Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.08.2022, Az. 4 StR 186/22

4. Strafsenat | REWIS RS 2022, 4832

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Gegenstand

Strafaussetzung: Ungünstige Sozialprognose wegen wahrheitswidriger Angaben des Angeklagten


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 27. Januar 2022 aufgehoben, soweit die Vollstreckung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Betrugs in zwölf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision führt zur Aufhebung des Urteils, soweit eine Aussetzung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung abgelehnt worden ist; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

Die Erwägungen, mit denen das [X.] eine ungünstige Sozialprognose (§ 56 Abs. 1 StGB) begründet hat, halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Insoweit ist in den Urteilsgründen unter Bezugnahme auf als unzutreffend gewertete Angaben des Angeklagten zu seinen persönlichen Verhältnissen Folgendes ausgeführt:

„Darüber hinaus hat sich im Verlauf der Hauptverhandlung gezeigt, dass es dem Angeklagten immer noch nicht gelingt, aufrichtig zu sein und Sachverhalte so darzustellen wie sie sind. [...] Unzutreffende Angaben hat der Angeklagte auch über seine derzeitige Arbeitgeberin getätigt [...]“.

3

Diese Erwägungen sind ‒ worauf der [X.] in seiner Zuschrift zutreffend hingewiesen hat ‒ rechtlich durchgreifend bedenklich. Sie lassen besorgen, dass das [X.] nicht hinreichend bedacht hat, dass der Angeklagte im Strafprozess nicht zu wahrheitsgemäßen Angaben verpflichtet ist (vgl. [X.], Beschluss vom 28. August 2018 ‒ 5 StR 295/18 Rn. 4) und zulässiges Verteidigungsverhalten nicht zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt werden darf (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschluss vom 7. Dezember 2021 ‒ 3 StR 411/21, [X.], 116; Beschluss vom 19. Januar 2016 ‒ 4 StR 521/15 Rn. 4; Beschluss vom 22. Mai 2013 ‒ 4 StR 151/13, [X.], 340). Wahrheitswidrige oder beschönigende Angaben des Angeklagten dürfen deshalb regelmäßig weder strafschärfend berücksichtigt noch zur Ablehnung einer günstigen Sozialprognose im Rahmen des § 56 StGB herangezogen werden (vgl. [X.], Beschluss vom 2. Juni 2021 ‒ 6 StR 224/21, [X.], 158; Beschluss vom 20. April 1999 ‒ 4 [X.], [X.], 602; Beschluss vom 20. Februar 1998 ‒ 2 StR 14/98, [X.], 482). Dies gilt nicht nur dann, wenn der Angeklagte dem Tatvorwurf mit wahrheitswidrigem Vorbringen entgegentritt, sondern auch in Fällen, in denen er in dem Bestreben, einen günstigeren Rechtsfolgenausspruch zu erreichen, falsche Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen macht (vgl. [X.], Beschluss vom 28. August 2018 ‒ 5 StR 295/18 Rn. 4). Die Grenzen zulässigen [X.] sind regelmäßig erst überschritten, wenn das Vorbringen eine selbstständige Rechtsgutsverletzung enthält oder hierdurch eine neue Straftat begangen wird (vgl. [X.], Urteil vom 8. April 2004 ‒ 4 StR 576/03, [X.], 616, 617). Feststellungen, die diese Annahme tragen könnten, sind den Urteilsgründen auch unter Berücksichtigung ihres Zusammenhangs nicht zu entnehmen.

4

Ein Beruhen des Urteils (§ 337 Abs. 1 StPO) auf dem [X.] kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden, auch wenn eine Aussetzung der Gesamtfreiheitsstrafe unter Berücksichtigung des weiter als prognostisch ungünstig angeführten Umstands der Tatbegehung nach umfangreichen Durchsuchungsmaßnahmen während laufender Ermittlungen eher fern liegt.

5

Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Feststellungen können bestehen bleiben, da sie von dem [X.] nicht betroffen sind.

6

Die neu zur Entscheidung berufene [X.] wird Gelegenheit haben, die Frage einer (nachträglichen) Gesamtstrafenbildung mit den Einzelstrafen aus dem Urteil des [X.]s Hagen vom 19. Februar 2021 (71 [X.]) zu prüfen, die nach Verwerfung der Revision durch Beschluss des Senats vom heutigen Tag (4 [X.]) rechtskräftig verblieben sind.

Quentin     

        

Bartel     

        

Maatsch

        

Scheuß     

        

Weinland     

        

Meta

4 StR 186/22

16.08.2022

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Hagen (Westfalen), 27. Januar 2022, Az: 71 KLs 1/21, Urteil

§ 56 Abs 1 StGB, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.08.2022, Az. 4 StR 186/22 (REWIS RS 2022, 4832)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 4832


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 4 StR 186/22

Bundesgerichtshof, 4 StR 186/22, 16.08.2022.


Az. 71 KLs 1/21

Landgericht Hagen, 71 KLs 1/21, 27.01.2022.


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6 StR 224/21

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5 StR 295/18

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