Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.09.2023, Az. StB 40/23

3. Strafsenat | REWIS RS 2023, 6550

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Gegenstand

Rechtmäßigkeit einer Durchsuchungsanordnung bei Anfangsverdacht der Beteiligung an terroristischer Vereinigung


Tenor

Die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Ermittlungsrichters des [X.] vom 4. April 2023 und dessen mündliche Anordnung vom 26. Mai 2023 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

1

Der [[X.].] führt gegen zahlreiche Beschuldigte und gesondert Verfolgte ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen [X.] und weiterer Straftaten. Auf seinen Antrag hatte der Ermittlungsrichter des [[X.].] mit nicht verfahrensgegenständlichem Beschluss vom 19. Dezember 2022 die Durchsuchung der Person des Betroffenen, seiner Wohnräume und Fahrzeuge angeordnet (1 [[X.].] 1160/22). Diese Durchsuchung war am 22. Dezember 2022 vollzogen worden. Hierbei waren zwei Mobiltelefone und ein [[X.].] sichergestellt worden. Der Betroffene hatte gegenüber den polizeilichen Durchsuchungsbeamten angegeben, keine weiteren Mobiltelefone zu besitzen oder zu nutzen. Eine anschließende polizeiliche Auswertung hatte ergeben, dass die sichergestellten [[X.].] im Jahr 2022 nicht regelmäßig genutzt worden waren, insbesondere über diese keine Chatkommunikation stattgefunden hatte.

2

Aufgrund dieser Erkenntnisse gingen die Ermittlungsbehörden davon aus, dass es sich bei den im Dezember 2022 sichergestellten Mobiltelefonen nicht um die im relevanten Zeitraum vom Betroffenen genutzten Geräte handelte. Der Ermittlungsrichter des [[X.].] hat daher auf Antrag des [[X.].]s mit Beschluss vom 4. April 2023 (1 [[X.].] 590/23) erneut die Durchsuchung der Person des Betroffenen, seiner Wohn-, Keller- und sonstigen Nebenräume, Garagen, der von ihm genutzten Räumlichkeiten an seiner Arbeitsstelle sowie der von ihm genutzten Fahrzeuge zum Zwecke der Sicherstellung von Mobiltelefonen und anderen elektronischen mobilen Kommunikationsmitteln angeordnet. In dem Beschluss ist zudem die Anordnung getroffen worden, drei konkret bezeichnete Smartphones ([[X.].], [[X.].]                 , sowie zwei [[X.].], [[X.].]                und [[X.].]                 ) zu beschlagnahmen. Die Durchsuchung ist am 26. Mai 2023 vollzogen worden. Hierbei ist beim Betroffenen ein anderes Mobiltelefon ([[X.].], [[X.].]                ), welches nicht in dem Beschluss angeführt war, im Haus aufgefunden und vorläufig zum Zwecke der Durchsicht sichergestellt worden. Bei seiner Ehefrau ist eines der drei Smartphones ([[X.].], [[X.].]                ) vorgefunden worden, woraufhin diesbezüglich die angeordnete Beschlagnahme vollzogen worden ist. Über ihre Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss vom 4. April 2023 hat der Senat mit gesondertem Beschluss vom 17. August 2023 entschieden (StB 39/23). Die beiden weiteren in der vorgenannten Entscheidung bezeichneten Mobiltelefone ([[X.].], [[X.].]                und [[X.].]               ) sind anlässlich der Durchsuchungsmaßnahme nicht aufgefunden worden.

3

Auf weiteren Antrag des [[X.].]s vom 26. Mai 2023 hat der Ermittlungsrichter des [[X.].] mündlich ergänzend angeordnet, das Fahrzeug [[X.].] mit dem amtlichen Kennzeichen         , welches auf einen Dritten zugelassen ist und vom Betroffenen genutzt wurde, zum Zwecke der Sicherstellung von Mobiltelefonen des Betroffenen zu durchsuchen (1 [[X.].] 889/23).

4

Der Betroffene hat gegen den Durchsuchungsbeschluss des [[X.].] vom 4. April 2023 Beschwerde eingelegt und beantragt festzustellen, dass die Durchsuchungsanordnung rechtwidrig war. Daneben begehrt er die Aufhebung der vorläufigen Sicherstellung und die Herausgabe der Mobiltelefone, insbesondere der drei im Durchsuchungsbeschluss vom 4. April 2023 bezeichneten (einschließlich der zwei nicht vorgefundenen). Er macht geltend, die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung hätten nicht vorgelegen; insbesondere habe kein Auffindeverdacht bestanden. Auch verstoße der Beschluss gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, da der Betroffene zur freiwilligen Herausgabe des bei ihm sichergestellten Mobiltelefons des Typs [[X.].] bereit gewesen sei. Die Ermittlungsmaßnahmen seien zudem rufschädigend und gefährdeten die wirtschaftliche Grundlage seines Gewerbes.

5

Der Ermittlungsrichter des [[X.].] hat den Beschwerden nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Über den Antrag des Betroffenen auf Herausgabe der im Durchsuchungsbeschluss bezeichneten vorläufig sichergestellten Geräte und des bei ihm aufgefundenen Mobiltelefons des Typs [[X.].] zum Zwecke der Durchsicht hat der Ermittlungsrichter des [[X.].] bislang noch nicht entschieden.

6

Auf die Zuschrift des [[X.].]s hat der Betroffene erklärt, die Beschwerde richte sich auch gegen die die Durchsuchungsmaßnahme erweiternde mündliche Anordnung des [[X.].] des [[X.].] vom 26. Mai 2023 sowie die an diesem Tag vollzogene Beschlagnahme.

II.

7

Die Beschwerde umfasst neben dem Durchsuchungsbeschluss vom 4. April 2023 einschließlich der darin angeordneten Beschlagnahme des Mobiltelefons der Marke [[X.].] die mündliche Durchsuchungsanordnung vom 26. Mai 2023, nachdem der Betroffene dies klargestellt hat. Das Rechtsmittel bleibt allerdings ohne Erfolg. Soweit der Betroffene die Herausgabe vorläufig sichergestellter Mobiltelefone verlangt, ist eine Entscheidung des Senats derzeit nicht veranlasst. Für den Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung über die vorläufige Sicherstellung zum Zwecke der Durchsicht gemäß § 94 Abs. 1, § 98 Abs. 2 Satz 2 (entsprechend), §§ 103, 162 Abs. 1, § 169 Abs. 1 Satz 2 [[X.].] ist der Ermittlungsrichter des [[X.].] zuständig (vgl. [[X.].], Beschluss vom 18. November 2021 - StB 6/21 u.a., NJW 2022, 795, 795 f.).

8

1. Die Beschwerde gegen beide [[X.].] ist gemäß § 304 Abs. 5 [[X.].] statthaft und auch im Übrigen zulässig. Das Beschwerdeziel ist noch nicht prozessual überholt. Eines Antrages auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der angegriffenen Entscheidungen bedarf es daher nicht. Angesichts der nicht vollständig abgeschlossenen Durchsicht der vorläufig sichergestellten Beweismittel dauert die Durchsuchungsmaßnahme an (vgl. [[X.].], Beschlüsse vom 18. November 2021, StB 6/21 u.a., NJW 2022, 795 Rn. 5; vom 3. September 1997 - StB 12/97, juris Rn. 1; [[X.].]/[[X.].]/[[X.].], [[X.].], 66. Aufl., § 110 Rn. 9, 10 mwN). Die mündliche Anordnung vom 26. Mai 2023 ist hinsichtlich der Erledigung als eine unselbständige, die einheitliche Maßnahme erweiternde Entscheidung zu werten, so dass auch insoweit ein Feststellungsantrag nicht erforderlich ist.

9

2. Das Rechtsmittel ist jedoch unbegründet. Die Voraussetzungen für den Erlass der beiden [[X.].] (§§ 103, 105 [[X.].]) lagen vor.

a) Gegen die Beschuldigten und gesondert Verfolgten bestand ein die Durchsuchung nach § 102 [[X.].] rechtfertigender Anfangsverdacht.

aa) Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen durchzuführenden Durchsuchung genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen wurde und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer an dieser Tat in Betracht kommt. Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es - unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit - nicht (st. Rspr.; vgl. [[X.].], Beschluss vom 7. September 2006 - 2 BvR 1219/05, [[X.].]K 9, 149, 153; [[X.].], Beschlüsse vom 20. April 2023 - StB 5/23, juris Rn. 9; vom 20. Juli 2022 - StB 29/22, [[X.].], 692 Rn. 6; vom 12. August 2015 - StB 8/15, [[X.].]R [[X.].] § 102 Tatverdacht 3 Rn. 4; vom 18. Dezember 2008 - StB 26/08, [[X.].]R [[X.].] § 102 Tatverdacht 2 Rn. 5).

bb) Gemessen hieran lagen sowohl zum Zeitpunkt des Beschlusses vom 4. April 2023 als auch der mündlichen Entscheidung vom 26. Mai 2023 sachlich zureichende Gründe für die Anordnung der Durchsuchung vor. Wie der Senat bereits vielfach entschieden hat, bestand der Anfangsverdacht, dass die Beschuldigten und gesondert Verfolgten sich an einer terroristischen [X.] als Mitglied gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB beteiligten und durch dieselbe Handlung (§ 52 Abs. 1 StGB) ein hochverräterisches Unternehmen gemäß § 83 Abs. 1 StGB vorbereiteten bzw. die terroristische [X.] gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1 StGB unterstützten. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die zu diesem Ermittlungskomplex ergangenen Beschlüsse des Senats vom 11., 12. und 13. Juli 2023 Bezug genommen (vgl. etwa [[X.].], Beschlüsse vom 11. Juli 2023 - AK 35/23, juris Rn. 5 ff. [vorgesehen für [[X.].]St]; vom 12. Juli 2023 - AK 38/23, juris Rn. 5 ff.; vom 13. Juli 2023 - AK 21/23, juris Rn. 4 ff.).

b) Es lagen auch hinreichende Tatsachen dafür vor, dass bei dem Betroffenen bestimmte Beweismittel im Sinne des § 103 Abs. 1 Satz 1 [[X.].] aufgefunden werden konnten.

aa) Eine Ermittlungsdurchsuchung, die eine nichtverdächtige Person betrifft, setzt nach § 103 Abs. 1 Satz 1 [[X.].] Tatsachen dahin voraus, dass sich das gesuchte Beweismittel in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Es müssen konkrete Gründe im Zeitpunkt der Anordnung, mithin aus ex ante-Sicht dafür sprechen (vgl. [[X.].], Beschluss vom 9. August 2019 - 2 BvR 1684/18, NJW 2019, 3633 Rn. 35; [[X.].], Beschlüsse vom 20. April 2023 - StB 5/23, juris Rn. 19; vom 18. November 2021 - StB 6/21 u.a., NJW 2022, 795 Rn. 11; vom 5. Juni 2019 - StB 6/19, juris Rn. 18; vom 13. Juni 1978 - StB 51/78, [[X.].]St 28, 57, 59), dass der gesuchte Beweisgegenstand in den Räumlichkeiten des [[X.].] gefunden werden kann (vgl. [[X.].], Beschluss vom 28. April 2003 - 2 BvR 358/03, [[X.].]K 1, 126, 132 f.; [[X.].], Beschlüsse vom 20. April 2023 - StB 5/23, juris Rn. 19 mwN; vom 15. Oktober 1999 - StB 9/99, [[X.].]R [[X.].] § 103 Gegenstände 1; vom 7. Juni 1995 - StB 16/95, NJW 1996, 405, 406 [dort mit dem Aktenzeichen 2 [[X.].]]; vom 13. Januar 1989 - StB 1/89, [[X.].]R [[X.].] § 103 Tatsachen 1; vom 20. Dezember 1988 - 1 [[X.].] 1143/88, [[X.].]R [[X.].] § 103 Tatsachen 2; vom 13. Juni 1978 - StB 51/78, [[X.].]St 28, 57, 59; KK-[[X.].]/Henrichs/[[X.].], 9. Aufl., § 103 Rn. 5; [[X.].]/[[X.].], [[X.].], 27. Aufl., § 103 Rn. 14).

Diese Voraussetzungen waren hinsichtlich beider [[X.].] erfüllt. Der Betroffene traf sich ausweislich der Erkenntnisse einer vom [[X.].] durchgeführten Observation mit den Beschuldigten    P.       und [[X.].]    , bei denen es sich um führende Mitglieder des militärischen Arms der terroristischen [X.] handelte, sowie der Beschuldigten [[X.].].               am 4. Oktober 2022 in einem Restaurant in [[X.].]    . Sie besprachen den bereits bewirkten Aufbau von Heimatschutzkompanien und den unmittelbar bevorstehenden „Zeitpunkt [X.]“, an dem „alle Personen mobilisiert und mit Waffen und Fahrzeugen ausgestattet“ würden. Ferner erörterten sie die Auflösung der Polizei und die Neustrukturierung der [X.]. Der Beschuldigte    P.       sprach von der Unterbringung von [[X.].]“, woraufhin der Betroffene die Beschuldigte [[X.].].                aufforderte, das Gesagte aufzuschreiben. Darüber hinaus beschrieb der Betroffene während des Gesprächs Örtlichkeiten und verwendete dabei den Begriff „Kaserne“. Aufgrund dieser Umstände lag eine Auffindewahrscheinlichkeit für Gegenstände vor, die zu einer weiteren Aufklärung des verfahrensgegenständlichen Sachverhalts, insbesondere zur Organisation, Struktur und Zielsetzung der [X.] beitragen können. Hierzu zählten auch elektronische Kommunikationsmittel, die nicht nur Aufschluss über den Inhalt von Gesprächen zwischen den Beschuldigten und dem Betroffenen erbringen, sondern auch über (noch unbekannte) weitere Kontaktpersonen der [X.]. Aus den vorgenannten Gründen bestand zudem Anlass, den im mündlichen Durchsuchungsbeschluss vom 26. Mai 2023 bezeichneten und vom Betroffenen genutzten PKW nach einem bestimmten Mobiltelefon zu durchsuchen.

bb) Die Durchsuchung bei einer nichtverdächtigen Person setzt nach § 103 [[X.].] überdies voraus, dass hinreichend individualisierte (bestimmte) Beweismittel für die aufzuklärende Straftat gesucht werden. Diese Gegenstände müssen im Durchsuchungsbeschluss so weit konkretisiert werden, dass weder bei dem Betroffenen noch bei dem die Durchsuchung vollziehenden Beamten Zweifel über die zu suchenden und zu beschlagnahmenden Gegenstände entstehen können ([[X.].], Beschluss vom 21. November 2001 - StB 20/01, [[X.].]R [[X.].] § 103 Gegenstände 2). Ausreichend ist dafür allerdings, dass die Beweismittel der Gattung nach näher bestimmt sind; nicht erforderlich ist, dass sie in allen Einzelheiten bezeichnet werden (vgl. [[X.].], Beschlüsse vom 20. April 2023 - StB 5/23, juris Rn. 21; vom 20. Juli 2022 - StB 29/22, [[X.].], 692 Rn. 14; vom 28. Juni 2018 - StB 14/18, juris Rn. 16; vom 15. Oktober 1999 - StB 9/99, [[X.].]R [[X.].] § 103 Gegenstände 1, jeweils mwN).

Diesen Anforderungen wird der angefochtene Beschluss ebenfalls gerecht. Es wurden Mobiltelefone, davon drei jeweils konkret mit einer individuellen [[X.].]-Nummer, und andere elektronische mobile Kommunikationsmittel als zu sichernde Gegenstände bezeichnet. Durch diese Einschränkung der möglicherweise aufzufindenden Beweismittel war den durchsuchenden Beamten hinreichend deutlich aufgezeigt, worauf sie ihr Augenmerk zu richten hatten. Im Übrigen unterliegen Schriftstücke und elektronische Speichermedien vor ihrer Beschlagnahme oder sonstigen Sicherstellung nach § 110 Abs. 1 [[X.].] der Durchsicht durch die Staatsanwaltschaft oder von ihr beauftragte [X.]. Dies ermöglicht die Überprüfung, welche Dokumente oder Dateien als Beweismittel in Betracht kommen und deshalb sicherzustellen oder nach § 110 Abs. 3 Satz 2 [[X.].] zu sichern sind. Um diese Durchsicht zu gewährleisten, kann auch die Mitnahme einer Gesamtheit von Daten zur Durchsicht zulässig sein (vgl. [[X.].], Beschluss vom 15. August 2014 - 2 BvR 969/14, NJW 2014, 3085 Rn. 44 f.; [[X.].], Beschluss vom 5. August 2003 - StB 7/03, [[X.].]R [[X.].] § 105 Abs. 1 Durchsuchung 3).

c) Die Strafgerichtsbarkeit des [X.] und damit die Zuständigkeit des [[X.].] des [[X.].] für den Erlass des [X.] ergibt sich aus § 169 Abs. 1 [[X.].], § 120 Abs. 1 Nr. 2 und 6, § 142 Abs. 1 Nr. 1, § 142a Abs. 1 Satz 1 GVG.

d) Die [[X.].] entsprachen auch unter Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Belange des Beschuldigten dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

aa) Sie waren zur weiteren Aufklärung einer Beteiligung bislang unbekannt gebliebener Personen an dem Tatgeschehen geeignet, da unter den gegebenen Umständen zu erwarten war, dass die Durchsuchungen zum Auffinden von Gegenständen, insbesondere von elektronischen Kommunikationsmitteln, führen werden, die nicht nur eine inhaltliche Kommunikation zwischen den Beschuldigten und dem Betroffenen nachweisen oder widerlegen, sondern auch Aufschluss über weitere Kontaktpersonen der [X.] erbringen können.

bb) Die Durchsuchungen waren zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich. Das ist dann nicht der Fall, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet, in jedem Verfahrensstadium das jeweils mildeste Mittel anzuwenden (vgl. [[X.].], Beschluss vom 29. Februar 2012 - 2 BvR 1954/11, [X.], 2096 Rn. 19). Die Durchsuchung bei einem Nichtbeschuldigten, der durch sein Verhalten auch aus der Sicht der Ermittlungsbehörden keinen Anlass zu den Ermittlungsmaßnahmen gegeben hat, stellt über die allgemeinen Erwägungen hinaus erhöhte Anforderungen an die Prüfung der Verhältnismäßigkeit ([[X.].], Beschluss vom 18. März 2009 - 2 BvR 1036/08, [[X.].]K 15, 225, 241 mwN). Deshalb ist nichtverdächtigen Betroffenen zumindest vor der Vollstreckung der Zwangsmaßnahme in der Regel Gelegenheit zur freiwilligen Herausgabe des sicherzustellenden Gegenstandes zu geben. Diese Abwendungsbefugnis ist regelmäßig in die Anordnungsentscheidung aufzunehmen (vgl. [[X.].], Beschluss vom 18. November 2021 - StB 6/21 u.a., [[X.].]R [[X.].] § 103 Verhältnismäßigkeit 1 Rn. 17 mwN; [[X.].]/[[X.].]/[[X.].], [[X.].], 66. Aufl., § 103 Rn. 1a). Abhängig von den sich aus den bisherigen Ermittlungsergebnissen ergebenden tatsächlichen Umständen, insbesondere der Kooperationsbereitschaft bzw. -pflicht des Adressaten der Maßnahme kann es im Einzelfall sogar geboten sein, anstelle einer Durchsuchungsanordnung ein Herausgabeverlangen nach § 95 [[X.].] als sanktionsfähige strafprozessuale Maßnahme vordringlich in Betracht zu ziehen. Ein solches kann sich insbesondere dann als gleich geeignet, indes weniger beeinträchtigend erweisen, wenn Gewissheit herrscht, dass sich ein beschlagnahmefähiger Beweisgegenstand im [X.] eines herausgabepflichtigen Adressaten befindet, es zur Erlangung des Gegenstandes nicht auf einen Überraschungseffekt ankommt, die Maßnahme erfolgversprechend ist, das Gebot der Verfahrensbeschleunigung nicht entgegensteht und weder ein das Ermittlungsverfahren bedrohender Verlust der begehrten Sache zu befürchten ist noch etwaige Verdunkelungsmaßnahmen zu besorgen sind (vgl. [[X.].], Beschluss vom 23. März 1994 - 2 BvR 396/94, NJW 1994, 2079, 2080 f.; [[X.].], Beschluss vom 18. November 2021 - StB 6/21 u.a., [[X.].]R [[X.].] § 103 Verhältnismäßigkeit 1 Rn. 17 mwN). Denn in diesem Fall würde schon das Erscheinen von Ermittlungsbeamten beim Herausgabepflichtigen eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung seiner Rechte darstellen. Umgekehrt kann die Gewährung einer Abwendungsbefugnis im Ausnahmefall dann entbehrlich sein, wenn sich aus den bisherigen Ermittlungsergebnissen Tatsachen ergeben, aus denen zu schließen ist, dass der Betroffene zur freiwilligen Mitwirkung nicht bereit ist und Verdunkelungsmaßnahmen zu besorgen sind. Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die Beweismittel nur der Gattung nach bestimmt werden können und begründeter Anlass zu der Vermutung besteht, der Pflichtige täusche die Ermittlungsbehörden durch die bewusste Herausgabe nur eines Teils der beweiserheblichen Gegenstände (vgl. [[X.].], Beschluss vom 18. November 2021 - StB 6/21 u.a., [[X.].]R [[X.].] § 103 Verhältnismäßigkeit 1 Rn. 17 mwN; [[X.].]/[[X.].]/[[X.].], [[X.].], 66. Aufl., § 103 Rn. 1a).

Gemessen an diesen Maßstäben waren beide [[X.].] erforderlich. Die mündliche Durchsuchungsanordnung vom 26. Mai 2023 enthält bereits eine Abwendungsbefugnis. Im Hinblick auf den Durchsuchungsbeschluss vom 4. April 2023 war die Ermittlungsbehörde nicht auf das mildere Mittel eines Herausgabeverlangens nach § 95 [[X.].] zu verweisen. Selbst wenn der Betroffene, wie im [X.] vorgetragen und woran unter Berücksichtigung aller Umstände, gerade im Hinblick auf sein weiteres Verhalten, erhebliche Zweifel bestehen, geglaubt haben sollte, die polizeilichen Einsatzbeamten hätten das in seiner Jacke befindliche Mobiltelefon im Rahmen der Durchsuchung am 22. Dezember 2022 bereits aufgefunden, so begründet sein nachfolgendes Verhalten aus Sicht des [[X.].] und des [[X.].]s den erheblichen Verdacht, er werde dieses nicht freiwillig herausgeben. Denn er hat die Ermittlungsbehörden, die - für ihn nunmehr offenkundig - keine Kenntnis davon hatten, dass er im Besitz des vorgenannten und von ihm genutzten Mobiltelefons war, hierüber nicht informiert.

cc) Die erneute Anordnung der Durchsuchung stand zudem in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung und Schwere der aufzuklärenden Straftat. Auf der Grundlage der Ermittlungsergebnisse ist die von der in Rede stehenden Gruppierung ausgehende Gefahr erheblich. Dies zeigt sich insbesondere in den konkreten vielfältigen Vorbereitungshandlungen einiger Mitglieder der [X.] für eine bewaffnete Erstürmung des [X.] und dem geplanten sowie in Teilen bereits umgesetzten Aufbau von militärischen „Heimatschutzkompanien“ im gesamten [X.]gebiet. Der Betroffene hatte mutmaßlich zu zwei führenden Mitgliedern des militärischen Arms der terroristischen [X.] persönlichen Kontakt und tauschte sich mit ihnen über Organisation, Struktur und Zielsetzung der [X.] aus. Für seine Behauptung, die Durchsuchungsmaßnahmen seien geschäftsschädigend gewesen, ohne dass er hierfür tatsächliche Umstände vorgetragen hat, bestehen auch ansonsten keine Anhaltspunkte.

3. Nach den vorgenannten Erwägungen war unter den hier gegebenen Umständen die Beschlagnahme des Mobiltelefons der Marke [[X.].] zulässig, insbesondere verhältnismäßig. Es bestand der Verdacht, dass [X.] Kommunikation über dieses Smartphone stattgefunden hatte.

VRi[[X.].] Prof. Dr. Schäfer
befindet sich im Urlaub und
ist deshalb gehindert zu unterschreiben.     

  

Berg     

  

Voigt

Berg

  

  

  

  

Meta

StB 40/23

06.09.2023

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

§ 95 StPO, § 102 StPO, § 103 Abs 1 S 1 StPO, § 110 Abs 1 StPO, § 110 Abs 3 S 2 StPO, § 83 Abs 1 StGB, § 129a Abs 1 Nr 1 StGB, § 129a Abs 5 S 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.09.2023, Az. StB 40/23 (REWIS RS 2023, 6550)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 6550

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 BvR 1954/11

2 BvR 969/14

2 BvR 1684/18

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