Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.04.2023, Az. 6 StR 110/23

6. Strafsenat | REWIS RS 2023, 2127

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Gegenstand

Strafverurteilung wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung: Notwendige Urteilsfeststellungen bei Wiedererkennen des Angeklagten durch einen Tatzeugen


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 5. Dezember 2022 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben

a) in den [X.], 5 und 6 der Urteilsgründe,

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit besonders schwerem Raub, wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit versuchter Nötigung, wegen Beihilfe zur schweren räuberischen Erpressung, wegen Betruges, wegen Diebstahls und wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung im Fall II.5 der Urteilsgründe hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil sie einer tragfähigen Beweiswürdigung entbehrt.

3

a) Nach den dazu getroffenen Feststellungen forderten der Angeklagte und der gesondert Verfolgte [X.]die Zeugen S.            und    [X.]unter Androhung von Schlägen auf, ihre Taschen zu leeren. Nachdem diese daraufhin ihre Mobiltelefone und Portemonnaies herausgegeben hatten, veranlasste [X.] sie unter erneuter Androhung von Schlägen dazu, mit ihm und dem Angeklagten zu einer Sparkassenfiliale zu fahren, um dort mit der [X.] des Zeugen S.           , die er in dessen Portemonnaie gefunden hatte, Geld abzuheben. Als sie an der Sparkassenfiliale angekommen waren, bedrohte [X.]die Zeugen mit einem Teleskopschlagstock, den ihm der Angeklagte aus dem Auto gegeben hatte, und betrat mit S.           das Gebäude, während der Angeklagte mit   [X.]im Fahrzeug zurückblieb. [X.]hob mit der [X.] insgesamt 1.240 Euro vom Konto des Zeugen S.           ab, nachdem er ihn dazu gezwungen hatte, seine [X.] einzugeben.

4

Das [X.] hat seine Überzeugung von der [X.]chaft des Angeklagten maßgeblich darauf gestützt, dass die Zeugen S.            und   [X.] den ihnen vorher unbekannten Angeklagten im Rahmen von Lichtbildvorlagen bei der Polizei wiedererkannt hätten. Der Zeuge S.          habe angegeben, den Angeklagten „auf ihm vorgelegten Bildern wiedererkannt“ zu haben. Der Zeuge   B.  habe den Angeklagten seinen Angaben zufolge bei der Lichtbildvorlage „direkt“ erkannt. Heute sehe der Angeklagte dagegen etwas verändert aus, insbesondere habe er damals keine Glatze gehabt.

5

b) Diese Ausführungen genügen nicht den besonderen Darlegungsanforderungen in Fällen, in denen – wie hier – der [X.] im [X.]sentlichen auf einem Wiedererkennen des Angeklagten durch einen Tatzeugen beruht. Danach ist das Tatgericht aus sachlich-rechtlichen Gründen regelmäßig verpflichtet, die Angaben des Zeugen zur Täterbeschreibung zumindest in gedrängter Form wiederzugeben und die Täterbeschreibung des Zeugen zum Äußeren und zum Erscheinungsbild des Angeklagten in der Hauptverhandlung in Beziehung zu setzen; zudem sind in den Urteilsgründen diejenigen Gesichtspunkte darzulegen, auf denen die Folgerung des Tatgerichts beruht, dass insoweit tatsächlich Übereinstimmung besteht. Darüber hinaus bedarf es einer Mitteilung der Umstände, die zur Identifizierung des Angeklagten durch den Zeugen geführt haben, insbesondere, ob das (erste) Wiedererkennen auf einer Einzel- oder Wahllichtbildvorlage beruht; wegen der damit verbundenen suggestiven Wirkung kommt dem Wiedererkennen aufgrund einer Einzellichtbildvorlage grundsätzlich ein geringerer Beweiswert zu (vgl. [X.], Beschlüsse vom 29. November 2016 – 2 [X.], [X.], 90; vom 8. Februar 2023 – 6 StR 516/22, NStZ 2023, 250, jeweils mwN).

6

Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Ihnen lässt sich nicht entnehmen, aufgrund welcher konkreten äußeren Merkmale die Zeugen S.            und   [X.]den Angeklagten wiedererkannten. Ebenso fehlen Ausführungen zur konkreten Durchführung der Lichtbildvorlagen.

7

2. Die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung im Fall [X.] und wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit versuchter Nötigung im Fall II.6 der Urteilsgründe hat keinen Bestand, weil das [X.] einen strafbefreienden Rücktritt des Angeklagten vom Versuch (§ 24 StGB) jeweils mit rechtlich nicht tragfähiger Begründung verneint hat.

8

a) Nach den Feststellungen suchte der Angeklagte im Fall [X.] mit zwei Begleitern den Zeugen [X.]auf und verlangte von diesem, ihm ein Mobiltelefon zurückzugeben, das er [X.]geliehen hatte. Als dieser erwiderte, dass das Mobiltelefon kaputt sei, zog einer der Begleiter des Angeklagten ein Messer und hielt es [X.]an bzw. vor den Bauch. Der Angeklagte forderte ihn sodann auf, ihm innerhalb von drei Tagen 2.000 Euro zu zahlen, wozu es allerdings nicht kam.

9

Im Fall II.6 der Urteilsgründe passten der Angeklagte und die Zeugin [X.].  den Zeugen [X.].    auf dem Nachhauseweg ab und forderten ihn auf, eine Strafanzeige zurückzunehmen, die er gegen den Bruder der Zeugin [X.].    erstattet hatte. Außerdem verlangte der Angeklagte von [X.].    die Zahlung eines Betrages von 600 Euro und drohte ihm damit, dass ihm anderenfalls „etwas Schlimmes“ passieren werde. Als [X.].    erwiderte, dass er so viel Geld nicht bei sich habe, hielt ihm der Angeklagte ein Messer vor den Bauch, drohte ihm, dass [X.].   „das Ganze lieber ernst nehmen“ solle, weil er ihn sonst „hier auch abstechen“ könne, und räumte ihm schließlich eine Zahlungsfrist bis zum nächsten Tag ein. Zu einer Geldübergabe kam es jedoch nicht, [X.].    suchte vielmehr am nächsten Tag die Polizei auf und erstattete Anzeige.

Einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch hat das [X.] jeweils mit der Begründung verneint, dass die Versuche fehlgeschlagen seien. Die Zeugen [X.]und [X.].    hätten keine Zahlungen geleistet, und „aufgrund der zeitlich-örtlichen Umstände“ sei „für die Kammer auch nicht ersichtlich, dass es dem Angeklagten jeweils möglich gewesen wäre, den [X.] mit den bereits eingesetzten oder zur Hand liegenden Mitteln und ohne eine neue Handlungs- bzw. Kausalkette in Gang zu setzen, zu erreichen“.

b) Diese Ausführungen belegen nicht, dass die Versuche fehlgeschlagen waren.

Sowohl für den fehlgeschlagenen Versuch als auch für die Frage, ob ein Versuch unbeendet oder beendet ist, kommt es maßgeblich nicht auf die objektiven Umstände, sondern auf das Vorstellungsbild des [X.] nach seiner letzten Ausführungshandlung an (sogenannter Rücktrittshorizont, vgl. etwa [X.], Beschluss vom 19. Mai 1993 – [X.], [X.]St 39, 221, 227 f.). Selbst wenn es ihm tatsächlich nicht mehr möglich ist, den [X.] mit den bereits eingesetzten oder ihm sonst zur Hand liegenden Mitteln herbeizuführen, ohne eine neue Handlungs- und Kausalkette in Gang setzen zu müssen, ist der Versuch nur dann fehlgeschlagen, wenn der Täter dies auch erkennt. Entsprechendes gilt für die Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch. Geht der Täter zum Zeitpunkt der letzten Ausführungshandlung davon aus, noch nicht alles getan zu haben, was nach seiner Vorstellung zur Herbeiführung des [X.]es erforderlich oder zumindest ausreichend ist, liegt ein unbeendeter Versuch vor, von dem er durch bloßes [X.] zurücktreten kann (vgl. zu allem etwa [X.], Beschluss vom 23. Februar 2016 – 3 StR 5/16 mwN).

Feststellungen zum Rücktrittshorizont hat das [X.] jedoch nicht getroffen. Angesichts der den Zeugen gesetzten Zahlungsfristen versteht es sich auch nicht von selbst, dass der Angeklagte die Vorstellung hatte, seine Forderungen nicht mehr durchsetzen zu können. Die Sache bedarf deshalb auch insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.

3. Die Aufhebung des Urteils in den [X.], 5 und 6 der Urteilsgründe entzieht dem Ausspruch über die Gesamtstrafe die Grundlage.

Sander     

  

Ri[X.] Dr. Feilcke ist
urlaubsbedingt an der
Unterschrift gehindert.

  

Tiemann

  

  

Sander

  

  

  

Fritsche      

  

     von Schmettau

  

Meta

6 StR 110/23

04.04.2023

Bundesgerichtshof 6. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Stade, 5. Dezember 2022, Az: 201 KLs 20/22

§ 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.04.2023, Az. 6 StR 110/23 (REWIS RS 2023, 2127)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 2127

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Rücktritt vom Versuch: Fehlschlagen des Versuchs; Rücktrittshorizont des Täters


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