Bundessozialgericht, Urteil vom 17.12.2015, Az. B 2 U 8/14 R

2. Senat | REWIS RS 2015, 426

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Gegenstand

Gesetzliche Unfallversicherung - Wegeunfall - sachlicher Zusammenhang - Handlungstendenz - Unfallereignis - Unfallkausalität - Wesentlichkeit der Wirkursache - Beweislast - unaufklärbare Umstände - Schutzzweck - spezifisches Wegerisiko - kein "Wegebann" - Zusammenbruch eines Studenten auf einem Bahnsteig - Abfahrtsort der zur Uni führenden Bahn


Leitsatz

Der Versicherte trägt die Beweislast dafür, dass sich durch das Unfallereignis ein Risiko verwirklicht hat, vor dem gerade die Wegeunfallversicherung Schutz gewähren soll.

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 6. Mai 2014 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung eines Arbeitsunfalls streitig.

2

Der Kläger war an der [X.] als Student eingeschrieben. Am 15.12.2008 fiel er auf einem Bahnsteig des [X.], an dem die zur [X.] führende Bahn abfährt, um. Er prallte mit dem Kopf auf den Boden und blieb liegen. Durch den Aufprall erlitt er ein [X.] mit Blutungen im Gehirn. Die Beklagte lehnte die Anerkennung dieses Ereignisses als Arbeitsunfall ab (Bescheid vom [X.]) und wies den Widerspruch des [X.] zurück (Widerspruchsbescheid vom [X.]). Der Kläger habe keinen Arbeitsunfall erlitten. Zwar habe eine innere Ursache für den Sturz nicht festgestellt werden können, dies lasse aber nicht den Schluss zu, dass eine versicherte Tätigkeit oder andere betrieblich bedingte Umstände für das Unfallereignis ursächlich gewesen seien.

3

Das [X.] hat die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide verurteilt, das Ereignis vom 15.12.2008 als Arbeitsunfall anzuerkennen (Urteil vom 30.7.2012). Neben der versicherten Tätigkeit des Zurücklegens des Weges zur [X.] sei keine weitere Ursache feststellbar, sondern allenfalls denkbar, sodass mangels [X.] keine Zweifel an der [X.] bestünden. Auf die Berufung der Beklagten hat das L[X.] das Urteil des [X.] aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 6.5.2014). Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe zwar einen Unfall iS des § 8 Abs 1 Satz 2 [X.]B VII erlitten. Der Unfall sei jedoch nicht "infolge" einer versicherten Tätigkeit eingetreten. Die Einwirkung auf den Körper des [X.] sei zwar objektiv, dh im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn, nicht aber rechtlich wesentlich durch dessen zuvor verrichtete Tätigkeit (Zurücklegen des Weges von der Wohnung zur [X.]) verursacht worden. Weshalb der Kläger umgefallen sei, sei nicht aufklärbar. Das B[X.] fordere im Kontext der Wegeunfallversicherung bei der Wesentlichkeitsprüfung, dass sich bei dem Geschehen eine dem Schutzzweck der Wegeversicherung entsprechende, spezifische Gefahr realisiere. Die Wesentlichkeit der Wirkursache sei eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung zu beurteilen. Wie und warum der Kläger umgefallen sei, sei nach Ausschöpfung aller Beweismittel nicht mehr feststellbar. Damit könne auch die Verwirklichung einer spezifischen Verkehrsgefahr nicht festgestellt werden. Allein im Umfallen und Aufschlagen auf dem Boden habe sich kein spezifisches Wegerisiko verwirklicht.

4

Mit der vom L[X.] zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 8 Abs 1 [X.]B VII. Die [X.] sei immer gegeben, wenn neben der versicherten Tätigkeit keine weiteren konkurrierenden Ursachen festgestellt werden könnten. Die Prüfung, ob die versicherte Tätigkeit rechtlich wesentlich gewesen sei, habe nur zu erfolgen, wenn noch weitere Ursachen festgestellt würden. Dies folge aus dem Schutzzweck der gesetzlichen Unfallversicherung, weil bei vielen Unfällen der genaue Hergang nicht geklärt werden könne. Das Vorliegen einer inneren Ursache oder anderer konkurrierender Ursachen habe das L[X.] gerade nicht festgestellt.

5

Der Kläger beantragt,

        

das Urteil des [X.] vom 6. Mai 2014 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 30. Juli 2012 zurückzuweisen.

6

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

7

Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision des [X.] ist unbegründet. Das [X.] hat zu Recht das Urteil des [X.] aufgehoben und die Klagen abgewiesen. Die Ablehnung der Feststellung des Ereignisses vom 15.12.2008 als Arbeitsunfall in den angefochtenen Bescheiden der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Arbeitsunfall iS des § 8 Abs 1 iVm Abs 2 [X.] [X.]B VII erlitten.

9

Nach § 8 Abs 1 Satz 1 [X.]B VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 [X.]B VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Zu den versicherten Tätigkeiten zählt gemäß § 8 Abs 2 [X.] [X.]B VII auch das Zurücklegen des mit der nach den §§ 2, 3 oder 6 [X.]B VII versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Unfälle sind nach § 8 Abs 1 Satz 2 [X.]B VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb "Versicherter" ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen [X.] oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität; stRspr, vgl zuletzt B[X.] vom 4.12.2014 - [X.] U 18/13 R - [X.] 4-2700 § 101 [X.] Rd[X.]6 ff mwN, zur Veröffentlichung in B[X.]E vorgesehen; vgl auch B[X.] vom 13.11.2012 - [X.] U 19/11 R - B[X.]E 112, 177 = [X.] 4-2700 § 8 [X.], Rd[X.]0).

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Zwar erlitt der Kläger einen Unfall iS des § 8 Abs 1 Satz 2 [X.]B VII (dazu unter 1.). Den Feststellungen des [X.] ist jedoch bereits nicht zu entnehmen, welche konkrete Verrichtung mit welcher Handlungstendenz der Kläger in dem Moment des Unfalls ausübte, sodass schon fraglich ist, ob der Kläger unmittelbar vor dem Unfall als Studierender iS des § 2 Abs 1 [X.] c [X.]B VII in der [X.] des § 8 Abs 2 [X.] [X.]B VII auf einem Weg nach dem Ort seiner Studientätigkeit versichert war (dazu 2.). Dies kann aber letztlich offen bleiben, denn der Unfall stellt jedenfalls schon deshalb keinen Arbeitsunfall iS des § 8 [X.]B VII dar, weil das Unfallereignis dem allein hier als versicherte Tätigkeit in Betracht kommenden Zurücklegen eines solchen Weges rechtlich nicht zugerechnet werden kann (dazu 3.).

1. Der Kläger erlitt am 15.12.2008 auf dem Bahnsteig eine zeitlich begrenzte, von außen kommende Einwirkung auf seinen Körper und damit einen Unfall iS des § 8 Abs 1 Satz 2 [X.]B VII. Er schlug mit dem Kopf auf den Boden auf, wodurch ein Teil der Außenwelt auf den Körper einwirkte (vgl B[X.] vom 29.11.2011 - [X.] U 10/11 R - [X.] 4-2700 § 8 [X.] Rd[X.]4). Dies führte zu einem seine körperliche Unversehrtheit verletzenden [X.] mit Blutungen im Bereich des Gehirns.

2. Offen bleiben kann, ob der Kläger unmittelbar vor dem Unfall einer versicherten Verrichtung iS des § 8 Abs 2 [X.] iVm § 2 Abs 1 [X.] c [X.]B VII nachgegangen ist. Als eingeschriebener Student einer [X.] war der Kläger am 15.12.2008 Studierender iS des § 2 Abs 1 [X.] c [X.]B VII (vgl zu diesem Begriff B[X.] vom 13.2.2013 - [X.] U 24/11 R - [X.] 4-2200 § 539 [X.] Rd[X.]3 ff) und damit während seiner Ausbildung an der Hochschule in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert (vgl zur versicherten Tätigkeit zuletzt B[X.] vom 4.12.2014 - [X.] U 14/13 R - [X.] 4-2700 § 2 [X.] Rd[X.]3 ff und - [X.] U 10/13 R - [X.] 4-2700 § 2 [X.] Rd[X.]5 ff, zur Veröffentlichung in B[X.]E vorgesehen, sowie - B 2 U 13/13 R - [X.] 4-2700 § 2 [X.] Rd[X.]5 f; vgl auch B[X.] vom [X.] - [X.] 3-2200 § 539 [X.] und vom 4.7.1995 - 2 RU 45/94 - [X.] 1995, 2377 jeweils mit weiteren Nachweisen). Damit stand er grundsätzlich gemäß § 8 Abs 2 [X.] [X.]B VII auf einem mit dieser versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weg nach und von dem Ort dieser Tätigkeit unter Versicherungsschutz. Nach den bindenden Feststellungen des [X.] (§ 163 [X.]G) befand sich der Kläger auf dem unmittelbaren Weg von seiner Wohnung zum Ort seiner versicherten Tätigkeit, der [X.]. Der Unfall ereignete sich auf dem Bahnsteig, von dem eine zur [X.] führende Bahn abfuhr.

Dass der Versicherte sich auf dem unmittelbaren Weg zwischen dem Ort seiner versicherten Tätigkeit und seiner Wohnung befindet, reicht jedoch für den Versicherungsschutz nach § 8 Abs 2 [X.] [X.]B VII nicht aus. Vielmehr muss auch die Verrichtung zur Zeit des [X.] in einem sachlichen Zusammenhang mit dem versicherten Zurücklegen des Weges stehen. Ein solcher sachlicher Zusammenhang besteht, wenn das konkrete Handeln des Versicherten zur Fortbewegung auf dem Weg zur oder von der versicherten Tätigkeit gehört (B[X.] vom 17.2.2009 - [X.] U 26/07 R - [X.] 4-2700 § 8 [X.] Rd[X.]1 mwN). Andernfalls wäre jede Handlung auf einem Weg iS des § 8 Abs 2 [X.] [X.]B VII vom Versicherungsschutz umfasst. Einen solchen "Wegebann" kennt die gesetzliche Unfallversicherung hingegen nicht.

Wie das B[X.] seit seiner Entscheidung vom 9.12.2003 ([X.] U 23/03 R - B[X.]E 91, 293 = [X.] 4-2700 § 8 [X.]) in ständiger Rechtsprechung betont hat (vgl nur Urteile vom 30.10.2007 - [X.] U 29/06 R - [X.] 4-2700 § 8 [X.]5, vom 2.12.2008 - [X.] U 17/07 R - [X.] 4-2700 § 8 [X.]8 und - [X.] U 26/06 R - B[X.]E 102, 111 = [X.] 4-2700 § 8 [X.]9, Rd[X.]2 f sowie vom 17.2.2009 - [X.] U 26/07 R - [X.] 4-2700 § 8 [X.]), ist maßgebend für die Beurteilung, ob eine konkrete Verrichtung der grundsätzlich versicherten Fortbewegung dient, die Handlungstendenz des Versicherten (zuletzt Urteile vom [X.] - [X.] U 3/13 R - [X.] 4-2700 § 8 [X.] Rd[X.]2 und - [X.] U 12/12 R - [X.] 4-2700 § 8 [X.] Rd[X.]8). Das Handeln muss subjektiv - zumindest auch - auf die Erfüllung des Tatbestands der jeweiligen Tätigkeit ausgerichtet sein (vgl B[X.] vom 24.7.2012 - [X.] U 9/11 R - [X.] 4-2700 § 8 [X.] Rd[X.] und vom 26.6.2014 - [X.] U 4/13 R - [X.] 4-2700 § 8 [X.] Rd[X.]4). Darüber hinaus muss sich die subjektive Handlungstendenz als von den Instanzgerichten festzustellende Tatsache im äußeren Verhalten des Handelnden (Verrichtung), so wie es objektiv beobachtbar ist, widerspiegeln (vgl B[X.] vom 17.2.2009 - [X.] U 26/07 R - [X.] 4-2700 § 8 [X.] Rd[X.]1 mwN). Eine Verrichtung in diesem Sinne ist jedes konkrete, räumlich und zeitlich bestimmte Verhalten eines Verletzten, das (objektiv) seiner Art nach von Dritten beobachtbar ist. Für die Prüfung ist dabei regelmäßig die kleinste beobachtbare Handlungssequenz maßgebend (vgl Spellbrink, [X.] 2011, 351, 354).

Das [X.] hat offen gelassen, ob der Kläger unmittelbar vor dem Sturz gestanden hat oder gegangen ist. Auch eine andere Verrichtung ist den Feststellungen des [X.] nicht zu entnehmen. Selbst wenn der Aufenthalt des [X.] auf dem Bahnsteig an sich - allerdings als dann nicht mehr kleinste beobachtbare Handlungssequenz - ausnahmsweise als die maßgebliche Verrichtung angesehen würde, bleibt dennoch die objektivierte Handlungstendenz im Zeitpunkt des [X.], zu dem Ort der Tätigkeit - hier der [X.] - zu gelangen, mangels entsprechender Feststellungen durch das [X.] offen. Daher kann schon nicht beurteilt werden, ob ein sachlicher Zusammenhang der zur Zeit des [X.] ausgeübten Verrichtung mit dem grundsätzlich versicherten Zurücklegen des Weges bestand.

Ungeachtet dessen, ob sich die Verrichtung und Handlungstendenz überhaupt noch aufklären lassen, kann im vorliegenden Fall aber dahinstehen, ob der soeben dargestellte sachliche Zusammenhang mit der Verrichtung im Zeitpunkt des [X.] gegeben war. Denn selbst wenn ein solcher sachlicher Zusammenhang angenommen würde, scheitert der Anspruch des [X.] auf Feststellung eines Arbeitsunfalls jedenfalls daran, dass der Unfall nicht "infolge" des [X.] dieses Weges eingetreten und ihm deshalb rechtlich nicht zuzurechnen ist.

3. Der Unfall ist nicht einer versicherten Tätigkeit iS des § 8 Abs 1 Satz 1 [X.]B VII zuzurechnen, weil sich nicht feststellen lässt, dass sich mit dem Aufprall auf dem Bahnsteig eine Gefahr verwirklicht hat, die in den Schutzbereich der [X.] fällt.

a) Die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung haben Schutz gegen Gefahren zu gewähren, die sich durch die ihre Verbandszuständigkeit, den Versicherungsschutz und das Versichertsein des Verletzten begründende Verrichtung von im jeweiligen [X.] konkret umschriebenen Tätigkeiten realisieren können. Ihre Einstandspflicht besteht nur dann, wenn sich durch eine Handlung des Geschädigten, die den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt, ein Risiko verwirklicht hat, gegen dessen Eintritt nicht die Unfallversicherung "allgemein", sondern der jeweils durch die Handlung erfüllte [X.] schützen soll. Die Zurechnung des Schadens eines Versicherten zum Versicherungsträger erfordert daher zweistufig die Erfüllung erstens tatsächlicher und zweitens darauf aufbauender rechtlicher Voraussetzungen. Die Verrichtung der versicherten Tätigkeit muss die Einwirkung und in gleicher Weise muss die Einwirkung den [X.] oder den Tod sowohl objektiv (1. Stufe) als auch rechtlich wesentlich (2. Stufe) verursacht haben (vgl B[X.] vom 13.11.2012 - [X.] U 19/11 R - B[X.]E 112, 177 = [X.] 4-2700 § 8 [X.], Rd[X.] ff mwN).

Auf der ersten Stufe setzt die Zurechnung mithin voraus, dass die Einwirkung durch die versicherte Verrichtung objektiv (mit-)verursacht wurde. Für Einbußen des Verletzten, für welche die versicherte Tätigkeit keine [X.] war, besteht schlechthin kein Versicherungsschutz und hat der Unfallversicherungsträger nicht einzustehen. [X.] sind nur solche Bedingungen, die erfahrungsgemäß die infrage stehende Wirkung ihrer Art nach notwendig oder hinreichend herbeiführen. In der gesetzlichen Unfallversicherung muss eine versicherte Verrichtung, die im Sinne der "[X.]" eine erforderliche Bedingung des Erfolges war, in einer besonderen tatsächlichen und rechtlichen Beziehung zu diesem Erfolg stehen. Sie muss [X.] des Erfolges gewesen sein, muss ihn tatsächlich mitbewirkt haben und darf nicht nur eine bloß im Einzelfall nicht wegdenkbare zufällige Randbedingung gewesen sein. Ob die versicherte Verrichtung eine [X.] für die festgestellte Einwirkung war, ist eine rein tatsächliche Frage. Wie bereits ausgeführt, ist die Verrichtung des [X.] vor dem Unfallereignis vom [X.] nicht festgestellt worden, sodass die Annahme eines Ursachenzusammenhangs bereits an der ersten Stufe scheitert. Dies kann - wie bereits angedeutet - aber letztlich dahinstehen, weil sich jedenfalls bei dem Unfall des [X.] kein spezifisches Wegerisiko verwirklicht hat.

Selbst wenn eine versicherte Tätigkeit als [X.] feststeht, muss auf der zweiten Stufe die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten Stufe festgestellten weiteren mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten [X.]es fallenden Gefahr sein. Bei dieser reinen Rechtsfrage nach der "Wesentlichkeit" der versicherten Verrichtung für den Erfolg der Einwirkung muss entschieden werden, ob sich durch das versicherte Handeln ein Risiko verwirklicht hat, gegen das der jeweils erfüllte [X.] gerade Schutz gewähren soll. Eine Rechtsvermutung dafür, dass eine versicherte Verrichtung - wie hier ggf das Stehen auf dem Bahnsteig - wegen ihrer objektiven (Mit-)Verursachung der Einwirkung - die hier gerade nicht festgestellt ist - auch rechtlich wesentlich war, besteht nicht. Die Wesentlichkeit der [X.] ist vielmehr zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung zu beurteilen (vgl B[X.] vom 13.11.2012 - [X.] U 19/11 R, aaO, Rd[X.]3 ff).

Ob eine Ursache rechtlich wesentlich ist, ist auch dann zu prüfen, wenn sie als alleinige Ursache festgestellt ist, weil andere (Mit-)Ursachen nicht erwiesen oder nicht in Betracht zu ziehen sind. Denn auch in diesem Fall wird die Einstandspflicht des [X.] nur begründet, wenn sich durch den Unfall, der durch die versicherte Verrichtung objektiv verursacht wurde, eine Gefahr verwirklicht hat, gegen die die Versicherung schützen soll. Diese Voraussetzung wird zumeist erfüllt sein, bedarf aber stets der Entscheidung (vgl B[X.] vom 13.11.2012 - [X.] U 19/11 R, aaO, Rd[X.]). Dem stehen die vom Kläger benannten Urteile des [X.]s vom [X.] ([X.] U 23/05 R - B[X.]E 98, 79 = [X.] 4-2700 § 8 [X.]2) und vom 17.2.2009 ([X.] U 18/07 R - [X.] 4-2700 § 8 [X.]) nicht entgegen. Nach den diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Sachverhalten waren die dort vom [X.] festgestellten Verrichtungen unmittelbar vor dem Unfall der jeweiligen versicherten Tätigkeit zuzurechnen und die nichtversicherten Ursachen waren lediglich mögliche [X.]. Entscheidend war aber auch dort, dass sich durch den Unfall jeweils eine Gefahr verwirklicht hatte, vor der der jeweilige [X.] gerade schützen sollte, nämlich die Gefahr eines Sturzes während des der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Laufens bzw eines Verkehrsunfalls während des dem Zurücklegen des Weges zuzurechnenden Steuerns eines Kraftfahrzeugs. Somit war dort die im vorliegenden Fall zu verneinende Frage, ob sich jeweils im Hinblick auf diese Verrichtung durch das Unfallereignis eine Gefahr verwirklicht hatte, vor der die gesetzliche Unfallversicherung schützen soll, unproblematisch zu bejahen.

b) Das Umfallen und der Aufprall des [X.] auf den Bahnsteig war danach jedenfalls nicht rechtlich wesentlich durch eine zuvor versicherte Tätigkeit verursacht worden. Wie ausgeführt, ist den nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen und damit für den [X.] gemäß § 163 [X.]G bindenden Feststellungen des [X.] lediglich zu entnehmen, dass sich der Kläger auf dem Bahnsteig befand. Das [X.] konnte jedoch nicht feststellen, von welchen konkreten Umständen das Unfallereignis begleitet war. Insbesondere steht nicht fest und ist nach den insoweit unangegriffenen Beweiswürdigungen des [X.] auch nicht mehr feststellbar, ob der Kläger unmittelbar vor dem Ereignis sich bewegt hat, sodass er dabei möglicherweise stolperte oder ausrutschte, oder ob er aus dem Stand umfiel, ob er angerempelt wurde, gegen eine Vitrine stieß, ob die Bodenverhältnisse auf dem Bahnsteig den Sturz bewirkten oder ob ggf eine (innere) Erkrankung bestand. Mithin ist nicht feststellbar, welche Faktoren im Zeitpunkt des Sturzes und Aufpralls auf den Kläger eingewirkt haben. Damit kann auch nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass sich durch das Unfallereignis ein Risiko verwirklicht hat, vor dem gerade die [X.] Schutz gewähren soll.

Die [X.] schützt, wie der [X.] zuletzt entschieden hat, vor Gefahren für Gesundheit und Leben, die aus der Teilnahme am öffentlichen Verkehr als Fußgänger oder Benutzer eines Verkehrsmittels, also aus eigenem oder fremdem Verkehrsverhalten oder äußeren Einflüssen während der Zurücklegung des Weges hervorgehen (B[X.] vom 18.6.2013 - [X.] U 10/12 R - [X.] 4-2700 § 8 [X.] Rd[X.]0 und vom 13.11.2012 - [X.] U 19/11 R - B[X.]E 112, 177 = [X.] 4-2700 § 8 [X.], RdNr 45). Zwar könnte das Risiko, beim Gehen durch Stolpern oder Ausrutschen, durch einen Zusammenstoß mit einer Vitrine oder durch den Anstoß anderer Personen zu stürzen, jeweils von dem Schutzzweck der [X.] umfasst sein. Solche äußeren Einwirkungen auf den Körper des [X.] müssten als solche aber zunächst konkret festgestellt sein, was hier gerade nicht der Fall ist. Ihre Nichterweislichkeit geht zu Lasten des [X.].

c) [X.], die die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Unfallereignis" sowie "Gesundheitsschaden" erfüllen sollen, müssen im Grad des [X.], also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, feststehen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der naturphilosophischen [X.] zwischen diesen Voraussetzungen der Grad der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die Glaubhaftmachung und erst Recht nicht die bloße Möglichkeit (vgl B[X.] vom [X.] - [X.] U 30/07 R - B[X.]E 103, 45 = [X.] 4-5671 Anl 1 [X.]01 Nr 4 mwN). In der [X.] wie auch sonst bei anderen Versicherungstatbeständen der gesetzlichen Unfallversicherung besteht keine Vermutungsregel, dass bei Verrichtung einer versicherten Tätigkeit unmittelbar vor dem Unfallereignis der Unfall objektiv und rechtlich wesentlich durch diese versicherte Tätigkeit verursacht wurde. Sind - wie hier - die Umstände, die vor dem Unfallereignis unmittelbar auf den Kläger eingewirkt haben, unbekannt, kann nicht mit dem erforderlichen Grad der Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass der Sturz durch ein Risiko verursacht wurde, gegen das die gesetzliche Unfallversicherung beim Zurücklegen des Weges nach § 8 Abs 2 [X.] [X.]B VII Schutz gewähren soll.

Den Nachteil aus der tatsächlichen Unaufklärbarkeit anspruchsbegründender Tatsachen hat nach den Regeln der objektiven Beweislast der Kläger zu tragen. Für die erforderlichen Feststellungen der Tatsachen können ua die Angaben des Versicherten, Bekundungen von Zeugen und Sachverständigen sowie sonstige Umstände herangezogen werden. Die Beklagte und die Vorinstanzen haben - soweit ersichtlich - alle denkbaren Beweismittel ausgeschöpft. Insofern werden auch von der Revision keine [X.] erhoben. Ist danach dennoch das zum Unfallereignis führende Geschehen und insbesondere - wie hier - die zum Unfallereignis führende Kausalkette nicht aufklärbar, geht dies zu Lasten des Versicherten (vgl hierzu B[X.] vom 27.3.1990 - 2 RU 45/89 - [X.] 1990, 1181 mwN; vgl auch B[X.] vom 28.6.1984 - 2 RU 54/83 - [X.] 1984, [X.]5, 40 bis 44). Wie bereits oben ausgeführt, kann ohne Feststellung der konkreten Kausalkette nicht aus der bloßen Tatsache des "auf dem Wege seins" abgeleitet werden, dass sich auch eine Gefahr realisiert hat, die in den Schutzbereich der [X.] fällt. Ein solcher "Wegebann" entspricht nicht dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung. Entgegen der Auffassung der Revision führt auch der allgemeine Zweck der gesetzlichen Unfallversicherung nicht dazu, dass die Nichterweislichkeit der Ursache bei ungeklärtem Unfallhergang jeweils zu Lasten des [X.] geht. Denn die Einstandspflicht und damit der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung besteht auch in der [X.] nach § 8 Abs 2 [X.] [X.]B VII nur dann, wenn sich durch eine Handlung des Geschädigten, die den gesetzlichen Tatbestand dieser versicherten Tätigkeit erfüllt, ein Risiko verwirklicht hat, gegen dessen Eintritt nicht die Unfallversicherung "allgemein", sondern der jeweils durch die Verrichtung erfüllte [X.] der [X.] schützen soll. Ein solches spezifisches Wegerisiko als Unfallursache ist hier aber nicht feststellbar, was zu Lasten des [X.] geht.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 [X.]G.

Meta

B 2 U 8/14 R

17.12.2015

Bundessozialgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: U

vorgehend SG Detmold, 30. Juli 2012, Az: S 1 U 322/10, Urteil

§ 2 Abs 1 Nr 8 Buchst c SGB 7, § 8 Abs 1 S 1 SGB 7, § 8 Abs 1 S 2 SGB 7, § 8 Abs 2 Nr 1 SGB 7

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 17.12.2015, Az. B 2 U 8/14 R (REWIS RS 2015, 426)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 426

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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