Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 26.02.2014, Az. 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10

1. Senat | REWIS RS 2014, 7519

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

Selbstablehnung eines Richters im Verfahren "Kopftuchverbot im Schulgesetz Nordrhein-Westfalen" - Kein Ausschluss vom Richteramt gem § 18 Abs 1 BVerfGG bei passiver Zitierung im Ausgangsverfahren sowie bei Mitwirkung als Hochschullehrer in Gesetzgebungsverfahren - jedoch Besorgnis der Befangenheit gem § 19 Abs 1 BVerfGG


Tenor

1. Vizepräsident [X.] ist nicht von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen.

2. Der von Vizepräsident [X.] in seiner Erklärung vom 27. März 2013 und in den Ablehnungsgesuchen der Beschwerdeführerinnen mitgeteilte Sachverhalt begründet die Besorgnis seiner Befangenheit.

Gründe

[X.]

1

Die [X.] betreffen arbeitsgerichtliche Entscheidungen über Abmahnungen der Beschwerdeführerinnen und die Kündigung der Beschwerdeführerin zu I[X.]), die von ihrem Arbeitgeber, dem [X.], ausgesprochen wurden, weil sich die Beschwerdeführerinnen als Angestellte an öffentlichen Schulen geweigert hatten, im Dienst ein aus religiösen Gründen getragenes sogenanntes [X.] Kopftuch beziehungsweise eine als Ersatz hierfür getragene Wollmütze abzulegen.

2

Beide Beschwerdeführerinnen sind Musliminnen. Die Beschwerdeführerin zu [X.]) ist als angestellte Sozialpädagogin, die Beschwerdeführerin zu I[X.]) war als angestellte Lehrerin beschäftigt. Die [X.] stellen zugleich mittelbar die in [X.] nach der sogenannten Kopftuch-Entscheidung des [X.] des [X.] vom 24. September 2003 ([X.] 108, 282) erlassenen gesetzlichen Regelungen über die Zulässigkeit und Grenzen religiöser Bekundungen durch im Schulwesen beschäftigte Personen zur verfassungsrechtlichen Prüfung. Diese sind Grundlage der in den Ausgangsverfahren angegriffenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen. Die gegen die Abmahnungen und die Kündigung gerichteten Klagen der Beschwerdeführerinnen und ihre Revisionen zum [X.] blieben erfolglos. Die Instanzgerichte wie auch das [X.] hielten die in beiden Fällen herangezogene Vorschrift des § 57 Abs. 4 SchulG NW für verfassungsgemäß. Nach Satz 1 der Bestimmung dürfen Lehrerinnen und Lehrer in der Schule keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnliche äußere Bekundungen abgeben, die geeignet sind, die Neutralität des [X.] gegenüber Schülerinnen und Schülern sowie Eltern oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Schulfrieden zu gefährden oder zu stören. Allerdings widerspricht nach Satz 3 der Bestimmung die Wahrnehmung des [X.] nach Art. 7 und Art. 12 Abs. 6 der Verfassung des [X.] [X.] und die entsprechende Darstellung [X.] und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen nicht dem Verhaltensgebot nach Satz 1. Diese Regelungen gelten auch für sonstige im [X.]dienst stehende pädagogische und sozialpädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die bei der Bildungs- und Erziehungsarbeit mitwirken (§ 58 SchulG NW).

3

Die Beschwerdeführerinnen sehen sich durch die Urteile der Arbeitsgerichte und mittelbar durch die zugrunde liegenden gesetzlichen Vorschriften in ihren Grundrechten verletzt. Sie rügen unter anderem eine Verletzung ihrer Glaubensfreiheit sowie ihrer Berufsfreiheit. Den Vorbehalt zugunsten [X.] und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte halten sie für eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung aus Gründen der Religion.

4

Die Beschwerdeführerinnen stellen die [X.] von Vizepräsident [X.] wegen Vorbefassung in Abrede und halten ihn für kraft Gesetzes ausgeschlossen (§ 18 [X.]). Die Beschwerdeführerin zu [X.]) führt weiter aus, es sei auch über "die Anwendbarkeit von § 19 [X.] nachzudenken", der Vorschrift also, die die Ablehnung eines [X.]s wegen Besorgnis seiner Befangenheit regelt. Die Beschwerdeführerin zu I[X.]) meint, durch vorangegangene Befassungen von Vizepräsident [X.] mit dem Regelungsgegenstand sei "eine Determiniertheit" belegt, die eine Anwendung "des § 19 [X.]" rechtfertige. Der [X.] sei vor diesem Hintergrund "von der Entscheidung über die [X.]beschwerde auszunehmen".

5

Vizepräsident [X.] hat ebenfalls um eine Entscheidung nach § 19 [X.] gebeten.

I[X.]

6

1. Zur Frage der Mitwirkung von Vizepräsident [X.] machen die beiden Beschwerdeführerinnen im Wesentlichen übereinstimmend näher geltend:

7

Vizepräsident [X.] sei vor seiner Ernennung zum [X.] als Hochschullehrer mehrfach für ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrpersonal eingetreten. Bereits im ersten sogenannten [X.] vor dem [X.] ([X.] 108, 282) habe er als Bevollmächtigter das [X.] vertreten. In einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren einer beamteten Lehrerin aus [X.], die im Dienst ein Kopftuch getragen habe, habe er einen Antrag auf Zulassung der Berufung verfasst, in dem er das Kopftuchverbot und insbesondere die unterschiedliche Behandlung von islamischem Kopftuch und christlichem Ordenshabit verteidigt habe. Die Beschwerdeführerin zu [X.]) trägt dazu weiter vor, aus diesem Schriftsatz habe das [X.] in die Klageerwiderung vor dem [X.] in dem von ihr geführten Ausgangsverfahren weite Teile wörtlich übernommen. Damit sei die von Vizepräsident [X.] früher gefertigte Begründung Bestandteil auch der vorliegenden Akte des Ausgangsverfahrens geworden. Es sei davon auszugehen, dass eine solche Übernahme nicht ohne seine Zustimmung geschehen sei. Dies begründe einen Fall der [X.]ausschließung nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 [X.]. Sollte man dies verneinen, so sei über die Anwendbarkeit von § 19 [X.] nachzudenken.

8

Beide Beschwerdeführerinnen führen weiter aus, Vizepräsident [X.] könne als geistiger Urheber der [X.] Regelung zum Verbot religiöser Bekundungen durch Schulpersonal (§ 38 Abs. 2 SchG [X.]) angesehen werden, die dem später in [X.] getretenen § 57 Abs. 4 SchulG NW, der hier zur Prüfung stehe, inhaltlich entspreche. Die [X.] Regelung habe er - im [X.] an das eine landesgesetzliche Regelung verlangende Kopftuch-Urteil des [X.] vom 24. September 2003 ([X.] 108, 282) - für die [X.] [X.]regierung entworfen. Er sei zudem in anderen Bundesländern, neben [X.] auch in [X.], bei Anhörungen durch [X.] für die [X.]mäßigkeit eines pauschalen Kopftuchverbots eingetreten und zwar bei gleichzeitiger Privilegierung [X.] und [X.] Symbole. Zudem habe er sich für ein pauschales Kopftuchverbot in Kindergärten ausgesprochen, was sich bei der Verabschiedung des insoweit einschlägigen Gesetzes in [X.] ebenfalls ausgewirkt zu haben scheine. In [X.] habe er in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber dem [X.] den dort geplanten § 57 Abs. 4 SchulG NW sowohl hinsichtlich des generellen Verbots religiöser Bekundungen als auch hinsichtlich der Privilegierung [X.] und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte nach § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW für verfassungskonform erachtet (Hinweis auf [X.] 14/150).

9

Die Beschwerdeführerin zu I[X.]) meint, Vizepräsident [X.] sei damit bereits mehrfach in Angelegenheiten tätig gewesen, die ihm nach Sinn und Zweck der §§ 18, 19 [X.] eine Befassung mit der Sache versagten. Es könne davon ausgegangen werden, dass er eine vorgefasste Meinung zu dieser Thematik habe, die "jedenfalls eine Anwendung des § 19 [X.]" rechtfertigen dürfte.

2. Vizepräsident [X.] hat in einer Erklärung vom 27. März 2013 unter anderem Folgendes ausgeführt:

"Ich habe das [X.] in zwei Verfahren vor den Verwaltungsgerichten, welche das Tragen von Kopftüchern im Schuldienst betrafen, und in der [X.]beschwerde [X.] 108, 282 vor dem [X.] vertreten. Das nach der Entscheidung des [X.] zum Verbot des Kopftuchtragens erforderliche Gesetz habe ich für die [X.] [X.]regierung entworfen und im Gesetzgebungsverfahren beratend begleitet. Zu den auf der Grundlage des [X.] Textes in [X.] und [X.] vorgelegten Gesetzentwürfen habe ich vor beiden [X.]en Stellung genommen.

Im vorliegenden Ausgangsverfahren zur [X.]beschwerde 1 BvR 471/10 haben die [X.] des beklagten [X.] im Schriftsatz vom 30. April 2007 an das [X.] Passagen aus einer von [X.] formulierten Nichtzulassungsbeschwerde an den [X.] Verwaltungsgerichtshof wörtlich zur eigenen Argumentation wiedergegeben. Ich hatte dem zuständigen [X.] Ministerium auf dessen Anfrage eine Verwendung meiner früheren Stellungnahmen allgemein - nicht in Bezug auf bestimmte Verfahren - gestattet.

In den vorliegenden Ausgangsverfahren bin ich weder beratend noch formulierend tätig geworden.

Ich bitte den Senat wegen der aufgezeigten früheren Tätigkeiten zum Kopftuchverbot um eine Entscheidung nach § 19 [X.]."

3. In einer Stellungnahme zu der Erklärung von Vizepräsident [X.] hat die Beschwerdeführerin zu [X.]) unter anderem ausgeführt, selbst wenn die Beteiligung an Gesetzgebungsverfahren für sich genommen nach § 18 Abs. 3 Nr. 1 [X.] keinen gesetzlichen Ausschlussgrund darstelle, so gäben die im Zusammenhang mit der Einführung landesrechtlicher Kopftuchverbote für Lehrerinnen entfalteten breiten Beratungstätigkeiten bei vernünftiger Würdigung aller Umstände doch Anlass dazu, an der Unvoreingenommenheit des [X.]s zu zweifeln.

Die Äußerungsberechtigten hatten in dem jeweiligen [X.]beschwerdeverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme.

B.

Vizepräsident [X.] ist von der Mitwirkung in den beiden [X.]beschwerdeverfahren nicht kraft Gesetzes ausgeschlossen (§ 18 [X.]). Indessen besteht bei vernünftiger Würdigung aller Umstände aus der hier maßgeblichen Sicht der Beschwerdeführerinnen Anlass, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des [X.]s zu zweifeln (§ 19 [X.]).

[X.]

Vizepräsident [X.] ist in den vorliegenden Verfahren nicht kraft Gesetzes von der Ausübung seines [X.]amtes ausgeschlossen (§ 18 [X.]).

1. Nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 [X.] ist ein [X.] des [X.] von der Ausübung seines [X.]amtes ausgeschlossen, wenn er in derselben Sache von Amts oder Berufs wegen tätig gewesen ist.

Die Ausschlussregelung ist als Ausnahmetatbestand konstruiert und deshalb eng auszulegen. Das Tatbestandsmerkmal "derselben Sache" in § 18 Abs. 1 Nr. 2 [X.] ist - in Übereinstimmung mit den Ausschlussregelungen anderer fachgerichtlicher Verfahrensordnungen - stets in einem konkreten, strikt verfahrensbezogenen Sinne zu verstehen. Zu einem Ausschluss kann deshalb regelmäßig nur eine Tätigkeit in dem verfassungsgerichtlichen Verfahren selbst oder in dem diesem unmittelbar vorausgegangenen und ihm sachlich zugeordneten Verfahren führen (vgl. [X.] 47, 105 <108>; 72, 278 <288>; 78, 331 <336>; 82, 30 <35 f.>; 109, 130 <131>; [X.], Beschluss des [X.] vom 19. März 2013 - 1 BvR 2635/12 -, NJW 2013, S. 1587 <1588>).

Die Regelung des § 18 Abs. 3 Nr. 1 [X.] bestimmt, dass die Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren nicht als Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 2 gilt. Darüber hinaus ist auch die Äußerung einer wissenschaftlichen Meinung zu einer für das Verfahren bedeutsamen Rechtsfrage nach der Bestimmung des § 18 Abs. 3 Nr. 2 [X.] nicht als ein Tätigwerden "in derselben Sache" anzusehen (vgl. [X.] 82, 30 <35 ff.> m.w.N.).

2. Vizepräsident [X.] war hiernach vor dem Antritt seines Amtes als [X.] des [X.] nicht von Berufs wegen "in derselben Sache" im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 2 [X.] tätig. An den beiden den [X.] vorangegangenen arbeitsgerichtlichen Ausgangsverfahren war er weder als Bevollmächtigter noch sonst beteiligt. Dies würde zumindest voraussetzen, dass er in irgendeiner Weise mit Wissen und Wollen konkret verfahrensbezogene Tätigkeiten entfaltet hätte. Das ist nicht der Fall. Zwar ist aus einem Schriftsatz, den er in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren als Bevollmächtigter des [X.] [X.] verfasst hatte, in dem von der Beschwerdeführerin zu [X.]) geführten arbeitsgerichtlichen Ausgangsverfahren von den Prozessbevollmächtigten des [X.] [X.] in weiten Teilen wörtlich zitiert worden. Darin liegt jedoch kein "Tätigwerden in derselben Sache" im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 2 [X.]. Denn das Zitat war nicht im Blick auf das konkrete Verfahren von einer ausdrücklichen Billigung von Vizepräsident [X.] getragen, wie sich aus dessen Erklärung hierzu ergibt, wenngleich er die anderweitige Verwendung seiner Stellungnahme allgemein gestattet hatte. Ein passives [X.] ohne konkrete Beteiligung an der Abfassung des Schriftsatzes im Ausgangsverfahren ist kein Tätigwerden in dieser Sache.

Die Mitwirkung von Vizepräsident [X.] als Hochschullehrer in Gesetzgebungsverfahren mehrerer Länder zum selben Regelungsgegenstand, so in [X.], [X.] und [X.], ist von der [X.] eines Tätiggewesenseins in derselben Sache nach dem Willen des Gesetzgebers ausdrücklich ausgenommen (§ 18 Abs. 3 [X.]). Das gilt zunächst für die Anhörungen durch Ausschüsse der [X.]e einschließlich der schriftlichen Stellungnahme zu der damals im Gesetzgebungsverfahren befindlichen, hier mittelbar mit angegriffenen schulgesetzlichen [X.] Regelung (§ 57 Abs. 4, § 58 SchulG NW). Zwar hat Vizepräsident [X.] in seiner Stellungnahme dem Entwurf ausdrücklich seine [X.]konformität attestiert ([X.] 14/150). Das ändert jedoch nichts daran, dass es sich bei solchen Anhörungen von Sachverständigen und angeforderten Stellungnahmen um eine formalisierte Mitwirkung in einem Gesetzgebungsverfahren handelt (vgl. dazu § 57 Geschäftsordnung [X.]. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 Verf NW).

Auch die Erstellung des Entwurfs einer mit der angegriffenen inhaltsgleichen gesetzlichen Regelung zum Verbot religiöser Bekundungen für die [X.] [X.]regierung zur Vorbereitung einer Gesetzesinitiative sowie die beratende Begleitung des [X.] lassen sich als Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren verstehen. Der Anwendungsbereich des § 18 Abs. 3 Nr. 1 [X.] ist nicht auf die Mitwirkung von Mitgliedern gesetzgebender Organe begrenzt. Für eine Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren spricht daher, dass Vizepräsident [X.] als damaliger Hochschullehrer von einem an der Gesetzgebung beteiligten Organ für Zwecke des Gesetzgebungsverfahrens mit der Erstellung des Entwurfs beauftragt wurde. Auch wenn man die Beteiligung von Hochschullehrern im Auftrag von Organen, die unmittelbar von [X.] wegen an der Gesetzgebung beteiligt sind, nicht als Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren im Sinne des § 18 Abs. 3 Nr. 1 [X.] begreifen wollte, würde es sich jedenfalls um die Äußerung einer wissenschaftlichen Meinung zu Rechtsfragen handeln, die auch für die gegenständlichen Verfahren bedeutsam sind und die deshalb auch unter diesem Gesichtspunkt von der [X.] eines Tätiggewesenseins in derselben Sache ausgenommen sind (§ 18 Abs. 3 Nr. 2 [X.]; so auch [X.] 82, 30 <37>).

I[X.]

Die von Vizepräsident [X.] angezeigten und von den Beschwerdeführerinnen mitgeteilten Umstände geben den Beschwerdeführerinnen allerdings nachvollziehbar Anlass, an der Unvoreingenommenheit des [X.]s zu zweifeln (§ 19 [X.]).

1. Das Ablehnungsgesuch der Beschwerdeführerin zu I[X.]), der bei sinngerechtem Verständnis ebenfalls als [X.]ablehnung zu verstehende Vortrag der Beschwerdeführerin zu [X.]) sowie die Bitte von Vizepräsident [X.] selbst, eine Entscheidung nach § 19 [X.] herbeizuführen (vgl. [X.] 95, 189 <191>), gebieten es, auch über die Frage der Besorgnis einer etwaigen Befangenheit zu befinden.

2. Die Ablehnung eines [X.]s des [X.] nach § 19 [X.] setzt voraus, dass ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Es kommt mithin nicht darauf an, ob der [X.] tatsächlich "parteilich" oder "befangen" ist oder ob er sich selbst für befangen hält. Entscheidend ist ausschließlich, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des [X.]s zu zweifeln (vgl. [X.] 73, 330 <335>; 82, 30 <37 f.>).

Allerdings kann eine Besorgnis der Befangenheit im Sinne des § 19 [X.] nicht aus den allgemeinen Gründen hergeleitet werden, die nach der ausdrücklichen Regelung des § 18 Abs. 2 und 3 [X.] einen Ausschluss von der Ausübung des [X.]amtes nicht rechtfertigen; es wäre ein Wertungswiderspruch, könnte gerade wegen dieser Gründe dennoch über eine Befangenheitsablehnung ein [X.] von der Mitwirkung ausgeschlossen werden. Daher muss stets etwas Zusätzliches gegeben sein, das über die bloße Tatsache der Mitwirkung am Gesetzgebungsverfahren und des Äußerns einer wissenschaftlichen Meinung zu einer für das Verfahren bedeutsamen Rechtsfrage hinausgeht, damit eine Besorgnis der Befangenheit als begründet erscheinen kann (vgl. [X.] 82, 30 <38 f.> m.w.N.).

3. Die vorliegende besondere Fallgestaltung ist durch solche zusätzlichen Umstände gekennzeichnet, die zu den nicht zum Ausschluss führenden Tätigkeiten von Vizepräsident [X.] hinzukommen. Diese ergeben sich aus einer summativen Wirkung, die weit über eine bloße Mitwirkung in einem Gesetzgebungsverfahren hinausreicht und letztlich in besonderer Weise zur Übernahme einer Gewährfunktion für die [X.]mäßigkeit der Regelung gerade in den hier angegriffenen Punkten geführt hat.

Es ist nicht zu übersehen, dass die hier zu beurteilenden Umstände über die bloße Tatsache einer Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren und des Äußerns wissenschaftlicher Meinungen hinausgehen. Die zusammenfassende Betrachtung kann aus der Sicht der Beschwerdeführerinnen, auf die es insoweit ankommt, berechtigten Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit des [X.]s zu zweifeln. So hat der [X.] nach der Vertretung des [X.] [X.] im sogenannten [X.] vor dem [X.] für die [X.]regierung als Gesetzesinitiatorin eine gesetzliche Vorschrift entworfen, deren Konzept ersichtlich auch darauf gerichtet war, eine besondere Regelung für die Darstellung christlich-abendländischer Bildungs- und Kulturwerte vorzusehen. Es liegt auf der Hand, dass dem Auftrag der [X.] [X.]regierung zum Entwurf einer gesetzlichen Regelung, die durch das Urteil des [X.] vom 24. September 2003 ([X.] 108, 282) veranlasst war, die Erwartung eines verfassungskonformen Entwurfs innewohnte (vgl. zu diesem Aspekt [X.] 82, 30 <39>). Auf dieser Grundlage hat Vizepräsident [X.] als Hochschullehrer damals den Gesetzentwurf im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens beratend und unterstützend begleitet. Die so entstandene Regelung des [X.] [X.] diente dem [X.] [X.]gesetzgeber erkennbar als Vorbild (vgl. [X.]/569 S. 7). Die schulgesetzlichen Bestimmungen des [X.] [X.], die hier zur Entscheidung stehen, entsprechen weitgehend den von dem [X.] für das [X.] entworfenen. Vizepräsident [X.] hat sie in seiner Stellungnahme für den [X.] [X.]s ausdrücklich ebenfalls für verfassungsgemäß befunden ([X.] 14/150). Diese grundsätzliche Position hat er in verschiedenen parlamentarischen Anhörungen vertreten und ist dabei für eine differenzierte Betrachtung der Symbole und Werte verschiedener Glaubensrichtungen eingetreten, aus der die Beschwerdeführerinnen gerade die Gleichheitswidrigkeit der Regelung herleiten (vgl. [X.] von [X.], Protokoll der Sachverständigenanhörung vom 12. März 2004, [X.], 12 f., [X.], 81 f., 83; siehe auch für [X.]: [X.] 16/14, [X.] ff.). Hinzu kommt, dass der [X.] auch in gerichtlichen Verfahren das Regelungskonzept nachdrücklich verteidigt hat. Das wird durch die Klageerwiderung im Ausgangsverfahren der Beschwerdeführerin zu [X.]) und die darin zitierten Ausführungen von Vizepräsident [X.] in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren unterstrichen. Ihm kommt damit - über die übliche Mitwirkung in Gesetzgebungsverfahren und das Äußern wissenschaftlicher Meinungen zu einschlägigen Rechtsfragen deutlich hinausgehend - gleichsam eine Art Urheberschaft für das auch hier zu beurteilende Regelungskonzept zu. In den Augen der Beschwerdeführerinnen ist er damit in ganz besonderer Weise der Vertreter der von den [X.] bekämpften Regelung und ihrer praktischen Anwendung.

Unter diesen Umständen ist die Besorgnis der Beschwerdeführerinnen nachvollziehbar, der [X.] werde die hier zu entscheidenden Rechtsfragen mög-licherweise nicht mehr in jeder Hinsicht offen und unbefangen beurteilen (vgl. dazu auch [X.] 95, 189 <192>).

II[X.]

Diese Entscheidung ist einstimmig ergangen.

Meta

1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10

26.02.2014

Bundesverfassungsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BAG, 20. August 2009, Az: 2 AZR 499/08, Urteil

Art 4 Abs 1 GG, Art 12 Abs 1 GG, § 18 Abs 1 Nr 2 BVerfGG, § 18 Abs 3 Nr 1 BVerfGG, § 18 Abs 3 Nr 2 BVerfGG, § 19 Abs 1 BVerfGG, § 19 Abs 3 BVerfGG, § 38 Abs 2 SchulG BW vom 01.04.2004, § 57 Abs 4 SchulG NW vom 13.07.2006, § 58 S 2 Alt 1 SchulG NW vom 13.07.2006

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 26.02.2014, Az. 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10 (REWIS RS 2014, 7519)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 7519 BVerfGE 135, 248-259 REWIS RS 2014, 7519 BVerfGE 138, 296-376 REWIS RS 2014, 7519

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 BvR 661/12

1 BvR 2635/12

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