Bundessozialgericht, Urteil vom 18.03.2015, Az. B 2 U 8/13 R

2. Senat | REWIS RS 2015, 13847

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Leistungsklage - Feststellungsklage - Klageänderung - Antragsänderung - funktionelle Zuständigkeit - Berufung - Verweisung


Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 22. April 2013 hinsichtlich der Beklagten zu 1. abgeändert und die Sache insofern an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Feststellung einer Masseverbindlichkeit.

2

Durch Beschluss des [X.] (AG) vom 22.3.2005 wurde die vorläufige Verwaltung des [X.] ([X.]) angeordnet, die Beklagte zur vorläufigen Insolvenzverwalterin bestellt und der [X.] ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt. Mit weiterem Beschluss des AG vom 15.5.2005 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und die Beklagte zur Insolvenzverwalterin bestellt.

3

Die Klägerin machte gegenüber der Insolvenzverwalterin Masseforderungen für die [X.] vom 22.3. bis zum [X.] geltend und meldete zunächst eine Sicherheit in Höhe von 8844,53 € an. Aufgrund der gemeldeten Entgelte setzte sie sodann gegenüber der [X.] mit Bescheid vom 18.11.2005 eine Beitragsabfindung in Höhe von 6337,19 € fest. Sie übersandte den Beitragsbescheid der Insolvenzverwalterin mit Schreiben vom selben Tag und berichtigte dabei die angemeldete Massesicherheit auf den Betrag der Beitragsabfindung.

4

Die Klägerin forderte die Insolvenzverwalterin zuletzt mit Schreiben vom [X.] erfolglos zur Zahlung in Höhe der Beitragsabfindung auf. Sie erhob daraufhin mit Schriftsatz vom 14.6.2006 Klage "wegen Schadenersatz" zum [X.] ([X.]) mit dem Ziel, die Insolvenzverwalterin zur Zahlung von 6337,19 € zu verurteilen. Nachdem die Insolvenzverwalterin Masseunzulänglichkeit angezeigt hatte, hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 12.9.2006 den Hilfsantrag angekündigt, die Beklagte nicht als Insolvenzverwalterin, sondern persönlich zur Zahlung zu verurteilen. In der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] am 14.3.2007 hat die Klägerin den Antrag aus dem Schriftsatz vom 14.6.2006 und hilfsweise den Antrag aus dem Schriftsatz vom 12.9.2006 gestellt. Durch Beschluss vom [X.] hat das [X.] den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit von Amts wegen an das [X.] verwiesen. Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom [X.] "Parteiberichtigung" beantragt, weil "der mit der Klage geltend gemachte Schadensersatzanspruch nur gegen die Beklagte persönlich gerichtet" sein könne und es "im Klagebegehren ausschließlich um die fehlerhafte Einordnung der Forderung der Klägerin als Insolvenzforderung und damit um die persönliche Haftung" gehe. In der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] am [X.] haben die Beteiligten ihre Anträge aus der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] wiederholt.

5

Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die auf Beitragszahlung gegen die Beklagte zu 1. gerichtete Leistungsklage sei wegen des vollstreckbaren Verwaltungsaktes vom 18.11.2005 unzulässig. Auch dem Hilfsantrag liege eine im Wege des [X.] gegen die Beklagte zu 2. bedingt erhobene und damit unzulässige Klage zugrunde (Urteil vom [X.]).

6

Die Klägerin hat hiergegen Berufung eingelegt und mit Schriftsatz vom [X.] die Anträge angekündigt, 1. gegenüber der [X.] zu 1. festzustellen, dass die Beitragsforderung als Masseverbindlichkeit zu begleichen ist und 2., die Beklagte zu 2. zu verurteilen, 6337,19 € nebst Zinsen zu zahlen. Das Hessische L[X.] hat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil vom 22.4.2013 die Berufung zurückgewiesen und die Feststellungsklage abgewiesen. Der Übergang von der Leistungs- in eine Feststellungsklage beruhe auf der zwischenzeitlich eingetretenen Masseunzulänglichkeit. Diese Klageänderung sei aus prozessökonomischen Gründen sachdienlich, von der [X.] zu 1. nicht gerügt worden und damit zulässig. Die Feststellungsklage sei aber unbegründet, weil es sich bei den Beitragsforderungen um nicht privilegierte, zur Insolvenztabelle anzumeldende Insolvenzforderungen handele. Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung seien in Anlehnung an die Rechtsprechung des B[X.] zu § 150 Abs 3 [X.]B VII den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen iS des § 208 [X.]B III aF gleichgestellt. Die hilfsweise erhobene Schadensersatzklage sei wegen des bedingt erklärten [X.] unzulässig.

7

Mit ihrer vom L[X.] zugelassenen Revision rügt die Klägerin sinngemäß die Verletzung des § 55 Abs 3 Insolvenzordnung. Die vom L[X.] herangezogene Rechtsprechung des B[X.] sei allein zur Haftung für Subunternehmer im Baugewerbe ergangen. Da das nationale Recht der gesetzlichen Unfallversicherung in vielen Details von den Unfallversicherungssystemen der anderen Mitgliedstaaten der [X.] abweiche und der Straftatbestand des § 266a Abs 1 und 2 StGB zwischen der Einzugsstelle sowie der für den Einzug der Beiträge zuständigen Stelle unterscheide, habe der Gesetzgeber den Beitrag zur gesetzlichen Unfallversicherung nicht in den "Gesamtsozialversicherungsbeitrag" aufnehmen wollen. Für eine Analogie fehle es an einer planwidrigen Regelungslücke.

8

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des [X.] vom 22. April 2013 abzuändern und festzustellen, dass die Beitragsforderung gegenüber der [X.] zu 1. aus der [X.] der Betriebsfortführung vom 22. März 2005 bis zum 14. Mai 2005 als Masseverbindlichkeit zu begleichen ist.

9

Die Beklagte zu 1. beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision, mit der allein noch gegenüber der [X.] zu 1. die Feststellung begehrt wird, dass Beitragsforderungen aus der [X.] der vorläufigen Insolvenzverwaltung vom 22.3. bis zum [X.] als Masseverbindlichkeiten zu begleichen sind, ist aus prozessrechtlichen Gründen im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung (§ 170 Abs 2 Satz 2 [X.]G) begründet. Zu einer Entscheidung über die erstmals zum [X.] erhobene Feststellungsklage war das Berufungsgericht nicht berufen.

Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] ihre Anträge aus der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] wiederholt und damit den Antrag aus dem Schriftsatz vom 14.6.2006 gestellt. Mit ihm hat sie die Beklagte in ihrer Eigenschaft als Insolvenzverwalterin auf Zahlung einer Masseverbindlichkeit in Höhe der Beitragsabfindung in Anspruch genommen. Schadensersatz hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] hingegen nur hilfsweise, und zwar von der [X.] zu 2. gefordert. Die zum [X.] erhobene und an das [X.] verwiesene Klage auf Zahlung einer Masseverbindlichkeit hat die Klägerin indes vor dem [X.] nicht mehr weiterverfolgt. Stattdessen hat sie mit der Berufung zum [X.] gegenüber der [X.] zu 1. die Feststellung begehrt, dass die Beitragsforderung aus der [X.] der Betriebsfortführung während des vorläufigen Insolvenzverfahrens vom 22.3. bis zum [X.] als Masseverbindlichkeit zu begleichen ist. Damit ist nicht ein bereits erstinstanzlich geltend gemachtes Begehren aufrechterhalten, sondern erstmals ein Feststellungsanspruch erhoben worden (vgl hierzu [X.] vom 7.5.2003 - [X.]/02 - NJW 2003, 2172 mwN und vom 11.10.2000 - [X.] - NJW 2001, 226).

Die Umstellung von der (echten) Leistungsklage nach § 54 Abs 5 [X.]G auf die Feststellungsklage nach § 55 Abs 1 [X.] [X.]G beruht auf einer vom [X.] mit bindender Wirkung für das Revisionsgericht angenommenen Klageänderung iS des § 99 [X.]G. Unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen der Übergang von der Leistungs- zur Feststellungsklage nicht als Klage-, sondern als bloße Antragsänderung iS des § 99 Abs 3 [X.]G anzusehen ist (so B[X.] vom 7.6.1979 - 12 RK 13/78 - B[X.]E 48, 195, 196 = [X.] 2200 § 394 [X.]), hat das [X.] insoweit die Klageänderung mit der Begründung zugelassen, sie sei aus prozessökonomischen Gründen sachdienlich und die Beklagte zu 1. habe konkludent eingewilligt. Diese Entscheidung über die Zulassung der Klageänderung ist unanfechtbar (§ 99 Abs 4 [X.]G) und damit für den Senat bindend, auch wenn sie im Rahmen einer Sachentscheidung getroffen worden ist (B[X.] vom [X.] - B 2 U 14/10 R - [X.] 4-2700 § 8 [X.] 39 Rd[X.]4 mwN).

Von der Zulässigkeit einer Klageänderung ist indes die Zulässigkeit der geänderten Klage zu unterscheiden. Eine wirksame Klageänderung ersetzt nicht die für die Zulässigkeit der geänderten Klage fehlenden Prozessvoraussetzungen (B[X.] vom 2.12.2008 - B 2 KN 2/07 U R - juris Rd[X.]7). Diese müssen vielmehr in jeder Lage des Verfahrens gegeben sein und stehen nicht zur Disposition der Beteiligten (B[X.] vom 9.12.2003 - B 2 U 54/02 R - B[X.]E 91, 287 = [X.] 4-2700 § 160 [X.] Rd[X.] 6). Das Vorliegen der Sachurteilsvoraussetzungen für die zuletzt noch anhängige Klage hat das Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen (B[X.] vom 8.5.2007 - B 2 U 3/06 R - [X.] 4-2700 § 136 [X.] 3 Rd[X.]8). Zu diesen zählt auch die funktionelle (instanzielle) Zuständigkeit des angerufenen Gerichts, an der es hier fehlt. Für eine Entscheidung über die erstmals im Berufungsverfahren erhobene Feststellungsklage war das [X.] nicht ausnahmsweise als erstinstanzliches Gericht zuständig.

Die Landessozialgerichte entscheiden nach § 29 Abs 1 [X.]G grundsätzlich im zweiten Rechtszug über die Berufung gegen die Urteile und die Beschwerden gegen andere Entscheidungen der Sozialgerichte. Eine Berufung scheidet aus, weil die Feststellungsklage - wie bereits ausgeführt wurde - nicht schon Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens vor dem [X.], sondern neu zum [X.] erhoben worden war. Eine erstinstanzliche Zuständigkeit des [X.] in den besonderen Verfahren nach § 29 Abs 2 bis 4 [X.]G ist nicht gegeben. Weitere spezialgesetzliche Regelungen über die erstinstanzliche Zuständigkeit von Landessozialgerichten sind ebenfalls nicht einschlägig. Das [X.] war schließlich auch nicht nach § 96 iVm § 153 Abs 1 [X.]G berufen, als erstinstanzliches Gericht über den geltend gemachten Feststellungsanspruch zu befinden. Danach wird ein während des Berufungsverfahrens erlassener Verwaltungsakt, der den ursprünglich mit der Klage angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt, Gegenstand des Klageverfahrens, mit der Folge, dass über dessen Rechtmäßigkeit das [X.] nicht auf Berufung, sondern nunmehr erstinstanzlich "auf Klage" zu entscheiden hat (B[X.] vom [X.] - B 13 R 61/09 R - [X.] 4-5050 § 22 [X.]0 Rd[X.]5 mwN und vom [X.] - [X.] RA 20/01 R - [X.] 3-1500 § 29 [X.]). Eine solche Fallkonstellation liegt hier nicht vor.

Die damit unzulässig zum [X.] erhobene Feststellungsklage führt zur Abänderung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.]. Das Berufungsgericht wird die nach § 98 [X.]G iVm § 17a Abs 2 Satz 1 GVG gebotene Verweisung des Rechtsstreits an das örtlich und sachlich zuständige [X.] nachzuholen haben. Das erstinstanzlich zur Entscheidung berufene [X.] wird vor einer sachlichen Prüfung des geltend gemachten Feststellungsbegehrens die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen zu beurteilen haben. Dabei wird insbesondere zu klären sein, ob nicht spätestens mit der an das [X.] gerichteten Erklärung im Schriftsatz der Klägerin vom [X.], dass es "im Klagebegehren ausschließlich um die fehlerhafte Einordnung der Forderung der Klägerin als Insolvenzforderung und damit um die persönliche Haftung" gehe, die Klage auf Erfüllung von Masseverbindlichkeiten zurückgenommen (§ 102 [X.]G) und damit auf Schadensersatz beschränkt worden ist und infolgedessen auch für einen Übergang von der ursprünglich erhobenen Leistungs- zur Feststellungsklage kein Raum mehr ist (vgl B[X.] vom 9.10.1984 - 12 RK 18/83 - B[X.]E 57, 184, 185 = [X.] 2200 § 385 [X.]0 und vom 28.4.1967 - 3 [X.] - [X.] [X.] 9 zu § 102 [X.]G mwN). Ferner wird zu prüfen sein, ob der Zulässigkeit der Feststellungsklage deren Subsidiarität gegenüber Gestaltungs- und Leistungsklagen entgegensteht und letztere schon wegen der später eingetretenen Masseunzulänglichkeit nicht greift.

Das [X.] wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 2 U 8/13 R

18.03.2015

Bundessozialgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: U

vorgehend SG Kassel, 23. Juni 2009, Az: S 1 U 140/07, Urteil

§ 29 SGG, § 54 Abs 5 SGG, § 55 Abs 1 Nr 1 SGG, § 96 SGG, § 153 Abs 1 SGG, § 98 SGG, § 99 SGG, § 17a Abs 2 S 1 GVG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 18.03.2015, Az. B 2 U 8/13 R (REWIS RS 2015, 13847)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 13847

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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