Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.10.2020, Az. 4 StR 290/20

4. Strafsenat | REWIS RS 2020, 2099

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Gegenstand

Strafverfahren: Anforderungen an einen Übernahmebeschluss eines höherrangigen Gerichts


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 19. Februar 2020, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben,

a) soweit der Angeklagte im Fall 1 der Urteilsgründe wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden ist;

b) im Ausspruch über die - unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus den Strafbefehlen des [X.] vom 26. Februar 2019 und 2. Juli 2019 nach Auflösung der Gesamtgeldstrafe aus dem Beschluss des [X.] vom 10. Oktober 2019 gebildete - Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht - Schöffengericht - Münster verwiesen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zehn Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten (Fälle 2 bis 11 der Urteilsgründe) sowie wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Einbeziehung der Strafen aus zwei Vorverurteilungen nach Auflösung der insoweit gebildeten Gesamtgeldstrafe zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt (Fall 1 der Urteilsgründe). Darüber hinaus hat es die Einziehung aus den Vorverurteilungen aufrechterhalten und eine Einziehungsentscheidung (zu den Fällen 2 bis 11 der Urteilsgründe) getroffen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Soweit der Angeklagte im Fall 1 der Urteilsgründe wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden ist, besteht ein von Amts wegen zu beachtendes (vgl. [X.], Beschlüsse vom 25. Mai 2011 ‒ 2 StR 106/11; vom 28. Juni 2011 ‒ 3 [X.], [X.], 46; vom 14. Juli 2016 - 2 StR 514/15) Verfahrenshindernis, weil es an einem Übernahmebeschluss hinsichtlich des Verfahrens 12 Ls-260 Js 762/18-3/19 des [X.] fehlt (§ 225a Abs. 3 StPO). Das [X.] war deshalb insoweit sachlich für die Entscheidung nicht zuständig.

3

a) Nachdem das [X.] am 28. Februar 2019 das Hauptverfahren hinsichtlich dieses [X.] vor dem Amtsgericht - Schöffengericht - [X.] eröffnet hatte, hat die Vorsitzende des Schöffengerichts am 6. Dezember 2019 die Akten dem [X.] [X.] vorgelegt und am 13. Dezember 2019 telefonisch gegenüber dem Vorsitzenden der [X.] die Übernahme und Verbindung mit dem zum [X.] angeklagten Verfahren beantragt. Der Vorsitzende der [X.] hat mit Vermerk vom 13. Dezember 2019 festgehalten, dass die [X.] zur Übernahme des amtsgerichtlichen Verfahrens zwecks Verbindung bereit sei. Ohne zuvor einen Übernahmebeschluss herbeizuführen, wurde das Verfahren des Amtsgerichts mit einem landgerichtlichen Aktenzeichen versehen. Sodann hat die [X.] mit Beschluss vom 19. Dezember 2019 das zu ihr angeklagte Verfahren eröffnet und die beiden Verfahren unter Angabe der landgerichtlichen Aktenzeichen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

4

b) Die Entscheidung des höheren Gerichts über die Übernahme gemäß § 225a StPO ergeht in der für Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung vorgeschriebenen Besetzung (vgl. [X.], Urteil vom 23. April 2015 ‒ 4 [X.], [X.], 250, 251 mwN). Die Form des Übernahmebeschlusses, der den Eröffnungsbeschluss insoweit abändert, als er die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts abweichend von diesem regelt (§ 207 Abs. 1 StPO im Verhältnis zu § 225a Abs. 3 Satz 1 StPO), richtet sich nach den für den Eröffnungsbeschluss geltenden Bestimmungen (§ 225a Abs. 3 Satz 2 StPO). Ein ordnungsgemäßer Übernahmebeschluss muss als Grundlage für das Hauptverfahren und aus Gründen der Rechtssicherheit schriftlich abgefasst werden (vgl. [X.], Beschluss vom 14. Juli 2016 - 2 StR 514/15; vgl. zum Eröffnungsbeschluss [X.], Beschlüsse vom 3. April 2012 ‒ 2 StR 46/12, [X.], 583; vom 17. Oktober 2013 ‒ 3 [X.], [X.], 400, 401; vom 14. Juli 2016 - 2 StR 514/15); hingegen ist die Unterzeichnung eines solchen Beschlusses durch den oder die erlassenden [X.] keine Wirksamkeitsvoraussetzung (vgl. zum Eröffnungsbeschluss [X.], Beschluss vom 17. Oktober 2013 ‒ 3 [X.], [X.], 400 f. mwN). Eine Übernahmeentscheidung kann in einem Verbindungsbeschluss nur dann gesehen werden, wenn das Gericht seinen Willen zur Übernahme zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht hat (vgl. [X.], Beschluss vom 23. September 2020 ‒ 4 StR 270/20; vgl. zur Frage eines konkludenten Übernahmebeschlusses [X.], Beschluss vom 28. Juni 2011 ‒ 3 [X.] mwN).

5

c) Diesen Anforderungen genügt das aus der Akte ersichtliche Verfahren nicht.

6

aa) Der Vermerk des Vorsitzenden vom 13. Dezember 2019 stellt ‒ unbeschadet der äußeren Form und der fehlenden Unterschriften der beteiligten [X.] ‒ keine hinreichend deutliche schriftliche Dokumentation des Willens der [X.] dar, das Verfahren zu übernehmen. Es handelt sich um eine bloße Absichtserklärung des Vorsitzenden, der sich nicht entnehmen lässt, dass das Verfahren nach entsprechender Prüfung von der [X.] auch tatsächlich übernommen worden ist.

7

bb) Auch aus oder in Verbindung mit dem von allen drei mitwirkenden [X.]n unterzeichneten Beschluss vom 19. Dezember 2019 über die Verbindung der Verfahren ist der Wille der [X.], das amtsgerichtliche Verfahren zu übernehmen, nicht zweifelsfrei ersichtlich. Denn in dem Verbindungbeschluss werden beide Verfahren jeweils nur mit dem landgerichtlichen Aktenzeichen sowie dem Klammerzusatz „[X.] [X.]“ bezeichnet. Es fehlt damit an Anhaltspunkten dafür, dass sich die [X.] der noch ausstehenden Übernahmeentscheidung bewusst war, weshalb auch dem Verbindungsbeschluss der Wille der [X.] zur Übernahme des amtsgerichtlichen Verfahrens nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit entnommen werden kann.

8

2. Die Aufhebung der Verurteilung im Fall 1 entzieht der - unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus den Strafbefehlen des [X.] vom 26. Februar 2019 und 2. Juli 2019 nach Auflösung der Gesamtgeldstrafe aus dem Beschluss des [X.] vom 10. Oktober 2019 - nachträglich gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten die Grundlage.

9

3. Die mangelnde sachliche Zuständigkeit führt - im Gegensatz zu anderen Prozesshindernissen - nicht zu einer Einstellung des Verfahrens, sondern gemäß § 355 StPO zu einer Verweisung der Sache an das zuständige Gericht. Der Senat verweist die Sache an das Amtsgericht - Schöffengericht - [X.], da bei neuer Verhandlung und Entscheidung eine höhere als die ausgesprochene Gesamtfreiheitsstrafe nicht zu erwarten ist (§ 358 Abs. 2 StPO).

4. Im Übrigen hat die Prüfung des Urteils auf die Sachrüge hin keinen den Angeklagten [X.] Rechtsfehler ergeben.

Sost-Scheible     

        

Ri[X.] Bender ist im Urlaub und
daher gehindert zu unterschreiben.

        

[X.]

                 

Sost-Scheible

                 
        

Lutz     

        

     Maatsch     

        

Meta

4 StR 290/20

21.10.2020

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Münster, 19. Februar 2020, Az: 8 KLs 41/19

§ 207 Abs 1 StPO, § 225a Abs 3 S 1 StPO, § 225a Abs 3 S 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.10.2020, Az. 4 StR 290/20 (REWIS RS 2020, 2099)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2099

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