Bundesgerichtshof, Urteil vom 18.10.2022, Az. X ZR 36/21

10. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 8056

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Patentnichtigkeitssache: Unterlagen eines Patentanmeldungsverfahrens als der Öffentlichkeit zugängliche Akten; Geltung für eine frühere Patentanmeldung - Gesperre


Leitsatz

Gesperre

1. Unterlagen eines Patentanmeldungsverfahrens, die einem allgemeinen Recht auf Akteneinsicht unterliegen, sind grundsätzlich der Öffentlichkeit zugänglich (Bestätigung von BGH, Urteil vom 29. Februar 2000 - X ZR 166/97, juris Rn. 33).

2. Dies gilt auch für eine frühere Patentanmeldung, deren Priorität die dem Akteneinsichtsrecht unterliegende Anmeldung in Anspruch nimmt.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des 1. Senats ([X.]) des [X.] vom 15. Dezember 2020 wird zurückgewiesen.

Auf die Berufung der Beklagten wird das genannte Urteil abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Beklagte ist Inhaberin des [X.] Patents 10 2009 029 041 (Streitpatents), das am 31. August 2009 angemeldet wurde und ein Kraftfahrzeugschloss betrifft.

2

Patentanspruch 1, auf den neun weitere Ansprüche zurückbezogen sind, lautet:

Schloss für ein Kraftfahrzeug, mit einem Gesperre umfassend eine Drehfalle (1) mit einer [X.] und einer [X.], und umfassend eine Sperrklinke (6) für das Verrasten der Drehfalle (1) in der [X.] und in der [X.], wobei die Sperrklinke (6) in der [X.]position ein schließendes Moment aufweist, und wobei die Kontur der Sperrklinke (6) so beschaffen ist, dass in der [X.]position die Sperrklinke (6) ein öffnendes Moment aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass die Sperrklinke (6) einen ersten Konturbereich (9) für die [X.] und einen davon abweichenden Konturbereich (10a, 10b) für die [X.] aufweist.

3

Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Schutzrecht in der erteilten und hilfsweise in neun geänderten Fassungen verteidigt.

4

Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt, soweit dessen Gegenstand über die mit Hilfsantrag 3 verteidigte Fassung hinausgeht, und die weitergehende Klage abgewiesen. Dagegen richten sich die Berufungen beider Parteien, die ihre erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgen.

Entscheidungsgründe

5

Beide Berufungen sind zulässig. Diejenige der Beklagten ist begründet und führt zur vollständigen Abweisung der Klage. Das Rechtsmittel der Klägerin ist demgegenüber unbegründet.

6

I. Das Streitpatent betrifft ein Schloss für ein Kraftfahrzeug.

7

1. Nach der Beschreibung des Streitpatents umfasst ein solches Schloss üblicherweise ein Gesperre mit einer drehbar gelagerten [X.] zur Aufnahme eines Schließbolzens sowie eine Sperrklinke, mit der die [X.] verrastet werden kann.

8

Die [X.] verfüge üblicherweise über einen gabelförmigen Einlaufschlitz, in den der Schließbolzen beim Schließen der Tür gelange. Der Schließbolzen verdrehe dann die [X.] von einer Öffnungs- in eine Schließstellung. In dieser Stellung - der [X.] - werde die [X.] über die Sperrklinke verrastet, so dass der Schließbolzen den Einlaufschlitz nicht mehr verlassen könne.

9

Es gebe Schlösser mit einer zweiten Rastposition, der so genannten [X.]. Diese diene dazu, die Tür abzufangen, wenn diese beim Schließen die [X.] nicht erreiche. In der [X.] sei die [X.] nicht vollständig geschlossen; eine Öffnungsbewegung werde aber durch die Sperrklinke bereits verhindert.

Aus Gründen der Bedienerfreundlichkeit sei erwünscht, dass sich das Schloss aus der [X.] mit möglichst geringem Kraftaufwand öffnen lasse. Hierdurch dürfe jedoch die Sicherheit und Funktionsfähigkeit nicht beeinträchtigt werden.

Herkömmliche Gesperre seien so ausgelegt, dass über die Verrastung ein schließendes Moment erzeugt werde, d.h. dass ein von der [X.] ausgehender Druck ein Drehmoment erzeuge, so dass die Sperrklinke in ihre Rastposition gezogen oder gedrückt werde. Dieses schließende Moment müsse mit Hilfe der Betätigungseinrichtung zum Öffnen des [X.] überwunden werden.

Aus der Patentanmeldung 10 2007 003 948 ([X.]) sei auch ein Schloss mit einem selbstöffnenden Gesperre bekannt, das ein Öffnen mit geringem Kraftaufwand ermögliche. Bei diesem Schloss bedürfe es einer zweiten Sperrklinke für die [X.].

2. Vor diesem Hintergrund betrifft das Streitpatent das technische Problem, ein Schloss für ein Kraftfahrzeug bereitzustellen, das sich mit geringem Kraftaufwand öffnen lässt und einen möglichst einfachen Aufbau aufweist.

3. Zur Lösung schlägt Patentanspruch 1 ein Schloss für ein Kraftfahrzeug vor, dessen Merkmale sich wie folgt gliedern lassen:

Schloss für ein Kraftfahrzeug mit einem Gesperre, umfassend

1. eine [X.] (1)

a) mit einer [X.] und

b) einer [X.];

2. eine Sperrklinke (6) für das Verrasten der [X.] (1) in der [X.] und in der [X.].

a) Die Sperrklinke (6) weist in der [X.] ein schließendes Moment auf.

b) Die Kontur der Sperrklinke (6) ist so beschaffen, dass die Sperrklinke (6) in der [X.] ein öffnendes Moment aufweist.

c) Die Sperrklinke (6) weist einen ersten [X.] (9) für die [X.] und

d) einen davon abweichenden [X.] (10a, 10b) für die [X.] auf.

4. Einige Merkmale bedürfen näherer Betrachtung.

a) Zentrale Bedeutung kommt den Merkmalen 2 a und 2 b zu, nach denen die Sperrklinke in der [X.] ein schließendes, in der [X.] hingegen ein öffnendes Moment aufweist.

aa) Mit dem Ausdruck "schließendes Moment" knüpft Merkmal 2 b an die oben wiedergegebenen Ausführungen in der Beschreibung an.

Nach der Beschreibung ist ein schließendes Moment schon dann gegeben, wenn die Sperrklinke nicht aufgrund eines durch die [X.] ausgeübten Drucks aus ihrer Raststellung herausgedrängt werden kann. Hierbei ist es zwar vorzugswürdig, dass ein solcher Druck darüber hinaus dazu führt, dass die Sperrklinke in ihre Rastposition gezogen oder gedrängt wird (Abs. 7); zwingend erforderlich ist dies indes schon nach der Beschreibung nicht.

Dieses Verständnis entspricht der Funktion, die Merkmal 2 b nach der Erfindung zukommt.

bb) Das schließende Moment in der [X.] (Merkmal 2 a) ermöglicht es, die Tür in dieser Position ohne Einsatz eines Blockadehebels oder weiterer Elemente zu halten (Abs. 22). Hierzu genügt es zu verhindern, dass die Sperrklinke durch einen von der [X.] ausgeübten Druck aus der [X.] herausgedrängt wird. Ein Hineindrängen in die [X.] ist hingegen nicht erforderlich.

Patentanspruch 1 enthält keine detaillierten Vorgaben dazu, wie groß das schließende Moment der Sperrklinke ist und bis zu welchem Maß an Krafteinwirkung ein Herausdrängen der Sperrklinke sicher verhindert werden muss. Für Kraftfahrzeugschlösser gibt es zwar Sicherheitsvorschriften, die vorgeben, welchen Kräften die Verriegelung in der [X.] standhalten muss. Das Streitpatent nimmt auf solche Vorschriften indes nicht Bezug. Darüber hinaus gibt es nicht zwingend vor, dass die Tür allein durch das schließende Moment der Sperrklinke in der [X.] gehalten wird.

cc) Das öffnende Moment in der [X.] (Merkmal 2 b) ermöglicht es, die Sperrklinke beim Öffnen der Tür mit geringem Kraftaufwand zu verschwenken (Abs. 23).

Um ein ungewolltes Öffnen zu verhindern, sind zusätzliche Elemente erforderlich. Solche Elemente sind in Patentanspruch 1 allerdings nicht vorgegeben. Ihre Ausgestaltung bleibt dem Fachmann überlassen.

Bei dem in der Streitpatentschrift geschilderten Ausführungsbeispiel wird ein Blockadehebel eingesetzt, der ein Verschwenken der Sperrklinke verhindert (Abs. 19). Zum Öffnen der Tür wird der Blockadehebel mittels eines Betätigungselements aus seiner blockierenden Stellung herausbewegt (Abs. 25).

b) Die in den Merkmalen 2 c und 2 d vorgesehenen beiden [X.]e der Sperrklinke sind die Mittel, mit denen das schließende bzw. öffnende Moment erzielt wird.

Für das öffnende Moment ergibt sich dies aus der ausdrücklichen Vorgabe in Merkmal 2 b, wonach der der [X.] zugeordnete [X.] der Sperrklinke so beschaffen ist, dass diese ein öffnendes Moment aufweist.

Für das schließende Moment enthält Merkmal 2 a zwar keine vergleichbare Bezugnahme. Aus dem Zusammenspiel der Merkmale 2 a und 2 c ergibt sich aber, dass die Kontur der Sperrklinke in dem der [X.] zugeordneten Bereich zumindest so angeordnet oder so beschaffen sein muss, dass ein von der [X.] ausgeübter Druck nicht dazu führt, dass die Sperrklinke aus der [X.] herausgedrängt wird. Wie bereits im Zusammenhang mit Merkmal 2 a dargelegt wurde, schließt dies nicht aus, dass weitere Elemente vorhanden sind, die einem solchen Herausdrängen zusätzlich entgegenwirken.

c) Aus der in Merkmal 2 d enthaltenen Vorgabe, dass die Sperrklinke für die [X.] einen vom ersten [X.] abweichenden [X.] aufweisen muss, ergibt sich, dass die beiden [X.]e nicht identisch sein dürfen.

Dies schließt nicht aus, dass sich die beiden Bereiche teilweise überschneiden. Es muss aber zumindest einzelne, voneinander unterscheidbare Abschnitte der Kontur geben, die jeweils nur zu einem der beiden Bereiche gehören.

II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Berufungsverfahren von Interesse, im Wesentlichen wie folgt begründet:

Der Gegenstand von Patentanspruch 1 sei gegenüber der [X.] Patentanmeldung 10 2006 055 438.8 ([X.]), welche als Prioritätsdokument zur [X.] Patentanmeldung 10 2007 003 948 ([X.]) eingereicht worden sei, nicht neu. [X.] zähle zum Stand der Technik, denn zum Zeitpunkt der Anmeldung des Streitpatents habe sie dem allgemeinen Akteneinsichtsrecht für das Patenterteilungsverfahren der [X.] unterlegen.

[X.] offenbare sämtliche Merkmale des Patentanspruchs 1, auch das Merkmal 2 a. Der in [X.] vorgesehene [X.] übe auf die Sperrklinke [X.] in Richtung der [X.] aus, so dass die entsprechende Kontur der Sperrklinke mit einer für die [X.] vorgesehenen Ausnehmung in der [X.] zusammenwirke beziehungsweise in diese eingreife. Dieses Eingreifen müsse zwingend derart ausgestaltet sein, dass ein auf die [X.] in Öffnungsrichtung ausgeübter Druck die Sperrklinke nicht aus der [X.] herauszudrängen vermöge. Die Kontaktpunkte auf der Sperrklinke seien so weit voneinander beabstandet, dass die damit vorgegebenen [X.]e für Vor- und [X.] voneinander abwichen.

III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren in einem entscheidenden Punkt nicht stand.

Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ist der Gegenstand von Patentanspruch 1 in [X.] nicht vollständig offenbart.

1. Zu Recht hat das Patentgericht [X.] als dem Stand der Technik zugehörig angesehen.

Wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, sind Unterlagen eines Patentanmeldungsverfahrens, die einem allgemeinen Recht auf Akteneinsicht unterliegen, grundsätzlich der Öffentlichkeit zugänglich ([X.], Urteil vom 29. Februar 2000 - [X.], juris Rn. 33; ebenso [X.] in [X.], [X.], 11. Aufl. 2015, § 3 Rn. 95; [X.] in Busse/[X.], [X.], 9. Aufl. 2020, § 3 Rn. 39).

Diese Voraussetzungen lagen im Streitfall allerdings nicht in Bezug auf die Anmeldeunterlagen von [X.] selbst vor. Diese Anmeldung ist nicht veröffentlicht worden. Deshalb ist auch kein Hinweis nach § 32 Abs. 5 [X.] ergangen, der gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 [X.] Voraussetzung für das allgemeine Recht auf Akteneinsicht ist.

Vor dem Anmeldetag des Streitpatents ist aber die Anmeldung [X.] veröffentlicht worden, die die Priorität von [X.] in Anspruch nimmt. Damit wurde gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 [X.] ein allgemeines Recht auf Einsicht in die Akten dieser Anmeldung begründet. Gemäß § 40 Abs. 6 [X.] war im Falle eines Einsichtsantrags eine Abschrift von [X.] zu den Akten von [X.] zu nehmen. Mit den Anmeldeunterlagen von [X.] war folglich auch [X.] schon vor dem Anmeldetag des Streitpatents der Öffentlichkeit zugänglich.

2. Entgegen der Auffassung des Patentgerichts offenbart [X.] nicht sämtliche Merkmale von Patentanspruch 1.

a) [X.] betrifft wie das Streitpatent eine Schlosseinheit für Kraftfahrzeuge mit [X.] und Sperrklinke.

[X.] beschreibt aus dem Stand der Technik bekannte Bemühungen, die Geräuschemissionen mit Hilfe von stoßdämpfenden Mitteln zu reduzieren, und befasst sich mit der Aufgabe, die Geräuschdämmung weiter zu verbessern und die Schlosseinheit leichtgängig auszuführen.

Als Lösung schlägt [X.] ein Schloss vor, bei dem [X.] und Sperrklinke in bestimmter Weise zusammenwirken. Ein Ausführungsbeispiel ist unter anderem in den nachfolgend wiedergegebenen Figuren 1 und 5 dargestellt, die die [X.] und die [X.] zeigen.

Abbildung

In der [X.] drückt die [X.] (4) gegen einen Kontaktpunkt (8) oder eine kleine Kontaktfläche der Sperrklinke (5). Die beiden Elemente sind so zueinander ausgerichtet, dass der [X.] (9), der entsteht, wenn die [X.] (4) auf die Sperrklinke (5) Druck ausübt, schräg zu der zwischen dem Kontaktpunkt (8) und dem [X.] (7) gezogenen Verbindungslinie (10) verläuft, so dass die Sperrklinke in eine geöffnete Stellung (hier: im Uhrzeigersinn) bewegt wird bzw. die federvorgespannte [X.] (4) eine entsprechende Bewegung unterstützt. Dies ermögliche eine besonders leichtgängige und geräuscharme Öffnung (S. 8 [X.] 7-24). Hierfür sei grundsätzlich jeder schräge Winkel geeignet ([X.] [X.] 9-15). Besonders bevorzugt sei ein spitzer Winkel zwischen [X.] und Verbindungslinie, weil dann nur geringe Kräfte erforderlich seien, um die Sperrklinke während des verriegelten Zustands in ihrer Position zu fixieren ([X.]). Diese Fixierung erfolgt bei dem Ausführungsbeispiel mit Hilfe eines [X.]s (12) ([X.]).

Abbildung

Zur [X.] wird ausgeführt, der [X.] (12) übe in dieser Position eine Verstellkraft der Sperrklinke (5) in Richtung der [X.] (4) aus, so dass die entsprechende Kontur der Sperrklinke (5) mit der Ausnehmung, die für die [X.] (17) vorgesehen sei, zusammenwirke bzw. in diese eingreife. Die [X.] (4) werde - gegebenenfalls elektromotorisch unterstützt - weiter verdreht, bis die Sperrklinke (5) letztendlich wieder in der [X.] (18) zur Anlage komme und mittels des [X.]s (12) arretiert sei (S. 10 [X.] 4-14).

b) Damit sind, wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat und auch die Beklagte nicht in Zweifel zieht, die [X.] sowie die Merkmale 2, 2 b und 2 c offenbart.

c) Zu Unrecht hat das Patentgericht das Merkmal 2 a als ebenfalls offenbart angesehen.

aa) Wie auch das Patentgericht nicht verkannt hat, enthält die Beschreibung von [X.] keine ausdrücklichen Ausführungen zu der Frage, ob und in welche Richtung die Sperrklinke (5) verdreht wird, wenn die [X.] (4) in der [X.] weiter in Öffnungsrichtung (in Figur 5: im Uhrzeigersinn) verdreht wird.

Den oben wiedergegebenen Ausführungen ist lediglich zu entnehmen, dass die Sperrklinke (5) wieder in die Position der [X.] gedreht wird, wenn die [X.] (4) durch Motorkraft oder in sonstiger Weise in [X.] verdreht wird. Hieraus ergeben sich keine eindeutigen und unmittelbaren Schlussfolgerungen zu der Frage, welche Auswirkungen eine Bewegung der [X.] (4) in die entgegengesetzte Richtung auf die Sperrklinke (5) hat.

bb) Entgegen der Auffassung des Patentgerichts und der Klägerin ergibt sich aus dem Umstand, dass das Schloss auch in der [X.] ein Öffnen der Tür verhindern muss, ebenfalls keine zwingende Schlussfolgerung bezüglich eines auf die Sperrklinke (5) ausgeübten Drehmoments.

Schlussfolgerungen dieser Art wären allenfalls dann möglich, wenn feststünde, dass die erforderliche Verriegelungswirkung in der [X.] durch das Zusammenspiel von [X.] (4) und Sperrklinke (5) erzeugt wird. Solche Hinweise ergeben sich indes weder aus der Beschreibung noch aus dem sonstigen Inhalt von [X.]. Der Hinweis, dass ein Elektromotor eingesetzt werden könne, um die [X.] (4) wieder in die Position der [X.] zu verbringen, deutet eher darauf hin, dass dieser Motor oder ein vergleichbares Element auch dazu eingesetzt wird, um eine weitere Öffnungsbewegung zu verhindern.

cc) Entgegen der Auffassung der Beklagten lassen sich [X.] andererseits auch keine unmittelbaren und eindeutigen Hinweise auf ein schließendes Moment in der [X.] entnehmen.

Die Argumentation der Beklagten, ein in Figur 5 eingezeichneter [X.] verlaufe ebenfalls schräg zu der Verbindungslinie zwischen Kontaktpunkt (8) und [X.] (7), ist schon deshalb nicht stichhaltig, weil [X.] keine Hinweise darauf enthält, dass die Darstellung in Figur 5 - in der weder ein [X.] noch eine Verbindungslinie eingezeichnet ist - die [X.] zutreffend wiedergibt.

Der Umstand, dass [X.] bezüglich der Richtung des Drehmoments nicht ausdrücklich zwischen Vor- und [X.] unterscheidet, ermöglicht ebenfalls keine eindeutige Schlussfolgerung. Eine solche Schlussfolgerung käme allenfalls in Betracht, wenn ohne weiteres ersichtlich wäre, dass die für die Festlegung der Drehrichtung maßgeblichen Umstände in Haupt- und [X.] identisch sind. Hinweise darauf lassen sich [X.] nicht entnehmen.

dd) Vor diesem Hintergrund kann [X.] bezüglich der Frage, ob und in welche Richtung die Sperrklinke (5) verdreht wird, wenn sich die [X.] (4) in Öffnungsrichtung dreht, keine eindeutige Aussage entnommen werden. Damit fehlt es an einer neuheitsschädlichen [X.] von Merkmal 2 a.

d) Ebenfalls nicht unmittelbar und eindeutig offenbart ist Merkmal 2 d.

Dabei kann dahingestellt bleiben, in welcher Beziehung und in welchem Ausmaß die beiden [X.]e nach den Merkmalen 2 c und 2 d voneinander abweichen müssen. Entgegen der Auffassung des Patentgerichts lässt sich [X.] nicht eindeutig und unmittelbar entnehmen, dass sich der Kontaktpunkt (8) in der [X.] von dem mit demselben Bezugszeichen versehenen Kontaktpunkt in der [X.] unterscheidet.

Wie auch das Patentgericht nicht verkannt hat, verhält sich die Beschreibung von [X.] zu dieser Frage nicht. Als [X.] kommen danach allenfalls die Zeichnungen in Betracht.

Die Darstellung in den Figuren 1 und 5 könnte zwar darauf hindeuten, dass die [X.] (4) in der [X.] an einer etwas höher gelegenen Stelle an der Sperrklinke (5) anliegt als in der [X.]. Dies reicht für eine eindeutige [X.] aber nicht aus, weil der Unterschied allenfalls geringfügig ist und die Zeichnungen - wie in Patentschriften üblich - keine exakten Maßangaben enthalten.

IV. Die Entscheidung des Patentgerichts erweist sich nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis zutreffend (§ 119 Abs. 1 [X.]).

1. Entgegen dem vom Patentgericht in der mündlichen Verhandlung erteilten Hinweis wird der Gegenstand von Patentanspruch 1 nicht durch die nachveröffentlichte, aber prioritätsältere [X.] Offenlegungsschrift 10 2008 061 524 ([X.]) vorweggenommen.

a) [X.] betrifft ebenfalls ein Schloss für die Tür oder Klappe eines Kraftfahrzeugs mit einer [X.].

[X.] beschreibt eine im Stand der Technik bekannte Ausgestaltung mit zwei unterschiedlichen Sperrklinken zur Fixierung der [X.] in der [X.] und der [X.]. [X.] befasst sich mit der Aufgabe, ein Schloss zur Verfügung zu stellen, das eine geringe Zahl von Bauteilen, ein geringes Gewicht und sehr geringe Betätigungskräfte aufweist.

Zur Lösung schlägt [X.] ein Schloss mit einer einzigen Sperrklinke vor.

Die [X.] zwischen [X.] und Sperrklinke sei regelmäßig nicht so ausgebildet, dass die von der [X.] ausgeübte Kraft durch die Drehachse der Sperrklinke verlaufe und folglich eine selbständige Fixierung der [X.] mittels der Sperrklinke möglich sei. Vielmehr werde, insbesondere zur Geräuschreduzierung, die Sperrklinke so ausgebildet oder angeordnet, dass die durch die [X.] ausgeübte Kraft bei der Sperrklinke ein Drehmoment verursache, das die Freigabe der [X.] begünstige. Um gleichermaßen eine dauerhafte Verriegelung zu gewährleisten, sei ein [X.] vorgesehen (Abs. 8).

In der [X.] könne die Sperrklinke ein der Öffnungsbewegung der [X.] entgegengesetztes Drehmoment in die [X.] einleiten. Unter [X.] werde derjenige Bereich verstanden, in dem die Sperrklinke ein der Öffnungsbewegung der [X.] entgegengesetztes Drehmoment in die [X.] einleiten könne (Abs. 10). Insgesamt führe der vorgeschlagene Aufbau dazu, dass die Sicherung der [X.] in der [X.]stellung und in der Schließstellung durch eine einzelne (mit einem [X.] auslösbare) Sperrklinke sicher gewährleistet sei (Abs. 12).

Ein Ausführungsbeispiel ist unter anderem in den nachfolgend wiedergegebenen Figuren 1 und 5 dargestellt, die die [X.] und die [X.] zeigen.

Abbildung

In der [X.] steht die [X.] (6) im Bereich der [X.] (7) mit der Aufnahme (20) der Sperrklinke (9) in Eingriff. Eine Öffnungsbewegung der [X.] (6) (im Uhrzeigersinn) wird dadurch verhindert. Die Sperrklinke (9) weist einen Rasthaken (13) mit einer Blockierfläche (18) auf. Der [X.] (14) kann darauf über die gegenüberliegende Kontaktfläche (19) ein Drehmoment in [X.] (32) der Sperrklinke einleiten (Abs. 28).

Abbildung

In der [X.]stellung ist die [X.] (8) in die Aufnahme (20) der Sperrklinke (9) eingetaucht. Die [X.] (36) ist geringer als die [X.] (28) in der [X.]. Dadurch ist sichergestellt, dass die in [X.] (32) vorgespannte Sperrklinke (9) mit einem Winkel (23) in Öffnungsrichtung (25) verschwenkt ist. Dies gewährleistet, dass der [X.] (14) die Sperrklinke (9) nicht blockiert (Abs. 32).

b) Damit sind neben der [X.] auch die Merkmale 2 a und 2 b offenbart.

aa) Aus den oben wiedergegebenen Ausführungen zur Schließstellung ergibt sich, dass die Sperrklinke in der [X.] ein öffnendes Moment aufweist, das durch ihre Kontur hervorgerufen wird, wie dies Merkmal 2 b vorsieht.

Entgegen der Auffassung der Beklagten steht einer [X.] von Merkmal 2 b nicht entgegen, dass dieses Drehmoment durch eine Drehung der [X.] erzeugt wird. Wie bereits oben dargelegt wurde, wird ein solcher Wirkmechanismus in den auf das schließende Moment im Sinne von Merkmal 2 a bezogenen Ausführungen des Streitpatents sogar als vorzugswürdig bezeichnet. Für das öffnende Moment lässt sich dem Streitpatent nichts Abweichendes entnehmen.

Die bei der Gegenüberstellung zwischen Schließstellung und [X.] zu findenden Ausführungen, wonach die Sperrklinke auch in der Schließstellung ein der Öffnungsbewegung der [X.] entgegengesetztes Drehmoment in die [X.] einleiten kann, führen nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Aus dem Zusammenhang mit den Ausführungen zum [X.] ergibt sich hinreichend deutlich, dass diese Wirkung nur dann erzielt wird, wenn der [X.] eine Öffnungsbewegung der Sperrklinke verhindert. Dies ist auch nach dem Streitpatent nicht ausgeschlossen. Ausschlaggebend sind die Verhältnisse bei gelöstem [X.]. Für diesen Zustand offenbart [X.] ein öffnendes Moment als vorteilhaft.

bb) Ein schließendes Moment im Sinne von Merkmal 2 a ergibt sich aus den Ausführungen, wonach die Sperrklinke in der [X.] ein der Öffnungsbewegung der [X.] entgegengesetztes Drehmoment in die [X.] einleiten könne und wonach durch die einzelne Sperrklinke eine Sicherung in der [X.]stellung sicher gewährleistet sei.

c) Nicht eindeutig und unmittelbar offenbart sind voneinander abweichende [X.]e der Sperrklinke für die [X.] und die [X.] entsprechend den Merkmalen 2 c und 2 d.

Aus der Beschreibung des Ausführungsbeispiels sowie den Figuren 1 und 5 ergibt sich, dass in beiden maßgeblichen Positionen derselbe Bereich (20) der Sperrklinke (9), konkret ein L-förmiger Rastschenkel, in Eingriff mit einem (jeweils unterschiedlichen) Bereich der [X.] (6) steht ([X.], Abs. 10).

Hinweise darauf, dass der Kontakt in unterschiedlichen Bereichen erfolgen und dies zur Beeinflussung des Drehmoments genutzt werden kann, ergeben sich aus [X.] demgegenüber nicht. Auch die im Zusammenhang mit Figur 5 beschriebenen Unterschiede bei der [X.] haben nicht zur Folge, dass ein abweichender [X.] der Sperrklinke zum Einsatz gelangt. Sie führen nur dazu, dass die Sperrklinke in unterschiedlichem Ausmaß gegen [X.] der Vorspannfeder verdreht wird.

Soweit den Figuren 1 und 5 zu entnehmen ist, dass die [X.] in der [X.] (Figur 5) eher mit einem längeren [X.] am Ende der Sperrklinke in Kontakt kommt, während in der [X.] (Figur 1) eher ein kürzerer Bereich in Kontakt mit der [X.] kommt, werden damit nicht unterschiedliche [X.]e offenbart. Der kürzere Kontaktbereich bei der [X.] bildet eine Kante des bei der [X.] verrastenden längeren Bereichs und ist damit Teil dieses Bereichs. Dass es an dieser Kante in den beiden genannten Positionen möglicherweise zu unterschiedlichen Krafteinwirkungen kommt, reicht zur [X.] von Merkmal 2 d nicht aus. Wie bereits oben dargelegt wurde, muss es zumindest einzelne voneinander unterscheidbare Abschnitte der Kontur geben, die jeweils nur zu einem der beiden Bereiche gehören. Dies geht aus der Darstellung in den Figuren 1 und 5 nicht eindeutig hervor.

2. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 beruht ausgehend von [X.] auf erfinderischer Tätigkeit.

a) Die Kombination der Merkmale 2 a und 2 b war durch den Stand der Technik nicht nahegelegt.

aa) Ausgehend von [X.] bestand allerdings Anlass, sich mit der Frage zu befassen, welche Auswirkung eine Drehung der [X.] in Öffnungsrichtung auf die Sperrklinke haben soll, wenn sich das Schloss in der [X.] befindet.

Wie bereits oben dargelegt wurde, enthält [X.] insoweit keine unmittelbaren und eindeutigen Hinweise. Schon dies gab Anlass, für diese Frage eine Antwort zu finden.

bb) Aus dem Stand der Technik mag ersichtlich gewesen sein, dass sowohl ein öffnendes als auch ein schließendes Moment in Frage kommen. Daraus ergab sich aber keine hinreichende Anregung zu der in den Merkmalen 2 a und 2 b vorgegebenen Kombination, also einer unterschiedlichen Richtung des Drehmoments in Vor- und [X.].

cc) Die vom Patentgericht im Zusammenhang mit der Frage der Neuheit angestellte Erwägung, ein schließendes Moment in der [X.] sei erforderlich, um die Tür in dieser Position sicher halten zu können, könnte auch in diesem Zusammenhang allenfalls dann zu einer abweichenden Beurteilung führen, wenn es nahegelegen hätte, ein und dieselbe Sperrklinke auch für diese Funktion zu nutzen.

Hierfür gab im Stand der Technik indes nur die Entgegenhaltung [X.] ein Vorbild, die mangels Vorveröffentlichung für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht herangezogen werden darf. Die Entgegenhaltung [X.], die die Priorität von [X.] in Anspruch nimmt, sieht demgegenüber zwei separate Sperrklinken vor. Anregungen, diese durch eine einzige Sperrklinke zu ersetzen, die beide Funktionen erfüllen kann, ergaben sich weder aus dieser noch aus sonstigen zum Stand der Technik gehörenden [X.].

b) Merkmal 2 d war durch den Stand der Technik ebenfalls nicht nahegelegt.

Selbst wenn Anlass bestanden hätte, unterschiedliche Drehmomente für die beiden Positionen vorzusehen, hätte sich daraus keine Veranlassung ergeben, diese Drehmomente durch voneinander abweichende [X.]e der Sperrklinke zu erzeugen.

Auch insoweit ergaben sich aus dem Stand der Technik keine konkreten Vorbilder. [X.] lehrt zwar, einen [X.] durch Ausgestaltung der [X.] zwischen Sperrklinke und [X.] vorteilhafterweise so zu orientieren, dass die Sperrklinke für die [X.] eine Schwenkbewegung zum Öffnen des [X.] unterstützt und so eine besonders leichtgängige Betätigung erreicht wird ([X.], [X.], [X.] 11-22). Auch daraus ergab sich aber nicht die Anregung, über zwei verschiedene [X.]e derselben Sperrklinke jeweils unterschiedliche Drehmomente zu erzielen.

Für die Realisierung unterschiedlicher Drehmomente in der Vor- und der [X.] gab es, wie es [X.] mit einer zweiten Sperrklinke und [X.] mit zumindest teilweise identischen [X.]en ein- und derselben Sperrklinke belegen, unterschiedliche Möglichkeiten, während sich für eine Ausgestaltung entsprechend den Merkmalen 2 c und 2 d kein Hinweis anbot.

3. Die weiteren von der Klägerin angeführten [X.] liegen noch weiter vom Gegenstand des Streitpatents ab und vermögen ein Naheliegen der darin gefundenen Lösung ebenfalls nicht zu begründen.

V. Die Sache ist zur Endentscheidung reif (§ 119 Abs. 5 Satz 2 [X.]).

Auf die Berufung der Beklagten ist die Klage aus den oben aufgezeigten Gründen abzuweisen. Damit erweist sich die auf weitergehende Nichtigerklärung gerichtete Berufung der Klägerin als unbegründet.

VI. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 [X.] und § 91 ZPO.

[X.]     

      

[X.]     

      

Kober-Dehm

      

Marx     

      

Crummenerl     

      

Meta

X ZR 36/21

18.10.2022

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend BPatG München, 15. Dezember 2020, Az: 1 Ni 12/19, Urteil

§ 4 PatG, § 31 Abs 2 S 1 Nr 2 PatG, § 32 Abs 5 PatG, § 40 Abs 6 PatG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 18.10.2022, Az. X ZR 36/21 (REWIS RS 2022, 8056)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 8056 MDR 2023, 313 REWIS RS 2022, 8056


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. X ZR 36/21

Bundesgerichtshof, X ZR 36/21, 18.10.2022.


Az. 1 Ni 12/19

Bundespatentgericht, 1 Ni 12/19, 15.12.2020.


Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 Ni 12/19 (Bundespatentgericht)

Patentnichtigkeitssache – „Kraftfahrzeugschloss“ – patentfähiger Hilfsantrag 3 – erfinderische Tätigkeit - mangelnde Patentfähigkeit des Hauptantrags, …


I-15 U 101/19 (Oberlandesgericht Düsseldorf)


6 Ni 6/22 (EP) (Bundespatentgericht)

Patentnichtigkeitssache - "Mehrklinken-Gesperre mit Rasthaken" – fehlende Patentfähigkeit – mangelnde Neuheit


6 Ni 7/22 (EP) (Bundespatentgericht)

Patentnichtigkeitssache – „Schloss mit Blockadehebel nebst austariertem Schwerpunkt“ – patentfähiger Hilfsantrag 2 – zur wirksamen …


X ZR 15/21 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

I-15 U 101/19

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.