AG Ludwigsburg, Urteil vom 28.02.2023, Az. 8 C 1361/22

ABMAHNUNG RECHTSMISSBRAUCH DSGVO ART. 82 DSGVO

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Leitsatz des Bearbeiters

1. Bei der Feststellung einer rechtsmissbräuchlichen Verfolgung datenschutzrechtlicher Ansprüche kann auf die Wertungen von § 8c UWG zurückgegriffen werden.

2. Wer im Zeitraum vom 14.9.2022 bis zum 20.10.2022 (im gerichtlichen Verfahren unbestritten) mindestens 217.540 Anschreiben mit einer Zahlungsforderung von jeweils 170,00 EUR verschickt, bei dem steht das Interesse an einer Einnahmeerzielung im Vordergrund.

3. Wer sich den Unterlassungsanspruch durch Zahlung eines Betrages von 170,00 EUR abkaufen lässt, der handelt ebenfalls rechtsmissbräuchlich.


Sebastian Laoutoumai, LLM.

31.03.2023

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Gegenstand

Kein Anspruch aus Art. 82 DSGVO bei rechtsmissbräuchlichem Massenversand von Abmahnungen.


Tenor

  1. Die Widerklage wird abgewiesen.
  2. Der Beklagte/Widerkläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
  3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte/Widerkläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger/Widerbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 3.170,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Unterlassungs- und Schadensersatzanspruch wegen dynamischer Einbindung von X. Fonts auf der Webseite der Klägerin.
Der Beklagte besuchte über einen Zeitraum von mehreren Monaten mittels eines Webcrawlers Webseiten, auf welchen X. Fonts eingebunden ist. Der Besuch der Webseite der Klägerin erfolgte am 17.09.2022. Der Beklagtenvertreter verschickte unter Berücksichtigung der nach fortlaufenden Nummern vergebenen Aktenzeichen im Zeitraum 14.09. bis 20.10.2022 217.540 Schreiben wie das unter dem Datum vom 20.10.2022 (Anlage K1, Bl. 8/9 d.A.) nebst beigefügter Vollmacht des Beklagten (Bl. 11 d.A.) an die Klägerin verschickte. In dem Schreiben wird dargelegt, dass auf der Webseite der Klägerin X. Fonts derart installiert ist, dass u.a. die IP-Adresse des Besuchers der Webseite an X. Fonts in den USA weitergeleitet wird, was eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Beklagten in Form des informationellen Selbstbestimmungsrechts darstellt. Auf Seite 2des Schreibens wird ausgeführt:

Aufgrund des Verstoßes hat unsere Mandantschaft gegen Sie u.a. einen Anspruch auf Unterlassung. Deutsche Gerichte haben in den letzten zwei Jahren Betroffenen von unterschiedlichsten Datenschutzverstößen Schmerzensgelder in einer Breite von bis zu einem Maximum von 2.500,00 € zugesprochen (beispielhaft...).

Unsere Mandantschaft ist im Falle der unverzüglichen Beendigung des Verstoßes und Zahlung eines Betrages in Höhe von 170,00 € auf unser Treuhand-Mandanten-Konto (...) bereit, die Sache auf sich beruhen zu lassen."

In den Kanzleiräumen des Beklagtenvertreters fand am [...] durch die Staatsanwaltschaft Berlin, die gegen den Beklagtenvertreter wegen [...] ermittelt, eine Durchsuchung statt. In 2418 Fällen zahlten die Angeschriebenen die geforderten 170,00 Euro (K 4, BI.71-76 d.A.). Soweit die Angeschriebenen weder bezahlten noch negative Feststellungsklage erhoben, wurden vom Beklagten bislang keine weiteren Maßnahmen veranlasst

Die Klägerin erhob negative Feststellungsklage mit dem Antrag (Bl. 3d.A.) festzustellen, dass dem Beklagten gegen die Klägerin kein Anspruch auf Unterlassung und Schmerzensgeld wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Beklagten durch die Verwendung der Schriftartensammlung "X. Fonts" auf der Website der Klägerin zusteht, gemäß Rechtsberühmung des Beklagten am 13.10.2022 (richtig 20.10.2022, vgl. Anlage K1, auf welche Bezug genommen wurde). Nach Klageerhebung forderte der Beklagte die Klägerin mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 12.12.2022 (B 7, Bl. 56/57 d.A.) zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung, zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 170,00 Euro sowie zur Übernahme der für die Abmahnung entstandenen Rechtsanwaltsgebühren auf.

Mit Schriftsatz vom 21.12.2022 (Bl. 43-42 d.A.) erhob der Beklagte Widerklage auf Unterlassung sowie Zahlung von Schmerzensgeld und vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren. Nachdem der Beklagtenvertreter die Widerklageanträge in der mündlichen Verhandlung gestellt hatte, erklärten die Parteivertreter übereinstimmend die negative Feststellungsklage in der Hauptsache für erledigt.

Der Beklagte/Widerkläger trägt vor,

beim Besuch der Webseite der Klägerin am 17.09.2022 sei seine IP-Adresse aufgrund des von der Klägerin zugunsten von X. eingerichteten Links an einen Server von X. in den USA gesandt worden. Dadurch sei er in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt, weshalb ihm ein Anspruch gegen die Klägerin auf Unterlassung zustehe. Desweiteren habe er Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 170,00 Euro, da die Weiterleitung seiner IP-Adresse einen Datenmissbrauch darstelle und dies Schmerzen bei ihm erzeugt habe. Bei der Aktion sei es ihm in erster Linie um die Erzeugung von Aufmerksamkeit für das Thema X. Fonts gegangen, um hierüber eine Änderung des Nutzerverhaltens zu erreichen. Sein Vorgehen sei auch nicht rechtsmissbräuchlich. Insbesondere ergebe sich ein Rechtsmissbrauch
nicht aus dem Umstand, dass massenhaft Abmahnungen versandt wurden. Ein Rechtsmissbrauch resultiere auch nicht daraus, dass die Verstöße mittels eines Crawlers belegbar gemacht wurden. Die Rechtsprechung zu rechtsmissbräuchlichen Abmahnungen stamme größtenteils aus dem Wettbewerbsrecht, welches vorliegend nicht einschlägig sei. Auch werde keine anwaltliche Vergütung eingefordert, die nicht bezahlt wurde und sein Anwalt werde auch nicht erfolgsabhängig bezahlt. Es sei vielmehr so, dass er seinen Anwalt nach Gesetzeslage bezahle. Unter Berücksichtigung von 217,540 versandten Schreiben mache dies je Angeschriebenem einen Betrag in Höhe von 1,89 € aus, was unter Berücksichtigung einer angenommenen Forderung in Höhe von 170,00 € überschaubar sei. Desweiteren habe er Anspruch auf Ersatz der Anwaltskosten für das Abmahnschreiben vom 12.12.2022. Im Übrigen sei bereits keine Zuständigkeit des Amtsgerichts Ludwigsburg gegeben, da er als Verletzter unter Berücksichtigung der Intensität des Eingriffes den Streitwert betreffend den Unterlassungsanspruch mit 5.000,00 € bestimmt habe und demzufolge nach Addition mit dem geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 170,00 €der Zuständigkeitsstreitwert der Amtsgerichte überschritten sei.

Der Beklagte/Widerkläger beantragt,

    1. die Klägerin zu verurteilen, an den Beklagten 710,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
    2. den Streitwert der Widerklage auf 5.170,00 € festzusetzen,
    3. den Rechtsstreit an das aufgrund des Streitwerts zuständige Landgericht zu verweisen.

    Die Klägerin/Widerbeklagte beantragt,

    die Widerklage abzuweisen.

    Die Klägerin/Widerbeklagte trägt vor,

    der Streitwert liege nicht über der amtsgerichtlichen Zuständigkeitsgrenze. Dem Beklagten stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Etwaigen Ansprüchen stehe jedenfalls der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegen. Dies ergebe sich bereits daraus, dass beim Beklagten nicht das Unterlassungsinteresse im Vordergrund stehe, sondern das Interesse an einer Einnahmeerzielung. Der Beklagte lasse sich seinen Unterlassungsanspruch gegen Zahlung von 170,00 € abkaufen, da er in diesem Fall bereit ist, die Sache auf sich beruhen zu lassen, mithin den Unterlassungs- sowie den Schmerzensgeldanspruch nicht weiterzuverfolgen. Im Übrigen werde bereits bestritten, dass die IP-Adresse des Beklagten beim Besuch der Webseite der Klägerin an einen Server von X. in den USA gesandt wurde. Aber selbst wenn eine Rechtsverletzung vorliegen würde, wäre dem Beklagten bereits deshalb kein ersatzfähiger Schaden wegen der Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung entstanden, da er unter Einsatzes eines Webcrawlers gezielt Webseiten aufgesucht habe, so dass er eine – unterstellte - Rechtsverletzung gewünscht habe und er demzufolge auch keinen unliebsamen Schaden erlitten habe könne. Ihm sei es vielmehr darum gegangen, dem Adressaten die Zahlung von 170,00 € abzunötigen. Das Verhalten sei auch bereits deshalb rechtsmissbräuchlich, da es dem Beklagten seinem eigenen Bekunden zufolge in erster Linie um die Erzeugung von Aufmerksamkeit gehe. Des Weiteren sei es unter Berücksichtigung des Umfangs der Tätigkeit und der anfallenden Kosten ausgeschlossen, dass der Beklagte das Kostenrisiko aus der Einschaltung seines Rechtsanwalts selbst trägt, sondern es sei in kollusiver Weise eine Teilung des erwirtschafteten Gewinns vereinbart. Die vom Beklagten behauptete Zahlung von 1,89 € an seinen Rechtsanwalt pro verschicktem Anschreiben wird bestritten, zumal die Höhe der Vergütung sich unter Berücksichtigung der Ausführungen des Beklagten lediglich ex post berechnen lasse. Im Übrigen belege der Umstand, dass der Beklagte -ausgenommen als Reaktion auf eine negative Feststellungsklage - keine Abmahnungen ausgesprochen und auch keine Unterlassungsklagen erhoben habe, dass dieser kein gesteigertes Interesse an der Durchsetzung der Unterlassung hat. Das Interesse des Beklagten an der Unterlassung sei allenfalls mit 3.000,00 € zu bemessen, wie dies bei Erhebung der negativen Feststellungsklage vorgetragen und bei der vorläufigen Streitwertfestsetzung durch das Gericht berücksichtigt wurde.

    Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll vom 24.01.2023 (Bl. 83 -84 d.A.) Bezug genommen.

    Entscheidungsgründe

    1

    Die Widerklage ist zulässig, aber unbegründet.

    2

    I.

    3

    An der Zulässigkeit der Widerklage bestehen keine Bedenken, insbesondere ist das Amtsgericht Ludwigsburg sachlich zuständig. Der Zuständigkeitsstreitwert der Widerklage beläuft sich auf 3.170,00 Euro.

    4

    Der Streitwert für die Unterlassungsklage richtet sich nach § 3 ZPO. Wertbestimmend ist das gemäß § 3 ZPO zu schätzende Interesse des Widerklägers an der Beseitigung bzw. Verhinderung der Beeinträchtigung (MusielakA/oit, ZPO, 19. Auf!., §3Rn. 39). Der Widerkläger hat sein Interesse an der Unterlassung mit 5.000,00 € angegeben und dies mit der Intensität des Eingriffs begründet. An die Angabe zur Höhe des Streitwerts ist das Gericht, selbst wenn die Angaben mit den Angaben der Gegenseite übereinstimmen würden, nicht gebunden (Müko, ZPO, 6. Aufl., 2020, §3 ZPO Rn. 15).

    5

    Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände hält das Gericht eine Festsetzung des Streitwertes für die Unterlassungsklage auf 3.000,00 Euro für angemessen.

    6

    Im Urteil des Landgerichts München I (LG München, Urteil vom 20.01.2022 -30 17493/20 -, juris) betreffend den Anspruch auf Unterlassung der Weiterleitung einer IP Adresse an X. über den Link X. Fonts wurde für den Unterlassungsanspruch der Streitwert auf 4.000,00 Euro festgesetzt, wobei in diesem Fall der Abmahnende die Webseite des Abgemahnten besucht hatte und anschließend diesen zur Abgabe einer Unterlassungserklärung, zur Zahlung von Schadensersatz (100,00 Euro) sowie zur Zahlung vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren aufgefordert hatte.

    7

    Bei vorliegendem Fall hat der Widerkläger die Webseite unter Einsatzes eines Webcrawlers aufgesucht und seinen eigenen Angaben zufolge lag sein Hauptinteresse bei der streitgegenständlichen Aktion darin, Aufmerksamkeit für das Thema X. Fonts zu erzeugen und hierüber eine Änderung des Nutzerverhaltens zu erreichen. Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Widerkläger, wenn die Widerbeklagte nach Erhalt des Anschreibens vom 20.10.2022 den Verstoß beendet und einen Betrag in Höhe von 170,00 Euro gezahlt hätte, weder die Abgabe einer Unterlassungserklärung noch die Zahlung von Schmerzensgeld gefordert hätte, sondern sein Unterlassungsinteresse sowie seine erlittenen Schmerzen damit besänftigt gewesen wären. Die Festsetzung des Streitwertes für den Unterlassungsantrag auf 3.000,00 Euro, mithin auf ein Vielfaches des Betrages, mit dem das Unterlassungsinteresse und auch ein Schmerzensgeldanspruch, welcher nachfolgend mit 170,00 Euro beziffert wurde, abgegolten hätten werden können, erscheint angemessen.

    8

    Unter Berücksichtigung des geltend gemachten Schmerzensgeldes in Höhe von 170,00 €war
    der Streitwert der Widerklage auf 3.170,00 €festzusetzen. Bei den geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren handelt es sich um Nebenforderungen, die gemäß § 4 ZPO den Streitwert nicht erhöhen.

    9

    Das Amtsgericht Ludwigsburg ist demnach sachlich und gern. §§ 12, 13 ZPO auch örtlich zuständig.

    10

    II.

    11

    Der Widerkläger hat gegen die Widerbeklagte keinen Anspruch auf Unterlassung gem. § 823 Abs. 1 in Verbindung mit § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog und auf Schadensersatz gem. Art. 82 Abs. 1 DS-GVO wegen der dynamischen Einbindung von X. Fonts auf der Webseite der Widerbeklagten.

    12

    1.

    13

    Das Landgericht München I (Urteil vom 20.01.2022 -3017493/20 -, juris) hat entschieden, dass die unerlaubte Weitergabe der IP-Adresse eines Webseitenbesuchers wegen der dynamischen Einbindung von X. Fonts auf der Webseite eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Webseitenbesuchers darstellt und ein Unterlassungsanspruch gem. § 823 Abs. 1 in Verbindung mit § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog sowie ein Schadensersatzanspruch gern. Art. 82 Abs. 1 DS-GVO bestehen, wenn keine Rechtfertigungsgründe in Betracht kommen.

    14

    Unbestritten hat der Widerkläger am 17.09.2022 die Webseite der Widerbeklagten unter Einsatzes eines Webcrawlers aufgesucht. Ob der Besuch mit der IP-Adresse des Widerklägers (…) erfolgte, ob die Widerbeklagte einen Link zugunsten von X. in den USA zur Weiterleitung der IP-Adresse des Besuchers der Webseite eingerichtet hatte und die IP-Adresse des Widerklägers an einen Server von X. in den USA gesandt wurde, kann dahinstehen. Ebenso kann dahinstehen, ob ein Schadensersatzanspruch gem. Art. 82 Abs. 1 DS-GVO beim Aufsuchen der Webseite mittels eines Webcrawlers überhaupt in Betracht kommt.

    15

    2.

    16

    Den vom Widerkläger geltend gemachten Ansprüchen steht der Einwand des Rechtsmissbrauchs gemäß § 242 BGB entgegen.

    17

    Die Rechtsausübung ist rechtsmissbräuchlich, wenn ihr kein schutzwürdiges Eigeninteresse zugrunde liegt (Grüneberg, BGB, 81. Aufl., §242 Rn. 50). Das Interesse ist jedenfalls dann nicht schutzwürdig, wenn mit der Geltendmachung des Anspruchs überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele verfolgt und diese als beherrschendes Motiv der Verfahrenseinleitung erscheinen, wobei eine Gesamtwürdigung aller Umstände zu erfolgen hat (BGH, Urteil vom 28.05.2020 -1 ZR 129/19 -, juris).

    18

    In § 8c Abs. 2 Nr. 1 UWG ist geregelt, dass eine rechtsmissbräuchliche Geltendmachung im Zweifel anzunehmen ist, wenn die Geltendmachung der Ansprüche vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder von Kosten der Rechtsverfolgung oder die Zahlung einer Vertragsstrafe entstehen zu lassen. Diese Regelung entspricht im Wesentlichen dem § 8 Abs. 4 Abs. 1 UWG, der allerdings die Vertragsstrafe nicht erwähnte. Der Gesichtspunkt des rechtsmissbräuchlichen Einnahmeerzielungs- und Kostenbelastungsinteresse ist in der Rechtsprechung zum Wettbewerbsrecht seit langem anerkannt (Köhler-Bornkamm-Feddersen, UWG, 41. AufI. § 8c Rn. 14).

    19

    Auch wenn diese Vorschrift mangels eines Wettbewersbverhältnisses der Parteien und einer gewerblichen Tätigkeit des Widerklägers keine direkte Anwendung findet, ändert dies nichts daran, dass der Rechtsgedanke des § 8c Abs. 2 Nr. 1 UWG auch im Rahmen des § 242 BGB zu berücksichtigen ist (LG Dresden, Urteil vom 11.01.2019 -1a O 1582/18 -, juris).

    20

    Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen erscheint die Rechtsausübung des Widerklägers rechtsmissbräuchlich, da nach einer Gesamtwürdigung aller Umstände beim Widerkläger nicht das Unterlassungsinteresse, sondern das Interesse an einer Einnahmeerzielung im Vordergrund steht.

    21

    a.

    22

    Der Widerkläger hat innerhalb des Zeitraums vom 14.09.2022 bis 20.10.2022 unter Berücksichtigung der nach fortlaufenden Nummern vergebenen Aktenzeichen 217.540 Anschreiben verschickt, welche dem an die Widerbeklagte unter dem Datum vom 20.10.2022 verschickten Anschreiben entsprechen. Dass die Aktenzeichen nach fortlaufenden Nummern vergeben wurden, hat der Widerkläger, der dies vorgerichtlich noch in Abrede gestellt hatte, nicht bestritten.

    23

    Bei den verschickten Anschreiben handelt es sich nicht um klassische Abmahnungen, da nicht die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassung verlangt wird. Vielmehr wird zur umfassenden Abgeltung der datenschutzrechtlichen Ansprüche eine Zahlung von 170,00 Euro als Vergleich angeboten. Hätten alle im oben genannten Zeitraum Angeschriebenen den Betrag von 170,00 Euro bezahlt, hätte der Widerkläger einen Betrag in Höhe von 36.981.800,00 Euro eingenommen.

    24

    Der Widerkläger selbst hat angegeben, dass es ihm vorrangig darum ging, Aufmerksamkeit für das Thema X. Fonts zu erzeugen, um hierüber eine Änderung des Nutzerverhaltens zu er reichen. Dass dies nur dadurch zu erreichen war, dass eine so große Anzahl von Anschreiben verschickt wird verbunden mit der Aufforderung 170,00 Euro an den Widerkläger zu bezahlen, um die Sache auf sich beruhen zu lassen, ist weder dargelegt noch ersichtlich. Soweit der Widerkläger vorträgt, dass es sich bei diesem Betrag um eine Schmerzensgeldforderung handle, wird darauf hingewiesen, dass dies dem Anschreiben nicht zu entnehmen ist. In dem Anschreiben wird der Betrag in Höhe von 170,00 Euro vielmehr als Ausgleichszahlung zur Abgeltung der vorgenannten Ansprüche gefordert. Im Abmahnschreiben vom 12.12.2022 hat der Widerkläger dann erstmals einen Betrag in Höhe von 170,00 Euro als Schmerzensgeld gefordert.

    25

    b.

    26

    Weiter ist zu berücksichtigen, dass das Unterlassungsinteresse des Widerklägers durch Zahlung eines Betrages in Höhe von 170,00 Euro besänftigt hätte werden können.

    27

    Mit Abgabe der Unterlassungserklärung soll zukünftigen Rechtsverletzungen vorgebeugt werden. Bereits dadurch, dass der Widerkläger im Anschreiben vom 20.10.2022 angeboten hat, bei Zahlung eines Betrages in Höhe von 170,00 Euro die Sache auf sich beruhen zu lassen, kommt zum Ausdruck, dass es dem Widerkläger nicht vorrangig darum ging, dass weitere datenschutzrechtliche Verstöße unterbleiben, sondern um die Erzielung von Einnahmen. Der Widerkläger selbst hat ausgeführt, dass die Abgabe einer Unterlassungserklärung zwar zielführender gewesen wäre, diese aber im Zweifel nicht notwendig sei. Dies begründet der Widerkläger damit, dass wer auf seiner Webseite X. Fonts einmal zulässig eingestellt hat, dies kaum wieder rückgängig machen wird. Dies mag zwar so sein, ändert jedoch nichts daran, dass jedenfalls eine Wiederholungsgefahr besteht, welche der Widerkläger in Kauf nimmt, wenn er dafür 170,00 Euro erhält.

    28

    Darüber hinaus hat der Widerklägervertreter in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass der Widerkläger davon ausgegangen wäre, dass mit der Bezahlung des Betrages von 170,00 Euro durch den Angeschriebenen die Webseite datenschutzkonform ausgerichtet wurde. Dem Vorbringen ist jedoch nicht zu entnehmen, dass eine Überprüfung stattgefunden hätte, ob tatsächlich eine datenschutzkonforme Ausrichtung erfolgt ist. Auch dieser Umstand spricht dafür, dass es dem Widerkläger in erster Linie darum ging, von den Angeschriebenen die 170,00 Euro zu erhalten.

    29

    Dass es rechtsmissbräuchlich ist, wenn sich der Abmahnende seinen Unterlassungsanspruch vom Abgemahnten abkaufen lässt, ist auch im Wettbewerbsrecht anerkannt (OLG München, Urteil vom 22.12.2011 - 29 U 3463/11-, juris; OLG Hamburg, Urteil vom 07.07.2010 - 5 U 16/10-, juris).

    30

    c.

    31

    Für ein im Vordergrund stehendes Einnahmeerzielungsinteresse spricht auch, dass der Widerkläger bislang nur dann weitere Maßnahmen ergriffen hat, wenn von den Angeschriebenen negative Feststellungsklage erhoben wurde, obwohl nur insgesamt 2.418 Angeschriebene die geforderten 170,00 Euro bezahlt haben. Soweit der Widerklägervertreter ausführt, dass auch im Hinblick auf den hohen Verwaltungsaufwand die Ansprüche bislang nicht weiter verfolgt worden seien, überzeugt dies nicht. Zum einen gab der Widerklägervertreter an, dass dies „auch“ am hohen Verwaltungsaufwand liege, ohne noch einen weiteren Grund zu nennen. Zum anderen ist nicht nachvollziehbar, warum nicht jedenfalls gegen eine gewisse Anzahl der Angeschriebenen, welche nach Ablauf der gesetzten Zahlungsfrist die Vergleichssumme nicht bezahlt hat und auch keine negative Feststellungsklage erhoben hat, weiter vorgegangen wurde, zumal dem Anschreiben eindeutig zu entnehmen ist, dass nur bei Bezahlung der Vergleichssumme der Widerkläger die Sache auf sich beruhen lässt. Tatsächlich war es aber so, dass - anstatt die Ansprüche der bereits Angeschriebenen weiterzuverfolgen -immer noch weitere Anschreiben verschickt wurden.

    32

    d.

    33

    Für eine rechtsmissbräuchliche Ausübung spricht auch, dass unter Berücksichtigung des Umfangs der Aktion und des Kostenrisikos sowohl auf Seiten des Widerklägers als auch auf Seiten des Widerklägervertreters anzunehmen ist, dass der Widerkläger mit seinem Bevollmächtigten in kollusiver Weise eine Teilung des erwirtschafteten Gewinns vereinbart hat.

    34

    Es oblag dem Widerkläger im Rahmen der sekundären Darlegungslast nachvollziehbar darzulegen, wie das Mandat abgerechnet wird bzw. was er an seinen Bevollmächtigten bezahlt hat. Der Widerkläger hat trotz des Bestreitens der Widerbeklagten, dass überhaupt eine Beauftragung erfolgt ist und, wenn doch, dass der Widerkläger seinen Bevollmächtigten bezahlt hat, dies weder nachvollziehbar dargelegt noch unter Beweis gestellt. Der Widerkläger hat lediglich ausgeführt, dass er den von ihm beauftragten Anwalt für seine Tätigkeit, und zwar für jedes Mandat, gemäß Gesetzeslage bezahlt. Hinsichtlich der Gesetzeslage hat er auf die Novembermann Entscheidung des BGH (BGH, Urteil vom 06.06.2019 -I ZR 150/18-, juris) hingewiesen und dargelegt, dass ein kumulierter Streitwert aller inhaltsgleicher Verfahren zugrunde zu legen sei. Dies führe unter Berücksichtigung von 217.540 Anschreiben zu einem je Angeschriebenen zu zahlenden Betrag in Höhe von brutto 1,89 Euro (Streitwert 36.981.180,00 Euro, 1,3 Geschäftsgebühr 161.185,70 Euro zzgl. Postkosten 184.909,00 Euro zzgl. 19 % MwSt. ergibt 411.852.69 Euro). Dem Rechenmodell liegt eine ex-post-Betrachtung für den Zeitraum 14.09. - 20.10.2022 zugrunde. Insoweit wurden vom Widerkläger die Angaben der Widerbeklagten hinsichtlich der Anzahl der in diesem Zeitraum verschickten Anschreiben übernommen. Unbestritten verschickte der Widerkläger aber entsprechende Anschreiben über mehrere Monate, also über einen längeren Zeitraum als vom 14.09 - 20.10.2022. Unter Berücksichtigung, dass der Widerkläger den Widerklägervertreter in Bezug auf jedes Mandat vergütet haben will, ergibt sich aus diesem Vorbringen nicht, auf welchen Betrag sich die Vergütung für das Tätigwerden des Widerklägervertreters beläuft. Des Weiteren mag die aufgrund der vorgenommenen Berechnung pro Anschreiben berechnete Vergütung gering sein, in Anbetracht der großen Anzahl von Anschreiben ist die Vergütung aber hoch und es ist nicht plausibel, dass der Widerkläger dieses Kostenrisiko selbst trägt. Es widerspricht aber auch der Lebenserfahrung, dass der Widerklägervertreter tätig wird, obwohl ihm unter Berücksichtigung der von ihm vorgenommenen Berechnung seiner Vergütung für den Zeitraum 14.09 -20.10.2022 bereits unter Berücksichtigung der Portokosten für die Anschreiben keine kostendeckende Vergütung mehr zustehen dürfte.

    35

    3.

    36

    Der Anspruch auf vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren für das Abmahnschreiben vom 12.12.2022 teilt das Schicksal der Hauptforderung.

    37

    II.

    38

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

    39

    Die Widerbeklagte begehrte mit der Klage die Feststellung, dass dem Widerkläger kein Anspruch auf Unterlassung und Schmerzensgeld wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Widerklägers durch die Verwendung der Schriftartensammlung „X. Fonts" auf ihrer Webseite zusteht, gemäß Rechtsberühmung des Widerklägers in seinem Anschreiben vom 13.10.2022 (richtig 20.10.2022, Anl. Kl. auf welche Bezug genommen wurde). Da der Widerkläger mit der Widerklage die Ansprüche, denen er sich im Anschreiben vom 20.10.2022 gegenüber der Widerbeklagten berühmt, geltend macht und darüber hinaus noch vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren für das Abmahnschreiben vom 12.12.2022 beansprucht, haben die Parteien die negative Feststellungsklage in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend für erledigt erklärt, da das Feststellungsinteresse entfallen ist und dadurch die Feststellungsklage unzulässig geworden ist.

    40

    Der Gebührenstreitwert beträgt 3.170,00 Euro. Gem. § 45 Abs. 1 S. 1 GKG werden die in einer Klage und in einer Widerklage geltend gemachten Ansprüche, die nicht in getrennten Prozessen verhandelt werden, zusammengerechnet. Gem. § 45 Abs. 1 S. 3 GKG erfolgt die Zusammenrechnung nicht, sondern es ist nur der Wert des höheren Anspruchs maßgebend, wenn die Ansprüche denselben Gegenstand betreffen. Dies ist vorliegend der Fall, so dass der Streitwert auf 3.170,00 Euro festzusetzen war.

    41

    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

    Für die Klägerseite:

    Rechtsanwälte DORNKAMP, Stuttgart

    Für die Beklagtenseite:

    k.A.

    Zur besseren Lesbarkeit wurden ggf. Tippfehler entfernt oder Formatierungen angepasst.

    Meta

    8 C 1361/22

    28.02.2023

    AG Ludwigsburg

    Urteil

    Sachgebiet: C

    § 242 BGB, Art. 82 DSGVO

    Zitier­vorschlag: AG Ludwigsburg, Urteil vom 28.02.2023, Az. 8 C 1361/22 (REWIS RS 2023, 1266)

    Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 1266

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    Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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