Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.11.2012, Az. XII ZB 17/12

12. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 1676

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Gegenstand

Betreuungsverfahren: Berücksichtigung neuer tatsächlicher Umstände in der Rechtsbeschwerdeinstanz aus verfahrensökonomischen Gründen


Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1 wird der Beschluss der 23. Zivilkammer des [X.] vom 22. Dezember 2011 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das [X.] zurückverwiesen.

[X.]: 7.453 €

Gründe

I.

1

Die Beteiligte zu 3, die Landeskasse, fordert aus übergegangenem Recht die Rückzahlung der Betreuervergütung vom Erben der Betroffenen, dem Beteiligten zu 1.

2

Über das Vermögen der Betroffenen war im April 2007 das Regelinsolvenzverfahren eröffnet worden, das nach ihrem Tod am 10. August 2010 in ein Nachlassinsolvenzverfahren übergeleitet wurde. Nachdem der Insolvenzverwalter die Gläubiger der Betroffenen, darunter auch die Landeskasse, in Kenntnis gesetzt hatte, dass die Betroffene durch eine Erbschaft Vermögen erworben hatte, forderte das Amtsgericht die aus der Landeskasse an die Betreuerin gezahlte Vergütung für den Zeitraum vom 8. März 2007 bis 9. August 2010 in Höhe von 7.453,60 € aus dem Nachlass der Betroffenen zurück. Der Erbe der Betroffenen erhebt die Einrede der Verjährung und beruft sich auf den Vorrang des Insolvenzverfahrens. Seine Beschwerde hat das [X.] zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde, mit der er die Aufhebung des [X.]es begehrt.

3

Mit Beschluss vom 20. August 2012 hat das Amtsgericht das Nachlassinsolvenzverfahren gemäß § 212 [X.] wegen Wegfalls des [X.] eingestellt.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde ist nach § 70 Abs. 2 FamFG statthaft, weil das [X.] sie zugelassen hat.

5

Sie ist auch begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

6

1. Das [X.] hat ausgeführt, der Rückforderungsanspruch der Landeskasse bestehe nach §§ 1908 i, 1836 e BGB und sei weder verjährt, noch sei die Festsetzung wegen des laufenden [X.] unzulässig. Nach Art. 229 § 23 Abs. 2 Satz 1 EGBGB beginne der Lauf der Regelverjährungsfrist erst am 1. Januar 2010. Beim Erstattungsanspruch handele es sich um eine Erbfallschuld, die nach Erlass des Rückforderungsbescheids als Nachlassverbindlichkeit im Insolvenzverfahren zur Tabelle anzumelden sei.

7

2. Dies hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

8

a) Nicht frei von [X.] ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass die gesamte Regressforderung der Landeskasse zum Zeitpunkt des Erlasses des [X.]es im November 2011 noch nicht verjährt sei. Wie der [X.] nach Erlass der angefochtenen Entscheidung entschieden hat, verjähren die - gemäß § 1836 e Abs. 1 Satz 1 BGB auf die Staatskasse übergegangenen - Vergütungs- bzw. Aufwendungsersatzansprüche des Betreuers aus § 1908 i Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 1835, 1836 BGB in drei Jahren. Zugleich hat der [X.] entschieden, dass die Mittellosigkeit des Betreuten im Sinne von § 1836 d BGB dem Verjährungsbeginn nicht entgegensteht und nicht zu einer Hemmung der Verjährung nach § 204 BGB führt. Schließlich findet die Übergangsregelung des Art. 229 § 23 EGBGB auf den Regressanspruch aus § 1836 e BGB keine Anwendung (vgl. insgesamt [X.]sbeschlüsse vom 25. Januar 2012 - [X.] 461/11 - FamRZ 2012, 627 und [X.] 605/10 - BtPrax 2012, 118; zu dem auf die Staatskasse übergegangenen Aufwandsentschädigungsanspruch siehe [X.]sbeschluss vom 25. Januar 2012 - [X.] 497/11 - FamRZ 2012, 629).

9

Die auf die Staatskasse übergegangenen Ansprüche für das [X.] waren demnach zum Zeitpunkt des Erlasses des [X.]es im November 2011 nach § 195 i.V.m. § 199 Abs. 1 BGB verjährt.

b) Die Frage nach dem Vorrang und der Unterbrechungswirkung des Insolvenzverfahrens, derentwegen das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde zugelassen hat, kann dahin stehen, da das Nachlassinsolvenzverfahren zwischenzeitlich im August 2012 nach § 212 [X.] wegen Wegfalls des [X.] eingestellt worden ist.

Diese in der [X.] eingetretene neue Tatsache ist auch zu berücksichtigen, da ihre Berücksichtigung den Grundsätzen der Prozesswirtschaftlichkeit entspricht. § 74 Abs. 3 Satz 4 FamFG bestimmt in entsprechender Anwendung von § 559 ZPO, welche Tatsachengrundlage für die Entscheidung des [X.] maßgebend ist; nämlich nur dasjenige Parteivorbringen, das aus dem Berufungsurteil bzw. der Beschwerdeentscheidung und dem Sitzungsprotokoll bzw. den Vermerken über [X.] (§ 28 Abs. 4 FamFG) ersichtlich ist. Damit ist in der [X.] eine Nachprüfung tatsächlicher Verhältnisse grundsätzlich ausgeschlossen ([X.]/[X.] FamFG 17. Aufl. § 74 Rn. 29). Eine Ausnahme hiervon gilt aus Gründen der Verfahrensökonomie, also im Interesse einer möglichst raschen und Kosten sparenden Erledigung der Sache bei Vermeidung eines neuen Verfahrens, wenn die Berücksichtigung neuer tatsächlicher Umstände keine nennenswerte Mehrarbeit verursacht ([X.]surteil vom 21. November 2001 - [X.] - FamRZ 2002, 318, 319 und [X.]sbeschluss vom 17. Oktober 2010 - [X.] 161/94 - FamRZ 2002, 93, 94; [X.]/[X.] FamFG 17. Aufl. § 74 Rn. 36). Voraussetzung für die Berücksichtigung neuer Tatsachen ist aber stets, dass sie schützenswerte Belange anderer Beteiligter nicht verletzt ([X.]/[X.] FamFG 17. Aufl. § 74 Rn. 38).

Würde die Einstellung des [X.] während des laufenden Rechtsbeschwerdeverfahrens nicht berücksichtigt, und käme man zu dem Ergebnis, dass der [X.] wegen des Vorrangs des Insolvenzverfahrens nicht hätte ergehen dürfen, wie die Rechtsbeschwerde reklamiert, wäre er aufzuheben und die Staatskasse darauf zu verweisen, ihre Forderung zur Insolvenztabelle anzumelden. Nach Einstellung des Verfahrens gibt es indes keine Tabelle mehr, zu der die Forderung angemeldet werden könnte, so dass ein solcher Beschluss obsolet wäre. Aber auch in dem Fall, in dem ein laufendes Insolvenzverfahren dem Erlass des [X.]es nicht entgegenstehen würde, wäre der Beschluss des [X.]s aufzuheben, da die Verjährung nicht rechtsfehlerfrei beurteilt wurde. [X.] Belange eines Beteiligten werden durch die Berücksichtigung der Einstellung des Insolvenzverfahrens auch nicht verletzt.

3. Der [X.] kann allerdings nicht gemäß § 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG in der Sache abschließend entscheiden, da noch weitere Feststellungen dazu erforderlich sind, welcher Teil der festgestellten Gesamtsumme von 7.453,60 € auf das [X.] entfällt.

Dose                             Weber-Monecke                                        [X.]

              Schilling                                        [X.]

Meta

XII ZB 17/12

07.11.2012

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Bielefeld, 22. Dezember 2011, Az: 23 T 754/11

§ 1836e BGB, § 1908i Abs 1 S 1 BGB, § 74 Abs 3 S 4 FamFG, § 212 InsO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.11.2012, Az. XII ZB 17/12 (REWIS RS 2012, 1676)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1676

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