Bundessozialgericht, Beschluss vom 23.09.2020, Az. B 5 RE 7/20 B

5. Senat | REWIS RS 2020, 2263

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - mündliche Verhandlung - wirksam erlassene Verwaltungsakte während des Berufungsverfahrens - Durchführung des vereinfachten Beschlussverfahrens ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter


Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des [X.] vom 11. Dezember 2019 aufgehoben.

Die Sache wird zu erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten über die Versicherungspflicht der als selbstständige Physiotherapeutin in eigener Praxis tätigen Klägerin in der gesetzlichen Rentenversicherung. Mit Bescheid vom 21.2.2013 stellte die Beklagte das Bestehen von Versicherungspflicht nach § 2 Satz 1 [X.] fest. Vom [X.] bis zum 31.12.2012 habe die Klägerin den halben [X.], danach den [X.] zu zahlen; die Beitragsforderung bis einschließlich [X.] betrage 12 965,14 [X.]. Den Widerspruch hiergegen wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom [X.] zurück. Das [X.] hat die Klage mit Urteil vom 25.7.2017 abgewiesen. Mit weiterem Bescheid vom [X.] stellte die Beklagte fest, dass die Rentenversicherungspflicht zum 31.3.2014 geendet habe und eine [X.] in Höhe von 19 626,51 [X.] bestehe. Das L[X.] hat mit Beschluss vom 11.12.2019 die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und dabei ausgeführt, dass der Bescheid vom [X.] gemäß § 96 [X.]G zum Gegenstand des Verfahrens geworden sei. Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss hat die Klägerin Beschwerde beim B[X.] eingelegt und geltend gemacht, der Beschluss des L[X.] beruhe auf [X.] (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G).

2

II. Die Beschwerde der Klägerin ist begründet. Der Verfahrensmangel der fehlerhaften Besetzung des Berufungsgerichts ausschließlich mit Berufsrichtern (vgl § 33 Abs 1 Satz 1 [X.]G), den sie formgerecht gerügt hat (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G), liegt vor. Das führt zur Aufhebung des Beschlusses des L[X.] und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht (§ 160a Abs 5 [X.]G).

3

a) Das L[X.] hätte nicht im Wege des vereinfachten Beschlussverfahrens nach § 153 Abs 4 [X.]G ohne Beteiligung [X.] entscheiden dürfen, weil nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils ein weiterer Verwaltungsakt nach § 96 Abs 1 [X.]G Gegenstand des Rechtsstreits geworden ist, über den das L[X.] durch die Zurückweisung der Berufung der Klägerin in der Sache ausdrücklich mit entschieden hat.

4

Nach § 153 Abs 4 Satz 1 [X.]G kann das L[X.], außer in den Fällen einer Entscheidung des [X.] durch Gerichtsbescheid nach § 105 Abs 2 Satz 1 [X.]G, die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. An einem solchen Beschluss außerhalb einer mündlichen Verhandlung wirken [X.] nicht mit (§ 33 Abs 1 Satz 2 iVm § 12 Abs 1 Satz 2 [X.]G). Die Voraussetzungen für die Durchführung des vereinfachten Beschlussverfahrens ohne Mitwirkung [X.] haben hier indes nicht vorgelegen.

5

Das L[X.] hat ausweislich der Entscheidungsgründe ausdrücklich über den "Bescheid der Beklagten vom 21. Februar 2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. August 2013 und des [X.] vom 25. Februar 2019" entschieden. Den Bescheid vom [X.] hat es zutreffend gemäß § 153 Abs 1 iVm § 96 Abs 1 [X.]G als Verfahrensgegenstand angesehen. Gegenstand des Klageverfahrens war zunächst der Bescheid der Beklagten vom 21.2.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.]. Diese Bescheide stellten die Versicherungspflicht der Klägerin für ihre Tätigkeit als selbstständige Physiotherapeutin in der gesetzlichen Rentenversicherung ab dem [X.] fest und bestimmten die Höhe der monatlich zu entrichtenden Pflichtbeiträge sowie den Betrag der bis zum [X.] entstandenen [X.]. Der nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils im Verlauf des Berufungsverfahrens ergangene weitere Bescheid vom [X.] stellte fest, dass die Versicherungspflicht der Klägerin aufgrund der Beschäftigung eines rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmers mit Ablauf des 31.3.2014 geendet hat; zudem bezifferte er die bis dahin insgesamt angefallenen [X.]en auf nunmehr 19 626,51 [X.]. Damit hat der Bescheid vom [X.] die Regelungen des ursprünglichen Bescheids vom 21.3.2013 geändert.

6

Allerdings hätte das L[X.] über erst während des Berufungsverfahrens wirksam erlassene Verwaltungsakte, die einen mit dem Rechtsmittel bereits angefochtenen Verwaltungsakt iS des § 153 Abs 1 iVm § 96 Abs 1 [X.]G ändern oder ersetzen, nicht zweitinstanzlich auf Berufung, sondern erstinstanzlich auf Klage befinden müssen (stRspr; vgl B[X.] Urteil vom [X.] - B 13 R 61/09 R - [X.] 4-5050 § 22 [X.] Rd[X.]; B[X.] Beschluss vom 22.11.2012 - [X.] P 10/12 B - [X.] 4-1500 § 153 [X.] Rd[X.]; B[X.] Urteil vom 8.10.2019 - B 12 KR 8/19 R - zur Veröffentlichung in B[X.]E und [X.] 4-1500 § 153 [X.] vorgesehen - juris Rd[X.] 13 mwN). Daher hätte hier das L[X.] auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung entweder aufgrund mündlicher Verhandlung oder - nach Zustimmung der Beteiligten (§ 124 Abs 2 [X.]G) - ohne mündliche Verhandlung durch Urteil unter Beteiligung [X.] entscheiden und neben der Zurückweisung der Berufung auch die Klage gegen den Bescheid vom [X.] abweisen müssen. Für eine erstinstanzliche Entscheidung des L[X.] bietet § 153 Abs 4 [X.]G keine Grundlage (vgl B[X.] Urteil vom 8.10.2019 - B 12 KR 8/19 R - aaO Rd[X.] 13 ff; kritisch dazu nur für den Fall, dass das L[X.] die nach § 96 [X.]G einbezogenen Verwaltungsakte nicht kennt, Keller in jurisPR-[X.] 15/2020 Anm 3).

7

b) Mit seiner Entscheidung durch Beschluss allein der Berufsrichter, ohne dass die Voraussetzungen des § 153 Abs 4 Satz 1 [X.]G vorliegen, hat das L[X.] zugleich die verfassungsrechtliche Garantie des gesetzlichen Richters (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG) missachtet (vgl B[X.] Beschluss vom [X.] [X.]/12 B - juris Rd[X.]; B[X.] Beschluss vom [X.] [X.] 59/13 B - juris Rd[X.] 4; B[X.] Urteil vom 8.10.2019 - B 12 KR 8/19 R - zur Veröffentlichung in B[X.]E und [X.] 4-1500 § 153 [X.] vorgesehen - juris Rd[X.] 17). Das Beruhen der Entscheidung auf dem Verfahrensmangel wird bei diesem absoluten Revisionsgrund unwiderleglich vermutet (§ 202 Satz 1 [X.]G iVm § 547 [X.] 1 ZPO, vgl B[X.] Beschluss vom 11.5.2011 - B 5 R 34/11 B - [X.] 4-1500 § 153 [X.] 12 Rd[X.] 5). Nach § 160a Abs 5 [X.]G kann das B[X.] im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das L[X.] zurückverweisen. Der Senat macht von dieser Möglichkeit im Interesse einer Beschleunigung des Verfahrens Gebrauch. Im Hinblick darauf kann hier dahinstehen, ob der weitere von der Klägerin geltend gemachte Verfahrensmangel vorliegt.

8

Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung des L[X.] vorbehalten.

Meta

B 5 RE 7/20 B

23.09.2020

Bundessozialgericht 5. Senat

Beschluss

Sachgebiet: RE

vorgehend SG Hannover, 25. Juli 2017, Az: S 13 R 953/13

§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160a Abs 5 SGG, § 153 Abs 1 SGG, § 153 Abs 4 S 1 SGG, § 96 Abs 1 SGG, § 105 Abs 2 S 1 SGG, § 124 Abs 2 SGG, § 2 S 1 Nr 2 SGB 6

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 23.09.2020, Az. B 5 RE 7/20 B (REWIS RS 2020, 2263)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2263

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