Bundesgerichtshof, Urteil vom 29.06.2021, Az. 1 StR 287/20

1. Strafsenat | REWIS RS 2021, 4540

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Gegenstand

Beweiswürdigung im Strafverfahren: Verstoß gegen die Pflicht zur erschöpfenden Würdigung der Beweise; Anforderungen an Aufklärungsrüge


Tenor

1. Die Revisionen der Angeklagten [X.]        und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des [X.] vom 22. November 2019 werden verworfen.

2. Die Angeklagte trägt die Kosten ihres Rechtsmittels. Die Kosten der Revisionen der Staatsanwaltschaft und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen der Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

Von Rechts wegen

Gründe

I.

1

Das [X.] hat die Angeklagte [X.]       wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in fünf Fällen und wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Den Angeklagten [X.]     hat es wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zehn Fällen, in zwei Fällen in Tateinheit mit Erwerb von Betäubungsmitteln, sowie wegen vorsätzlicher Körperverletzung in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Das [X.] hat die Angeklagten [X.]      und [X.]      im Übrigen und den Angeklagten [X.]insgesamt freigesprochen.

2

Die Angeklagte [X.]      greift mit ihrer auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision ihre Verurteilung an. Die Staatsanwaltschaft hat ihre Revisionen auf die [X.] der Angeklagten [X.]      und [X.]     sowie auf den Freispruch des Angeklagten [X.]beschränkt. Insoweit beanstandet sie das Verfahren und rügt die Verletzung materiellen Rechts. Die Rechtsmittel bleiben insgesamt ohne Erfolg.

II.

3

Das [X.] hat die Angeklagten [X.]       und [X.]     vom Vorwurf der schweren Zwangsprostitution jeweils in Tateinheit mit besonders schwerer Zwangsprostitution, mit schwerem und besonders schwerem Menschenhandel sowie mit Zuhälterei in neun Fällen und den Angeklagten [X.]vom Vorwurf der schweren Zwangsprostitution jeweils in Tateinheit mit besonders schwerer Zwangsprostitution, mit schwerem und besonders schwerem Menschenhandel und mit Zuhälterei aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die Angeklagten [X.]       und [X.]     wurden darüber hinaus freigesprochen, soweit ihnen noch weitere Betäubungsmitteldelikte in der Anklageschrift zur Last gelegt wurden.

4

1. Nach den Urteilsfeststellungen betrieben die Angeklagten [X.]      und [X.]     im Zeitraum Februar 2017 bis August 2018 den [X.]rdellbetrieb “A.         “ und die dazugehörige [X.] „E.     “ in M.      . In diesem Zeitraum waren in dem [X.]rdell - bei unterschiedlicher Zeitdauer der Beschäftigung - unter anderen acht Frauen und [X.] aus [X.], [X.] und [X.] als Prostituierte tätig. Die Zeugin [X.]           war zum Zeitpunkt ihrer Tätigkeit 18 Jahre alt. Die Prostituierten wohnten jeweils in [X.] des [X.]rdells, in dem sie auch der Prostitution nachgingen. Die Angeklagten boten den Prostituierten eine feste Tagesmiete von 100 Euro oder eine anteilige, von ihren Tageseinnahmen abhängige Mietzahlung von 50 bis 100 Euro an. Die Mietnebenkosten waren im Mietpreis ebenso enthalten wie die nichtalkoholischen Getränke an der Bar. Auch die vom Angeklagten [X.]      eingekauften [X.]bensmittel standen ihnen kostenlos zur Verfügung. Zu Beginn der Tätigkeit einer Prostituierten beauftragten die Angeklagten [X.]     und [X.]     mit deren Einverständnis einen Fotografen, Fotos von den Prostituierten zu fertigen, mit denen in einem Schaukasten im Eingangsbereich des [X.]rdells und im [X.] Werbung betrieben wurde. Die hierfür in unterschiedlicher Höhe anfallenden Kosten hatten die Prostituierten zu tragen.

5

Die Öffnungszeiten der [X.] und des angeschlossenen [X.]rdellbetriebs waren unter der Woche von 20.00 Uhr bis 3.00 Uhr, am Wochenende von 17.00 Uhr bis 5.00 Uhr. Außerhalb der Öffnungszeiten konnten Freier bei einer Prostituierten an deren persönlicher Klingel nach sexuellen Dienstleistungen nachfragen. Den Prostituierten stand es frei, nicht genehme Freier abzulehnen. Während der Öffnungszeiten sollten gewünschte Abwesenheiten der Prostituierten mit den Angeklagten abgesprochen werden. Die Preise für die sexuellen Dienstleistungen waren mit zeitlicher Staffelung als Mindestpreis festgelegt. Dies wurde von den Prostituierten akzeptiert. Etwaige Aufpreise für „Extras“ an sexuellen Dienstleistungen verblieben den Prostituierten. Die Einnahmen wurden von den Prostituierten nach jedem Kundenbesuch in einem Heft eingetragen und der Geldbetrag in einem mit ihrem Namen versehenen Umschlag in [X.] eingeworfen; nach der Abrechnung erhielten die Prostituierten den Betrag nach Abzug der Tagesmiete und etwaiger Schulden in der Regel ausgehändigt. An der Kasse am [X.] konnten sie sich bei Bedarf Beträge bis zu 80 Euro entnehmen, die in die Abrechnung eingestellt wurden. Bei angebotenen Escort-Terminen wurden die Einnahmen zwischen den Prostituierten und den Angeklagten aufgeteilt; die Prostituierten hatten jedoch die Fahrtkosten zu tragen.

6

Das [X.] vermochte nicht festzustellen, dass die Angeklagten eine Prostituierte jemals mit körperlicher Gewalt oder mit der Drohung mit körperlicher Gewalt oder mit der Drohung mit einem empfindlichen persönlichen oder wirtschaftlichen Nachteil veranlassten oder auch nur veranlassen wollten gegen ihren Willen einen an ihrer persönlichen Klingel läutenden Kunden zu bedienen. Der Angeklagte [X.]     habe lediglich seinen Unmut bekundet, weil die Kunden sonst ausbleiben könnten. Die Prostituierten seien - auch während der Öffnungszeiten der Bar und des [X.]rdells - nicht am Verlassen der Örtlichkeiten gehindert worden. Die Videokameras in der [X.] und im Korridor des [X.]rdells hätten zur Sicherheit im Betrieb beigetragen. Eine Kontrolle der Prostituierten und eine nachträgliche Auswertung der Aufzeichnungen durch die Angeklagten habe nicht festgestellt werden können, ebenso wenig, dass die Videoüberwachung dazu diente, die Prostituierten von der Aufgabe ihrer Tätigkeit abzuhalten. Ein entsprechender Wille sei bei den Angeklagten nicht vorhanden gewesen. Soweit der Angeklagte [X.]     vier Körperverletzungshandlungen zum Nachteil der Zeugin [X.]    begangen habe, sei dies im Rahmen von Beziehungsstreitigkeiten erfolgt. Zu der Körperverletzungshandlung der Angeklagten [X.]      gegenüber der Zeugin [X.].     sei es wegen eines Streits über die Zahlung der Miete gekommen, weil die Angeklagte sich über das Verhalten der Geschädigten geärgert habe. In beiden Fällen habe kein Zusammenhang mit der Prostitutionsausübung bzw. -fortsetzung bestanden.

7

2. Nach den Urteilsfeststellungen lernte der Angeklagte [X.] die Zeugin [X.].    im Februar 2018 als Kollegin in einer Autofabrik in [X.] kennen. Sie hatte bereits Mitte 2017 drei Monate als Prostituierte gearbeitet. Der Angeklagte [X.]machte [X.].   , die ihm ihre Zuneigung entgegenbrachte, in [X.] mit der Angeklagten [X.]     bekannt. In Kenntnis des Umstands, dass die Angeklagte [X.]      in M.      ein [X.]rdell betrieb, fuhr die Zeugin [X.].     mit ihr am 13. März 2018 nach M.       , um sich dort den [X.]rdellbetrieb anzusehen und bei Gefallen erneut der Prostitution nachzugehen. Der Angeklagte [X.] verblieb in [X.]. [X.].    entschloss sich, im [X.]rdell zu arbeiten. Die Beendigung ihrer Tätigkeit war ihr jederzeit möglich; sie verblieb im Besitz ihres Ausweises und ihrer beiden Smartphones. Als sie am 5. April 2018 aus persönlichen Gründen nach [X.] fahren wollte, besorgte ihr die Angeklagte [X.].     eine Bahnfahrkarte; [X.].     verpasste aber den Zug. Auf ihren Wunsch reiste der Angeklagte [X.]am 6. April 2018 nach M.       und übernachtete am 7. April auf den 8. April 2018 bei der Zeugin [X.].    in deren Zimmer im [X.]rdell. In dieser Nacht hat er die körperliche Auseinandersetzung der Angeklagten [X.]      zum Nachteil der Zeugin [X.].    miterlebt. Er hat sich aber herausgehalten, nachdem er von der Angeklagten [X.]     hierzu aufgefordert worden war.

III.

8

1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft gegen die [X.] der Angeklagten [X.]      und [X.]      sind als auf die Strafvorwürfe zum Nachteil der neun Prostituierten beschränkt anzusehen.

9

a) Zwar hat die Staatsanwaltschaft in der Revisionsbegründung lediglich eine Beschränkung auf die [X.] hinsichtlich der Angeklagten [X.]    und [X.]     erklärt und insoweit die Aufhebung des Urteils beantragt. Dieser Revisionsantrag steht jedoch mit dem übrigen Inhalt der [X.] nicht in Einklang (vgl. [X.], Urteil vom 14. Oktober 2020 - 1 StR 33/19 Rn. 17 f. mwN). Danach umfasst das [X.] nicht die wegen weiterer in der Anklageschrift angeführter Betäubungsmitteldelikte erfolgten [X.].

b) Hingegen können die angeklagten und verurteilten Körperverletzungshandlungen zum Nachteil der Zeuginnen [X.].    und [X.]    nicht wirksam vom Rechtsmittelangriff ausgenommen werden. Insoweit besteht - ungeachtet des [X.] - ein untrennbarer Zusammenhang mit den den Angeklagten [X.]     und [X.]     wegen der im Rahmen der Prostitutionsausübung vorgeworfenen Taten, wegen derer sie freigesprochen worden sind. Die den Körperverletzungsdelikten zugrundeliegenden Sachverhalte können als mögliche Tatmodalität einer Ausbeutung bzw. einer Ausnutzung einer Zwangslage (§ 181a Abs. 1 Nr. 1, § 232 Abs. 1 Nr. 1a StGB) der Geschädigten nicht getrennt beurteilt werden.

2. Die von der Staatsanwaltschaft erhobenen Verfahrensrügen dringen nicht durch.

a) Die Inbegriffsrüge (§ 261 StPO), wonach das [X.] es unterlassen habe, die unterschiedlichen Einlassungen des Angeklagten [X.] zu würdigen und die in der Hauptverhandlung verlesenen Protokolle über die [X.] am 12. September 2018 und die mündliche Haftprüfung am 5. November 2018 in den Urteilsgründen wiederzugeben und in die Beweiswürdigung einzustellen, ist unbegründet. Allein aus dem Umstand, dass ein Beweismittel oder der Inhalt einer Einlassung des Angeklagten im Ermittlungsverfahren in den Urteilsgründen unerwähnt bleibt, kann noch nicht geschlossen werden, dass dies im Rahmen der [X.] übergangen worden ist. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur erschöpfenden Würdigung der Beweise liegt nur dann vor, wenn sich die Erörterung des [X.] mit Rücksicht auf die sonstigen Feststellungen aufdrängen musste (vgl. [X.], Urteile vom 8. März 2018 - 3 [X.] Rn. 6 und vom 17. März 2015 - 2 [X.] Rn. 18). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Der Angeklagte [X.]hat in der Hauptverhandlung bestritten, dass er die Zeugin [X.].     mit unrichtigen Versprechungen zur Aufnahme einer Tätigkeit als Prostituierte in [X.] veranlasst habe. Die Zeugin habe vielmehr aus eigenem Antrieb die Tätigkeit aufgenommen, nachdem er ihr den Kontakt zur Angeklagten [X.]      vermittelt habe. In den Vernehmungen vor dem Ermittlungsrichter hatte der Angeklagte noch angegeben, keine Kenntnis davon gehabt zu haben, dass die Zeugin [X.].    als Prostituierte im [X.]rdell der Angeklagten [X.]      arbeitete, sondern gedacht zu haben, dass sie als Bardame tätig gewesen sei.

Das [X.] hat die Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung als nicht widerlegt angesehen. Maßgeblich hierfür war, dass die Angaben der Zeugin [X.].    , die sie im Ermittlungsverfahren gemacht hatte und die in der Hauptverhandlung durch Vernehmung der Polizeibeamtin eingeführt wurden, aufgrund der inhaltlichen Widersprüche durch die Beweisaufnahme erschüttert wurden ([X.] ff.). Die Änderung des Einlassungsverhaltens des Angeklagten [X.] in der Hauptverhandlung im Vergleich zu seinen Angaben im Ermittlungsverfahren spielten insoweit keine Rolle, so dass sich eine explizite Darstellung und Erörterung dieser Angaben in den Urteilsgründen nicht aufdrängte.

b) Soweit die Revision beanstandet, dass das [X.] nicht auf eine persönliche Einvernahme der Zeugin [X.].     hingewirkt habe, nachdem diese einer Ladung zur Hauptverhandlung nicht nachgekommen war, ist die Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO sind die behaupteten Verfahrensmängel so genau mitzuteilen, dass vom Revisionsgericht geprüft werden kann, ob der geltend gemachte [X.] vorliegt, wenn die mitgeteilten Tatsachen bewiesen werden. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, eine bestimmte Tatsache, die das Gericht zu ermitteln unterlassen hat, und das Beweismittel zu bezeichnen, dessen es sich hätte bedienen sollen. Darüber hinaus muss bestimmt behauptet und konkret angegeben werden, welche Umstände das Gericht zu weiteren Ermittlungen hätte drängen müssen und welches Ergebnis von der unterbliebenen Beweiserhebung zu erwarten gewesen wäre. Wird ein Aufklärungsmangel aus dem Inhalt einer im Ermittlungsverfahren erfolgten Zeugenvernehmung hergeleitet, so bedarf es grundsätzlich deren vollständiger inhaltlicher Wiedergabe (vgl. [X.], Beschluss vom 17. Juli 2007 - 1 StR 317/07).

An letzterem fehlt es vorliegend. Ausführungen zu der Beweisbehauptung und dem Ergebnis der unterbliebenen persönlichen Einvernahme der Zeugin [X.].    enthält der [X.] ebenso wenig wie eine vollständige Wiedergabe der polizeilichen Zeugenvernehmung. Es kann daher nicht beurteilt werden, ob das [X.] sich hätte gedrängt sehen müssen, die Zeugin nochmals zur Hauptverhandlung zu laden oder andere Möglichkeiten einer Einvernahme in Betracht zu ziehen.

c) Auch die Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) betreffend die Zeugin [X.]        , die einer Ladung zum Hauptverhandlungstermin nicht gefolgt war, ist unzulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Revisionsführerin unterlässt es mitzuteilen, welche Angaben die Zeugin in der Hauptverhandlung tätigen werde und weshalb dies für eine konkrete Beweisbehauptung sowie eines Beweisergebnisses ausreicht, so dass das Tatgericht sich zur persönlichen Einvernahme der Zeugin hätte gedrängt sehen müssen. Aus der von der Revision mitgeteilten polizeilichen Einvernahme der Zeugin im Wege der Rechtshilfe, die vom Tatgericht wegen Widerspruchs der Verteidigung nicht verlesen und auch nicht verwertet wurde, ergeben sich keine Tatsachen, die belegen, dass die Angeklagten [X.]     und [X.]      damit befasst waren, die zur Tatzeit 18-jährige Zeugin zur Aufnahme der Prostitution zu veranlassen. Auch sind keine Anhaltspunkte in dieser Aussage ersichtlich, dass die Angeklagten Kenntnis von den Umständen der Verbringung der Zeugin nach [X.] und dem Einbehalt ihrer Einnahmen durch die anderweitig Verfolgten [X.]und S.    erlangt haben.

d) Schließlich sind auch die (zusammengefassten) Aufklärungsrügen (§ 244 Abs. 2 StPO) hinsichtlich der Zeugen Bi.  , [X.]    und [X.].   unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Revision gibt die Aussagen der benannten und in der Hauptverhandlung auf Ladung des Gerichts nicht erschienen Zeugen nicht (vollständig) wieder, die sie jeweils im Ermittlungsverfahren bei polizeilichen Vernehmungen gemacht haben und die durch die Vernehmungsbeamten in die Hauptverhandlung eingeführt wurden. Es kann daher nicht überprüft werden, ob der Tatrichter sich gedrängt sehen musste, die Zeugen zu bestimmten [X.], die von der Revision nicht dargelegt werden, in der Hauptverhandlung persönlich zu hören.

e) Der von der Revision behauptete Verstoß gegen die Kognitionspflicht (§ 264 StPO) liegt nicht vor.

Die Staatsanwaltschaft hat in ihrer Anklageschrift u.a. gemäß „§§ 154 Abs. 1, 154a Abs. 1 StPO“ von der Verfolgung von Taten bzw. Tatteilen abgesehen, soweit die Angeklagten [X.]      und [X.]     Geldbeträge für Werbeinserate von fünf Prostituierten vereinnahmt haben, die jedoch nicht veranlasst wurden, weil die Angeklagten die Gelder entsprechend ihrer vorgefassten Absicht für sich selbst verwendet haben (§ 263 StGB).

Ungeachtet der Frage, ob die vom [X.] nicht vorgenommene Wiedereinbeziehung der Betrugsvorwürfe bereits mit der Sachrüge als materiell-rechtlicher Mangel angreifbar ist (vgl. [X.], Urteil vom 18. Juli 1995 - 1 [X.] Rn. 8) oder ob eine den Zulässigkeitsanforderungen gerecht werdende Verfahrensrüge zu erheben ist (vgl. [X.], Urteil vom 14. Dezember 1995 - 4 [X.] Rn. 20 ff.), war eine Wiedereinbeziehungsentscheidung durch das Tatgericht von sich aus nicht veranlasst. Bei den Betrugsvorwürfen - ebenso wie bei den abgeurteilten Körperverletzungshandlungen zum Nachteil der Zeuginnen [X.].    und [X.]    - handelte es sich um rechtlich selbständige Taten (§ 53 StGB). Die Einstellungsentscheidung der Staatsanwaltschaft bezog sich sowohl auf abtrennbare Tatteile nach § 154a StPO als auch auf selbständige Taten nach § 154 StPO. Unabhängig davon, dass die Angeklagten zu Freiheitsstrafen verurteilt wurden, war daher vom [X.] nicht darauf hinzuwirken, dass die eingestellten Betrugsvorwürfe nach § 154 Abs. 4 StPO wiederaufgenommen werden.

3. Die Freisprüche der Angeklagten [X.]     , [X.]     und [X.] weisen keinen durchgreifenden sachlich-rechtlichen Rechtsfehler auf.

Zu den Einzelbeanstandungen der Revision ist Folgendes auszuführen:

a) Die Einwände der Staatsanwaltschaft gegen die Beweiswürdigung greifen nicht durch.

Die Beweiswürdigung ist dem Tatgericht übertragen (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, die Ergebnisse der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein. Es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt oder der Tatrichter überspannte Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung gestellt hat. Liegen solche Fehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar näherliegend gewesen wäre (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 1. August 2018 - 3 [X.] Rn. 41).

Gemessen an diesen Grundsätzen hält die Beweiswürdigung des [X.]s rechtlicher Nachprüfung stand.

aa) Dies gilt auch für die Würdigung der Beweise für die dem Angeklagten [X.] vorgeworfenen Tat zum Nachteil der Zeugin [X.].   . Soweit das [X.] sich nicht die Überzeugung zu verschaffen vermochte, dass der Angeklagte sie mit unzutreffenden Versprechungen zur erneuten Aufnahme einer Tätigkeit als Prostituierte in [X.] veranlasste, nimmt der Senat dies auch mit Blick auf die vom [X.] gewürdigten Telefonate der Beteiligten ([X.] ff.) hin.

bb) Ohne Rechtsfehler ist auch die Würdigung des [X.]s, dass die Körperverletzungshandlung der Angeklagten [X.]    gegenüber der Zeugin [X.].     aus Verärgerung erfolgte, nicht jedoch um die Zeugin zur Fortsetzung der Prostitutionsausübung zu veranlassen. Gleiches gilt für die Verneinung einer auslandsspezifischen Hilflosigkeit oder Ausbeutung der Zeugin [X.].   .

cc) Ebenso rechtsfehlerfrei ist die Beweiswürdigung des [X.]s, dass die Körperverletzungshandlungen des Angeklagten [X.]     zum Nachteil der Geschädigten [X.]    ihren Grund lediglich in ihrer gemeinsamen Beziehung hatten. Das [X.] hat zudem eine Ausbeutung der Geschädigten mit nicht zu beanstandender Begründung verneint, soweit sie mit dem Angeklagten [X.]     nach eigenen Angaben mit ihren Einnahmen eine „gemeinsame Kasse“ geführt hat. Mit ihren Ausführungen nimmt die Revision lediglich eine eigene Bewertung der Beweisergebnisse vor.

2. Entgegen dem [X.] besorgt der Senat ferner nicht, dass das [X.] bei Anwendung sachlichen Rechts einen unzutreffenden Prüfungsmaßstab angewendet hat. Zwar ist der Revision zuzugeben, dass das [X.] bei der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen der § 232 Abs. 1, § 232a Abs. 1 Nr. 1 StGB zum Nachteil der 18-jährigen Zeugin [X.]        rechtlich unzutreffend ausführt, dass die freiwillige Aufnahme und Fortsetzung der Prostitution von „Personen über 18, aber unter 21 Jahren in [X.] nicht strafbar ist, sofern nicht ein Täter eine Zwangslage ausnutzt“ ([X.]; entgegen der rechtlich zutreffenden Bewertung auf [X.]). Die [X.] hat jedoch maßgeblich vorangestellt, dass die Angeklagten [X.]     und [X.]    keine Kenntnis von den Umständen hatten, die die Geschädigte zur Aufnahme der Prostitutionstätigkeit durch die anderweitig Verfolgten [X.]und S.    veranlasst haben. Entgegen dem Vortrag der Revision ist aus der Formulierung auf [X.] nicht zu folgern, dass dem [X.] die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 232, 232a, 181a StGB „insgesamt nicht geläufig“ sind. Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist insoweit ersichtlich, dass das [X.] die tatbestandlichen Voraussetzungen der ausbeuterischen und dirigierenden Zuhälterei (§ 181a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB) sowie der Ausbeutung im Sinne von § 232 StGB ohne Rechtsfehler verneint hat. Auch die Anforderungen zum subjektiven Tatbestand dieser Vorschriften hat die [X.] nicht überspannt.

IV.

Die Revision der Angeklagten [X.]     ist aus der Gründen der Antragsschrift des [X.] unbegründet.

Raum     

        

Bellay     

        

Fischer

        

Bär     

        

Hohoff     

        

Meta

1 StR 287/20

29.06.2021

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG München I, 22. November 2019, Az: 471 Js 157063/17 - 8 KLs

§ 244 Abs 2 StPO, § 261 StPO, § 267 StPO, § 344 Abs 2 S 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 29.06.2021, Az. 1 StR 287/20 (REWIS RS 2021, 4540)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 4540

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