Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.04.2015, Az. 4 StR 603/14

4. Strafsenat | REWIS RS 2015, 12189

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Gegenstand

Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer: Angriff auf die Entschlussfreiheit eines Fahrzeugführers durch Vortäuschen einer Polizeikontrolle; Kammerbesetzung bei der Entscheidung über die Zuständigkeitsänderung vor der Hauptverhandlung des vorlegenden Gerichts


Tenor

[X.] 1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil

des [X.] vom 27. August 2013 aufgehoben,

a) soweit der Angeklagte wegen schweren Raubes verurteilt worden ist,

b) mit den Feststellungen im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

I[X.] 1. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte „wegen dreifacher Unterschlagung" verurteilt worden ist, sowie im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu erneuter Sachbehandlung an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten "wegen dreifacher Unterschlagung sowie wegen schweren Raubes" zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die von der Staatsanwaltschaft zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte, wirksam auf dessen Verurteilung wegen schweren Raubes beschränkte und mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts geführte Revision. Das vom [X.] vertretene Rechtsmittel hat im Ergebnis Erfolg. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg.

I.

2

1. Nach den Feststellungen des [X.]s überfielen der Angeklagte sowie die gesondert Verfolgten [X.], [X.], M.     M.     und [X.] M.      am 18. Dezember 2011 den [X.]    , der einen LKW der Firma [X.] auf einer Transportfahrt führte.

3

Der Angeklagte sowie [X.] und [X.] M.      folgten, dem gemeinsamen Tatplan entsprechend, mit einem PKW dem vom [X.]     geführten, am [X.] mit Produkten der Firma A.     beladenen LKW auf die [X.] "Dort überholten sie den Lkw und lotsten ihn unter Vortäuschung einer Polizeikontrolle auf den [X.]" Der Zeuge A.     lenkte den LKW auf den Rastplatz und hielt an. Der Angeklagte ging auf die Fahrertür des LKW zu und bedrohte den Geschädigten mit einer nicht geladenen Pistole. Er zwang ihn, sich auf das Bett in der Kabine hinter dem Fahrersitz zu legen, wo er ihn fesselte. Dann fuhr er mit dem LKW zu einem für das Umladen der Beute vorgesehenen Platz. Dort warteten M.      M.      und [X.] mit einem weiteren Fahrzeug, auf das die Täter Waren im Wert von rund 460.000 Euro umluden (Fall 1 der Urteilsgründe).

4

2. Bei drei Gelegenheiten im Juni 2012 entnahm der Angeklagte als für den Transport allein verantwortlicher LKW-Fahrer der [X.] nach entsprechender Verabredung mit dem gesondert Verfolgten [X.] aus den Ladungen u.a. Parfüm und Kosmetikartikel, die [X.] anschließend veräußerte; dieser beteiligte den Angeklagten am Erlös (Fälle 2 bis 4 der Urteilsgründe).

II.

5

Revision der Staatsanwaltschaft

6

Die Revision der Staatsanwaltschaft ist im Umfang der Anfechtung begründet, weil das Urteil im Fall 1 der Urteilsgründe an einem durchgreifenden [X.] leidet.

7

1. Das [X.], das gemäß § 154a Abs. 2 [X.] lediglich die mitangeklagten Vorwürfe der Amtsanmaßung und des Kennzeichenmissbrauchs von der weiteren Strafverfolgung ausgenommen hat, hat es rechtsfehlerhaft unterlassen, eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer gemäß § 316a Abs. 1 StGB zu prüfen.

8

a) Wie der [X.] mit Urteil vom heutigen Tage in der Parallelsache 4 StR 607/14 entschieden hat, wird auf die Entschlussfreiheit eines Kraftfahrzeugführers bereits dann ein Angriff verübt, wenn vom Täter eines geplanten Raubes eine Polizeikontrolle vorgetäuscht wird und sich der Geschädigte dadurch zum Anhalten gezwungen sieht.

9

b) Zu der sich danach stellenden Frage, ob der Angeklagte tateinheitlich den Tatbestand des § 316a Abs. 1 StGB verwirklicht hat, hat das [X.] nur unzureichende Feststellungen getroffen. Die [X.] teilt im angefochtenen Urteil lediglich mit, dass der Angeklagte und seine beiden Mittäter den vom [X.]     gesteuerten LKW überholten und "ihn unter Vortäuschung einer Polizeikontrolle auf den [X.] (lotsten)." Die unsubstantiierte Wertung "Vortäuschung einer Polizeikontrolle" entbehrt einer tatsächlichen Grundlage; das genaue Vorgehen wird nicht mitgeteilt. Der [X.] kann daher nicht prüfen, ob die Täter bereits durch ihr Verhalten im fließenden Verkehr einen Angriff auf die Entschlussfreiheit des Geschädigten als Führer des LKW verübt haben.

2. Aus den zutreffenden Gründen der Antragsschriften des [X.]s vom 19. Mai 2014 und vom 23. Januar 2015 hat sich der Angeklagte nicht des erpresserischen Menschenraubs (so in erster Linie die revisionsführende Staatsanwaltschaft) oder der Geiselnahme (so die Generalstaatsanwaltschaft in [X.]) schuldig gemacht.

3. Der aufgezeigte [X.] nötigt zur Aufhebung des - an sich [X.] - Schuldspruchs wegen schweren Raubes (vgl. [X.]/[X.], 7. Aufl., § 353 Rn. 12). Einer Aufhebung der Feststellungen bedarf es nicht (§ 353 Abs. 2 [X.]); insoweit liegt der Fall im [X.]ick auf die den Angeklagten treffende Beschwer anders als bei einem erstinstanzlichen Freispruch (vgl. [X.]/[X.], [X.], 58. Aufl., § 354 Rn. 23). Der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter wird die erforderlichen ergänzenden, zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehenden Feststellungen zu treffen haben.

Der neue Tatrichter wird auch eine tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen Freiheitsberaubung gemäß § 239 Abs. 1 StGB zu prüfen haben. Dieser Straftatbestand tritt nicht im Wege der [X.] hinter den schweren Raub zurück, da dieser bereits mit dem Verlassen des Parkplatzes nicht nur vollendet, sondern auch beendet war (vgl. LK-StGB/[X.], 12. Aufl., § 249 Rn. 67; s. auch zu einer ähnlichen Fallgestaltung [X.], Beschluss vom 6. Juli 2006 - 4 StR 48/06, [X.], 35, 36). Schließlich wird der neue Tatrichter im Rahmen der erforderlichen wertenden Betrachtung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls (vgl. [X.]/[X.], [X.], 58. Aufl., Art. 6 [X.] Rn. 9b mwN) zu erwägen haben, ob er eine Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung auszusprechen hat (vgl. [X.], Beschluss vom 29. Januar 2015 - 1 [X.]/13).

III.

Revision des Angeklagten

1. Die Revision des Angeklagten hat Erfolg, soweit sie sich gegen die Verurteilung wegen (veruntreuender) Unterschlagung in drei Fällen richtet. Hierzu hat der [X.] in seiner an den zunächst mit dem Revisionsverfahren befassten 2. Strafsenat des [X.] gerichteten Antragsschrift vom 19. Mai 2014 das Folgende ausgeführt:

"Die Überprüfung des angefochtenen Urteils auf die Sachrüge des Angeklagten hat ergeben, dass das [X.] das Verfahren 3240 Js         Amtsgericht [X.] nicht wirksam übernommen hat.

Nachdem das [X.] [X.] insofern am 14. Mai 2013 das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht [X.] - Schöffengericht - eröffnet hatte ([X.], [X.]), legte das Amtsgericht [X.] die Sache mit Verfügung vom 13. August 2013 auf Antrag der Staatsanwaltschaft dem [X.] zur Übernahme vor ([X.] [X.]. 330). In der Hauptverhandlung in der Strafsache 3490 Js         am 27. August 2013 beschloss die [X.] die Übernahme des Verfahrens des Amtsgerichts [X.] 3240 Js         ([X.] [X.]. 351) und die Verbindung zu dem dortigen Verfahren 3490 Js        .

Dieser Übernahmebeschluss ist unwirksam. Die Entscheidung des höheren Gerichts über die Übernahme gemäß § 225a [X.] ergeht in der für Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung vorgeschriebenen Besetzung (vgl. [X.]/[X.] [X.] 57. Auflage [§ 225a] Rdnr. 14). Die [X.] war jedoch dem Beschluss vom 22. Juli 2013 gemäß § 76 Abs. 2 [X.] ([X.]. 247) entsprechend bei dem Erlass des Übernahme- und [X.] in der Hauptverhandlung lediglich mit zwei Berufsrichtern besetzt ([X.], [X.]. 301). Dies führt dazu, dass das Verfahren 3240 Js         beim Amtsgericht [X.] anhängig geblieben ist (siehe [X.] Beschluss vom 25. Mai 2011 - 2 StR 106/11). Soweit das [X.] den Angeklagten insoweit wegen dreifacher Unterschlagung verurteilt hat, war die Entscheidung aufzuheben."

Dem stimmt der [X.] zu. Auch er sieht keinen Grund, den Übernahmebeschluss gemäß § 225a Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 [X.] anders zu behandeln als den Eröffnungsbeschluss in vergleichbaren Fällen (vgl. hierzu [X.], Beschluss vom 2. November 2005 - 4 [X.], [X.]St 50, 267, Urteil vom 25. Februar 2010 - 4 StR 596/09, Beschlüsse vom 22. Juni 2010 - 4 [X.], StraFo 2010, 424, und vom 27. Februar 2014 - 1 StR 50/14, [X.], 664). Denn der Übernahmebeschluss ändert den Eröffnungsbeschluss insoweit ab, als er die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts abweichend von diesem regelt (§ 207 Abs. 1 im Verhältnis zu § 225a Abs. 3 Satz 1 [X.]). Dementsprechend richtet sich die Form des Übernahmebeschlusses und seine Anfechtbarkeit nach den für den Eröffnungsbeschluss geltenden Bestimmungen (§ 225a Abs. 3 Sätze 2 und 3 [X.]). Auch ist er analog § 215 [X.] zuzustellen (vgl. [X.]/[X.], [X.], 58. Aufl., § 225a Rn. 17).

Die Verurteilung des Angeklagten wegen Unterschlagung in drei Fällen ist daher aufzuheben. Der [X.] verweist die Sache auch insoweit an eine andere [X.] des [X.]s zurück. Zwar ist das Verfahren, soweit es die Verstöße gegen § 246 Abs. 2 StGB betrifft, bei dem Amtsgericht - Schöffengericht - [X.] anhängig geblieben. Dieses Gericht hat aber nicht nur das Hauptverfahren eröffnet, sondern die Sache auch wirksam gemäß § 225a Abs. 1 Hs. 1 [X.] dem [X.] zur Übernahme vorgelegt. In diesem Stadium befindet sich das Verfahren erneut nach der ([X.] durch den [X.]. Die nunmehr zur Entscheidung berufene [X.] (§ 354 Abs. 2 [X.]) wird daher zunächst - auch vor dem Hintergrund des § 24 Abs. 2 [X.] - gemäß § 225a Abs. 1 Satz 2 [X.] über die Übernahme der Sache in den Unterschlagungsfällen zu befinden haben.

2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten ist aus den zutreffenden Gründen der Antragsschriften des [X.]s vom 19. Mai 2014 und vom 19. Januar 2015 unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 [X.].

Sost-Scheible                           Cierniak                           [X.]

                         Mutzbauer                          [X.]

Meta

4 StR 603/14

23.04.2015

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Frankfurt, 27. August 2013, Az: 5/4 KLs 25/13

§ 207 Abs 1 StPO, § 225a Abs 1 S 2 StPO, § 225a Abs 3 StPO, § 76 Abs 1 S 2 GVG, § 316a Abs 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.04.2015, Az. 4 StR 603/14 (REWIS RS 2015, 12189)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 12189

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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