Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 14.02.2017, Az. 9 AZR 207/16

9. Senat | REWIS RS 2017, 15691

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Gegenstand

Übertragung tariflichen Mehrurlaubs - Gleichlauf


Tenor

1. Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 2. Februar 2016 - 6 [X.] 937/15 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über einen Ersatzurlaubsanspruch des Klägers.

2

Der Kläger ist seit dem 3. November 1975 bei der Beklagten als Betriebsschlosser beschäftigt. Im Arbeitsvertrag vom 31. Oktober 1975 vereinbarten die Parteien die Anwendung des Manteltarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie in der jeweils gültigen Fassung ([X.]). § 15 [X.] lautet auszugsweise wie folgt:

        

§ 15 

Urlaub, Urlaubsgeld

        

I.    

Allgemeine Urlaubsbestimmungen

        

1.    

Der Arbeitnehmer hat in jedem Urlaubsjahr Anspruch auf bezahlten Urlaub. Das Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr.

                 

…       

        

…       

        
        

7.    

[X.] muss im laufenden Urlaubsjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Urlaubsjahr ist nur ausnahmsweise statthaft. Urlaubsansprüche erlöschen, wenn sie nicht bis zum 31. März des folgenden Jahres geltend gemacht sind.

                          
        

II.     

Urlaubsdauer

        

1.    

Der tarifliche Jahresurlaub aller Arbeitnehmer einschließlich der Jugendlichen beträgt 30 Urlaubstage.

        

…“    

        

3

[X.] gewährte die Beklagte dem Kläger insgesamt 19 Urlaubstage. Der Kläger war ab dem 13. Oktober 2014 durchgehend bis einschließlich 7. April 2015 arbeitsunfähig krank. Mit seiner am 17. April 2015 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 22. April 2015 zugestellten Klage hat er zuletzt geltend gemacht, dass ihm noch elf Urlaubstage aus dem [X.] zustehen. Mit [X.] vom 24. September 2015 vereinbarten die Parteien vor dem Arbeitsgericht, dass dem Kläger noch ein Tag gesetzlichen Urlaubs aus dem [X.] zusteht.

4

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der noch offene tarifliche Mehrurlaubsanspruch von zehn Tagen aus dem [X.] sei nicht mit Ablauf des 31. März 2015 verfallen. Der [X.] enthalte bezüglich des Fristenregimes keine von den gesetzlichen Regelungen des [X.] abweichenden Bestimmungen.

5

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

festzustellen, dass ihm aus dem [X.] noch ein [X.] von zehn Arbeitstagen zusteht.

6

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der [X.] enthalte ein eigenes, vom [X.] abweichendes Fristenregime. Die tariflichen Mehrurlaubstage des Klägers seien daher mit Ablauf des 31. März 2015 verfallen.

7

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das [X.] hat die Klage auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

8

A. Die Revision des [X.] ist unbegründet. Das [X.] hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung, dass ihm aus dem [X.] weitere zehn Urlaubstage zustehen.

9

I. Die Feststellungsklage ist zulässig. Der Kläger hat ein rechtliches Interesse daran, durch das Gericht feststellen zu lassen, dass ihm gegen die Beklagte ein aus dem [X.] resultierender [X.]sanspruch zusteht (§ 256 Abs. 1 ZPO). Die Feststellungsklage ist nicht wegen des Vorrangs der Leistungsklage unzulässig (grdl. [X.] 12. April 2011 - 9 [X.] - Rn. 11 bis 15, [X.]E 137, 328).

II. Der Kläger hat keinen Anspruch auf [X.] von zehn Tagen gemäß § 275 Abs. 1 und Abs. 4, § 280 Abs. 1 und Abs. 3, § 283 Satz 1, § 286 Abs. 1, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB. Der noch im Streit stehende tarifliche [X.] aus dem [X.] war verfallen, bevor Verzug hätte eintreten können.

1. Zu Beginn seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit am 13. Oktober 2014 standen dem Kläger nach den Feststellungen des [X.]s gegenüber der Beklagten noch elf Urlaubstage zu. Nach dem gerichtlichen Teilvergleich vom 24. September 2015 wurde ein Tag gesetzlichen Urlaubs bis längstens 31. März 2016 übertragen. Die Parteien streiten damit nur noch darüber, ob dem Kläger weitere zehn Tage tariflicher [X.] aus dem [X.] zustehen.

2. Entgegen der Auffassung des [X.] ist der tarifliche [X.] gemäß § 15 Abschn. I Ziff. 7 des kraft einzelvertraglicher Bezugnahme anwendbaren [X.] mit Ablauf des 31. März 2015 verfallen.

a) Der aus dem [X.] stammende Urlaub hätte - soweit es den gesetzlichen Mindesturlaub betrifft - unbeschadet des Umstands, dass der gesetzliche Übertragungszeitraum grundsätzlich am 31. März 2015 endete (§ 7 Abs. 3 Satz 3 [X.]), fortbestanden. Aufgrund der Vorgaben des Art. 7 der Richtlinie 2003/88/[X.] und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Arbeitszeitrichtlinie, [X.] vom 18. November 2003 S. 9) ist § 7 Abs. 3 [X.] unionsrechtskonform dahin gehend auszulegen, dass der gesetzliche Mindesturlaub nicht vor Ablauf von 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres erlischt, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums krank und deshalb arbeitsunfähig ist (grdl. [X.] 7. August 2012 - 9 [X.] - Rn. 23 ff., [X.]E 142, 371). Da die Arbeitsunfähigkeit des [X.] vom 13. Oktober 2014 bis zum 7. April 2015 und somit über den 31. März 2015 andauerte, wäre der gesetzliche Mindesturlaub aus dem [X.] nicht mit Ablauf des 31. März 2015 untergegangen.

b) Diese Grundsätze gelten nicht für den hier streitgegenständlichen tariflichen [X.]. Die Tarifvertragsparteien haben ein vom [X.] abweichendes, eigenständiges Fristenregime vereinbart.

Dem Untergang des Resturlaubs aus dem [X.] am 31. März 2015 steht deshalb die bis zum 7. April 2015 andauernde krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des [X.] nicht entgegen.

aa) Tarifvertragsparteien können Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 [X.] begründeten Anspruch auf [X.] von vier Wochen übersteigen, frei regeln (vgl. [X.] 3. Mai 2012 - [X.]/10 - [[X.]] Rn. 34 ff. [X.]; [X.] 12. April 2011 - 9 [X.] - Rn. 21, [X.]E 137, 328). Diese Befugnis schließt die Befristung des tariflichen [X.]s ein ([X.] 7. August 2012 - 9 [X.] - Rn. 18, [X.]E 143, 1).

bb) Für einen Regelungswillen der Tarifvertragsparteien, den tariflichen [X.] einem eigenen, von dem des gesetzlichen Mindesturlaubs abweichenden Fristenregime zu unterstellen, müssen deutliche Anhaltspunkte vorliegen. Fehlen solche, ist von einem Gleichlauf des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf tariflichen [X.] auszugehen. Ein Gleichlauf ist nicht gewollt, wenn die Tarifvertragsparteien entweder bei der Befristung und Übertragung bzw. beim Verfall des Urlaubs zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und tariflichem [X.] unterschieden oder sich vom gesetzlichen Fristenregime gelöst und eigenständige, vom [X.] abweichende Regelungen zur Befristung und Übertragung bzw. zum Verfall des Urlaubsanspruchs getroffen haben ([X.] 15. Dezember 2015 - 9 [X.] - Rn. 14; 22. Mai 2012 - 9 [X.] - Rn. 12; zum Verzicht auf Übertragungsgründe vgl. [X.] 14. Februar 2017 - 9 [X.] - Rn. 15).

cc) Die Tarifvertragsparteien des [X.] haben den tariflichen [X.] einem eigenständigen, vom [X.] abweichenden Fristenregime unterstellt.

Nach dem Wortlaut von § 15 Abschn. I Ziff. 7 [X.] muss der Urlaub im laufenden Urlaubsjahr gewährt und genommen werden (Satz 1) und erlischt, wenn er nicht bis zum 31. März des folgenden Jahres geltend gemacht worden ist (Satz 3). Daraus wird der Wille der Tarifvertragsparteien deutlich, der Arbeitnehmer könne seinen Urlaub ohne besondere Gründe vom 1. Januar eines Kalenderjahres bis zum 31. März des Folgejahres geltend machen. Nach § 15 Abschn. I Ziff. 7 Satz 2 [X.] ist eine Übertragung „auf“ das Folgejahr zwar nur ausnahmsweise statthaft. Der [X.] enthält aber keine Kriterien, wann ein solcher Ausnahmefall vorliegen soll. Es handelt sich daher lediglich um eine rechtsfolgenlose Aufforderung an die [X.], den Urlaub im Regelfall im Bezugszeitraum zu nehmen und zu gewähren. Damit weicht der [X.] vom Fristenregime des § 7 Abs. 3 Satz 1 bis Satz 3 [X.] ab. Danach geht der nicht genommene Urlaub grundsätzlich am 31. Dezember des Kalenderjahres unter und wird nur bei Vorliegen der gesetzlichen Übertragungsgründe bis zum 31. März des Folgejahres übertragen. Die tarifliche Regelung unterscheidet sich vom [X.] insoweit, als der Urlaubsanspruch auch ohne das Vorliegen von Übertragungsvoraussetzungen zumindest bis zum 31. März des Folgejahres besteht und bis zu diesem Zeitpunkt geltend gemacht werden kann (vgl. zu einer ähnlich lautenden Tarifvorschrift [X.] 17. November 2015 - 9 [X.] - Rn. 28).

c) Der Kläger machte den streitgegenständlichen [X.] aus dem [X.] erst im April 2015 geltend. Zu diesem Zeitpunkt war der Urlaub gemäß § 15 Abschn. I Ziff. 7 Satz 3 [X.] bereits verfallen. Ein [X.]sanspruch aus Verzug konnte nicht entstehen.

B. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Brühler    

        

    Zimmermann    

        

    Krasshöfer    

        

        

        

    Frank    

        

    Neumann-Redlin    

                 

Meta

9 AZR 207/16

14.02.2017

Bundesarbeitsgericht 9. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Kempten, 24. September 2015, Az: 5 Ca 749/15, Urteil

Art 7 EGRL 88/2003, § 7 Abs 3 BUrlG, § 1 BUrlG, § 3 Abs 1 BUrlG, § 1 TVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 14.02.2017, Az. 9 AZR 207/16 (REWIS RS 2017, 15691)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 15691

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

7 Sa 857/21

9 AZR 145/21

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