Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 28.09.2020, Az. 2 BvR 1435/20

2. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2020, 3003

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss:  Kein Verstoß gg Analogieverbot des Art 104 Abs 1 S 1 GG durch Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls auf der Grundlage von § 131 Abs 1 StPO iVm § 162 StPO und § 77 Abs 1 IRG - Heranziehung von § 131 Abs 1 StPO als Rechtsgrundlage für internationale Ausschreibung begründet keinen Verstoß gegen das Willkürverbot


Tenor

1. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

2. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gründe

1

Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen einen nationalen Haftbefehl des [X.] und einen Beschluss des [X.] über den Erlass eines [X.] Haftbefehls. Außerdem richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen einen Beschluss des [X.], der die gegen die Beschlüsse des [X.] gerichteten Beschwerden verwarf.

2

Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seines Grundrechts auf die Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 GG. Er macht unter anderem geltend, derzeit bestehe keine nationale Rechtsgrundlage für den Erlass eines [X.] Haftbefehls. Insbesondere sei es verfassungsrechtlich nicht tragfähig, auf § 131 Abs. 1 [X.] in Verbindung mit § 77 Abs. 1 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen ([X.]) zurückzugreifen.

3

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 [X.] sind nicht erfüllt. Grundsätzliche Bedeutung kommt der Verfassungsbeschwerde nicht zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt. Landgericht und [X.] haben das Strafverfahrensrecht nicht in einer das Verfassungsrecht verletzenden Weise (vgl. [X.] 18, 85 <92 f.>) angewandt.

4

1. Das Analogieverbot des Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. [X.] 29, 183 <196>; 83, 24 <31 f.>; BVerfGK 11, 208 <213>) steht der Annahme der Fachgerichte, § 131 Abs. 1 [X.] bilde in Verbindung mit § 162 [X.] und § 77 Abs. 1 [X.] in europarechtskonformer Auslegung eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Ausstellung eines [X.] Haftbefehls, nicht entgegen. § 131 Abs. 1 [X.] erlaubt den zuständigen Behörden die Ausschreibung eines Beschuldigten zur Festnahme, wenn gegen den Beschuldigten ein Haft- oder Unterbringungsbefehl besteht. Der [X.] Haftbefehl entspricht dieser Zielrichtung, denn ausweislich Art. 1 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/[X.] des Rates vom 13. Juni 2002 über den [X.] Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten ([X.] Nr. [X.] vom 18. Juli 2002, [X.]) in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299[X.] des Rates vom 26. Februar 2009 ([X.] Nr. L 81 vom 27. März 2009, [X.]) geänderten Fassung (im Folgenden: [X.]) handelt es sich bei dem [X.] Haftbefehl um eine justizielle Entscheidung, die in einem Mitgliedstaat ergangen ist und die Festnahme und Übergabe einer gesuchten Person durch einen anderen Mitgliedstaat zur Strafverfolgung oder zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung bezweckt. Die Einordnung des [X.] Haftbefehls als besondere Art der Ausschreibung zur Festnahme ergibt sich überdies aus Art. 9 Abs. 3 Satz 2 [X.], der die Ausschreibung eines Beschuldigten zur Festnahme im [X.] Informationssystem unter bestimmten Voraussetzungen dem [X.] Haftbefehl ausdrücklich gleichstellt.

5

2. Da § 131 Abs. 1 [X.] auch Rechtsgrundlage für eine internationale Ausschreibung ist (vgl. [X.], Beschluss vom 16. April 2009 - 2 VAs 3/09 -, Rn. 7 f.; [X.], Beschluss vom 11. Juli 2019 - 1 Ws 203/19 -, Rn. 8; [X.], Beschluss vom 1. August 2019 - III-2 [X.]/19 -, Rn. 20 ff.; [X.], Beschluss vom 6. Februar 2020 - 2 Ws 13/20 -, Rn. 5 ff.; [X.], in: [X.] Kommentar zur [X.], 1. Aufl. 2014, § 131 Rn. 1; [X.]/[X.], [X.] 2016, 394 <401 f.>; Ahlbrecht, in: [X.]/[X.]/[X.], [X.], 6. Aufl. 2019, § 131 Rn. 2; [X.], [X.] 2019, 325 <328 f.>; [X.], in: [X.]/[X.], Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl. 2020, Vor § 68 Rn. 25b; [X.], in: [X.]/[X.]/[X.], [X.], 4. Aufl. 2020, § 131 Rn. 5; [X.], in: [X.] zur [X.], 37. Edition Juli 2020, § 131 Rn. 4), ist es nicht willkürlich, § 131 Abs. 1 [X.] auch als Rechtsgrundlage für die internationale Ausschreibung mittels eines [X.] Haftbefehls heranzuziehen. Dass auch eine andere Auslegung der einfachrechtlichen Normen der § 77 Abs. 1 [X.], § 131 Abs. 1, § 162 [X.] möglich ist (vgl. etwa [X.]/[X.], NJW 2019, 2811 <2812 ff.>; [X.]/[X.], StraFo 2019, 397 <398 f.>; [X.], in: [X.]-Goßner/[X.], [X.], 62. Aufl. 2020, Vor § 112 Rn. 9 ff. und § 131 Rn. 1), begründet keinen Verfassungsverstoß.

6

3. Die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts in den angegriffenen Beschlüssen ist auch ansonsten mit Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 104 GG) zu vereinbaren und erweist sich nicht als objektiv willkürlich (vgl. [X.] 65, 317 <322>).

7

4. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

8

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 1435/20

28.09.2020

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Frankfurt, 6. Juli 2020, Az: 1 Ws 65/20, Beschluss

Art 2 Abs 2 S 2 GG, Art 3 Abs 1 GG, Art 104 Abs 1 S 1 GG, § 93a Abs 2 BVerfGG, Art 1 Abs 1 EGRaBes 584/2002, Art 9 Abs 3 S 2 EGRaBes 584/2002, EURaBes 299/2009, § 77 Abs 1 IRG, § 131 Abs 1 StPO, § 162 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 28.09.2020, Az. 2 BvR 1435/20 (REWIS RS 2020, 3003)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 3003

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