Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.05.2010, Az. IX ZB 202/08

9. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 6438

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Gegenstand

Ablehnung eines Verfahrenskostenstundungsantrages im Insolvenzverfahren: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Einlegung eines ehemals zulässigen Rechtsbehelfs bei dem ehemals zuständigen Gericht


Tenor

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist für die Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 14. Zivilkammer des [X.] vom 9. Juni 2008 wird abgelehnt.

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 14. Zivilkammer des [X.] vom 9. Juni 2008 - 14 T 6633/08 - wird auf Kosten der Schuldnerin als unzulässig verworfen.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 1.800 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Das Insolvenzgericht hat den Antrag der Schuldnerin, ihr die Kosten des am 12. März 2003 eröffneten Insolvenzverfahrens zu stunden, mit [X.]uss vom 19. März 2008 wegen der Verletzung von Mitwirkungspflichten abgelehnt. Das [X.] hat die sofortige Beschwerde der Schuldnerin mit [X.]uss vom 9. Juni 2008 zurückgewiesen. Dieser [X.]uss ist dem [X.]n der Schuldnerin am 25. Juni 2008 zugestellt worden. Mit [X.] vom 27. Juni 2008 hat der [X.] beim [X.] Antrag auf Zulassung der sofortigen weiteren Beschwerde gestellt und diesen mit [X.] vom 10. Juli 2008 näher begründet. Der Vorsitzende des mit der Sache befassten Zivilsenats des [X.] hat den [X.]n mit Schreiben vom 4. August 2008 darauf hingewiesen, dass die Zulassung der sofortigen weiteren Beschwerde in § 7 [X.] nicht mehr vorgesehen sei. Der angeführte [X.]uss unterliege vielmehr der innerhalb eines Monats beim [X.] einzulegenden Rechtsbeschwerde. Da die Akten zunächst nicht vorgelegen hätten, habe die Unzulässigkeit des Antrags erst jetzt festgestellt werden können. Die Schuldnerin hat daraufhin den Antrag beim [X.] zurückgenommen. Mit [X.] eines beim [X.] zugelassenen Rechtsanwalts hat sie am 1. September 2008 beim [X.] Rechtsbeschwerde gegen den [X.]uss des [X.]s eingelegt und wegen der Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

II.

2

1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zulässig. Er wurde insbesondere rechtzeitig innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO gestellt, weil der zweitinstanzliche [X.] der Schuldnerin glaubhaft gemacht hat, erst nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub am 18. August 2008 Kenntnis von dem Schreiben des [X.] vom 4. August 2008 erlangt zu haben.

3

2. Der Antrag ist jedoch nicht begründet. Die Schuldnerin war nicht ohne Verschulden gehindert, die [X.] zur Einlegung der Rechtsbeschwerde einzuhalten (§ 233 Abs. 1 ZPO). Sie muss sich gemäß § 85 Abs. 2 ZPO das Verschulden ihres [X.]n zurechnen lassen, der nicht beachtet hat, dass nach der zum 1. Januar 2002 erfolgten Änderung des § 7 [X.] an die Stelle des beim [X.] zu stellenden Antrags auf Zulassung der sofortigen weiteren Beschwerde die beim [X.] einzulegende Rechtsbeschwerde getreten ist.

4

a) Vergeblich beruft sich die Schuldnerin auf die Rechtsprechung des [X.] und des [X.]s in Fällen, in denen die Rechtsmittelschrift an ein unzuständiges Gericht gerichtet war. Nach dieser Rechtsprechung hat ein Gericht, das erstinstanzlich mit der Sache befasst war, einen bei ihm eingereichten fristgebundenen [X.] für das Rechtsmittelverfahren aufgrund seiner aus Art. 2 Abs. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleiteten Pflicht zu einer fairen Verfahrensgestaltung im Zuge des ordentlichen Geschäftsgangs an das zuständige Gericht weiterzuleiten. Geht der [X.] so zeitig bei dem Ausgangsgericht ein, dass die fristgerechte Weiterleitung an das zuständige Gericht im üblichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, darf die [X.] darauf vertrauen, dass der [X.] rechtzeitig beim Rechtsmittelgericht eingeht. Ein Verschulden der [X.] oder ihres Bevollmächtigten wirkt sich dann nicht mehr aus ([X.] 93, 99, 115 f; [X.] NJW 2001, 1343; NJW 2005, 2137, 2138; [X.], 42, 44). Diese Grundsätze gelten auch, wenn eine leicht und einwandfrei als fehlgeleitet erkennbare [X.] bei einem bisher nicht befasst gewesenen Gericht eingeht und dessen Unzuständigkeit deshalb offensichtlich ist ([X.] NJW 2006, 1579 Rn. 9).

5

b) Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor.

6

aa) Der zweitinstanzliche [X.] der Schuldnerin hat nicht den gesetzlich statthaften Rechtsbehelf bei einem dafür offensichtlich unzuständigen Gericht eingereicht, sondern einen gesetzlich nicht mehr vorgesehenen Rechtsbehelf bei dem Gericht, das für einen solchen Rechtsbehelf früher zuständig gewesen ist. Eine rechtzeitige Weiterleitung des [X.]es allein hätte nicht genügt, um die Frist zu wahren. Selbst wenn der Antrag auf Zulassung der sofortigen weiteren Beschwerde in eine Rechtsbeschwerde hätte umgedeutet werden können, hätte der [X.] von einem beim [X.] zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein müssen. Es hätte daher eines Hinweises an den [X.]n auf die geänderte Rechtslage bedurft. Zu einem frühzeitigen Hinweis dieser Art war das [X.] unter den gegebenen Umständen nicht verpflichtet. Neben der verfassungsrechtlich gebotenen fairen Verfahrensgestaltung ist zu berücksichtigen, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden muss. Die Anforderungen an die richterliche Fürsorgepflicht werden überspannt, wenn den [X.]en und ihren Bevollmächtigten die Verantwortung für die Einhaltung der Formalien vollständig abgenommen und den unzuständigen Gerichten übertragen wird. Regelmäßig sind unzuständige Gerichte daher nicht verpflichtet, die [X.] oder ihren Bevollmächtigten telefonisch oder per Telefax innerhalb der laufenden Frist davon zu unterrichten, dass ein fristgebundener [X.] beim unzuständigen Gericht eingereicht wurde ([X.] NJW 2001, 1343; [X.], [X.]. v. 14. Dezember 2005 - [X.] 138/05, [X.], 213; v. 15. Dezember 2005 - [X.], [X.], 212; [X.]/[X.], ZPO 28. Aufl. § 233 Rn. 22c).

7

bb) Eine Verpflichtung des Gerichts zu einem unverzüglichen Hinweis kann ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn ein fristgebundener [X.] an einem leicht erkennbaren, offensichtlichen Formmangel, etwa an einer fehlenden Unterschrift, leidet ([X.], [X.]. v. 14. Oktober 2008 - [X.] 37/08, NJW-RR 2009, 564, 565 Rn. 10). Damit ist der vorliegende Fall aber nicht vergleichbar. Die [X.] litt nicht an einem Formmangel. Eine generelle Verpflichtung zur sofortigen Prüfung der Zuständigkeit beim Eingang einer Rechtsmittelschrift lässt sich aus der verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht der staatlichen Gerichte nicht ableiten ([X.] NJW 2006, 1579; [X.], [X.]. v. 18. März 2008 - [X.], [X.], 1890, 1891 Rn. 11). Dass der die Sache bearbeitende Richter des [X.] zunächst den Eingang der mit dem Vermerk "[X.] sehr!" beim Beschwerdegericht angeforderten Akten abwartete, bevor er die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs prüfte, ist deshalb von [X.] wegen nicht zu beanstanden.

III.

8

Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 577 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen. Die Schuldnerin hat die Fristen zu ihrer Einlegung (§ 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO) und Begründung (§ 575 Abs. 2 Satz 1 ZPO) versäumt.

[X.]                           Gehrlein

                   Pape                            Grupp

Meta

IX ZB 202/08

20.05.2010

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG München I, 9. Juni 2008, Az: 14 T 6633/08, Beschluss

§ 85 Abs 2 ZPO, § 233 Abs 1 ZPO, § 234 Abs 1 ZPO, § 7 InsO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.05.2010, Az. IX ZB 202/08 (REWIS RS 2010, 6438)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 6438

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