LG Hamburg, Beschluss vom 26.07.2022, Az. 631 Qs 17/22

31. Große Strafkammer | REWIS RS 2022, 7122

STRAFRECHT

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Gegenstand

Unverhältnismäßigkeit einer Wohnungsdurchsuchung nach Formalbeleidung auf Twitter


Tenor

1. Auf die Beschwerde der Betroffenen [X.] vom 2. Juni 2022 wird festgestellt, dass die mit Beschluss des [X.] vom 27. August 2021 ([X.]. 166 [X.] 1566/21) angeordnete Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume des Beschuldigten [X.] rechtswidrig war.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Betroffenen gegen den Durchsuchungsbeschluss des [X.] vom 27. August 2021 hat in der Sache Erfolg, da die Anordnung der Durchsuchung rechtswidrig war.

1.

Zwar ist die angeordnete Maßnahme durch ihren zwischenzeitlichen Vollzug erledigt und damit prozessual überholt. Gegen eine erledigte richterliche Anordnung ist die Beschwerde zur Feststellung der Rechtswidrigkeit gleichwohl zulässig, wenn das Interesse des Beschwerdeführers an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme auch nach deren Erledigung fortbesteht; dies ist vor allem bei tiefgreifenden, tatsächlich jedoch nicht mehr fortwirkenden [X.], wie etwa einer aufgrund richterlicher Anordnung vorgenommenen Durchsuchung – die in das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 13 GG eingreift – regelmäßig der Fall (vgl. u. a. [X.], Beschluss vom 30. April 1997, [X.]. 2 BvR 817/90). Die Beschwerde richtet sich dann nicht auf Aufhebung der angeordneten Maßnahme, sondern auf Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit. Letzteres hat die von der am 8. September 2021 durchgeführten Durchsuchung Betroffene [X.], die Ex-Partnerin des ehemals Beschuldigten P., welche zum Zeitpunkt der Durchsuchung in der betroffenen Wohnung in der [X.] lebte und somit beschwerdeberechtigt ist, mit Schriftsatz ihrer Rechtsanwältin vom 2. Juni 2022 beantragt.

2.

Die Beschwerde der Betroffenen ist auch begründet, da zwar ein Anfangsverdacht gegen den ehemals Beschuldigten und auch eine Auffindevermutung bestand, die Durchsuchung mangels Verhältnismäßigkeit ihrer Anordnung jedoch rechtswidrig war.

a)

Die vom ehemals Beschuldigten verfasste Formulierung „Du bist so 1 Pimmel“ vom 4. Juni 2021 als Kommentar eines Posts des [X.] vom 30. Mai 2021 auf der Plattform [X.] stellt eine Formalbeleidigung und somit eine Straftat nach § 185 StGB dar. Insbesondere findet keinerlei inhaltliche Auseinandersetzung mit dem kommentierten Tweet des [X.] statt, mit dem dieser eine in der Schanze unter Missachtung der geltenden [X.] feiernde Menschenmenge kritisierte und der [X.] für deren Einsatz gegen die Feiernden dankte. Der vom Amtsgericht insoweit zutreffend angenommene Anfangsverdacht gründet insbesondere auf den telefonischen Angaben der Betroffenen am 4. August 2021 gegenüber der Polizei, wonach der Beschuldigte ihr gegenüber eingeräumt habe, den [X.] verfasst zu haben, was er im [X.] an die Durchsuchung auch gegenüber der Staatsanwaltschaft eingeräumt hat, sowie dem Screenshot des entsprechenden Tweets vom 4. Juli 2021 samt Kommentar.

b)

Auch bestand im Zeitpunkt der Durchsuchungsanordnung die begründete Vermutung, die Durchsuchung würde zum Auffinden von Beweismitteln führen, nämlich Speichermedien wie etwa Handy(s) oder Tablet(s) des vormals Beschuldigten, mittels derer auf den verwendeten [X.]-Account „[X.].“ zugegriffen und der in Rede stehende Kommentar verfasst wurde und der den Benutzer des Accounts erkennen ließ. Im Zeitpunkt der Beschlussfassung hat das Amtsgericht auch zu Recht angenommen, der vormals Beschuldigte lebe noch in der von der Durchsuchung betroffenen Wohnung, da sich dies aus den bis dahin vorliegenden Ermittlungserkenntnissen, namentlich dem polizeilichen Vermerk vom 4. August 2021 ([X.]. 19 d. A.), ergab. Schließlich musste das Amtsgericht auch nicht davon ausgehen, der vormals Beschuldigte sei aufgrund des Telefonats zwischen der Polizei und seiner ehemaligen Lebensgefährtin hinreichend gewarnt und habe sämtliche Inhalte auf den etwaigen Speichermedien nachhaltig vernichtet, da der Betroffenen ausweislich des polizeilichen Vermerks vom 4. August 2021 gerade nicht der genaue Tatvorwurf genannt worden war. Anhaltspunkte, wonach sich Zweifel an der Richtigkeit des Vermerks hätten aufdrängen müssen, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

cc)

Neben diesen Voraussetzungen der §§ 102, 105 Abs. 1 S. 1 StPO ist bei jeder Anordnung einer Durchsuchung indessen aufgrund der Erheblichkeit des Eingriffs der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besonders zu berücksichtigen (vgl. u.a. [X.], Teilurteil vom 5. August 1966 – 1 BvR 586/62, 610/63, 512/64, NJW 1966, 1603, 1607). Die Durchsuchung muss den Erfolg versprechen, geeignete Beweismittel zu erbringen (dazu siehe oben). Ferner muss gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich sein; dies ist nicht der Fall, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Schließlich muss der jeweilige Eingriff in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des bestehenden Tatverdachts stehen (vgl. [X.], Beschluss vom 27. Mai 1997 – 2 BvR 1992/92, NJW 1997, 2165, 2166; [X.], Beschluss vom 12. April 2005 – 2 BvR 1027/02, [X.], 1917, 1920).

Zu alledem enthält der angefochtene Beschluss neben der Vermutung, die Durchsuchung werde zum Auffinden von Beweismitteln, insbesondere Speichermedien führen, keine weiteren Ausführungen. Den vorgenannten Maßstab zugrunde gelegt, hätte sich dem Amtsgericht bei seiner Entscheidung jedoch aufdrängen müssen, dass bereits Zweifel an der Erforderlichkeit der Maßnahme bestehen – welchen durch Aufnehmen einer Abwendungsbefugnis hätte begegnet werden können –, sie aber in jedem Fall unangemessen ist und somit im vorliegenden Fall das Schutzinteresse aus Art. 13 GG gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse des Staates überwiegt. Denn bereits im Zeitpunkt der Durchsuchungsanordnung kam im konkreten Fall nur die Verhängung einer geringen Sanktion gegen den (vormals) Beschuldigten in Betracht, was der Annahme der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme im konkreten Fall entgegenstand (vgl. [X.], Beschluss vom 6. Mai 2008 – 2 BvR 384/07).

Gegenstand des (ehemaligen) Ermittlungsverfahrens war (lediglich) der Vorwurf der Beleidigung, die durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Abs. 3 StGB) begangen wurde, wofür § 185 StGB Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren vorsieht. Der vormals Beschuldigte war zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung zwar bereits vorbestraft, jedoch weder einschlägig noch schwer; das [X.] hatte gegen ihn Anfang 2020 wegen Sachbeschädigung und vorsätzlicher Körperverletzung eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 10 Euro verhängt. Zudem ist der Kommentar des ehemals Beschuldigten im Gesamtkontext zum Vorverhalten des [X.] zu betrachten. Dieser hatte am 10. Juni 2020 selbst gegen geltende [X.] verstoßen, indem er anlässlich seiner Wiederernennung als Senator 30 Personen in eine Bar in [X.] eingeladen hatte, weswegen gegen ihn ein Bußgeld in Höhe von 1000 Euro verhängt und von ihm akzeptiert wurde. Vor diesem Hintergrund war die Wortwahl des Senators in seinem Post vom 30. Mai 2021, in dem er Feiernde in der Schanze, die (ebenfalls) gegen [X.] verstießen, als „dämlich“ und ihr Verhalten als „ignorant“ bezeichnete, bei der Beurteilung der Schwere der Beleidigung durch den Beschuldigten zu berücksichtigen und diese eher am unteren Rand der [X.] einzustufen. Nach alledem drohte dem (vormals) Beschuldigten allenfalls eine geringfügige Geldstrafe. Die Anordnung der Durchsuchung war vor diesem Hintergrund unangemessen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.


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631 Qs 17/22

26.07.2022

LG Hamburg 31. Große Strafkammer

Beschluss

Sachgebiet: Qs

Zitier­vorschlag: LG Hamburg, Beschluss vom 26.07.2022, Az. 631 Qs 17/22 (REWIS RS 2022, 7122)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 7122

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