anmeldung enthaltene Bezugnahme jedoch nicht zu den beigefügten Zeichnungen passt, mithin diejenigen Zeichnungen fehlen, auf die in der Anmeldung Bezug genommen ist, kann an dieser Stelle dahingestellt bleiben.

Die Figuren 2A und [X.], sind, ebenso wie die übrigen Figuren der [X.] Prioritätsanmeldung, der Anmeldung auch nicht dadurch beigefügt, dass sie von der zusammen mit der Anmeldung eingereichten [X.] Prioritätsanmeldung umfasst sind. Zutreffend hat die Prüfungsstelle festgestellt, dass [X.] grundsätzlich nicht zu der Anmeldung i. S. d. § 34 Abs. 3 [X.] gehören und nur dann berücksichtigt werden können, wenn sie als [X.] der Anmeldung eindeutig gekennzeichnet sind (vgl. [X.], a. a. O., § 34 Rdn. 298 und § 35 Rdn. 20 a. E.; [X.], [X.], 11. Aufl., 2015, § 34 Rdn. 35a). Ein irgendwie gearteter Hinweis darauf, dass die Zeichnungen der [X.] Prioritätsanmeldung diejenigen sein sollen, die zu der Anmeldung gehören, findet sich jedoch an keiner Stelle in dem Erteilungsantrag und den dazu eingereichten Unterlagen.

Voraussetzung für eine Verschiebung des [X.] auf den Tag des Eingangs nachgereichter Zeichnungen ist gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 [X.] eine Aufforderung des Patentamts, die fehlenden Zeichnungen nachzureichen oder zu erklären, dass die Bezugnahme als nicht erfolgt gelten soll. Anerkannt ist hierbei, dass diese Aufforderung – wie vorliegend – auch noch erfolgen kann, wenn fehlende Zeichnungen bereits ohne eine solche Aufforderung nachgereicht worden sind, um dem Anmelder die Wahlmöglichkeit zu eröffnen (vgl. [X.], [X.], 9. Aufl., 2014, § 35 Rdn. 57; [X.], a. a. O., § 35 Rdn. 28). Obwohl der Bescheid der Prüfungsstelle vom 12. Februar 2015 inhaltlich eine Aufforderung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 [X.] mit einmonatiger Fristsetzung ab Zustellung darstellt, kann der Bescheid gleichwohl die Rechtsfolge des Satz 2 nicht auslösen.

Hierzu müsste der Bescheid bzw. die Aufforderung förmlich zugestellt worden sein (vgl. den Wortlaut von Satz 1 sowie [X.], a. a. O., § 35 Rdn. 18; Busse, [X.], 7. Aufl., 2013, § 35 Rdn. 5; B[X.], Beschluss vom 13. März 2008 – 10 W (pat) 18/07, [X.] 2008, 219 – Brennstoffe), was aber hier nicht geschehen ist. Vielmehr ergibt sich aus der [X.] der Patentanmeldung nur ein Versand des Bescheids am 13. Februar 2015 mittels einfachen Briefs. Erforderlich wäre aber an die zum damaligen Zeitpunkt anwaltlich nicht vertretene Anmelderin nach Ziffer 3.3. der Hausverfügung Nr. 10 des [X.] vom 1. Februar 2006 eine Zustellung durch Niederlegung im [X.] gemäß § 127 Abs. 1 Nr. 4 [X.], da für die Anmelderin ein [X.] beim [X.] eingerichtet ist. Die hierfür erforderliche schriftliche Mitteilung über die Niederlegung gemäß § 127 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 [X.] findet sich nicht in der [X.] der Patentanmeldung, sondern lediglich der Vermerk „Dokumenten Art: Bescheid; Versandart: Einfacher Brief; Versanddatum: 13.02.2015“ zu dem [X.] des [X.] vom 12. Februar 2015.

Eine Heilung des Zustellungsmangels mit dem tatsächlichen Zugang des Bescheids bei der Anmelderin nach § 8 [X.] i. V. m. § 127 Abs. 1 [X.] ist nicht eingetreten. Dies hätte einen Zustellungswillen erfordert, d. h. die Zustellung hätte vom [X.] beabsichtigt, mindestens angeordnet und in die Wege geleitet sein müssen. Die Veranlassung einer formlosen Mitteilung des zuzustellenden Dokuments genügt nicht (vgl. [X.], a. a. O., § 127 Rdn. 123., B[X.] a. a. O. – Brennstoffe; [X.], Urteil vom 19. Mai 2010 – [X.], [X.], 885), vielmehr hätte die Zustellung von dem Prüfer ausdrücklich angeordnet werden müssen. Dafür aber gibt es keinen Hinweis in der [X.]. Insbesondere fehlt auf dem [X.] des Bescheids vom 12. Februar 2015 der Vermerk „Niederlegung im [X.]“, mit dem in der [X.] die hier einschlägige Zustellung durch Niederlegung im [X.] durch die Prüfungsstelle angeordnet wird.

Nachdem eine Aufforderung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 [X.] der Anmelderin wegen eines unheilbaren Zustellungsmangels nicht ordnungsgemäß zugestellt worden ist, konnte eine Verschiebung des [X.] auf den 30. Januar 2015, den Tag des Eingangs der nachgereichten Zeichnungen, gemäß § 35 Abs. 2 Satz 2 [X.] nicht eintreten. Die Zurückweisung der Anmeldung wegen Uneinigkeit zwischen der Prüfungsstelle und der Anmelderin über den der Anmeldung zukommenden Anmeldetag (vgl. B[X.], a. a. O. – Brennstoffe) war demzufolge nicht gerechtfertigt. Der Zurückweisungsbeschluss war daher aufzuheben und die Sache wegen des [X.] an das [X.] zurückzuverweisen. Die Prüfungsstelle wird die Zustellung einer entsprechenden Aufforderung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 [X.] nachzuholen haben.

Insoweit merkt der Senat ergänzend an, dass er mit der Prüfungsstelle der Auffassung ist, dass im Verfahren nach § 35 Abs. 2 [X.] eine entsprechende Anwendung der im [X.] Recht geltenden Regel 56 Abs. 3 [X.] nicht in Betracht kommt, wonach unter bestimmten, dort im Einzelnen geregelten Voraussetzungen der ursprüngliche Anmeldetag erhalten bleibt, wenn die Anmeldung die Priorität einer früheren Anmeldung in Anspruch nimmt und fehlende Zeichnungen vollständig in der früheren Anmeldung enthalten sind. Europäisches Verfahrensrecht findet im nationalen Recht grundsätzlich keine Anwendung. Eine solche Regelung bleibt dem Gesetzgeber vorbehalten, der jedoch auch bei der zum 1. April 2014 in [X.] getretenen Neufassung des § 35 [X.] eine der Regel 56 Abs. 3 [X.] entsprechende Bestimmung nicht in das nationale Recht aufgenommen hat (vgl. [X.], a. a. O., § 35 Rdn. 51).

Meta

19 W (pat) 19/15

23.05.2016

Bundespatentgericht 19. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 23.05.2016, Az. 19 W (pat) 19/15 (REWIS RS 2016, 11069)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 11069

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