Bundessozialgericht, Beschluss vom 20.07.2010, Az. B 1 KR 10/10 B

1. Senat | REWIS RS 2010, 4677

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Gegenstand

Krankenversicherung - Leistungsausschluss von Viagra bei erektiler Dysfunktion nach Prostataoperation - Verfassungsmäßigkeit - Nichtzulassungsbeschwerde - Zulässigkeit der Revision - grundsätzliche Bedeutung


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 9. Dezember 2009 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Der 1941 geborene, bei der beklagten Krankenkasse ([X.]) versicherte Kläger ist mit seinem [X.]egehren, die [X.]eklagte möge ihm wegen einer erektilen Dysfunktion nach einer operativen Entfernung der [X.] wegen eines Harnblasenkarzinoms die bisher entstandenen Kosten für das Medikament Viagra erstatten und für die Zukunft mit einem Arzneimittel mit dem Wirkstoff Sildenafil nach ärztlicher Verordnung versorgen, in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das [X.] hat im Wesentlichen ausgeführt: Die geltend gemachten Ansprüche seien nicht gegeben, da Arzneimittel zur Steigerung der Potenz nach § 34 Abs 1 Satz 8 [X.] von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ([X.]) ausgeschlossen seien. Nach der Rechtsprechung des [X.] verstoße dieser Ausschluss nicht gegen Art 2 Abs 1 und 2 [X.] ([X.]E 94, 302 = [X.]-2500 § 34 [X.]; [X.] Urteil vom 18.7.2006 - [X.] 1 KR 10/05 R - USK 2006-139). Art 3 [X.] sei entgegen der Ansicht des [X.] nicht etwa verletzt, weil [X.]ehandlungen bei psychischen Störungen und Inkontinenz von der Leistungspflicht der [X.]n umfasst seien, die Wiederherstellung der Erektionsfähigkeit durch Medikamente nach einer [X.]operation aber nicht. Den sachlichen Grund für die unterschiedliche [X.]ehandlung, der auch für die in § 34 Abs 1 Satz 8 [X.] aufgeführten Regelbeispiele gelte, habe der Gesetzgeber in § 34 Abs 1 Satz 7 [X.] genannt. Ausnahmen von dem Leistungsausschluss lasse das Gesetz nicht zu. Aus der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zum Anspruch auf [X.]eihilfe zu den Kosten der medikamentösen [X.]ehandlung der erektilen Dysfunktion könne der Kläger schon wegen der Unterschiede der beiden Systeme der [X.] nichts für sich herleiten; außerdem habe das [X.] einen solchen Anspruch im Rahmen der [X.]eihilfe ebenfalls ausgeschlossen (Urteil vom [X.]).

2

Mit seiner [X.]eschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.]. Er beruft sich auf die grundsätzliche [X.]edeutung der Rechtssache.

3

II. Die [X.]eschwerde des [X.] ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbs 2 iVm § 169 Satz 3 S[X.] zu verwerfen. Ihre [X.]egründung entspricht nicht den Anforderungen an die Darlegung des geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen [X.]edeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 [X.]).

4

Wer sich auf diesen Zulassungsgrund beruft, muss gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 S[X.] eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von [X.]edeutung ist (vgl z[X.] [X.] [X.] 3-1500 § 160a [X.]1 S 38; [X.] [X.] 3-4100 § 111 [X.] f; s auch [X.] [X.] 3-2500 § 240 [X.] f mwN). Eine Rechtsfrage ist grundsätzlich nicht mehr klärungsbedürftig, wenn sie bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden worden ist (vgl [X.] [X.] 3-1500 § 160 [X.]; [X.] [X.] 1500 § 160 [X.] mwN). In diesem Fall muss deshalb dargetan werden, dass für die Frage z[X.] mit [X.]lick auf einschlägige Kritik im Schrifttum oder bei den [X.] - erneut Klärungsbedarf entstanden ist (vgl z[X.] [X.] [X.] 3-1500 § 160a [X.]1 S 38; [X.] [X.] 3-4100 § 111 [X.] f). Dem entspricht das [X.]eschwerdevorbringen nicht.

5

Der Kläger formuliert lediglich sinngemäß die Rechtsfrage, ob "die streitgegenständliche gesetzliche Regelung, die neu in das [X.] eingeführt worden ist (…), die bestimmte Arzneimittel von der Versorgung generell ausschließt, ohne dass für einen begründeten Ausnahmefall eine Ausnahmeregelung vorgesehen ist bzw. von der Rechtsprechung zugelassen wird", verfassungswidrig ist. Der [X.] lässt offen, ob er damit hinreichend klar eine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage formuliert, denn er erfüllt jedenfalls nicht die Darlegungsanforderungen für die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage.

6

Wer sich auf die Verfassungswidrigkeit einer Regelung beruft, darf sich nämlich nicht auf die [X.]enennung angeblich verletzter Rechtsgrundsätze beschränken, sondern muss unter [X.]erücksichtigung der Rechtsprechung des [X.] und des [X.] darlegen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll ([X.]E 40, 158 = [X.] 1500 § 160a [X.]; z[X.] [X.] [X.]eschlüsse vom [X.] - [X.] 12 RA 16/05 [X.] und vom [X.] - [X.] 1 KR 87/08 [X.]). Hierzu müssen der [X.]edeutungsgehalt der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufgezeigt, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung erörtert und die Verletzung der konkreten Regelung des [X.] dargelegt werden. An alledem fehlt es. Dem umfangreichen, jedoch wenig geordneten Vorbringen des [X.] ist noch sinngemäß zu entnehmen, dass er sich wohl auf eine Verletzung von Art 2 Abs 1 und 2 [X.] sowie Art 3 Abs 1 [X.] beruft. Er berücksichtigt allerdings nicht in ausreichendem Maße die hierzu bereits ergangene Rechtsprechung des [X.] und des [X.].

7

Dies betrifft zum einen den Vortrag des [X.], die [X.]ehandlung seiner erektilen Dysfunktion sei keine "life-style"-[X.]ehandlung, sondern wegen der [X.]-Operation die [X.]ehandlung einer Krankheit. Er legt nicht dar, weshalb dies die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage begründet, obwohl nach der Rechtsprechung des erkennenden [X.]s der Leistungsausschluss gemäß § 34 Abs 1 Satz 7 bis 9 [X.] nicht gegen Art 2 Abs 1 und 2 [X.] verstößt (vgl [X.]E 94, 302 = [X.]-2500 § 34 [X.] Rd[X.]5 - Viagra; [X.] Urteil vom 18.7.2006 - [X.] 1 KR 10/05 R - USK 2006-139). Er geht nicht hinreichend darauf ein, dass aus diesen [X.]estimmungen des [X.] zwar eine [X.] Pflicht des Staates folgt, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu schützen (vgl [X.]E 85, 191, 212; 88, 203, 251; 90, 145, 195), darüber hinaus verfassungsrechtlich grundsätzlich jedoch nur geboten ist, eine medizinische Versorgung für alle [X.]ürger bereit zu halten. Auch setzt er sich nicht damit auseinander, dass der Gesetzgeber seinen weiten Gestaltungsspielraum nicht verletzt, wenn er angesichts der beschränkten finanziellen Leistungsfähigkeit der [X.] Leistungen aus dem Leistungskatalog herausnimmt, die - wie hier - in erster Linie einer Steigerung der Lebensqualität jenseits lebensbedrohlicher Zustände dienen (vgl [X.] [X.]E 94, 302 = [X.]-2500 § 34 [X.] Rd[X.]5 - Viagra; vgl auch zum Ganzen [X.] Urteil vom 18.7.2006 - [X.] 1 KR 10/05 R - USK 2006-139).

8

Auch soweit sich der Kläger auf eine Verletzung von Art 3 [X.] beruft, berücksichtigt er die bereits vorliegende Rechtsprechung des [X.] und des [X.] ebenfalls nicht in ausreichendem Maße. Dies gilt zunächst für den geltend gemachten Verstoß gegen den Gleichheitssatz wegen der unterschiedlichen [X.]ehandlung einer durch eine [X.]operation eingetretenen Inkontinenz und einer auf dieser Krankheit beruhenden erektilen Dysfunktion. Er geht weder auf das in dem [X.]-Urteil genannte sachliche Differenzierungskriterium für die Ungleichbehandlung beider Fallkonstellationen ein noch auf die umfangreiche Rechtsprechung des [X.] und des [X.] zu Art 3 [X.] (vgl etwa [X.]E 117, 316, 325 ff = [X.]-2500 § 27a [X.] Rd[X.]9 ff mwN; [X.] [X.]-2500 § 27a [X.] Rd[X.] ff mwN). Auch befasst er sich gar nicht mit den bereits vom [X.] zitierten Entscheidungen des [X.], in denen ein Verstoß des [X.] zur überwiegenden [X.]ehandlung der erektilen Dysfunktion nach § 34 Abs 1 Satz 7 bis 9 [X.] gegen Verfassungsrecht verneint wird.

9

Soweit sich der Kläger des Weiteren darauf beruft, [X.]eihilfeberechtigten stehe im Unterschied zu Versicherten der [X.] ein Anspruch auf die streitige Versorgung zu, bestand Anlass für eine Auseinandersetzung damit, dass die Ungleichbehandlung der [X.]-Versicherten gegenüber auf andere Weise abgesicherten Personen Folge der Entscheidung des Gesetzgebers für unterschiedliche Sicherungssysteme gegen Krankheit ist. Denn das [X.] hat dem Gesetzgeber grundsätzlich zugestanden, Versicherungspflicht und Versicherungsberechtigung in der [X.] in bestimmter Weise festzulegen ([X.]E 18, 38, 45 f; 18, 257, 265 ff; 18, 366 = [X.] Nr 54, 55, 56 zu Art 3 [X.]). Auch das [X.] hat wiederholt betont, dass es im Ermessen des Gesetzgebers liegt, sich für verschiedene Leistungssysteme zu entscheiden, in denen sich der Gleichheitssatz dann den Eigenarten der Systeme entsprechend unterschiedlich auswirkt ([X.]E 38, 149, 150 = [X.] 2200 § 1267 [X.] S 10; [X.]E 41, 157, 158 f = [X.] 5420 § 2 [X.] S 2; [X.]E 47, 259, 260 f = [X.] 3100 § 40a [X.]). Auch hiermit setzt sich der Kläger nicht auseinander.

Der [X.] sieht von einer weiteren [X.]egründung ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbs 2 S[X.]).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 S[X.].

Meta

B 1 KR 10/10 B

20.07.2010

Bundessozialgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: KR

vorgehend Sozialgericht für das Saarland, 21. Januar 2009, Az: S 1 KR 221/07, Gerichtsbescheid

§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 34 Abs 1 S 7 SGB 5, § 34 Abs 1 S 8 SGB 5, § 34 Abs 1 S 9 SGB 5, Art 2 Abs 1 GG, Art 2 Abs 2 GG, Art 3 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 20.07.2010, Az. B 1 KR 10/10 B (REWIS RS 2010, 4677)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 4677

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