Bundespatentgericht, Beschluss vom 22.03.2022, Az. 1 W (pat) 25/22

1. Senat | REWIS RS 2022, 571

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Gegenstand

Patentbeschwerdeverfahren – "Fahrzeugkamerasystem“ – zur wirksamen Inanspruchnahme der Priorität einer früheren ausländischen Anmeldung – Zeichnungen der prioritätsbegründenden Voranmeldung wurden erst nach Ablauf der 16-Monatsfrist vorgelegt – Die von der Anmelderin innerhalb der 16-Monatsfrist eingereichten Dokumente sind ausreichend


Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Patentanmeldung 10 2018 112 345.0

hat der 1. Senat (Juristischer Beschwerdesenat) des [X.] am 22. März 2022 durch die Präsidentin [X.] und [X.] und Heimen beschlossen:

Auf die Beschwerde wird der Beschluss des [X.] - Prüfungsstelle für Klasse [X.] - vom 3. April 2020 aufgehoben.

Gründe

I.

1

Am 23. Mai 2018 reichte die Anmelderin beim [X.] ([X.]) eine Erfindung mit der Bezeichnung „Fahrzeugkamerasystem“ zum Patent ein und beanspruchte dabei die Priorität der Anmeldung [X.] 15/605435 vom 25. Mai 2017. Dem Antrag beigefügt waren:

2

1 Erfinderbenennung,

3

1 Zusammenfassung,

4

1 Zeichnung zur Zusammenfassung,

5

12 Seiten englischsprachige Beschreibung,

6

5 Seiten mit englischsprachigen Patentansprüchen 1-20,

7

6 Seiten englischsprachige Zeichnungen (Figuren 1, 2A, [X.], 3, 4 und 5),

8

1 Abschrift der englischsprachigen Voranmeldung.

9

Der Eingang dieser Unterlagen wurde der Anmelderin mit Empfangsbestätigung vom 24. Mai 2018 vom [X.] bestätigt.

Mit Eingabe vom 23. August 2018 reichte die Anmelderin Übersetzungen der fremdsprachigen Anmeldeunterlagen in die [X.] ein. Daraufhin übersandte die Prüfungsstelle für Klasse [X.] der Anmelderin eine [X.] vom 12. September 2018, die in ihren Feststellungen zum Punkt "Priorität" die Angabe "25.05.2017 [X.] 15/605,435" enthielt.

Mit Schreiben vom 7. November 2019 reichte die Anmelderin 6 Seiten mit englischsprachigen Zeichnungen ein und teilte hierzu mit, in den mit der Patentanmeldung vom 23. Mai 2018 eingereichten Unterlagen sei die Abschrift der Voranmeldung ([X.] 15/605,435) ohne Figurensatz hinterlegt worden. Das [X.] werde gebeten, den beiliegenden Zeichnungssatz dem ursprünglichen Prioritätsdokument beizulegen.

Daraufhin forderte das [X.] die Anmelderin mit Bescheid vom 29. November 2019 auf, wegen der erst nach Ablauf der 16-Monatsfrist des § 41 Abs. 1 [X.] erfolgten Vorlage der Figuren der Voranmeldung, auf die ursprünglich beanspruchte Priorität zu verzichten.

Nachdem ein solcher Verzicht nicht erfolgte, stellte die Prüfungsstelle für Klasse [X.] in der von der Anmelderin beantragten Anhörung mit dort verkündeten Beschluss vom 3. April 2020 fest, dass der Prioritätsanspruch für die Anmeldung in vollem Umfang verwirkt sei. Zur Begründung wurde ausgeführt, die 16-Monatsfrist gemäß § 41 Abs. 1 [X.] sei zum Zeitpunkt der Einreichung der zur Voranmeldung gehörenden Zeichnungen bereits abgelaufen gewesen, so dass keine vollständige Abschrift der Voranmeldung vorgelegen habe, die eine Inanspruchnahme der [X.]-Priorität rechtfertige. Die im Rahmen der [X.] verfasste [X.] habe auf den bis dahin bekannten und den von der Anmelderin gemachten Angaben zur früheren Anmeldung beruht, aus denen sich für das [X.] keinerlei Anhaltspunkte für deren Unvollständigkeit oder Unstimmigkeit ergeben hätten.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin, mit der sie sinngemäß beantragt,

den Beschluss vom 3. April 2020 aufzuheben,

und festzustellen, dass keine Umstände vorliegen, die eine Aberkennung des [X.] rechtfertigen könnten.

Zur Begründung trägt sie u.a. vor, dass es sich bei den mit der Anmeldung eingereichten Zeichnungen sowohl um die Figuren der Voranmeldung als auch um die der Anmeldung handle. Das [X.] habe den Akten somit ohne weiteres entnehmen können, dass die neue Anmeldung denselben Gegenstand gehabt habe, wie die Voranmeldung. Die Inanspruchnahme der Priorität der Voranmeldung sei deshalb zu Recht erfolgt. Dies habe das Amt der Anmelderin dann auch mit der [X.] vom 12. September 2018 bestätigt. Die später erfolgte Eingabe der Anmelderin, vom 7. November 2019, sei insoweit unbeachtlich, da der Unterzeichner dieser Eingabe nach nochmaliger Durchsicht der Anmeldungsunterlagen erkannt habe, dass es sich bei den mit den am 23. Mai 2018 eingereichten Figuren sowohl um die Figuren der Anmeldung als auch um die Figuren der Abschrift der Voranmeldung gehandelt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verfahrensakten verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Die verfahrensgegenständliche Patentanmeldung hat die Priorität der von ihr benannten Voranmeldung [X.] 15/605,435, vom 25. Mai 2017, wirksam in Anspruch genommen.

Nach § 41 Abs. 1 [X.] setzt die wirksame Inanspruchnahme der Priorität einer früheren ausländischen Anmeldung derselben Erfindung voraus, dass vor Ablauf des 16. Monats nach dem [X.], Land und Aktenzeichen der früheren Anmeldung angegeben sowie eine Abschrift der früheren Anmeldung eingereicht wird. Das [X.] soll dadurch überprüfen können, ob die prioritätsbegründende und die prioritätsbeanspruchende Anmeldung dieselbe Erfindung betreffen.

Im vorliegenden Fall ist es insoweit unstreitig, dass mit den Anmeldeunterlagen ein Satz mit englischsprachigen Zeichnungen eingereicht wurde. Ebenso unstreitig ist es, dass die eingereichten Figuren identisch sind mit den Figuren der prioritätsbegründenden Voranmeldung. Dies gilt für die Anzahl der Figuren ebenso wie für deren englischsprachige Erläuterungen und Nummerierung mit den Nummern 1, 2A, [X.], 3, 4 und 5. Das [X.] hat in dem angefochtenen Beschluss aber zutreffend darauf hingewiesen, dass der eingereichte Zeichensatz - im Gegensatz zu der von der Anmelderin als solche benannten "Abschrift" der Voranmeldung - nicht die Kennzeichnung "Attorney Docket No. 4041A-000472-[X.] DIAM-001567-[X.]; PN188131-[X.]“ bzw. das dort auf der ersten Seite angeführte Aktenzeichen der früheren Anmeldung „[X.] 15/605435 25.05.2017" aufweist.

Im vorliegenden Fall ist in diesem Zusammenhang jedoch zunächst zu berücksichtigen, dass sich aus der eingereichten Abschrift ohne weiteres ersichtlich ergibt, dass auch die Voranmeldung insgesamt 6 Figuren mit der übereinstimmenden Nummerierung 1, 2A, [X.], 3, 4, und 5 umfasste. Denn auf Seite 3 der von der Anmelderin eingereichten Abschrift der früheren Anmeldung [X.] 15/605435 25.05.2017 findet sich unter der hervorgehobenen Überschrift "[X.]" jeweils eine Benennung der jeweiligen Figurennummer mit einer kurzen Anmerkung, was die betreffende Figur zeigt. Bei dieser Sachlage war es für das [X.] im Rahmen der [X.] ohne weitergehende Ermittlungen oder aufwändige Detailprüfung feststellbar, dass es sich bei den eingereichten Figuren sowohl um die der [X.]-Voranmeldung als auch um die der [X.] Anmeldung handelte, deren Übersetzung von der Anmelderin mit Eingabe vom 23. August 2018 nachgereicht wurde. Dass dies auch vom [X.] im Rahmen der durchgeführten [X.] so gewertet wurde, ergibt sich aus den Feststellungen der amtlichen [X.] vom 9. September 2018, die der Anmelderin ohne jeden Hinweis auf die Notwendigkeit der Nachreichung von Unterlagen, sondern mit der Feststellung der geltend gemachten Priorität übermittelt wurde. Bei der [X.] handelt es sich um einen Bescheid, mit dem die Angaben dokumentiert werden, die für alle späteren Veröffentlichungen des [X.] zur Patentanmeldung vorgesehen sind. Die zuvor durchgeführte [X.] gemäß § 42 [X.] - die auch die Prüfung der Prioritätserklärung umfasst - stellt dementsprechend keine lediglich unqualifizierte Sichtung der eingereichten Unterlagen dar. Vielmehr beinhaltet sie die Prüfung und Würdigung der Anmeldung aufgrund der Sach- und Fachkenntnisse der zuständigen Prüferin bzw. des Prüfers. Das Ergebnis dieser Prüfung wird den Anmeldern dann in Form der [X.] übermittelt. Diese enthielt im vorliegenden Fall neben weiteren Feststellungen, u.a. zu dem vom [X.] anerkannten Anmeldetag, der Bezeichnung der Erfindung und den benannten Erfindern, unter dem Punkt "Priorität" die Angabe "25.05.2017 [X.] 15/605,435". Diese Anerkennung der geltend gemachten [X.]-Priorität durch das [X.] wäre im Übrigen im weiteren Prüfungsverfahren auch nicht mehr infrage gestellt, sondern im Falle einer Erteilung des Patents übernommen worden. Zur Anerkennung der beanspruchten Priorität kam es ausschließlich durch die Eingabe der Anmelderin vom 7. November 2019, die nach deren Vortrag aufgrund eines kanzleiinternen Versehens erfolgte.

Nach alldem ist es vor dem dargestellten Hintergrund sachgerecht, zugunsten der Anmelderin davon auszugehen, dass in dem vorliegenden Einzelfall die von ihr innerhalb der maßgeblichen 16-Monatsfrist eingereichten Dokumente als ausreichend anzusehen sind, um die Anforderungen des § 41 Abs. 1 [X.] zu erfüllen. Im Hinblick auf die schwerwiegenden Folgen einer Verwirkung des [X.], wäre es unverhältnismäßig, die Wirksamkeit der Anspruchnahme der Priorität der [X.]-Anmeldung trotz der dargelegten Gesamtumstände letztlich davon abhängig machen zu wollen, ob von der Anmelderin innerhalb der 16 Monatsfrist des § 41 Abs. 1 [X.] ein Doppel des bereits bei den Akten befindlichen Zeichensatzes eingereicht wurde oder nicht.

Die Anmeldung hat somit die Priorität der Voranmeldung [X.] 15/605435 vom 25. Mai 2017 wirksam in Anspruch genommen.

Meta

1 W (pat) 25/22

22.03.2022

Bundespatentgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

§ 41 Abs 1 PatG

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 22.03.2022, Az. 1 W (pat) 25/22 (REWIS RS 2022, 571)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 571

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