Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.06.2012, Az. 10 AZR 296/11

10. Senat | REWIS RS 2012, 5699

ARBEITSRECHT ARBEITSVERTRAG INDIVIDUAL-ARBEITSRECHT ANWALTSZULASSUNG SYNDIKUSANWÄLTE

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Gegenstand

Wirksamkeit einer Versetzung - Stationierung einer Purserette bei einer Fluggesellschaft


Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 16. Februar 2011 - 17 [X.]/10 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Versetzung und einer hilfsweise ausgesprochenen Änderungskündigung.

2

Die 1966 geborene Klägerin ist verheiratet und hat zwei Kinder. Sie trat im Jahre 1990 als [X.] ([X.]) in die Dienste der [X.] (im Folgenden: [X.]). Die [X.] war eine Tochtergesellschaft der [X.], die ein Bedarfsflugunternehmen mit über 2000 Arbeitnehmern an mehreren Standorten in [X.] betreibt und ihren Hauptsitz in der Nähe von [X.] hat. Im Arbeitsvertrag der Klägerin vom 26. September 1990 heißt es ua.:

        

„Einsatzort ist grundsätzlich [X.].

        

S kann Frau ... auch vorübergehend oder auf Dauer auf einem anderen Flugzeugmuster, an einem anderen Ort sowie befristet bei einem anderen Unternehmen einsetzen.“

3

Nach Übergang des Arbeitsverhältnisses auf die Beklagte teilte diese der Klägerin im Oktober 1995 mit, sie freue sich, ihr mit Wirkung zum 1. November 1995 „eine Stationierung in [X.]“, zunächst befristet bis zum 30. April 1996, anbieten zu können. Danach war die Klägerin - mit rund 40 weiteren Piloten, Pursern und Flugbegleitern - bis zum Ausspruch der Versetzung durchgehend in [X.] stationiert, wo die Beklagte auch Passagierflugzeuge vorhielt und von wo aus sie Flüge durchführte.

4

Aus organisatorischen Gründen beginnt und endet der Einsatz der [X.]rews bei der [X.] nicht durchweg an ihrem [X.]. In den Fällen, in denen der Einsatz von anderen Flughäfen aus erfolgt und auch dort endet, hat die Beklagte nach den anwendbaren tarifvertraglichen Regelungen die erforderlichen Transporte zu gewährleisten und die Transportzeiten als Arbeitszeit zu bezahlen (Dead-Head-Kosten).

5

Nachdem die Beklagte ihr Flugprogramm ab [X.] seit Mai 2008 zumindest erheblich reduziert hatte, schloss sie am 7. Juli 2009 mit der nach § 117 Abs. 2 BetrVG eingerichteten Personalvertretung eine „Vereinbarung über die Beendigung der Stationierung von [X.] in [X.]“. Die Präambel lautet:

        

„[X.] beabsichtigt, am Ende des Kalenderjahres 2009 den [X.] [X.] für das fliegende Personal aufzugeben. Hierdurch fallen an diesem [X.] insgesamt 43 Arbeitsplätze für das fliegende Personal (5 Flugkapitäne, 1 [X.]opilot, 10 Purser, 27 Flugbegleiter) mit einem Vollzeitäquivalent von 33,9 Stellen weg. Dies ist im Hinblick auf die dauerhafte Streichung von regelmäßigen An- und Abflügen ex [X.] unumgänglich.“

6

Um den von der Stationsschließung betroffenen Mitarbeitern weiterhin den Einsatz ab [X.] zu ermöglichen, hatte sich die Beklagte mit Schreiben vom 12. März 2009 an die bei ihr in [X.] stationierten Flugbegleiter und Purser gewandt und ihnen angeboten, als Flugbegleiter - nicht jedoch als Purser - mit [X.] [X.] für die Tochtergesellschaft [X.] zu fliegen. Einzelheiten regelte ein von der [X.] mit der Personalvertretung abgeschlossener „[X.] über die Beendigung der Stationierung von [X.]ockpit- und Kabinenpersonal am Flughafen [X.]“ vom 13. März 2009. Die Klägerin teilte der [X.] Mitte März 2009 mit, dass sie an einer Wechselmöglichkeit zur [X.] sehr interessiert sei, jedoch nicht als Flugbegleiterin, sondern nur als [X.].

7

Nach Beteiligung der Personalvertretung, die sich nicht äußerte, versetzte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 17. September 2009 mit Wirkung zum 1. Januar 2010 unter Beibehaltung ihrer bisherigen Funktion als [X.] von [X.] nach [X.]. Hilfsweise kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis betriebsbedingt zum nächstmöglichen Termin unter gleichzeitigem Angebot der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ab dem 1. April 2010 mit der Maßgabe, dass [X.] nunmehr [X.] sein solle. Dieses Angebot nahm die Klägerin unter Vorbehalt an.

8

Die Klägerin hat die Versetzung für unwirksam gehalten. Als Arbeitsort sei vertraglich [X.] vereinbart. Das Weisungsrecht der [X.] umfasse nicht die Befugnis, den Arbeitsort einseitig zu ändern. Die Vertragsklausel, auf die sich die Beklagte stütze, sei unwirksam. Sie verstoße gegen § 307 BGB. Die Änderungskündigung sei sozial ungerechtfertigt. Auch bei vollständiger Schließung des [X.]s [X.] könne die Klägerin von dort aus eingesetzt werden, gegebenenfalls bei der Tochtergesellschaft [X.].

9

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

        

1.    

die Beklagte zu verurteilen, sie über den 1. Januar 2010 hinaus zu unveränderten Arbeitsbedingungen als [X.] am Standort [X.] weiterzubeschäftigen,

        

2.    

festzustellen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen gemäß der Änderungskündigung vom 17. September 2009 sozial ungerechtfertigt und rechtsunwirksam ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Als „Arbeitsort“ sei für die Klägerin vertraglich nicht [X.] festgelegt. Die 1995 erfolgte Zuordnung der Klägerin zum Flughafen [X.] habe das Direktionsrecht der [X.] nicht eingeschränkt. Die Beklagte hat behauptet, sie habe die Flüge von und nach [X.] seit Mitte 2008 aufgrund erheblicher Buchungsrückgänge nahezu vollständig gestrichen. Während die in [X.] stationierten Mitarbeiter bis Anfang 2008 weit überwiegend auch von [X.] aus eingesetzt worden seien, ohne dass es eines sog. Dead-Head bedurft hätte, seien im [X.] nahezu sämtliche Einsätze nach vorheriger Dead-Head-Anreise erfolgt. Ab Mai 2008 habe es durchschnittlich nur noch zwei Legs (Flüge) von bzw. nach [X.] gegeben. Im Jahre 2009 hätten die in [X.] stationierten Mitarbeiter zu 90 % ihrer Einsätze an andere Flughäfen gebracht werden müssen. Hierdurch seien monatliche Mehrkosten in Höhe von [X.] Euro wegen zusätzlicher Dead-Head-Transporte, Übernachtungskosten und Bezahlung zusätzlicher Einsatztage entstanden. Die Ende des Jahres 2008 getroffene unternehmerische Entscheidung, die Station [X.] zu schließen, werde seit Januar 2010 auch umgesetzt. Seitdem würden keine Arbeitnehmer mehr von [X.] aus eingesetzt.

Das Arbeitsgericht hat nach den [X.] erkannt. Das [X.] hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Mit der vom [X.] gegebenen Begründung kann die Klage keinen Erfolg haben. Ob die von der Beklagten ausgesprochene Versetzung wirksam ist, steht noch nicht fest (unter A). Das vertragliche Weisungsrecht der Beklagten umfasst die Befugnis, der Klägerin einen anderen Einsatzort als den bisherigen zuzuweisen (unter [X.]). Ob die Beklagte von ihrem Weisungsrecht einen dem Gesetz entsprechenden, billiges Ermessen wahrenden Gebrauch gemacht hat, konnte der [X.] mangels ausreichender Feststellungen nicht entscheiden (unter [X.]I). Die Revision führt daher zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Sollte es noch auf die Wirksamkeit der Änderungskündigung ankommen, kann die Klage auch insoweit mit der vom [X.] gegebenen Begründung keinen Erfolg haben (unter B).

A. Mit der von ihm gegebenen Begründung durfte das [X.] nicht die Unwirksamkeit der von der Beklagten ausgesprochenen Versetzung annehmen. Ob die Versetzung von [X.] nach [X.] unwirksam ist, steht noch nicht fest.

I. Das vertragliche Weisungsrecht der Beklagten umfasst die Befugnis, der Klägerin nach Maßgabe des § 106 [X.] einen anderen Einsatzort als den bisherigen zuzuweisen.

1. Bei der Prüfung der Wirksamkeit einer Versetzung, die auf Regelungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen gemäß § 305 ff. [X.] beruht, ist zunächst durch Auslegung der Inhalt der vertraglichen Regelungen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu ermitteln (im Einzelnen: [X.] 25. August 2010 - 10 [X.]/09 - Rn. 17 bis 31, AP [X.] § 106 Nr. 11 = EzA [X.] 2002 § 307 Nr. 49). Festzustellen ist, ob ein bestimmter Tätigkeitsinhalt und Tätigkeitsort vertraglich festgelegt sind und welchen Inhalt ein ggf. vereinbarter Versetzungsvorbehalt hat ([X.] 19. Januar 2011 - 10 [X.] - Rn. 12, AP [X.] § 307 Nr. 50 = EzA [X.] § 106 Nr. 7).

a) Allgemeine Geschäftsbedingungen sind dabei nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei nicht die [X.] des konkreten, sondern die des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Ansatzpunkt für die nicht am Willen der konkreten Vertragspartner zu orientierende Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der [X.]. Ist der Wortlaut eines Formularvertrags nicht eindeutig, kommt es für die Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus der Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist, wobei der [X.] verständiger und redlicher Vertragspartner beachtet werden muss (zB [X.] 10. Dezember 2008 - 10 [X.] - Rn. 14, AP [X.] § 307 Nr. 40 = EzA [X.] 2002 § 307 Nr. 40). Von Bedeutung für das Auslegungsergebnis sind ferner der von den Vertragsparteien verfolgte Regelungszweck sowie die der jeweils anderen Seite erkennbare Interessenlage der Beteiligten ([X.] 9. Juni 2010 - 5 [X.] - Rn. 36, AP [X.] § 611 Abhängigkeit Nr. 121 = EzA [X.] 2002 § 611 Arbeitnehmerbegriff Nr. 18).

b) Bei der Auslegung der vertraglichen Bestimmungen ist zu beachten, dass die Bestimmung eines Orts der Arbeitsleistung in Kombination mit einer im Arbeitsvertrag durch Versetzungsvorbehalt geregelten Einsatzmöglichkeit im gesamten Unternehmen regelmäßig die vertragliche Beschränkung auf den im Vertrag genannten Ort der Arbeitsleistung verhindert ([X.] 19. Januar 2011 - 10 [X.] - Rn. 15, AP [X.] § 307 Nr. 50 = EzA [X.] § 106 Nr. 7; 13. April 2010 - 9 [X.] - Rn. 27, AP [X.] § 307 Nr. 45 = EzA [X.] 2002 § 307 Nr. 47; Preis/Genenger [X.], 969, 970). Es macht keinen Unterschied, ob im Arbeitsvertrag auf eine Festlegung des Orts der Arbeitsleistung verzichtet und diese dem Arbeitgeber im Rahmen von § 106 [X.] vorbehalten bleibt oder ob der Ort der Arbeitsleistung bestimmt, aber die Möglichkeit der Zuweisung eines anderen Orts vereinbart wird. In diesem Fall wird lediglich klargestellt, dass § 106 Satz 1 [X.] gelten und eine Versetzungsbefugnis an andere Arbeitsorte bestehen soll.

c) Fehlt es an einer Festlegung des Inhalts oder des Orts der Leistungspflicht im Arbeitsvertrag, ergibt sich der Umfang der Weisungsrechte des Arbeitgebers aus § 106 [X.]. Auf die Zulässigkeit eines darüber hinaus vereinbarten Versetzungsvorbehalts kommt es dann nicht an. Weist der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen anderen Arbeitsort zu, so unterliegt dies der [X.] gemäß § 106 Satz 1 [X.], § 315 Abs. 3 [X.].

2. Die Auslegung des Arbeitsvertrags der Klägerin ergibt, dass ihr Einsatzort nicht vertraglich festgelegt ist.

a) Nach den Feststellungen des [X.]s haben die Parteien einen Formularvertrag geschlossen, auf den die Vorschriften über Allgemeine Geschäftsbedingungen nach § 305 ff. [X.] zur Anwendung kommen. Die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen durch das Berufungsgericht unterliegt der vollen revisionsrechtlichen Nachprüfung ([X.] 24. Oktober 2007 - 10 [X.] - Rn. 15, [X.]E 124, 259).

b) Der schriftliche Arbeitsvertrag vom 26. September 1990 enthält keine Festlegung des [X.]. Es heißt dort, der Einsatzort sei „grundsätzlich“ [X.], der Arbeitgeber könne die Klägerin „auch vorübergehend oder auf Dauer … an einem anderen Ort … einsetzen“. Damit ist hinreichend klargestellt, dass die Bestimmung des Einsatzorts im Vertrag lediglich die erstmalige Ausübung des Weisungsrechts in Bezug auf den Arbeitsort darstellt. Daran konnte für die Beteiligten kein Zweifel bestehen.

c) Auch durch die Mitteilung der Beklagten vom 13. Oktober 1995 ist keine vertragliche Festlegung des [X.] erfolgt. Nach dem Schreiben wurde der Stationierungsort auf Wunsch der Klägerin von [X.] nach [X.] verlegt. Diese im Schreiben selbst als „Versetzung“ bezeichnete Maßnahme hielt sich im Rahmen der durch den Arbeitsvertrag beschriebenen Grenzen des Weisungsrechts. Die Vertragsbedingungen sollten - abgesehen von der Versetzung - ausdrücklich unverändert bleiben.

d) Der Arbeitsvertrag hat sich im Hinblick auf den Arbeitsort nicht dadurch auf [X.] konkretisiert, dass die Klägerin bis zur Versetzung nach [X.] rund 14 Jahre dort tätig gewesen ist. Eine den Arbeitsvertrag abändernde Vereinbarung haben die Parteien nicht - insbesondere auch nicht stillschweigend - getroffen.

aa) Es ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen, dass [X.] sich, ohne dass darüber ausdrückliche Erklärungen ausgetauscht werden, nach längerer [X.] auf bestimmte Arbeitsbedingungen konkretisieren (vgl. [X.] 17. August 2011 - 10 [X.] - Rn. 19 mwN, EzA [X.] § 106 Nr. 9). Die Nichtausübung des Direktionsrechts über einen längeren [X.]raum schafft aber regelmäßig keinen Vertrauenstatbestand dahingehend, dass der Arbeitgeber von diesem vertraglich und/oder gesetzlich eingeräumten Recht in Zukunft keinen Gebrauch mehr machen will. Die Nichtausübung des Direktionsrechts hat keinen Erklärungswert. Nur beim Hinzutreten besonderer Umstände, aufgrund derer der Arbeitnehmer darauf vertrauen darf, dass er nicht in anderer Weise eingesetzt werden soll, kann es durch konkludentes Verhalten zu einer vertraglichen Beschränkung der Ausübung des Direktionsrechts kommen ([X.] 17. August 2011 - 10 [X.] - aaO).

bb) Derartige besondere Umstände hat die Klägerin nicht vorgetragen. Dass die Beklagte im Jahre 1995 auf den Wunsch der Klägerin nach Versetzung eingegangen ist und sie in [X.] stationiert hat, konnte für sich genommen keinen Vertrauenstatbestand begründen und keine Konkretisierung der Arbeitspflicht auf diesen Arbeitsort bewirken, da der Arbeitsvertrag - abgesehen von der durch Versetzung erfolgten Stationierung in [X.] - unverändert weiter galt.

e) Der Auffassung des [X.]s, die Beklagte habe sich durch die [X.] ein über § 106 [X.] hinausgehendes Versetzungsrecht vorbehalten, kann der [X.] nicht zustimmen. Legt der Arbeitsvertrag, wie im Streitfall, den Ort der Arbeitsleistung nicht fest, so unterliegt ein zusätzlich im Arbeitsvertrag enthaltener Versetzungsvorbehalt keiner gesonderten Inhaltskontrolle. Die Grenzen des Weisungsrechts ergeben sich in diesem Fall unmittelbar aus § 106 [X.]. Die Vorschrift beinhaltet die Entscheidung des Gesetzgebers über die Frage, welchen Anforderungen die Ausübung des Weisungsrechts in den Fällen gerecht werden muss, in denen der Arbeitsvertrag das Weisungsrecht nicht weiter ausdehnt, als es im Gesetz vorausgesetzt ist. Da § 106 [X.] gerade auch die Bestimmung des [X.] der Weisungsmacht des Arbeitgebers zuordnet, kann eine nicht darüber hinausgehende vertragliche Zuweisung des Bestimmungsrechts nicht mit den Grundgedanken der gesetzlichen Regelung über das Weisungsrecht in Widerstreit treten. Die vom [X.] missbilligte Vertragsklausel räumt nach ihrem Wortlaut, insbesondere hinsichtlich des [X.], dem Arbeitgeber keine über § 106 [X.] hinausgehenden Rechte ein. Mit ihr ist nicht gesagt, dass die Beklagte etwa ohne Ausübung billigen Ermessens den Ort der Arbeitsleistung einseitig verändern könnte.

II. Ob die Beklagte von ihrem Weisungsrecht einen § 106 [X.], § 315 [X.] entsprechenden, billiges Ermessen wahrenden Gebrauch gemacht hat, konnte der [X.] mangels ausreichender Feststellungen nicht entscheiden.

1. Dem Inhaber des Bestimmungsrechts nach § 315 Abs. 1 [X.] verbleibt für die rechtsgestaltende Leistungsbestimmung ein nach billigem Ermessen auszufüllender Spielraum. Innerhalb des Spielraums können dem [X.] mehrere Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Dem Gericht obliegt nach § 315 Abs. 3 [X.] die Prüfung, ob der Arbeitgeber als Gläubiger die Grenzen seines Bestimmungsrechts beachtet hat (vgl. [X.] 18. Oktober 2007 - III ZR 277/06 - Rn. 20, [X.]Z 174, 48). Das [X.] hat, von seinem Standpunkt aus folgerichtig, die Entscheidung der Beklagten nicht in diesem Sinne überprüft. Das wird es nachzuholen haben und dabei die nachfolgenden Maßgaben beachten müssen.

2. Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen (§ 106 Satz 1 [X.], § 315 [X.]) verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit.

a) In die Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Hierzu gehören die Vorteile aus einer Regelung, die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien, die beiderseitigen Bedürfnisse, außervertragliche Vor- und Nachteile, Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie [X.] Lebensverhältnisse, wie familiäre Pflichten und Unterhaltsverpflichtungen ([X.] 13. April 2010 - 9 [X.] - Rn. 40, AP [X.] § 307 Nr. 45 = EzA [X.] 2002 § 307 Nr. 47; 21. Juli 2009 - 9 [X.]/08 - Rn. 22, [X.] § 4 Luftfahrt Nr. 18; so bereits auch: 28. November 1989 - 3 [X.] - zu II 1 a der Gründe, [X.]E 63, 267). Eine [X.] Auswahl wie im Falle des § 1 Abs. 3 [X.] findet nicht statt. Soweit es auf die Zumutbarkeit des neu zugewiesenen [X.] ankommt, kann aus den sozialrechtlichen Regeln über die Zumutbarkeit einer Beschäftigung kein belastbarer Maßstab für die arbeitsrechtliche Beurteilung des Ermessensgebrauchs nach § 106 Satz 1 [X.], § 315 [X.] bei einer Versetzung abgeleitet werden (vgl. [X.] 17. August 2011 - 10 [X.] - Rn. 22, 25, EzA [X.] § 106 Nr. 9).

b) Zugunsten der Beklagten wird im Streitfall deren vom [X.] festgestellte unternehmerische Entscheidung zur Schließung des Standorts [X.] mit einem erheblichen Gewicht in die Abwägung einzubeziehen sein. Die Beklagte hat hierfür wirtschaftliche Erwägungen von beträchtlicher Tragweite, so zB andernfalls eintretende finanzielle Mehrbelastungen in Höhe von nahezu 100.000,00 Euro monatlich geltend gemacht, die ihrer Maßnahme auch angesichts der für die Klägerin damit verbundenen Nachteile ein ausreichendes Maß an Plausibilität verleihen und sie deshalb nicht als missbräuchlich oder willkürlich erscheinen lassen, wie auch das [X.] erkannt hat.

c) Das [X.] wird sein Augenmerk ferner darauf richten müssen, dass die Beklagte mit der Personalvertretung maßgebliche Abmilderungen der für die Arbeitnehmer entstehenden Mehraufwendungen an Freizeit und Fahrtkosten vereinbart hat. Andererseits ist festzustellen, welche konkreten Auswirkungen die Versetzung für die Klägerin hat, insbesondere in welchem Umfang Fahrten nach und von [X.] anfallen. Die Auffassung des [X.]s, die Beklagte verlagere in unbilliger Weise das Risiko, für die Transportkosten zum Einsatzort aufkommen zu müssen, auf die Arbeitnehmer, dürfte dagegen schwerlich zutreffen. Offenbar ist die tariflich vorgesehene Übernahme der Dead-Head-Kosten durch die Beklagte vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Besatzungen im Regelfall die Arbeit am jeweils festgelegten Dienstort aufnehmen und die Bezahlung der Dead-Head-Kosten die Ausnahme bildet. Ob der Beklagten eine Beschäftigung der Klägerin an einem anderen, für die Klägerin günstigeren Einsatzort möglich war und ob persönliche Verhältnisse auf Seiten der Klägerin von Gewicht vorhanden sind, die die Entscheidung der Beklagten als unbillig erscheinen lassen, ist bisher nicht ersichtlich.

d) Die vom [X.] im Zusammenhang mit der Überprüfung der Änderungskündigung ins Feld geführte Möglichkeit, der Klägerin vorübergehend die befristete Beschäftigung als Purserette bei der Tochtergesellschaft [X.] zuzuweisen, kann nicht als die Klägerin weniger belastende Maßnahme in Betracht kommen. Solange - wie im Streitfall - eine unbefristete vertragsgemäße Weiterbeschäftigung beim bisherigen Arbeitgeber möglich ist, ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, dem Arbeitnehmer eine befristete Beschäftigung bei einem anderen Unternehmen zuzuweisen.

B. Die Entscheidung des [X.]s über die nur hilfsweise ausgesprochene Änderungskündigung war ebenfalls aufzuheben. Sollte das [X.] zu dem Ergebnis kommen, dass die Versetzung unwirksam ist, wird es erneut über die Wirksamkeit der Änderungskündigung zu entscheiden haben und dabei die nachfolgenden Erwägungen zugrunde legen müssen.

I. Eine betriebsbedingte Änderungskündigung ist nur wirksam, wenn sich der Arbeitgeber bei Vorliegen eines Kündigungsgrundes darauf beschränkt hat, solche Änderungen vorzuschlagen, die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muss. Im Rahmen von § 1 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 2 [X.] ist dabei zu prüfen, ob das Beschäftigungsbedürfnis für den Arbeitnehmer zu den bisherigen Vertragsbedingungen entfallen ist (st. Rspr., vgl. zuletzt [X.] 29. September 2011 - 2 [X.] - Rn. 17, AP [X.] 1969 § 2 Nr. 151 = EzA [X.] § 2 Nr. 82; 10. September 2009 - 2 [X.] 822/07 - Rn. 24, [X.]E 132, 78). Ob der Arbeitnehmer eine ihm vorgeschlagene Änderung billigerweise hinnehmen muss, ist nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu ermitteln. Die Änderungen müssen geeignet und erforderlich sein, um den Inhalt des Arbeitsvertrags den geänderten Beschäftigungsmöglichkeiten anzupassen. Diese Voraussetzungen müssen für alle Vertragsänderungen vorliegen. Ausgangspunkt ist die bestehende vertragliche Regelung. Die angebotenen Änderungen dürfen sich nicht weiter vom bisherigen Inhalt des Arbeitsverhältnisses entfernen, als dies zur Erreichung des angestrebten Ziels erforderlich ist ([X.] 29. September 2011 - 2 [X.] - aaO; 10. September 2009 - 2 [X.] 822/07 - aaO).

II. Danach dürfte die Änderungskündigung aus dringenden betrieblichen Erfordernissen gerechtfertigt sein.

1. Nicht zu beanstanden ist die Würdigung des [X.]s, dass die bisherige Beschäftigungsmöglichkeit für die Klägerin entfallen ist. Die Beklagte hat, ohne dass Anzeichen für Missbräuchlichkeit oder Willkür erkennbar wären, beschlossen, den Standort [X.], an dem die Klägerin bisher beschäftigt war, zu schließen.

2. Entgegen der Auffassung des [X.]s durfte sich die Beklagte bei ihrem Änderungsangebot darauf beschränken, der Klägerin nur solche Vertragsänderungen anzutragen, die aufgrund des Wegfalls der bisherigen Beschäftigungsmöglichkeit erforderlich waren. Die vom [X.] als weniger einschneidend angesehene befristete Beschäftigung bei ihrer Tochtergesellschaft musste die Beklagte der Klägerin nicht anbieten. Jedenfalls solange eine unbefristete Weiterbeschäftigung möglich ist, muss der Arbeitgeber nicht die befristete Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber anbieten. Dies gilt schon deshalb, weil dieses Angebot Vertragsänderungen umfassen würde, die über den durch den Wegfall der bisherigen Beschäftigungsmöglichkeit veranlassten Umfang an Vertragsänderungen hinausgingen. Die Beklagte ist ihrer Verpflichtung nachgekommen, bei Bestehen mehrerer Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten diejenige anzubieten, die für den Arbeitnehmer als die günstigste erscheint (vgl. [X.] 22. September 2005 - 2 [X.] 519/04 - Rn. 29, [X.]E 116, 7).

        

    Mikosch    

        

    [X.]    

        

    [X.]    

        

        

        

    Schürmann    

        

    R. Bicknase    

                 

Meta

10 AZR 296/11

13.06.2012

Bundesarbeitsgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Hannover, 24. Februar 2010, Az: 9 Ca 185/09, Urteil

§ 2 KSchG, § 106 GewO, § 305 BGB, § 315 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.06.2012, Az. 10 AZR 296/11 (REWIS RS 2012, 5699)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 5699

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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