Bundesgerichtshof, Urteil vom 28.09.2022, Az. 2 StR 133/22

2. Strafsenat | REWIS RS 2022, 8647

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Gegenstand

Eigentumsdelikt: fehlerhafte Beweiswürdigung sowie fehlerhafte Bildung der Gesamtstrafe


Tenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 26. November 2021 mit den Feststellungen aufgehoben, im [X.] auch zugunsten des Angeklagten (§ 301 StPO).

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen „Nötigung und Hausfriedensbruchs“ unter Einbeziehung der Geldstrafe aus dem Strafbefehl des [X.] vom 26. Januar 2021 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und die „Einziehung eines Geldbetrages in Höhe von 735,00 €“ angeordnet. Die vom [X.] vertretene, zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg und führt zudem gemäß § 301 StPO zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs zugunsten des Angeklagten.

I.

2

Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3

Am frühen Abend des 18. Dezember 2020 begab sich der Angeklagte gemeinsam mit seiner jüngeren Schwester    [X.] , deren Freund [X.]und dem Zeugen [X.]       zum Zeugen [X.], der ihm noch 50 € schuldete. Der Angeklagte und seine drei Begleiter, die [X.] trugen, betraten ohne Einverständnis des [X.]dessen Wohnung durch die nicht abgeschlossene Hintertür des Hauses. Zu diesem Zeitpunkt hielt sich [X.]mit seiner Freundin, der Zeugin [X.]     , im sog. [X.] auf. Der Zeuge [X.]      führte einen Teleskopschlagstock mit sich, stellte sich unter Vorhalten des Stockes in den Türrahmen und fragte den Zeugen [X.], wo das Geld sei. Die vier Personen betraten [X.] und [X.] schlug den Zeugen [X.]mit der Faust auf die linke Gesichtshälfte. Sodann forderte [X.] den [X.]auf, seine Schulden an den Angeklagten zu bezahlen. Als [X.]erklärte, kein Geld zu haben, schlug ihm [X.]      mit der Faust ins Gesicht. Durch die Schläge erlitt [X.]eine Platzwunde an der [X.] und ein Hämatom am rechten Auge. Die Zeugin [X.]     reagierte auf die Situation hysterisch und wurde von der Zeugin    [X.] ins Badezimmer geführt, wo beide in der Folge verblieben. Es konnte nicht festgestellt werden, dass dem Angeklagten zum Zeitpunkt des Betretens der Wohnung bekannt war, dass [X.]      den Teleskopschlagstock mit sich führte und die Faustschläge gegen den Zeugen [X.]sowie das Verbringen der Zeugin [X.]     in das Badezimmer vorher mit ihm abgesprochen waren.

4

Der Zeuge [X.]fragte nun den Angeklagten, was das für eine „feige Aktion“ sei. Der Angeklagte erwiderte, [X.]hätte ihm einfach das Geld geben sollen, jetzt nehme er dessen Computer mit. „Spätestens jetzt hatte sich der Angeklagte entschlossen, den Computer des Zeugen [X.]nebst Zubehör ohne dessen Einverständnis mitzunehmen, wobei nicht hat ausgeschlossen werden können, daß der Angeklagte dabei die Vorstellung hatte, Computer und Zubehör nur als Druckmittel und Pfand mitzunehmen, um den Zeugen [X.]so zu veranlassen, seine Schulden bei ihm – dem Angeklagten – zu bezahlen. Insbesondere hat nicht festgestellt werden können, daß der Angeklagte beabsichtigte, den Computer nebst Zubehör auf Dauer zu behalten bzw. für eigene Zwecke zu verwerten.“ Als [X.]zu widersprechen ansetzte, zog [X.]      den Schlagstock, woraufhin [X.]verstummte.

5

Der Angeklagte nahm nun den [X.], die Tastatur, den Monitor, das Headset und [X.] im Gesamtwert von 735 € an sich. „Dabei war ihm bewusst, dass der Zeuge [X.]die Wegnahme nur aufgrund der vorherigen Gewalteinwirkung durch die [X.]       und [X.]      , die Drohung mit dem Schlagstock und der personellen Übermacht sowie der damit verbundenen stillschweigenden Inaussichtstellung weiterer Gewaltan[X.]dung duldete und war damit einverstanden.“

6

Die Zeugen [X.]     und [X.]suchten in [X.] nach mitnehmenswerten Gegenständen des Zeugen [X.]und nahmen eine Spielkonsole und drei Controller an sich. Dass dies mit dem Angeklagten abgesprochen war, konnte nicht festgestellt werden. Der Angeklagte forderte die Zeugin    [X.]auf, mit [X.]     aus dem Badezimmer zu kommen. Dann wurden [X.]und [X.]     die Mobiltelefone abgenommen, wobei nicht festgestellt werden konnte, durch [X.] und zu welchem Zweck dies erfolgte.

7

Beim Hinausgehen drohte [X.]      dem Zeugen [X.]durch Aufschnappen des [X.] für den Fall, dieser „die Bullen rufe“ und verursachte dabei ein Loch in der Wand des Gamingzimmers. Er äußerte schließlich gegenüber [X.], dass dieser seine Sachen wiederbekomme, [X.]n er das Geld bringe.

8

Der Angeklagte brachte den [X.] samt Zubehör zunächst zu seinem Onkel, einen Tag später in die Wohnung seines Bruders in [X.].      . Spätestens am Folgetag nahm der Zeuge [X.]Kontakt zum Angeklagten auf, nachdem er sich Geld geliehen hatte. Er forderte den Angeklagten auf, ihm seine Sachen zurückzubringen, dann bekäme dieser sein Geld. Der Angeklagte erklärte, nunmehr 100 € haben zu wollen, und erschien in der Folgezeit nicht mehr beim Zeugen [X.].

9

Der [X.] nebst Zubehör verschwand aus nicht näher aufklärbaren Umständen aus der Wohnung des Bruders des Angeklagten und konnte nicht mehr aufgefunden werden.

Das [X.] hat sich nicht davon zu überzeugen vermocht, dass der Angeklagte im Zeitpunkt der Wegnahme von [X.] nebst Zubehör mit [X.] handelte und hat deren Mitnahme als Inpfandnahme angesehen. Auch ließen sich, so die [X.], die seitens der [X.]      und [X.]     gegen den Geschädigten [X.]ausgeführten Faustschläge nicht dem Angeklagten zurechnen, da es mangels „vorheriger Absprache“ an einem gemeinsamen [X.] fehle.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

1. Die Beweiswürdigung des [X.]s hält auch eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen [X.] (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Urteil vom 23. Juni 2021 – 2 StR 337/20 Rn. 6) rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Beweiswürdigung des [X.]s zu der Frage, ob der Angeklagte den Computer des Zeugen [X.]nebst Zubehör mit [X.] weggenommen hat, begegnet in mehrfacher Hinsicht durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Die Beweiswürdigung ist zum einen lückenhaft, weil den Urteilsgründen nicht entnommen werden kann, dass das [X.] alle entscheidungsrelevanten Umstände erkannt und in seiner Würdigung bedacht hat.

Es hat die von ihm für glaubhaft erachteten Aussagen der Zeuginnen Kr.    und [X.]     bei der Beweiswürdigung zur [X.] des Angeklagten übergangen. Die Zeuginnen haben übereinstimmend bekundet, der Angeklagte habe ihnen gegenüber in engem zeitlichem Zusammenhang mit der Tat „mit einem [X.] bezogen auf einen Computer (…) geprahlt“. Die von den Zeuginnen beschriebenen Äußerungen des Angeklagten („eingebrochen“, „Diebesgut mitgenommen“, „geklaut“) drängten zu der Schlussfolgerung, dass der Angeklagte den Computer nebst Zubehör seinem Vermögen einverleiben wollte. Dagegen ergeben sie keinen Sinn, [X.]n der Angeklagte den Computer nebst Zubehör nur vorübergehend als Druckmittel und Pfand in Besitz nehmen wollte, um den Zeugen [X.]zur Zahlung der geschuldeten 50 € zu bewegen. Auch eine laienhafte Bewertung der vom Angeklagten gegenüber den Zeuginnen geäußerten Begriffe impliziert, dass die betroffenen Gegenstände unter Ausschließung des Eigentümers in das eigene Vermögen überführt werden sollten.

b) Darüber hinaus ist die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft, soweit das [X.] gegen die Annahme von [X.] bezüglich der Gegenstände anführt, der Angeklagte selbst habe „schon in Abrede gestellt, dass es sich dabei um fremdes Eigentum gehandelt hat, da er behauptet hat, diese Gegenstände hätten ihm gehört“. Soweit das [X.] damit zum Ausdruck bringen wollte, die irrige Annahme des Angeklagten, er sei Eigentümer gewesen, sei Indiz für eine fehlende [X.], fehlt es an einer nachvollziehbaren Begründung, wie der Angeklagte zu dieser, der materiellen Eigentumslage widersprechenden Einschätzung gelangt sein sollte.

c) Schließlich fehlt es an der gebotenen Gesamtwürdigung aller für und gegen die [X.] sprechenden Umstände. Die Beweiswürdigung der [X.] lässt nicht erkennen, dass sich das [X.] des Umstandes bewusst war, dass einzelne Belastungsindizien, die für sich genommen zum Beweis der Täterschaft nicht ausreichen, doch in ihrer Gesamtheit die für eine Verurteilung not[X.]dige Überzeugung des Tatgerichts begründen können (vgl. [X.], Urteil vom 17. September 1986 – 2 [X.]; [X.]R StPO § 261 Beweiswürdigung, unzureichende 1; [X.], Urteil vom 5. November 2014 – 1 [X.], [X.], 83, 85).

d) Das Urteil beruht auf den aufgezeigten [X.]. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das [X.] bei rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung zu einer Verurteilung des Angeklagten wegen besonders schweren Raubes gelangt wäre.

2. Einen Rechtsfehler zulasten des Angeklagten (§ 301 StPO) enthält das Urteil im Hinblick auf die Bildung der Gesamtstrafe.

a) Das [X.] hat für die von ihm erkannte Tat (zur Tenorierung bei Tateinheit vgl. etwa [X.], Beschluss vom 22. August 1985 – 4 [X.], NJW 1986, 1116, 1117) – eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten für tat- und [X.] erachtet. Durch Einbeziehung der Verurteilung aus dem Strafbefehl des [X.] vom 26. Januar 2021 hat es – unter Auflösung der dortigen Gesamtgeldstrafe von 30 Tagessätzen, gebildet aus Einzelstrafen von zweimal 20 Tagessätzen – auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr erkannt.

b) Zwar stand entgegen der Antragsschrift des [X.]s einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung mit den beiden Einzelgeldstrafen aus dem vorbezeichneten Strafbefehl keine Zäsurwirkung des Urteils des [X.]s Kassel vom 3. November 2020 entgegen, da es sich insoweit um eine Jugendstrafe handelte (vgl. [X.], Beschluss vom 22. November 2016 – 4 [X.], [X.], 199). Jedoch hat die [X.] bei der Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe gegen § 54 Abs. 2 StGB verstoßen, weil die gebildete Gesamtstrafe die Summe der Einzelstrafen übersteigt.

3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Im Hinblick auf eine gegebenenfalls mittäterschaftliche Zurechnung des Verhaltens der Zeugen [X.]     , [X.]und [X.]       gemäß § 25 Abs. 2 StGB kann die erforderliche Willensübereinstimmung der Beteiligten nicht nur ausdrücklich durch „Absprache“ oder „Kundgabe“, sondern auch – noch während der Tatbegehung – stillschweigend oder durch schlüssiges Handeln hergestellt werden (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 21. Januar 1987 – 2 [X.], [X.]R § 25 Abs. 2 StGB Willensübereinstimmung 2; [X.] in [X.], 5. Aufl., § 25 Rn. 38 mwN).

b) Der neue Tatrichter wird bei erneuter Verurteilung des Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung in den Blick zu nehmen haben, dass dem Angeklagten der Widerruf der zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten aus dem Urteil des [X.]s Kassel vom 3. November 2020 droht (vgl. [X.], Urteil vom 17. Februar 2021 – 2 [X.], juris Rn. 24).

[X.]     

  

Krehl     

  

     Meyberg

  

Grube     

  

Ri[X.] [X.] ist erkrankt
und daher an der Unterschrift
gehindert.

  

  

  

  

[X.]

  

Meta

2 StR 133/22

28.09.2022

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Kassel, 26. November 2021, Az: 2630 Js 46093/20 - 5 KLs

§ 54 Abs 2 StGB, § 55 StGB, § 242 Abs 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 28.09.2022, Az. 2 StR 133/22 (REWIS RS 2022, 8647)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 8647

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2 StR 294/20

1 StR 327/14

4 StR 466/16

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