Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 23.03.2021, Az. 4 BN 35/20

4. Senat | REWIS RS 2021, 7604

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Gegenstand

Wirksamkeit der Baugenehmigung bei Nutzungsunterbrechungen


Tenor

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28. Februar 2020 erlassenen Urteil des [X.] wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.

Gründe

1

Die auf alle Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte [X.]eschwerde hat keinen Erfolg.

2

1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche [X.]edeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die ihr die [X.]eschwerde beimisst.

3

Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer [X.]edeutung über den der [X.]eschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der [X.]eschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 [X.] 78.61 - [X.]VerwGE 13, 90 <91> und vom 14. Oktober 2019 - 4 [X.] - [X.] 2020, 173 Rn. 4).

4

Die [X.]eschwerde möchte grundsätzlich klären lassen,

5

ob eine [X.]augenehmigung ihre Wirksamkeit verliert und sich damit nach § 43 Abs. 2 VwVfG in sonstiger Weise erledigt, wenn die durch sie zugelassene Nutzung durch eine neue Nutzung abgelöst wird. Es müsse geklärt werden, ob das von dem [X.] entwickelte [X.] auf einen Nutzungswechsel anwendbar ist, so dass mit einer Nutzungsunterbrechung von mehr als zwei Jahren die Wirksamkeit der [X.]augenehmigung entfällt.

6

Diese Frage führt nicht zur Zulassung der Revision, weil ihre Entscheidungserheblichkeit nicht dargelegt ist.

7

Die [X.]eschwerde nimmt [X.]ezug auf die Entscheidung des Senats vom 18. Mai 1995 - 4 C 20.94 - ([X.]VerwGE 98, 235 <240>), die die Grundsätze des sogenannten "[X.]s" als Orientierungshilfe für die Frage heranzieht, nach welchem Zeitablauf ein Wechsel der Grundstückssituation auf den [X.]estandsschutz durchschlägt. Das [X.] ist zu § 35 Abs. 5 Nr. 2 [X.] (nunmehr § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 [X.]auG[X.]) entwickelt worden, der eine erleichterte Zulassung der alsbaldigen Neuerrichtung eines zulässigerweise errichteten, durch [X.]rand, Naturereignisse oder andere außergewöhnliche Ereignisse zerstörten, gleichartigen Gebäudes an gleicher Stelle vorsah. Nach dem Modell rechnet die Verkehrsauffassung im [X.] nach der Zerstörung eines [X.]auwerks stets mit dem Wiederaufbau. Im [X.] besteht eine Regelvermutung für die Erwartung des Wiederaufbaus. Diese Vermutung kehrt sich nach Ablauf von zwei Jahren um: Der [X.]auherr hat dann besondere Gründe dafür darzulegen, dass die Zerstörung des Gebäudes noch keinen als endgültig erscheinenden Zustand herbeigeführt hat ([X.]VerwG, Urteil vom 21. August 1981 - 4 C 65.80 - [X.]VerwGE 64, 42 <44 ff.>).

8

Der zitierten Rechtsprechung lässt sich nicht entnehmen, dass bei einer Nutzungsunterbrechung von mehr als zwei Jahren die Wirksamkeit einer zugrundeliegenden [X.]augenehmigung stets und gleichsam automatisch entfällt, sondern allenfalls, dass die Verkehrsauffassung nach einem Zeitablauf von etwa zwei Jahren nicht mehr mit der Wiederaufnahme einer unterbrochenen Nutzung rechnet, sofern keine besonderen Gründe vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist bei der Prüfung, ob ein konkludenter Verzicht auf die Genehmigung vorliegt, zu dem Ergebnis gekommen, dass dies nicht der Fall ist, sondern im Gegenteil Umstände vorliegen, die auf die Absicht der Antragsteller schließen lassen, den als Nebenerwerb angelegten landwirtschaftlichen [X.]etrieb zu erweitern ([X.] f.). Vor diesem Hintergrund hätte die [X.]eschwerde darlegen müssen, dass es auf die Übertragbarkeit des [X.]s auf den vorliegenden Fall entscheidungserheblich ankommt.

9

Ob dem [X.] im Falle einer Nutzungsunterbrechung bei genehmigten Vorhaben [X.]edeutung zukommt, bleibt offen ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 5. Mai 2015 - 4 [X.] 2.15 - juris Rn. 18 m.w.N.).

2. Die Revision ist nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Der [X.] der Abweichung liegt nur vor, wenn die Vorinstanz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem ihre Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz einem ebensolchen Rechtssatz des [X.]s, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des [X.] oder des [X.]verfassungsgerichts widerspricht (stRspr, vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 20. Dezember 1995 - 6 [X.] 35.95 - NVwZ-RR 1996, 712).

a) Eine Abweichung von dem Urteil des [X.]s vom 25. März 1988 - 4 C 21.85 - ([X.] Nr. 47) ist nicht dargetan. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt, dass der Tatbestand der Divergenz nicht nur durch die Angabe der höchstrichterlichen Entscheidung, von der abgewichen sein soll, sondern auch durch eine präzise Gegenüberstellung der divergierenden Rechtssätze dargelegt wird (stRspr, vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 17. Dezember 2010 - 8 [X.] 38.10 - [X.] 2011, 45 und vom 17. Februar 2015 - 1 [X.] 3.15 - juris Rn. 7). Daran fehlt es. Die [X.]eschwerde bezeichnet keinen Rechtssatz, mit dem sich das Oberverwaltungsgericht in Widerspruch zu der Entscheidung des [X.]s gesetzt haben könnte, sondern kritisiert der Sache nach die Rechtsanwendung. Hierauf kann eine Zulassung der Revision nicht gestützt werden (stRspr, vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 25. Januar 2005 - 9 [X.] 38.04 - NVwZ 2005, 447 = juris Rn. 16 und vom 24. August 2017 - 4 [X.] 35.17 - juris Rn. 10). Davon abgesehen betraf das von der [X.]eschwerde angeführte Urteil einen Sachverhalt, in dem eine Genehmigung für die beabsichtigte Nutzung nicht vorlag und damit eine andere Fallgestaltung, als sie dem angegriffenen Urteil zugrunde liegt.

b) In [X.]ezug auf den Kammerbeschluss des [X.]verfassungsgerichts vom 15. Dezember 1995 - 1 [X.]vR 1713/92 - ([X.], 235) und das Urteil des [X.]s vom 18. Mai 1995 - 4 C 20.94 - ([X.]VerwGE 98, 235) fehlt es ebenfalls an der Herausarbeitung und Gegenüberstellung abstrakter Rechtssätze. Mit der Kritik, das Oberverwaltungsgericht habe die höchstrichterlichen Vorgaben nicht beachtet oder jedenfalls unzutreffend umgesetzt, kann eine Divergenz nicht dargelegt werden (stRspr, vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 19. August 1997 - 7 [X.] 261.97 - [X.]uchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14 und vom 16. Juni 2020 - 4 [X.] 53.19 - juris Rn. 3).

c) Es liegt auch keine Divergenz zu dem [X.]eschluss des [X.]s vom 5. Juni 2007 - 4 [X.] 20.07 - ([X.] 2007, 696) vor. Diese Entscheidung ist zu § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 [X.]auG[X.] und damit zu einer anderen Rechtsvorschrift ergangen als die angegriffene Entscheidung.

3. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensfehlers nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

a) Ein Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO liegt nicht vor. Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Fehler in der Sachverhalts- oder [X.]eweiswürdigung sind revisionsrechtlich grundsätzlich dem sachlichen Recht und nicht dem Verfahrensrecht zuzuordnen. Die Freiheit der richterlichen Überzeugungsbildung ist erst dann überschritten, wenn das Gericht seiner Sachverhalts- und [X.]eweiswürdigung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt, sondern nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt. Gleiches gilt, wenn die von ihm gezogenen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen oder sonst von objektiver Willkür geprägt sind. Diese Verstöße gegen den Überzeugungsgrundsatz können als Verfahrensmängel gerügt werden (stRspr, vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 19. Dezember 2018 - 8 [X.] 12.18 - juris Rn. 23 m.w.N.).

Die [X.]eschwerde rügt die Feststellung des [X.], für eine Erledigung der beiden [X.]augenehmigungen vom 20. Februar 1962 und vom 23. September 1974 sei nichts ersichtlich. Hätte das Oberverwaltungsgericht den Inhalt der [X.]augenehmigungen, die Nutzungsänderung einer Garage zu Wohnzwecken sowie den Inhalt der Stellungnahmen und Einwendungen im Verfahren in seine Erwägungen einbezogen, hätte sich ihm aufdrängen müssen, dass die alten Genehmigungen durch Aufnahme einer neuen Nutzung erloschen seien. Diese Rüge greift nicht durch. Einen offensichtlichen Widerspruch zwischen den Feststellungen der Vorinstanz und dem Akteninhalt legt die [X.]eschwerde nicht dar (vgl. hierzu [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 19. November 1997 - 4 [X.] 182.97 - [X.]uchholz 406.11 § 153 [X.]auG[X.] Nr. 1 S. 1 m.w.N.). Das Oberverwaltungsgericht hat den Sachverhalt zur Kenntnis genommen. Dass es die Sach- und Rechtslage anders würdigt als die [X.]eschwerde, begründet keinen Verfahrensmangel i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (stRspr, vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 19. August 1997 - 7 [X.] 261.97 - [X.]uchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 und vom 14. Oktober 2004 - 6 [X.] 6.04 - [X.]uchholz 115 Sonstiges Wiedervereinigungsrecht Nr. 51).

b) Es liegt auch nicht deshalb ein Verstoß gegen den aus Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO folgenden Anspruch auf rechtliches Gehör vor, weil das Oberverwaltungsgericht Vortrag der Antragsgegnerin aus der mündlichen Verhandlung nicht gewürdigt hätte. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene [X.]eteiligtenvorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Deshalb müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines [X.]eteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (stRspr, vgl. [X.]VerwG, Urteil vom 18. Dezember 2014 - 4 C 35.13 - NVwZ 2015, 656 Rn. 42). Solche Umstände fehlen.

Die [X.]eschwerde meint, anders als von dem Oberverwaltungsgericht angenommen seien Gründe vorgetragen worden, die darauf hindeuteten, dass die genehmigte Nutzung dauerhaft nicht mehr gewollt sei, nämlich die derzeitige Grundstücksnutzung, das Verhalten der Antragsteller im Planungsverfahren sowie die fehlende Geltendmachung konkreter Erweiterungsabsichten. Die Vorinstanz hat sich mit allen drei Aspekten auseinandergesetzt und diese lediglich anders bewertet als die Antragsgegnerin. Die Wahrung rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht aber nicht, der Rechtsauffassung eines [X.]eteiligten zu folgen ([X.]VerfG, [X.]eschluss vom 12. April 1983 - 2 [X.]vR 678/81 u.a. - [X.]VerfGE 64, 1 <12>; [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 14. Juni 2016 - 4 [X.] 45.15 - juris Rn. 86).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.

Meta

4 BN 35/20

23.03.2021

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: BN

vorgehend Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, 28. Februar 2020, Az: 1 C 10752/19.OVG, Urteil

§ 35 Abs 4 S 1 Nr 3 BauGB, § 43 Abs 2 VwVfG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 23.03.2021, Az. 4 BN 35/20 (REWIS RS 2021, 7604)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 7604

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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B 6 KA 13/20 R

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